Dushan Wegner, Gastautor / 22.05.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 51 / Seite ausdrucken

Marokkos Menschenschleuse

Zwei Spieler sitzen sich gegenüber. Der eine zieht einen Bauern von c2 nach c4 und dann gleich beide Springer über die Bauern drüber. Der andere würfelt, um festzustellen, ob er überhaupt auch nur mit einer seiner Figuren ziehen darf.

„Aber, die spielen ja zwei verschiedene Spiele“, so werden Sie nun denken, „der eine spielt Schach, und der andere scheint Mensch-Ärgere-Dich-Nicht zu spielen!“

Wer wird der Gewinner sein?

Letzten Montag, Mitte Mai 2021, sind etwa 5.000 Menschen, zumeist junge Männer, von Marokko aus illegal in die spanische Enklave Ceuta eingereist (siehe etwa auf Spanisch hier). Man hört, dass ein Großteil der illegal Einwandernden tatsächlich eher spontan agierende männliche Marokkaner aus quasi der Nachbarschaft sind, dass aber auch Familien und Alleinreisende aus anderen Teilen Afrikas darunter sind, die bereits eine hunderte Kilometer lange Reise hinter sich haben.

Ceuta (18,5 Quadratkilometer klein) liegt auf dem afrikanischen Kontinent, im Norden der westlichen Spitze (siehe Wikipedia), gehört aber zu Spanien und „ist“ damit EU. Die Meeresküste von Marokko geht in die Küste von Ceuta über. Zwischen Marokko und Ceuta verläuft ein Grenzzaun, doch theoretisch muss man nur um eine überschaubar große, ins Meer gebaute Mole herum schwimmen (hier ist sie auf Google Maps), um von Marokko nach Ceuta zu gelangen (man kann wohl auch direkt auf der Mole um den Zaun herum klettern, siehe dieses Video bei ca. 1:45).

Diese Grenze, wie auch das Meer um die Mole herum, ist eigentlich streng bewacht – außer wenn sie es nicht ist. Eigentlich werden die Marokkaner von Spanien und der EU dafür bezahlt, die Bürger Marokkos und alle anderen Migrationswilligen nicht über die Grenze zu lassen. Am Montag aber zog Marokko seine Grenzpolizei einfach ab – und die praktische Folge sieht man auf Videobildern des lokalen TV.

Marokko ist sauer

Spanien zog schnell seine Sicherheitskräfte zusammen und begann noch am selben Tag mit der Ausweisung zumindest der offensichtlich Erwachsenen zurück nach Marokko. Noch am Abend waren Hunderte wieder zurückgeschickt worden, inzwischen sind es Tausende.

Es kursieren verschiedene Gründe, warum Marokko seine Soldaten abzog. Ein möglicher Grund ist, so hört man, dass der 71-jährige Brahim Ghali in Spanien aufgrund einer COVID-19-Erkrankung behandelt wird. Ghali ist – und jetzt kommen viele Namen, die viele westliche Bürger noch nie hörten – der General­sekretär der Frente Polisario, also der Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro, und Präsident der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, und er war an diversen Unabhängigkeitsbewegungen in Sachen Westsahara beteiligt.

Diese „Westsahara“ aber war bis 1975 unter spanischer Herrschaft, und als Spanien die Region sich selbst überließ, brachen Kämpfe zwischen lokalen Kräften aus. Die erwähnte Frente Polisario möchte, dass die Region sich selbst gehört (vermutlich unter Herrschaft der Polisario). Marokko betrachtet Westsahara seit 1975 als südliches Marokko, was übrigens auch US-Präsident Trump im Dezember so bestätigte, nur Wochen vor seiner Absetzung in jener gruseligen Geister-Zeremonie.

Brahim Ghali hat seinen „Regierungssitz“ im Exil, namentlich in Algerien. Aktuell hält er sich in Spanien zur COVID-19-Behandlung auf, weshalb wohl Marokko sauer ist, und weshalb es die Grenze nach Ceuta und damit die Grenze zur EU für einige Stunden unbewacht ließ.

Die jungen Männer wollen vor allem nach Deutschland

Ein anderer Grund für den Rückzug der marokkanischen Grenzpolizei, der ja eigentlich seit Jahren schon immer wieder gilt, ist wohl schlicht das blanke Geld. Immer wenn Marokko mehr Geld von der EU will, öffnet es, so hört man, „zur Erinnerung“ kurz seine Grenze wie einen Wasserhahn, einen „Menschenhahn“ quasi, und lässt einige seiner Bürger herauslaufen – bislang hat es wohl immer funktioniert, und wird auch sicherlich weiter funktionieren.

An diesen und einigen anderen kursierenden Begründungs-Szenarien wird wohl etwas dran sein, und die Dementis scheinen sie eher zu bestätigen (etwa die, dass die Behandlung Ghalis „lediglich eine humanitäre Angelegenheit“ sei).

Die meist jungen Männer aber, die innerhalb von Stunden von Marokko nach Ceuta schwammen, sie wollten nicht in Afrika bleiben, sie wollten aufs Festland – und, seien wir stets ehrlich, nach all unserer Erfahrung wollten sie weiter nach Deutschland.

Zusammenfassen, dann durchatmen

Ich fasse zusammen: Weil Spanien sich 1975 aus der Westsahara zurückzog und Marokko seitdem das Gebiet beansprucht, und weil der Präsident der Westsahara in Spanien im Krankenhaus liegt, was Marokko ärgert, weshalb es kurz die Grenzen aufmachte, machten sich weitere Tausende „junge Männer“ auf den Weg in die EU und dann in Deutschlands Innenstädte. Die Sicherheitskräfte in Spanien sind wohl etwas „robuster drauf“ als die in Deutschland, weshalb sie einige Tausend gleich wieder zurück nach Marokko brachten – generell aber sind sie dann doch eher „westlich“ gesinnt, de facto also: „zu weich“, was man aber weiß (und „hässliche Bilder vermeiden“ will), weshalb die EU den Marokkanern jedes Jahr viele Millionen zahlt, um marokkanische und andere afrikanische Bürger mit afrikanisch-arabischer Robustheit aus der EU herauszuhalten.

Es mag sein, dass ich ein paar Details übersehen oder verwechselt habe, und dann werde ich sie hier korrigieren, doch ich meine, die groben Linien einigermaßen richtig nachgezogen zu haben.

Einmal durchatmen bitte! – und dann weiter…

Soll sich der Westen weiterhin erpressen lassen?

Von all den Angelegenheiten, die ich im vorherigen Abschnitt notierte (und unter denen, die ich wegließ), sticht mir ein Aspekt als noch „schräger“ als die anderen heraus – es ist der mit dem „Menschenhahn“. Marokko nutzt seine Grenze wie einen Wasserhahn, den man öffnet, um andere Staaten mit der „Flut“ zu erpressen.

Das „Wasser“ aber, das aus diesem „Wasserhahn“ fließt, das die anderen Staaten vermeiden wollen, das sind Menschen, das sind Marokkos eigene Bürger! Nicht alle Akteure im „Großen Spiel“ spielen nach denselben Regeln. Akteure wie Marokko versuchen (und waren in der Vergangenheit damit oft erfolgreich) die Regeln des Westens gegen diesen selbst zu drehen.

Was soll der Westen tun? Soll der Westen buchstäblich die Menschen zurück ins Meer schubsen, wie man auf kursierenden Videobildern zu sehen meint?

Soll der Westen sich denn auch weiterhin erpressen lassen und so die Erpresser täglich stärken (also die Herrscher jener Länder, fürwahr nicht die Länder selbst)? Kurzfristig funktioniert es ja: Marokko bewacht inzwischen seine Grenze wieder, und die Ausreisewilligen marschieren durch Marokkos Straßen und sind ziemlich aufgebracht darüber.

Der nächste Spielzug

Wenn du ein Spiel spielst, und wenn du dieses Spiel gewinnen – oder zumindest nicht verlieren willst – dann musst du die Regeln dieses Spieles kennen (und nicht nur Wittgenstein-Freunde können bestätigen, dass die Regeln des Spieles eben jenes ausmachen).

Wenn aber die wahren Regeln des Spieles bekannt sind – was in der Diplomatie, in der Politik und in der „großen Welt“ längst nicht selbstverständlich ist – dann gilt es auch sicherzustellen, dass beide Seiten nach denselben Regeln spielen.

Gerade bei der Migration ist beides nicht gegeben: Es liegen nicht alle Regeln dieses „Spiels“ offen (einige Regeln werden geleugnet, während augenscheinlich nach ihnen gespielt wird). Andere Regeln gelten nur für die eine Seite, aber nicht für die andere.

Nein, wir sollten nicht immer nach denselben Regeln spielen wie der Gegenpart – doch wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der andere versuchen könnte, unsere Regeln gegen uns zu wenden. Wenn ein Machthaber oder eine Ideologie das Leben der eigenen Bürger und Kinder gering schätzen sollte, und sie in Gefahr bringen könnte, um Macht über uns zu erlangen, dann könnte es unsere Moral gegen uns selbst wenden.

Drei Bauern und beide Springer

„Der Westen“ (was auch immer das noch bedeutet), aber auch jeder einzelne Bürger, sollten nochmal nachschauen, nach welchen Regeln überhaupt gespielt wird. Und dann könnten wir uns Gedanken machen, wie wir damit umgehen, wenn andere Spieler nach ganz anderen Regeln spielen.

Wenn dein Gegner in einem Spielzug gleich drei Bauern, beide Springer und die Dame nach vorne zieht, du aber erst einmal würfelst, ob du überhaupt eine Spielfigur bewegen darfst, dann wirst du das Spiel nicht gewinnen – was auch immer das Spiel ist.

Prüfe die Regeln. Prüfe, ob alle nach denselben Regeln spielen. Prüfe, ob sie nicht deine Regeln, an die nur du dich hältst, längst zu ihrem Dolch gemacht haben – um dir diesen Dolch nun an deine Kehle zu halten. Und dann prüfe, ob du überhaupt mitspielen willst.

Manchmal besteht der klügste Spielzug darin, dich ganz aus dem Spiel zurückzuziehen – und ein anderes Spiel zu spielen.

Dieser Beitrag erschein zuerst bei Dushan Wegner.

Foto: Pixabay

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B.Kröger / 22.05.2021

Wer bestimmt denn die Spielregeln? Bestimmt Deutschland irgend etwas? Bestimmt die EU irgend etwas?

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