Von Giuseppe Gracia.
Eine These von bekannten Denkern wie Karl Marx oder Theodor Adorno ließe sich so zusammenfassen: auch in einer Gesellschaft mit freien Märkten und demokratischen Verfahren sind die Menschen nicht wirklich frei, sondern werden von den Mächtigen manipuliert. Kapitalisten im Besitz von Medienhäusern nutzen diese für ihre Propaganda, darum läuft die Demokratie am Ende nicht auf die Macht des Volkes hinaus, sondern auf das Brainwashing des Volkes durch das Establishment.
Inzwischen können wir diese These als widerlegt ansehen, spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump. Dieser beweist, dass sich das Volk nicht vom Establishment brainwashen lässt. Über Monate hat sich praktisch die ganze politisch-kulturelle Elite nicht nur der USA, sondern auch von Europa auf Trump gestürzt, um ihn unmöglich zu machen. Das medial bombardierte Volk sollte sich nicht getrauen, so ein Monstrum zu wählen.
Ein ähnlicher Vorgang wie beim Brexit oder bei den Wahlsiegen der deutschen AfD: Etablierte Mächte richten ihre moralinsauren Propagandakanonen auf einen Gegner, der sich anmaßt, die Alternativlosigkeit und menschliche Überlegenheit der eigenen Position in Frage zu stellen. Und der Geist des Volkes weht am Ende, wo er will. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die guten Kämpfer gegen islamophobe oder frauenfeindliche Rechtspopulisten, gegen nationalistische Rassisten und überall aus dem Boden schießende neue Faschisten, dass diese Kämpfer mit genau jenen Mitteln arbeiten, die sie dem Gegner vorwerfen: Schwarz-Weiß-Denken, Hetze, Demagogie.
Keine Persönlichkeiten, sondern soziodemografisch austarierte Projektionsflächen
Der Sieg von Trump hat aber auch etwas mit seiner Originalität zu tun. So abstoßend man ihn auch finden mag, er wirkt wie eine echte Person, in keiner Weise geglättet. Heutzutage ist das schon erfrischend, und das sagt nichts Gutes über unser System. In fast allen Demokratien sind wir daran gewöhnt, dass bei öffentlichen Debatten kaum noch echte Personen auftreten, mit echter Eigenartigkeit und Fragwürdigkeit, sondern vielmehr soziodemografisch austarierte Projektionsflächen, glattgeputzt nach dem Geschmack einer bestimmten Zielgruppe. Die politische Korrektheit tötet offenbar alle echten Personen im öffentlichen Raum.
Wer getraut sich noch, im Fernsehen tatsächlich das zu sagen, was er glaubt, tatsächlich das zu zeigen, was er denkt? Lieber langweilt uns der etablierte Politbetrieb zu Tode, betäubt vom risikofreien Geschwafel austauschbarer Funktionäre, ob von links, rechts oder in der sogenannten „Mitte“. Sicher, in unserem Familien- und Bekanntenkreis gibt es immer noch originelle Menschen mit Ecken und Kanten, aber sie schaffen es im Regelfall nicht mehr ins Rampenlicht des öffentlichen Lebens. Denn auf dieser Bühne wird das Mehrheitsunfähige und Atypische sogleich weggeblendet, zurückgescheucht ins Dunkel der schrägen Vögel und Extremisten.
Das ist nicht nur in der Politik, sondern immer mehr auch in der Kulturszene der Fall: Zeitgemäße Grössen der Konzertbühne, der Literatur oder des akademischen Betriebs leisten auf ebenso erwartbare wie verwertbare Weise ihren Beitrag. Wie auch fast alle Filme und Kunstwerkte die gleiche Glättungsmaschine der moralischen Korrektheit durchlaufen, bevor man sie uns zumutet. Eine Maschine, die Donald Trump besiegt und damit das Establishment komplett vorgeführt hat.
Wie immer man die One-Man-Show dieses Menschen einschätzt, ob er gut oder schlecht regieren wird: Sein Wahlsieg ist, mehr noch als der Brexit, eine gute Nachricht für alle, die in der politisch-medialen Macht kein Instrument der Volkserziehung sehen, eingesetzt von humanistisch erleuchteten Meinungspriestern. Eine gute Nachricht für alle, die kein Problem damit haben, dass in einer Demokratie, im Rahmen des Grundgesetzes, das Volk der Chef ist und der Chef bleibt.
Giuseppe Gracia ist freier Autor und Informationsbeauftragter des Bistums Chur.