Gastautor / 24.01.2023 / 15:00 / Foto: U.S. Department of State / 20 / Seite ausdrucken

Schon wieder antiisraelisches Framing bei der ARD

Von Artur Abramovych.

Israels Regierung will, dass die Richter am Obersten Gerichtshof künftig vom gewählten Parlament ernannt werden und nicht länger von einem intransparenten Gremium. Die ARD beklagt den steigenden Einfluss der Politik.

Es stellt kein Novum dar, wenn deutsche Medien, insbesondere die mit GEZ-Gebühren finanzierten, den israelischen Wählern implizit bescheinigen, sie hätten nicht die richtigen Lehren aus dem Holocaust gezogen. Es ist für grüne Deutsche nun einmal schwer zu verstehen, dass den meisten Juden nicht mehr danach ist, Opfer zu sein. Der gute, kosmopolitische, polyglotte Jude, der keinen eigenen Staat und damit auch keine eigene Armee hat, ist nun einmal dem verhassten zionistischen „Muskeljuden“ gewichen, der den grünen Deutschen von heute allzu sehr an seinen eigenen Wehrmachtsopa erinnert.

So haben die Demonstrationen gegen die von der neuen israelischen Regierung geplanten Justizreformen, die am vergangenen Wochenende stattfanden, ein großes Echo in der deutschen Berichterstattung gefunden. Aus dieser Kakophonie, deren Tenor die Beleidigung der Regierung als rechtsextrem und ihrer Reformpläne als Abschaffung der Demokratie war, ragte insbesondere ein in der tagesschau ausgestrahltes Interview mit Sophie von der Tann hervor.

Frau von der Tann ist zwar erst seit Sommer 2021 Korrespondentin im ARD-Studio Tel Aviv, allerdings keine Unbekannte mehr. Als Netanyahu im November seinen jüngsten Wahlsieg errungen hatte, bezeichnete sie den nunmehrigen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir nicht nur innerhalb von sechzig Sekunden gleich zweimal als „ultrarechts“, sondern tat sich zudem mit der Klage hervor: „Die Situation ist komplett stagniert.“ Man könnte angesichts dieser Art der Perfektbildung meinen, dass die ARD ihrem Bildungsauftrag nicht nachkomme.

Aber mangelnde Phantasie jedenfalls konnte man der Korrespondentin mitnichten vorwerfen. Sie war sich immerhin nicht einmal zu schade dafür, ihrer gelangweilten Ü60-Zuschauerschaft Neologismen zu bieten: Netanyahu und den übrigen israelischen Rechten sei daran gelegen, die Linke zu „delegitimisieren“. Was für eine Abwechslung zu Sturm der Liebe! Sophie von der Tann gehört nun einmal zu den hippen Mädels, die ihre antikolonialistische Bildung in der angloamerikanischen Welt erhalten haben und etwaige Kenntnisse des Deutschen als allenfalls sekundär betrachten. Wenn sie einmal im Alltag dazu gezwungen sind, auf das Englische zu verzichten, dann Denglischen sie halt.

Geplante und längst überfällige Justizreform

Positives wusste Sophie von Israel in den letzten anderthalb Jahren hauptsächlich dann zu berichten, wenn es um vegane Lebensmittelproduktion ging. Den Zuschauern der ARD führt sie vor, wie sie ein schmackhaftes, aus Algen und Soja hergestelltes Spiegelei-Imitat zu sich nimmt. Interessant übrigens, dass sich Frau von der Tann nicht einmal ein „boker tov“ im Gespräch mit ihren israelischen Interviewpartnern abringen zu können scheint; es hat stattdessen ein „good morning“ zu sein. Es ist anzunehmen, dass sie wohl kein Wort Hebräisch spricht, sondern zu den notorischen, vornehmlich in Tel Aviv anzutreffenden deutschen Mädchen gehört, die dort in erster Linie ihr Arabisch auffrischen wollen und es für ihren historischen Auftrag als Deutsche halten, das Leid der Palästinenser zu lindern.

Es konnte nachvollziehbarerweise nicht fehlen, dass von der Tann auch über die laufenden Proteste berichtete und in den allgemeinen Tenor miteinstimmte. Insbesondere zeigte sie sich äußerst besorgt darüber, dass im Zuge der geplanten Justizreform künftig „Gesetze, die gegen die Verfassung verstoßen, beschlossen werden könnten“ sowie dass „die Politik mehr Einfluss darauf bekommen“ werde, „wer ernannt wird als Richter, und das würde natürlich die Unabhängigkeit der Justiz in Israel sehr beeinträchtigen“.

Tatsächlich hat der Staat Israel, ebenso wenig wie manch andere westliche Länder, etwa Großbritannien, keine Verfassung. Stattdessen existieren mehrere Grundgesetze, wovon eines regelt, wie die Richter am BaGaZ (Obersten Gerichtshof) ernannt werden. Dieser setzt sich aus 15 Mitgliedern zusammen, die jeweils bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres amtieren. Bislang gelangten die Richter durch Kooptation ins Amt, denn in der Berufungskommission, die nach dem Ausscheiden eines Richters den Nachfolger bestimmt, sitzen zwar mitunter Regierungsvertreter; aber die größte Gruppe in der Kommission bilden die amtierenden Richter selbst. Es war praktisch nicht möglich, gegen den Willen der amtierenden Richter zum Richter am BaGaZ aufzusteigen.

1948, bei der Staatsgründung, war Israel ein sozialistisches Land. Es wurden entsprechend linke Richter eingesetzt, und seither haben diese linken Richter wiederum linke Richter ernannt, obwohl die politische Linke im Verlauf der Jahrzehnte massiv an Rückhalt in der Bevölkerung eingebüßt hat. Über den BaGaZ konnte sie allerdings weiterhin, ohne Mandat vonseiten der Wähler, politischen Einfluss nehmen und etwa staatliche Gewalt gegen jüdische Siedler während der Räumung des Gaza-Streifens 2005 legitimieren sowie zugleich die Räumung eindeutig illegaler Beduinensiedlungen in Judäa und Samaria verhindern. Mit der geplanten und längst überfälligen Justizreform fände diese Art der Einflussnahme ein verdientes Ende.

Bei der ARD genau an der richtigen Adresse

Man mag tatsächlich darüber streiten, ob die Gewaltenteilung nicht Einbußen erleidet, wenn dem Parlament, wie derzeit vorgesehen, die Möglichkeit gegeben wird, mittels einfacher Mehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (BaGaZ) zu revidieren. Tatsächlich handelt es sich hier um den schwächsten Teil der geplanten Reform (der auch meist der Grund für die aktuellen Proteste ist) – wobei allerdings nicht unerwähnt bleiben darf, dass der Gerichtshof das Vertrauen der Bevölkerung über die Jahre selbst verspielt hat; sogar dieser radikalste Teil der Justizreform fand einer im November durchgeführten Umfrage zufolge 48 Prozent Zustimmung unter der jüdischen Bevölkerung.

Die übrigen Reformpläne der Regierung hingegen, etwa die Einführung einer Höchstgrenze für die Amtszeit des Gerichtspräsidenten, finden noch mehr Zustimmung und waren längst überfällig. Was die Netanyahu-Regierung außerdem will, ist, dass die Richter künftig vom gewählten Parlament ernannt werden und nicht länger von einem intransparenten Gremium, in dem sich hauptsächlich Angehörige der abgehobenen Tel Aviver Szene tummeln und klüngeln. Diese Teile der geplanten Justizreform würde mithin keineswegs eine Abschaffung der Demokratie bedeuten, sondern im Gegenteil eine größere Demokratisierung, da die gewählten Volksvertreter (einschließlich der Opposition) künftig darüber entscheiden würden, wer zum Richter ernannt wird.

In den USA etwa werden die Richter am Supreme Court gar einzig und allein durch den amtierenden Präsident nominiert (und anschließend ernannt). Warum sollte eine Ernennung durch das Parlament undemokratisch sein? Und jedenfalls wäre in Israel eine Figur wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, CDU-Parteipolitiker und Merkel-Spezi, völlig undenkbar. Denn selbst die linken Richter in Israel waren niemals parteipolitisch affiliiert und jedenfalls pro forma unabhängig.

All das scheint von der Tann entweder zu verschweigen oder aber nicht zu wissen. Stattdessen stellt sie ihren Zuschauern in Aussicht, die Justizreform werde die Rechte der LGBTIQ-Minderheit beschneiden. Dass Israel mit Amir Ohana (Likud) erstmals einen homosexuellen Parlamentspräsidenten hat, teilt von der Tann bei dieser Gelegenheit natürlich auch nicht mit. Aber mit diesem Framing ist von der Tann bei der ARD genau an der richtigen Adresse.

 

Artur Abramovych, geb. 1996, ist ein deutsch-jüdischer Literaturwissenschaftler ukrainischer Herkunft.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Franz Klar / 24.01.2023

“Und jedenfalls wäre in Israel eine Figur wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, CDU-Parteipolitiker und Merkel-Spezi, völlig undenkbar”. Da hat der Autor völlig recht , nicht eine , sondern lauter solche Figuren werden nicht nur denkbar , sondern real werden . Bin ich heute aber wieder antiisraelisch ....

A. Ostrovsky / 24.01.2023

>>Der gute, kosmopolitische, polyglotte Jude, der keinen eigenen Staat und damit auch keine eigene Armee hat, ist nun einmal dem verhassten zionistischen „Muskeljuden“ gewichen, der den grünen Deutschen von heute allzu sehr an seinen eigenen Wehrmachtsopa erinnert.<< Das wäre ja ein schlechter Witz der Geschichte, wenn es so wäre. Kann da mal jemand von der Achse direkt nachsehen? Ich meine, ob die grünen Deutschen alle einen eigenen Wehrmachtsopa hatten. Geimpft sind sie ja alle, hüben wie drüben.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 26.03.2024 / 06:25 / 100

Das vergiftete Spenderblut der Geimpften

Von Jochen Ziegler. Die medizinische Katastrophe durch Covid-Impfungen wird immer beispielloser. Jetzt kommt heraus: Blutkonserven von Geimpften enthalten die gefährlichen Spike-Proteine. Einer kritischen Minderheit von…/ mehr

Gastautor / 24.03.2024 / 10:00 / 48

Kunterbunt in die Katastrophe

Von Florian Friedman. So ziellos er auch mittlerweile durch die Geschichte stolpert, auf eine Gewissheit kann der Westen sich noch einigen: Unser aller Erlösung liegt…/ mehr

Gastautor / 18.03.2024 / 12:00 / 19

Pubertätsblocker-Verbot: Wer folgt dem Beispiel Englands?

Von Martin Voigt. In Großbritannien bekommen Kinder und Jugendliche, die sich als Transgender identifizieren, künftig keine Pubertätsblocker mehr. Das sollte auch die Debatte in Deutschland…/ mehr

Gastautor / 15.03.2024 / 16:00 / 23

​​​​​​​Islamisten im Westen arbeiten an weltweitem Kalifat

Von Sam Westrop. Wie ein Bündnis von Islamisten die Taliban in Afghanistan unterstützt und gleichzeitig auf einen globalen radikalislamischen Scharia-Staat hinarbeitet. Eine Achse von Islamisten…/ mehr

Gastautor / 12.03.2024 / 06:15 / 106

Europa 30 Grad kälter? Ein wissenschaftlicher Amoklauf

Von Andreas Zimmermann. Kürzlich machten Panikmeldungen die ganz große Runde, die Temperaturen in Europa könnten um 30 Grad absinken. Bereits schlichtes Nachrechnen entlarvt das ganze Szenario…/ mehr

Gastautor / 10.03.2024 / 11:00 / 2

Der Bücher-Gärtner: Das Zusammenleben täglich neu aushandeln?

Von Edgar L. Gärtner. Der zugegeben sperrige Titel „Ohne Bestand. Angriff auf die Lebenswelt“ von Michael Esders ist eine höchst anregende Lektüre, die vom Raubbau am sozialen…/ mehr

Gastautor / 09.03.2024 / 14:00 / 4

Propheten, Könige und Richter in Jerusalem

Von Peter Levin. Über das Gebäude des Obersten Gerichts in Jerusalem und die Hintergründe der Justizreform in Israel. In den letzten Jahren gab es intensive,…/ mehr

Gastautor / 07.03.2024 / 14:30 / 10

Steht ein neuer Völkermord an den Armeniern bevor?

Von Raymond Ibrahim. Nach dem Sieg Aserbaidschans in Berg-Karabach mithilfe der Türkei und der kompletten Vertreibung der Armenier ist jetzt augenscheinlich auch das armenische Kernland bedroht.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com