Ahmet Refii Dener, Gastautor / 31.01.2023 / 16:00 / Foto: ARD / 24 / Seite ausdrucken

Lieber Flüchtling als Fachkraft

Obwohl die A2 keine Bundesautobahn ist, sondern ein Deutsch-Zertifikat, gibt es auch hier Stau. Der Fachkräftemangel ist so nicht zu lösen.

Wieder einmal ist die aktuelle Bundesregierung, wie die Regierung zuvor, auf dem absoluten Holzweg, was das Anwerben der Fachkräfte aus dem Ausland angeht. Sie verbessern alte und schlechte Regelungen in weniger oder gleich schlechte Regelungen, zu mehr reicht es leider nicht.

Dass Deutschland die Aufnahme ausländischer Menschen geschmeidig über die Bühne bringen kann, beweist es bei der Aufnahme von Flüchtlingen. So locker müsste es auch bei den Fachkräften aus dem Ausland zugehen.

Allein nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei 1961 sollen bis 1973, dem Jahr des Anwerbestopps, an die 900.000 türkische Arbeiter, aber auch Arbeiterinnen, nach Deutschland den Weg gefunden haben.

Was sie konnten, war zweitrangig. Man wusste auf der deutschen Seite, welche Positionen in den jeweiligen Unternehmen zu besetzen waren. Die Stelle wurde ausgeschrieben, und wer sich auf der türkischen Seite angesprochen fühlte, bewarb sich. Hatten die Gastarbeiter ein Diplom vorzuweisen? Konnten sie 1 Gramm Deutsch?

Nur ein paar Brocken Deutsch bleiben am Ende hängen

Damals hat es funktioniert, also warum sollte es heute nicht funktionieren? Ein A2-Zertifikat in Deutsch ist Pflicht. Die meisten machen diesen Schein in der Türkei, zum Beispiel in einer den Volkshochschulen ähnlichen Schule (Halk Egitim). Nicht nur die Schüler gehen ungern dahin, auch die Lehrkräfte sind recht desinteressiert. Gelernt wird, wie ich aus Beispielen aus meiner Umgebung weiß, fast nichts. Nur ein paar Brocken Deutsch bleiben am Ende hängen, wenn überhaupt.

Ich habe erlebt, wie meine Frau sich seinerzeit mit A1 rumschlug. Zu dieser Zeit wurde eine Mitschülerin von ihr am Herzen operiert. Die Deutschklasse ging sie im Krankenhaus besuchen. Überraschend zog der Deutschlehrer etwas Eingerahmtes aus der Aktentasche. Es war das A2-Zertifikat in Deutsch. Die Patientin sollte sich nach der schweren OP gut fühlen. Das A1-Zertifikat bekam sie in einem Umschlag, denn die Prüfung stand noch aus. Also konnte sie sich nach dem Krankenhausaufenthalt direkt nach Deutschland begeben. Ihre Deutschkenntnisse waren gleich null, aber die Formalie war erfüllt. So ist das bei der Masse derer, die ein A2-Zertifikat in den Händen halten. 

In drei bis fünf Monaten kann man im Ausland unmöglich Deutsch lernen, wo doch in der Klasse während des Unterrichts 98 Prozent der Zeit Türkisch gesprochen wird und die restlichen 2 Prozent der Deutschlehrer spricht. Natürlich gibt es die Crash-Kurse, wo man in drei bis sechs Monaten locker A1 beziehungsweise A2 schaffen kann. Nur reden wir hierbei von Einzelunterricht und mehreren Stunden am Tag. Kostenpunkt einige tausend Euro, die man nicht hinlegt, wenn die Stelle in Deutschland nicht sicher ist – sofern man das Geld überhaupt hat.

Unlösbare bürokratische Hindernisse

Dann ist da noch der Punkt der Familienzusammenführung. Schafft es ein Facharbeiter aus einem Nicht-EU-Land nach Deutschland, geht früher oder später die Ehe kaputt, denn der Familiennachzug ist nicht geregelt und nur sehr schwer zu realisieren. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit der Rektorin der Fakultät „Krankenschwesternausbildung“ der Akdeniz (Mittelmeer) Universität in Antalya. Die Absolventinnen waren Top und erfüllten die nötigen sogenannten Bologna-Kriterien komplett. Also ab nach Deutschland? Nein, leider zu früh gefreut.

Damals hatte ich in der Türkei eine Firma für Marketing- und Management-Beratung. Mein Hauptgeschäft bestand darin, deutsche Marken in die Türkei zu holen. Nebenher nahm ich auch andere Aufträge, wie die Vermittlung von Arbeitskräften, an. Die Deutschkurse wollten wir den Deutschland-Job-Interessierten kostenlos anbieten. Ich habe es zum Beispiel in Alanya und Antalya selbst erlebt: Bei 40 Grad im Schatten lernt es sich nicht so leicht. Die erste Frage der Krankenschwestern, die allesamt unter 30 Jahre alt waren: „Was ist mit meinem Mann/Verlobten/Lebensgefährten?“ Nichts, an die hat die Bundesregierung nicht gedacht. Vielleicht können die irgendwann nachkommen, aber vielleicht auch nicht. In so einer Situation kannst du die Menschen auch nicht mit sicherem Arbeitsplatz und Lohn locken.

Die Sache mit der Rekrutierung der Fachkräfte ist zum Scheitern verurteilt. Ich kenne ungelernte Maschinenarbeiter, die eine Produktionslinie, zum Beispiel in der metallverarbeitenden Industrie, komplett demontieren und wieder zusammenbauen können, ohne dass am Ende eine Schraube fehlt oder übrig bleibt. Ein solcher Mann hat aber kein Diplom und spricht auch kein Wort Deutsch. Als einer der Besagten in Deutschland war und zwei Wochen mit deutschen Kollegen eine für die Türkei gekaufte, gebrauchte Anlage demontierte, klappte alles hervorragend. Das deutsche Unternehmen bot ihm sofort einen Job an und fragte mich, ob ich die Formalien für ihn bei den deutschen Behörden erledigen kann. Hat aber nicht geklappt!

Ich möchte Ihnen das, was man bei den zuständigen Behörden zu hören bekommt, ersparen. Ich rege mich nur auf, dass ein Arbeiter, der Deutschland nützen würde, vor unlösbare bürokratische Hindernissen gestellt wird, die er nicht bewältigen kann. So einer Person würde ich raten, die syrische Staatsbürgerschaft anzunehmen und es dann nochmal in Deutschland zu versuchen. Ich weiß, Sarkasmus pur, aber auch die Realität.

Eine Lösung könnte meiner Meinung nach sein, dass der Bewerber sich mit dem deutschen Arbeitgeber arrangiert, selbst für die Flugkosten aufkommt und hier, noch völlig ohne Deutschkenntnisse, zur Probe arbeitet. Kommen beide Seiten miteinander klar, würde einem Aufenthalt in Deutschland nichts mehr im Wege stehen. Mit weiteren Details möchte ich nicht langweilen. Klar müsste es Regelungen geben, aber solche, die man auch erfüllen kann. Die Langzeitarbeitslosen in Deutschland und die, die noch aus dem Ausland auf dem Landweg als Flüchtlinge dazustoßen, müssen hingegen größtenteils ein Leben lang gehegt und gepflegt werden.

Foto: ARD

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Hans-Peter Dollhopf / 31.01.2023

Herr Dener, alles Bisherige hat ausgedient, inklusive ‘karbonisierender’ Fachkräfte. Sorry.

Hans-Peter Dollhopf / 31.01.2023

Herr Dener, diese Welt der Menschheit soll nach dem Willen einer supranationalen “Verschwörung”, aufgespannt zwischen dem Brüsseler Green Deal und dem IPCC der UNO, de’karbon’isiert werden! Irgend welche ‘Fachkräfte’  für irgendwas Prätransformatorisches interessieren nicht mehr.

Burkhard Mundt / 31.01.2023

Es reicht doch, das Wort “Asyl” zu hauchen.

giesemann gerhard / 31.01.2023

Den anderen ihre drei Fachkräfte weglocken ist brain capitalism. Eine lediglich andere Form von Sklaverei, bei der die Sklaven sogar auf eigene Kosten anreisen und Kost und Logis selbst bestreiten müssen, von ihrem Verdienst oder von dem, was man ihnen davon lässt. Also wie jede einheimische Fachkraft auch. Denn die allgemeine Grundregel lautet: Sie suchen alle nur Sklaven, egal woher.

Eloise d'Alembourgh / 31.01.2023

Nun. Französische Soziolog*hicks*innen schwärmten lange Zeit von den “Türken in Deutschland”, weil die im Unterschied zu den kolonial adoptierten Muslimen in der Grande Nation aus einem laizistischen System kamen und lange Zeit eher areligiös zu sein schienen. Welche Überraschung, als sich mit dem “Kalif von Köln”, Fethullah Gülen, Millî Görüş, MHP usw. zeigte, dass zahlreiche Türk*hicks*innen in Deutschland (und den Niederlanden) doch eher einem islamischen Fundamentalismus (oder auch: turk-osmanischem Religio-Nationalismus mit starken Rassissmen) anhängen, der mit der Einflussnahme der AKP auf DITIB&Co;. systematisch ausgeweitet wurde. Sowas aber auch! Und das Lustige: Die Einzige (deutschsprachige Soziologin), die deskriptiv, umfassend und vernehmlich den Befund erhob, wird von vermeintlich “linken” Kreisen systematisch als “rechte Rassistin” verfemt: Nacla Kelek!

Wolf Hagen / 31.01.2023

Damals hat es funktioniert, Herr Dener?! Das ich nicht lache! Mit den meisten Türken hat es damals, wie heute, bzw. bis heute nicht funktioniert. Ja, es gibt Ausnahmen, aber der größte Teil der Türken und ihrer Nachkommen belastet unsere Sozialsysteme, verstopft unsere Gefängnisse, kann selbst in der vierten Generation kein richtiges Deutsch (Stichwort: Kanak-Sprache) und ist kulturfremd geblieben. Gläubige Muslime, egal woher passen einfach nicht in westliche Länder, sie verursachen nur Probleme. Wie gesagt, es gibt Ausnahmen, die ich auch gerne anerkenne und in Deutschland sehe, aber wir reden hier ja vom Durchschnitt. Und heute fehlen vor allem Ingenieure, Ärzte und wirklich gut ausgebildete Fachkräfte in diversen Gewerken. Woher sollen die denn kommen? Aus muslimischen und/oder afrikanischen Ländern, wo die meisten Leute bestenfalls ein paar Jahre Koranschule vorweisen können und sie auch nicht viel mehr interessiert?! Und selbst wenn man mal eine Ausnahme findet, dann kommt natürlich die Sache mit dem Familiennachzug. Also in Wahrheit noch zig Brüder, Eltern, Schwestern, Onkel, Tanten und Cousins, die hier keiner braucht und will, die wieder nur die Sozialsysteme belasten. Was wir wirklich in Deutschland gebrauchen können, sind sehr gut ausgebildete Leute, deren Familien entweder genauso ein Niveau erreichen, oder die bereit sind, sich hier zu assimilieren und Familien mit Einheimischen zu gründen. Menschen aus kulturnahen Ländern. Alles andere ist Bullshit. Nebenbei die Hilfsarbeiter-Jobs der 60er und 70er Jahre gibt es auch immer weniger, dafür gibt es mittlerweile Maschinen und Industrieroboter. Diese Jobs sterben aus. Also nein, wir brauchen keine Vereinfachung der Einreisen, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz wie in Kanada, oder Australien. So sieht die Realität aus, egal ob man das schön findet, oder nicht. Der linke Multi-Kulti-Ponyhof hat nämlich nicht funktioniert.

Rolf Mainz / 31.01.2023

Westeuropa muss endlich aufhören, sich als verlängerte Schulbank für Entwicklungsländer missbrauchen zu lassen. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, hierzulande irgendwelche Rechte auf freien Zuzug zu erhalten, auch nicht aus der Türkei. Das aufnehmende Land hat zu entscheiden, wer kommt, nicht der (gewollt) Zuwandernde. Länder mit wirklich erfolgreicher Einwanderungspolitik (Australien, Neuseeland, Kanada z.B.) machen vor, wie es geht. Wer die Landessprache nicht beherrscht (objektiv nachweisbar vom Heimatland aus, nicht billig, by the way), der braucht erst gar nicht weiter von Zuwanderung zu träumen. Dazu kommen knallharte Faktoren wie Schulbildung, Ausbildung, Nachfrage nach dem gelernten Beruf, Straffreiheit und sonstiger Leumund, Vermögen, schliesslich vor Ort persönliches Interview und für den Zuwanderer im Zweifel haftbare Einheimische usw.  Und nur so geht es: Qualität vor Quantität. Wie es hingegen nicht geht, zeigt Deutschland - und dies seit den erwähnten 1970er Jahren, und ins regelrecht Groteske verstärkt seit 2015. Und die Pflicht seine Bürger möglichst gut auszubilden, hat das Heimatland - auch die Türkei bspw. Warum übernimmt sie diese Pflicht anscheinend nicht hinreichend?

Manni Meier / 31.01.2023

Ich kann ehrlich gesagt den Begriff “Fachkraft” im Zusammenhang mit Migration, Asyl, Schutzsuchend u.ä. nicht mehr hören. Und die Mär vom ausländischen “ungelernten Maschinenarbeitern, die eine Produktionslinie, ... komplett demontieren und wieder zusammenbauen können, ohne dass am Ende eine Schraube fehlt” hängt mir auch langsam zum Hals raus.

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