Die Union schaffte es gerade als Opposition im Thüringer Landtag, einen Antrag gegen die behördliche Gendersprache durchzubringen. Unter anderem mit Stimmen der AfD. Die linke Minderheitsregierung tobt und wirft der Union „Spiel mit Faschisten“ vor.
Das hatte sich die Linke im Thüringer Landtag fein ausgedacht. Sie stellt den Ministerpräsidenten, als stärkste Fraktion nach der letzten Wahl. Für die Regierung in Erfurt hat sie mit der SPD und den Grünen zusammen zwar keine Mehrheit zusammengebracht, lediglich 42 Abgeordnete hat sie hinter sich, die Opposition bringt es auf 48. Rotrotgrün regiert trotzdem. Der klassische Fall einer Minderheitsregierung also, die in dem Fall auf die Tolerierung zumindest von Teilen der vier anderen Fraktionen CDU, AfD, FDP und „Bürger für Thüringen“ angewiesen ist.
Doch nach Ansicht der Partei des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und seiner Koalitionspartner sollte es überhaupt keine Rolle spielen, dass sie keine Mehrheit hat. Sie wähnen die CDU automatisch mit im Boot, gefesselt quasi an der Reling, eine Art Große Koalition auf Zwangsbasis. Die Union, so lautet die Lesart der Linken, wie sie jetzt ganz offen insinuiert, müsse sich bei Abstimmungen in jedem Fall den Regierungsfraktionen anschließen. Abweichendes Stimmverhalten der größten Oppositionsfraktion? Ver-bo-ten! Schon gar nicht dürfe sie eigene Anträge ins Landesparlament einbringen. Das alles aus einem einfachen Grund: Sie könnte dafür eine Mehrheit im Landtag erhalten. Gemeinsam mit den Stimmen der AfD, der FDP oder der „Bürger für Thüringen“ (die beiden letzten Landtagsgruppen haben jeweils vier Sitze, eine von ihnen wäre demnach sogar verzichtbar).
Kevin Kühnert: „CDU spielt mit Faschisten“
Die Strategie, die Drohung der Regierung Ramelow: Hält sich die CDU nicht an dieses angeblich vorhandene ungeschriebene Gesetz – mit anderen Worten: sieht sie sich als Opposition –, dann holen wir eben die „Faschismus“-Keule heraus. So jetzt geschehen, als die Unionsfraktion am vergangenen Mittwoch einen eigenen Antrag ein- und ihn mit den Stimmen der AfD und der „Bürger für Thüringen“ auch durchbrachte. Die CDU sei de facto eine „Koalition“ mit der AfD eingegangen, rief die Linke ins Land. „Wo ist der bundesweite Aufschrei zum rechten Schulterschluss in Thüringen“, twitterte die Linken-Abgeordnete Lena Güngor.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf der CDU vor, „mit den Faschisten der Höcke-AfD über Bande zu spielen“. CDU-Chef Friedrich Merz solle „endlich aus seinem Dornröschenschlaf aufwachen und eine Halteleine ziehen“. Es handele sich „bei diesem Antrag“ um eine „bewusste Grenzverschiebung, um Abstimmungsmehrheiten unter Zuhilfenahme der AfD zu normalisieren“. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Madeleine Henfling, sprach von einem „Brückenschlag der CDU zur AfD.“
Die Bevölkerung will keine amtliche Gendersprache
Was stand in dem Antrag der CDU? Es ging darum, die Landesregierung und ihre Behörden zu veranlassen, in ihrer Kommunikation, auch im Schriftverkehr mit den Bürgern des Landes, auf die Gendersprache zu verzichten, sich stattdessen an die offiziell gültige Rechtschreibung zu halten. Für die Grünen-Abgeordnete Laura Wahl sei dies ein Beispiel dafür, dass die CDU damit „AfD-Positionen übernimmt“. Eine mehr als gewagte Behauptung, zurückzuführen entweder auf komplette Unkenntnis, was Volkes Wille ist, oder auf Dreistigkeit, ohne mit der Wimper zu zucken. So oder so einer Politikerin unwürdig.
Jeder kundige Beobachter weiß: Die Mehrheit der Deutschen spricht sich gegen die Verbreitung des Sternchens, des großen „Binnen-I“, des Unterstrichs, des Glottisschlags und all der weiteren Absonderlichkeiten aus, mit denen sie in der Gendersprache ständig auch amtlicherseits konfrontiert wird. Diese Haltung ausschließlich als „AfD-Position“ zu bezeichnen, ist eine bewusst gesetzte Unverschämtheit. Tatsache ist: Zwei Drittel der Bevölkerung sprechen sich bei Umfragen gegen das Gendern aus, selbst bei den Grünen-Anhängern findet sich keine Mehrheit dafür.
Die aktuelle Zustimmungsrate kommt kaum über zehn Prozent hinaus. Die allermeisten – auch das ist ein Ergebnis der Umfragen – finden das Thema Gendersprache völlig unwichtig. Es wird der Gesellschaft ganz offenbar übergestülpt. Dagegen richtete sich der Antrag der CDU – was Linke, SPD und Grüne zum Anlass nehmen, die Union gleich mal in die Nähe des Faschismus zu rücken.
Interessant in dem Zusammenhang: Die Abneigung der Deutschen gegen die Gendersprache wächst deutlich. Ganz offenbar parallel dazu, dass sich immer mehr Behörden und öffentliche Einrichtungen (sowie auch Großunternehmen wie etwa Audi) in der Kommunikation gegenüber der Bevölkerung, den Kunden, mit ihrem Neusprech geradezu aufdrängen. Besonders von 2020 zu 2021 gab es laut Umfragen den großen Sprung von knapper einfacher Mehrheit zu Zweidrittelmehrheit dagegen.
Schulleiter in der Besserungsanstalt Deutschland
Insofern ist eine Äußerung aus den Reihen der Linken besonders frappant – und entlarvend. Für den Thüringer Landtagsabgeordneten Christian Schaft ist der Antrag der Union gegen Gendersprache ein „Kulturkampf, wie man ihn sonst von der AfD-Fraktion erwarten würde“. Kulturkampf? Eine beachtliche Herabsetzung über einen zutiefst demokratischen Vorgang, der lediglich dazu dienen sollte, Volkes Wille umzusetzen. In einem gesellschaftlichen Bereich, der inhaltlich mit Faschismus weniger als nichts zu tun hat.
Dabei: Vielleicht ist das mit dem Kulturkampf doch nicht so daneben, allerdings im gegenteiligen Sinne. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Christoph Zippel sieht die Gendersprache als „ein Eliteprojekt einer kleinen Minderheit“, doch das ficht den Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff von den Linken in keiner Weise an. Er fordert: Die „geschlechtergerechte Sprache“ müsse „erkämpft werden“. Da ist er nämlich zuhause, der Kulturkampf: in der Linken. Starker Tobak von Hoff, aber er führt wieder einmal allen vor Augen, woher die Partei stammt. Wenn wir zurückschauen über die „WASG“, die PDS, dann kommen wir bei der SED an, wo der „Kampf“ unmittelbar sinnstiftend war. Der Kampf gegen das eigene Volk. Die SED sah sich als „Avantgarde im Kampf für den Aufbau des Sozialismus“. Man kennt sich mithin aus im Kulturkampf. Auch darin, diesen, wenn es die Taktik mal verlangt, von sich zu weisen und Anderen in die Schuhe zu schieben.
Es ist die alte Schule. Die Avantgarde im Kampf sollte damals das Volk, ob es wollte oder nicht, auf die nächste Stufe des historischen Materialismus treiben. In der Tradition sieht man sich heute nun als Schulleiter in der Besserungsanstalt Deutschland.
Im Osten ist man besonders allergisch gegen Bevormundung
Linke, SPD, Grüne sind sich offenbar nicht im Klaren darüber oder wollen es nicht wahrhaben, dass insbesondere in den östlichen Bundesländern die Bevölkerung besonders allergisch ist, wenn dieser Kampf wiederaufgenommen und nur sehr halbherzig verbrämt wird. Bislang war für sie das Gefühl allgegenwärtig, immer noch Blockparteien ausgesetzt zu sein, gegen die kein Kraut wachsen sollte.
Die Ära von Merkel, eine alte Landsfrau von ihnen, hat die Menschen im Osten weiterhin die klare Opposition vermissen lassen. Mit der Folge, dass sie dann als Opposition nahmen, was zu haben war, dabei auch mal Fünfe grade sein ließen und so auch eventuelle Berührungsprobleme fahren ließen, auch zur AfD und auch zu deren thüringischem Landesverband unter Björn Höcke, auch wenn er vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Alles eine Folge von eklatanter Ignoranz von oben, bei der die „Ossis“ sehr schnell hellhörig werden. Der öffentliche Umgang mit der Gendersprache, die sich gegen ihren Willen breitmacht, ist ein explizites Beispiel dafür. Im Sinne der Demokratie war es mehr als überfällig, dass die Union jenen Antrag einbrachte. Überaus beschämend für die FDP, dass sie sich an der Abstimmung erst gar nicht beteiligte. Es war nicht nötig, er kam mit 38 Ja- gegen 36 Neinstimmen auch so durch.
Die „Liberalen“ konnten kneifen, mussten nicht Farbe bekennen. Sie mögen darauf verweisen, dass sie nach der Ministerpräsidentenwahl ihres Thomas Kemmerich auch durch Stimmen der AfD vor zwei Jahren derart durchgeschüttelt wurden, dass sie sich nun erst mal nicht mehr aus der Deckung trauen. Machen sie so weiter, werden sie von den Wählern in dauerhafte Deckung geschickt.
Es stünde den Mitgliedern der Minderheitsregierung aus Linke, SPD und Grüne gut zu Gesicht, wenn sie sich einmal über den Charakter von Minderheitsregierungen sachkundig machen. Der Blick in die Parlamente anderer Länder, wo solche Konstellationen zum politischen Alltag gehören, könnte dabei helfen.
Regierung fordert: Opposition soll Arbeit einstellen
Es gibt einen gehörigen Unterschied zwischen einer Tolerierung, die die CDU ja gewähren will, und einer blinden Gefolgschaft in politischen Alltagsfragen. Die Zustimmung bei Vertrauensabstimmungen – auch bei solchen über den Haushalt – sind Ausdruck einer solchen Tolerierung. Davon, dass eigene Anträge, die nicht auf Zustimmung der Regierungsfraktionen stoßen, tabu sein sollen, kann nicht die Rede sein. Es wäre gleichbedeutend mit der Forderung, die CDU-Fraktion solle umgehend ihre Parlamentsarbeit aufgeben und zu Hause bleiben.
Die drei Regierungsfraktionen im Thüringer Landtag verlangen von der CDU und der FDP eine komplette Gefügigkeit, die – zumal im Osten – nur eines stark fördern würde: die Politikverdrossenheit. Und somit erst recht die Hinwendung zur AfD, wenn diese noch als einzige Oppositionskraft wirken würde. Im Übrigen wäre es auch ein Fehler, so zu tun, als seien die AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag von Hitlers Gnaden direkt eingesetzt.
Sie sind entsandt worden von 23,4 Prozent der thüringischen Wähler, einem knappen Viertel, als zweitstärkste Partei hinter der Linken (inzwischen ist sie durch drei Austritte von Parlamentariern nur noch drittstärkste Fraktion). Wem das zu viel ist, der sollte sich zuallererst selbst demokratische Gepflogenheiten aneignen und sich nicht über den Willen des Volkes erheben. Das geht schief.