Zu den Kernfragen des menschlichen Lebens neben „Wer bin ich“, „Warum bin ich“ und „Wie lange soll das denn noch dauern“ gesellt sich im Alltag eine der schwierigsten Fragen überhaupt: „Was wollen wir heute Abend essen“?
Ich sitze mit dem Schatz vor den Resten unseres einstmals reich gedeckten Frühstückstisches und beschäftige mich via Handy gerade mit der Lösung des Nahost-Konflikts, als es aus dem Schatz unvermittelt herausbricht: „Was würdest du gerne heute Abend essen?“ Hm. Gute Frage. Was weiß ich? Ich bin jetzt schön satt und gerade mit den Gedanken woanders, aber der Schatz meint es ja gut, und es ist ja auch lieb, dass er fragt, aber ich weiß es wirklich nicht. Ich sage also: „Ich weiß es nicht.“
Sie versucht, meine im Moment nicht vorhandene Begierde einzugrenzen: „Magst du Nudeln? Soll ich uns was mit Nudeln machen?“ Das wäre gut. Wir sind erst ein knappes Jahrzehnt zusammen, da hat sie bis jetzt nicht herausfinden können, ob ich Nudeln mag? Also gut, ich helfe: „Ja, ich mag Nudeln. Gerne.“ „Ich habe noch Dinkel-Nudeln da“, sagt sie. Das wiederum sind keine Nudeln, sondern Life-Style-Accessoires. Nudeln sind aus Weizen, Autos fahren mit Benzin. Der Rest ist Chichi. „Oh nein, bitte keine Dinkel-Nudeln“, antworte ich. „Aber du magst doch Nudeln“, sagt sie. „Aber keine Dinkel-Nudeln“, sage ich.
Sie denkt nach. „Was hältst du von einem Auberginen-Auflauf?“ Auberginen-Auflauf. Sie kennt mich wirklich nicht. „Nix. Nix halte ich von einem Auberginen-Auflauf“, gebe ich Auskunft. „Auberginen-Auflauf ist aber gesund“, stellt sie fest. „Das mag sein, geliebtes Eheweib, und das habe ich auch nicht in Zweifel gezogen. Sport ist auch gesund und klares Quellwasser aus den Bergen ist auch gesund. Ich jedoch mag keinen Auberginenauflauf. Die Tatsache, dass er gesund ist, bedingt nicht automatisch, dass ich ihn mag. Keinen Auberginenauflauf.“
„Wir waren erst letzte Woche bei McGonagalls“
Der Schatz legt die Stirn in Falten: „Du magst aber auch gar nichts!“ Das stimmt nicht. Ich mag ganz viele Sachen. Es ist nicht meine Schuld, dass wir so etwas Grässliches wie Auberginen und Dinkel-Nudeln im Haus haben. Ich mache die Einkäufe nicht und wenn ich sie doch mache, dann kaufe ich nur gesunde Sachen wie Rindfleisch und Schweinefleisch, Schokolade und gesalzenes Popcorn. Nur bin ich dann der Einzige, der das isst, denn der Schatz hat sich sehr stark mit Ernährung beschäftigt, aber auf andere Art und Weise als ich. Er ist ja auch jünger, und da will man ja auch was für die Umwelt, die Gesundheit und das Weltklima tun. Es ist auch nicht meine Schuld, dass ich seine beiden Vorschläge eher so mittel finde.
Ich gehe in die Offensive: „Wir könnten Burger machen. Mit knackfrischem Salat und leckeren Tomaten, Schmelzkäse, Weizen-Brötchen und Rindfleisch-Patties. Das wäre gut.“ „Wir waren erst letzte Woche bei McGonagalls“, erinnert sie mich an eine meiner Sünden. Obwohl die Burger des Schatzes jeden Fast-Food-Angestellten vor Ehrfurcht in die Knie gehen lassen, sind die Burger damit vom Tisch.
„Also, irgendwas mit Fleisch würde ich schon gerne essen“, sage ich, weil ich Fleisch, außer Leber, sehr gerne mit irgendwas esse. „Ich könnte uns Putengeschnetzeltes machen“, schlägt sie vor. Diese Frau hat keine Ahnung, wer ich bin, stelle ich innerlich fest. Hier liegt ein Missverständnis vor: Wenn ich von „Fleisch“ rede, dann meine ich garantiert keine armseligen hellen Fleischfetzen von einem wirklich dummen Tier, die einen Geschmack zwischen neutral und Styropor haben. Putenfleisch ist kein Fleisch, sondern die Rache der Natur an Karnivoren. Es ist von Geschmack und Konsistenz her einfach ekelhaft und eher so etwas wie eine pseudovegane Alternative zu richtigem Fleisch. „Bitte kein Putenfleisch“, bitte ich. „Richtiges Fleisch. Hackfleisch vom Rind, Bratwürste, ein Schweinsbraten, ein halbes Mais-Hähnchen, so was in der Richtung“, versuche ich einen Anlauf.
Fleischsimulation aus irgendwas in Knoblauchsauce
Der Schatz schaut mich an, als hätte ich vorgeschlagen, die Töchter zu schlachten und zu essen und schlägt mit dem einzigen Fragewort mit P zurück: „Pizza?“ Pizza. Die letzte Pizza hatte ich ungefähr 2019, als ich abends, völlig übermüdet, von einer Geschäftsreise zurückkam und mir auf der Tanke noch eine Tiefkühlpizza mitgenommen habe. Das kulinarische Erbe der Römer schlage ich seitdem aus. Also sage ich: „Nein“. „Du bist schwierig“, stellt sie fest. „Nein“, sage ich wieder, „Du magst nur nicht das, was ich gerne mag.“ „Das stimmt nicht“, sagt sie schnippisch, „wir mögen beide gerne dich.“ „Mag sein, aber nicht im Speckmantel mit grünen Bohnen“, versuche ich, das Gespräch wieder auf das Kernthema zu lenken. „Ach, von der Idee her…“, gedankenpunktet der Schatz.
„Wir könnten auch essen gehen“, schlage ich vor. „Was will ich denn in Essen?“, scherzt der Schatz schwach. „Das war schwach gescherzt“, äußere ich laut. „Mag sein, aber was schwebt dir vor?“, fragt sie. Das ist mies. McGonagalls scheidet aus, weil wir da erst letzte Woche waren, der Italiener scheidet aus, weil ich keine Pizza will, bleiben noch Griechen (Fleischberge), Kroaten (noch höhere Fleischberge), Inder (in Currysauce ersoffene schweigende Lämmer und Hühner), Asiaten (geschmacksneutrale Nudelberge mit etwas Fleisch), Deutsche („Schnitzel Wiener Art“ mit verkrusteter Panade und einem enttäuschten Zitronenscheibchen), Türken (Fleischsimulation aus irgendwas in Knoblauchsauce mit Ssswiebel und labbrigem Brötchen) und dann habe ich eine Idee:
Kurz das Handy gezückt und meine Lieblingsnummer gewählt: „Markus? Ja, grüß Dich! Du, der Schatz und ich würden Euch gerne heute Abend besuchen … Passt? Ja klasse … Ja klar, spielen wir dann Scrabble … Nein, extrem hochwertiges, gut gegrilltes Rindfleisch von einem Biobauern in der Nähe, der es zu Tode gestreichelt hat, ist vollkommen in Ordnung … Nein, doch, also aber nur, wenn es Dir keine Umstände macht … Macht keine Umstände? Prima… Ja, klar bringen wir Wein mit … Der Schatz würde das Dessert machen … Alles klar, dann bis um sieben!“
Na, also! Geht doch! Es genügt nicht, einen großen Bekanntenkreis zu haben – er muss auch kochen können!
(Weitere geschmackvolle Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.