Verblüffend ehrlich stellte TAZ-Autorin Ulrike Herrmann bereits Anfang des Jahres die Lebensrealität im Öko-Wunderland dar: Ungefähr wie die Germanen im Jahre 9 n. Chr. Im Gegensatz zu ihr finde ich diese Idee jedoch nicht berauschend.
Ein Schnipsel eines Videos aus Januar 2022, das im Schauspielhaus Stuttgart entstanden ist, sorgt gerade für Schnappatmung auf Twitter und Facebook. Als Gastrednerin an einem von 20 Aufführungstagen des Stücks „Ökozid“ fällt die TAZ-Autorin Ulrike Herrmann ein vernichtendes Urteil über die Idee des „grünen Wachstums“. Ich will mich hier gar nicht über das Konzept von „Ökozid“ auslassen, weil das Theater dem gleichnamigen ARD-Propagandastreifen von 2020 nichts mehr hinzufügt. Herrmanns Laudatio ragt jedoch aus dem Ensemble der „üblichen Verdächtigen“ heraus, die bei derlei Themen stets am Rednerpult stehen, wie etwa Luisa Neubauer und Jürgen Resch. Und das auf schreckliche und ehrliche Weise. Klimaschutz, darum geht es natürlich immer!
Und wie die gesamte Weltretterblase stellt Herrmann den Sinn und das Endziel der Retterei nicht infrage. Das müsse halt alles geschehen und Punkt. Anders als die Schlangenölverkäufer des „Green Deal“ ist sie jedoch um eine ehrliche Beschreibung des Endzustandes, den sie anstrebt, bemüht. Die Idee einer grünen Wohlstandsgesellschaft in einer nicht allzu fernen Zukunft wird in Herrmanns fünfzehn Minuten langem Vortrag zur Kenntlichkeit entstellt. Kein Stein, so Herrmann, werde auf dem anderen bleiben auf dem Weg von „hier“ (Hand nach oben, Kapitalismus) nach „da“ (Hand nach unten, anämisch-kreislaufwirtschaftliches Nullemmissionsökowunderland). In der Beschreibung dessen, was uns am Ende dieses Weges erwartet, stimme ich mit Herrmann fast vollständig überein. Nur bin ich im Gegensatz zu ihr nicht überzeugt davon, dass wir über diese Brücke gehen sollten. Ich empfehle, statt der kurzen Zusammenschnitte gleich die Langfassung des Vortrags anzusehen, schon damit die Chronologie der Aussagen stimmt.
Geplanter Abstieg
Herrmann bezeichnet sich selbst als Fan des Kapitalismus, obwohl sie ihn abschaffen will. Alle Sozialsysteme vor dem Kapitalismus seien statische Agrargesellschaften gewesen, erst der Kapitalismus habe eine Dynamik entwickelt und verspreche Wachstum. Das klingt ja nett, ist aber schon empirisch falsch. Herrmann sieht zwischen der Antike und dem Aufkommen des Kapitalismus im 18. Jahrhundert keinerlei Entwicklung. Ich bin sicher, dass nicht einmal die größten Apologeten des Kapitalismus diese Art Erweckungslegende so teilen würden.
Die Fortschritte – und damit natürlich auch das Wachstum, das Herrmann so vehement ablehnt – fanden nur auf anderen Sektoren statt. Extensiv, wie es für agrarische Gesellschaften typisch ist, etwa durch Ausweitung der Ackerflächen durch Rodungen oder die Besiedlung ganzer neu entdeckter Kontinente. Das freilich mit der negativen Begleiterscheinung von Territorialkonflikten aller Größenordnungen. Herrmann meint jedoch, da war nichts, was nach Wachstum aussah, was ich angesichts von Namen wie Magellan, Michelangelo, Gutenberg oder Bach doch stark in Zweifel ziehen möchte.
Die Leistungen der Genannten wurden übrigens ausdrücklich nur deshalb möglich, weil der Mensch es geschafft hatte, schon damals und vor der Zeit der Industriellen Revolution seine Nase gelegentlich aus der Ackerfurche zu erheben und sich mit mehr zu befassen, als im Winter die prekäre Energieversorgung aufrecht und die Backstuben warm zu halten. Man sollte doch annehmen, die Energiequellen, zu denen Herrmann zurück will, müssen mindestens so zuverlässig sein wie jene, die der Industriellen Revolution und der Kohle voraus gingen. Leider ist das nicht der Fall, wie Herrmann selbst erklärt. Erneuerbare Energien werden dauerhaft teuer und volatil sein und damit hat sie wohl leider recht.
Begrenzender Faktor war die Energie schon vor der Industriellen Revolution, die aus Holz und tierischen Energien wie Walöl oder dem guten alten „Hafermotor“ stammten. Handelsimperien, die marktwirtschaftlich agierten (ohne dafür eine theoretische Erkenntnis oder gar einen Namen zu haben), die wuchsen und den Wohlstand ihrer Länder mehrten, gab es seit der frühen Antike. Die Marktwirtschaft als natürliche Wirtschaftsform ist also uralt, der Kapitalismus ist lediglich seine Ausformulierung unter den Bedingungen der industriellen Revolution und deren Nachfolger. Treibender Faktor war und ist die bessere Verfügbarkeit von Information und Energie, wobei das erste vom zweiten abhängig ist. Aus Hafer und Holz wurde Kohle, aus Kohle wurden Öl und Gas. Der Schritt zu Kernenergie und künftig Fusion ist weltweit gemacht, nur in Deutschland lässt man den Fuß gefährlich in der Luft hängen. Das „Ministry Of Silly Walks“ kommt einem in den Sinn. Nur humorloser und weniger trittsicher.
Da wäre aber Greta sauer
Doch zurück zur kleinen neuen Welt von Ulrike Herrmann, die knallhart formuliert, dass es den Klimarettern um nichts weniger als die vollständige Vernichtung der industriellen Basis des Landes gehen muss. Ihr ist so klar wie mir, dass es genau darauf hinauslaufen wird, dass dieser Abstieg Millionen Menschen um ihre Existenz brächte und dass weite Berufsfelder komplett überflüssig würden. Wer also heute Messebauer, Grafikdesigner oder Inhaber einer PR-Agentur ist, für den wird es eng. Ich möchte dringend noch Genderforscher, Parteivorsitzende und Gleichstellungsbeauftragte auf die rote Liste setzen, denn auch für solche spätkapitalistischen Dekadenzschmarotzer ist einfach nicht genug Buchweizengrütze im Gemeinschaftskessel. Arbeit werden aber alle finden, da ist sich Herrmann sicher! Windräder bauen sich nicht von allein und im Biolandbau und bei der Wiederaufforstung der Wälder gibt es viel zu tun.
Dummerweise ist es hier wie mit nicht benötigten Fertigkeiten, wie mit ungenutzten Muskeln: die Atrophie setzt schnell ein. Zur Aufrechterhaltung einer Gesellschaft, wie sie Herrmann vorschwebt, genügt eben der Entwicklungsstand einer Stammesgesellschaft wie der germanischen im Jahre 9, wobei ich mir recht sicher bin, dass es in der des Jahres 2035 mindestens noch einen Migrationsbeauftragten geben muss, der für einen herzlichen Empfang der römischen Legionen sorgt. Wie eine solche Gesellschaft jedoch in der Lage sein soll, trotzdem weiter Windräder aufzustellen und zu betreiben, bleibt ein Rätsel, denn der Stahl, das Kupfer, das Neodym, der Beton und all die anderen Materialien veredeln sich ja auch nicht von allein und müssten wohl importiert werden.
Wobei sich die Frage stellt, was Deutschland noch exportieren kann, um die Importe zu bezahlen, wenn es sich erst von der Industrie verabschiedet hat. Vielleicht Holz? Da wäre aber Greta sauer, denn die kundigste Forstfachwirtin vor dem Herrn weiß ganz sicher, dass man davon die Finger lassen muss, weil man Wälder nicht aufforsten kann. Was allerdings, wenn es nicht kompletter Kokolores wäre, die Beschäftigungspläne von Ulrike Herrmann gleich mit torpedieren würde und uns so der Vorstellung beraubte, Kevin Kühnert und Ricarda Lang bei der Verrichtung von Forstarbeiten (ohne Zuhilfenahme von schwerem und CO2-lastigem Gerät) zu sehen. Womöglich ist die Sache doch komplexer, als Greta und TAZ-Jornalistinnen sie sich vorstellen können.
Eine staatliche Triage über Leben und Tod
Kapitalismus, und das wussten wir bisher nicht, dient laut Herrmann nicht der Befriedigung von Bedürfnissen, sondern allein der Aufrechterhaltung des Systems Kapitalismus, womit aus dem „Henne-Ei“-Problem ein „Ei-Ei“ wurde. Jedoch ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie im Spiel, wenn man zur Definition eines Begriffes oder des Inhaltes desselben den Begriff selbst heranziehen muss. Das kann nicht gutgehen, wie man gerade erst in der Dokumentation „What Is A Woman“ von Matt Walsh eindrucksvoll sehen konnte. Bricht man die Aussagen Herrmanns zum Sinn des Kapitalismus auf den logischen, abstrakten Kern herunter und wendet ihn auf zum Beispiel sie selbst an, dient eine Ulrike Herrmann letztlich auch zu nichts anderem als zur Existenzsicherung von Frau Herrmann, und ein Wachstum ist auch da beim besten Willen nicht zu erkennen. Doch beide funktionieren, Ulrike Herrmann genauso wie der Kapitalismus: Herrmann bekommt beim TAZ-Artikel-Schreiben Hunger und der Kapitalismus macht sie satt.
Für alle Zeit, so weiß Herrmann – und ich stimme ihr da in weiten Teilen zu – ist die Energie aus den sogenannten Erneuerbaren knapp und teuer. Doch wie Habeck denkt sie nicht einmal daran, auf der Angebotsseite etwas zu unternehmen, sondern streicht rigoros die Nachfrage. Es reiche eben nicht fürs Flugzeug, und nicht für Banken oder Lebensversicherungen und auch nicht fürs E-Auto im Individualverkehr, das ohnehin eine Sackgasse sei. Man könne ja Bus fahren. Doch wer baut die Straßen, hält die Brücken instand und baut die Busse? Die Infrastruktur des Arminius im Teutoburger Wald mag ja kostenlos gewesen sein, die eines exklusiv tätigen ÖPNV ist es leider nicht.
Also doch ein Fitzelchen Industrie, um die Busse zu bauen? Ein wenig Metallurgie, um die Motoren und das Blech für die Karosserie fertigen zu können? Ein wenig chemische Industrie vielleicht, für den Korrosionsschutz? Man stellt sich unwillkürlich die Frage, ob die Strecke wirklich gut genug bemessen werden kann, die Herrmann in ihrer Rede von „da oben“ nach „da unten“ gestisch darstellte. Und wer genau ist so schlau, die vielen Millionen nur so mittelschlauen Partizipanten des Kapitalismus durch eine staatlich verordnete Superintelligenz zu ersetzen? Wer darf überleben, wer muss untergehen? Eine staatliche Triage buchstäblich über Leben und Tod wäre die Folge, aber vielleicht kann man diese Folgen ja wieder den Ungeimpften in die Schuhe schieben.
Eine Eigenschaft des Kapitalismus, wenn er sich entsprechend entfalten kann, ist es aber gerade, Ressourcen besser und effektiver verteilen zu können als alle Planungskommissionen aller sozialistischen Mangelwirtschaften aller Zeiten zusammen. Herrmann unterschlägt bei ihrer Beweisführung, dass die verheerenden ökonomischen Auswirkungen, beispielsweise der Covid-Lockdowns, von den Staaten ausgingen und nicht von der kapitalistischen Weltwirtschaft. Auch Kriege, die andere Geißel unserer Epoche, werden von Staaten vom Zaun gebrochen – nicht vom Kapitalismus – und mit allergrößter Ressourcenverschwendung geführt.
Kriegswirtschaft
Womit wir bei der geradezu abenteuerlichen Schlussfolgerung Herrmanns wären, wie der Umbau des Kapitalismus in Deutschland in einen CO2-neuralen Ponyhof vonstatten gehen soll. Als Vorbild führt die TAZ-Journalistin ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft an, die unter Churchill eine staatlich verordnete, aber noch in Teilen privatwirtschaftliche war und mit staatlichen Zuteilungen bis weit nach dem Krieg, bis ins Jahr 1954 arbeitete. Was die Popularität der Maßnahmen angeht, gehen die Meinungen weit auseinander. Jedoch gibt es einige entscheidende Unterschiede zu dem Sparta, das Ulrike Herrmann in Deutschland zu errichten wünscht.
Zunächst war die Einführung der Kriegswirtschaft eine unmittelbare Folge der Bedrohung durch das Hitlerregime. Die Gefahr war real und bestand nicht aus einer Reihe windiger Prognosen, dass die Sahne auf den Erdbeeren in Wimbledon im Jahr 2000 um 2 Grad wärmer sein könne. Außerdem handelte es sich schon mit Blick auf die Hoffnung, diesen Krieg am Ende zu gewinnen, um eine ausdrücklich temporäre Maßnahme.
Grundsätzlich bedeutete der Umbau eine massive Ausweitung der Industrieproduktion, nicht deren Einstellung. Wozu übrigens jede Menge billiger Energie (in Form von einheimischer Kohle und persischem Erdöl) benötigt wurde. Alles andere also als eine anämische Mangelwirtschaft mit Windrädern, wie sie Herrmann und vielen Grünen vorschwebt.
Zu guter Letzt schaue man sich an, wo die Siegermacht Großbritannien am Ende der Zuteilungswirtschaft, verglichen mit dem besiegten und geteilten Deutschland (nun ja, dem westlichen Teil zumindest), stand. Die Kriegswirtschaft hat sich als völlig untauglich in Friedenszeiten erwiesen.
Was Herrmann fordert, ist zwar auch eine Everest-Besteigung im Ausmaß eines Weltkrieges, der Bergsteiger soll sich aber vorher die Pulsadern aufschneiden, um Gewicht für den Aufstieg einzusparen. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler oder Mediziner sein, um zu ahnen, dass das nicht funktionieren kann.
Kalte wie ehrliche Worte von Ulrike Herrmann
Als viel bessere Analogie, auch was den Ausgang des Experiments anbelangt, eignet sich die Französische Revolution, besonders in den Jahren 1793 und 1794. Auch hier zeigte sich bei den schlimmsten Eiferern dieser Rousseau’sche Zwang, sich vom Zivilisierten (vulgo Verderbten) zu verabschieden und nach einem universellen Naturrecht zu leben, in welchem es für den gesinnungsfesten Franzosen eigentlich nur zwei geeignete Werkzeuge gab: den Pflug oder die Waffe. Ähnlich wie die grüne Revolution heute startete auch die französische als eine bürgerliche, die jedoch immer schneller von der Gleichheit der Chancen zur Gleichheit der Vermögen abglitt.
Immer mehr staatliche Eingriffe und Gängeleien folgten und schlechte Erlasse wurden durch noch schlechtere ersetzt. Nach der Einführung von Höchstpreisen und Höchstlöhnen brach die Wirtschaft am Ende fast vollständig zusammen, weil der allmächtige Wohlfahrtsausschuss schließlich so viele Zügel in der Hand hatte, dass die zu lenkenden Pferde nicht mehr wussten, ob sie vorwärts oder rückwärts gehen sollten und zudem völlig verängstigt und unselbstständig waren. Wollen wir hoffen, dass es bei unseren Grünroten niemanden gibt, der es vermag, uns in der Rolle eines Robespierre über diese Brücke zu jagen.
Die so kalten wie ehrlichen Worte von Ulrike Herrmann kommen vielleicht gerade noch rechtzeitig, um den Weg in die Dunkelheit in ein gespenstisches Licht zu tauchen. Denn wenn auch nicht alle Klimaretter sich bewusst sind, dass es so etwas wie grünes Wachstum oder auch nur eine bezahlbare Energieversorgung durch Sonne und Wind nicht gibt, so würden doch die meisten von ihnen den Weg abwärts auch dann gehen, wenn sie wüssten, was am unteren Ende der Reise auf sie wartet. Man hofft, selbst nicht über die Klinge springen zu müssen, weil man die Revolution doch stets rückhaltlos bejubelt hat. Eine Ricarda Lang, ein Kevin Kühnert oder auch Ulrike Herrmann werden nie als Biobauern und Forstarbeiter im Herrmann’schen Ökosozialismus fronen. Sie hoffen auf einen Posten bei der Bedienung der Guillotine.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.