Klaus Leciejewski, Gastautor / 16.02.2020 / 10:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Kubanische Zigarren aus Nicaragua

Zusammen mit einem Dutzend Mitglieder eines Zigarrenklubs aus Havanna besuchte ich vier Tage Nicaragua. Drei Tage hielten wir uns in der „Hauptstadt“ des Tabakanbaus und der Zigarrenproduktion in Ésteli auf und einen Tag in der touristischen Hauptstadt Nicaraguas, in Granada. Insofern sind meine Eindrücke eingeschränkt.

1979 siegten mit massiver militärischer Hilfe Kubas, was in Deutschland gern unterschlagen wird, die sogenannten Sandinisten über den langjährigen Diktator Somoza. Nach dem Vorbild Kubas begannen sie, sozialistische Veränderungen vorzunehmen, vor allem Enteignungen in der Landwirtschaft (als „Landreform“ getarnt) und in der übrigen Wirtschaft, allerdings nicht mit der Konsequenz wie ab Mitte 1959 in Kuba. Dabei sicherten sich die führenden Offiziere der sandinistischen Armee die einflussreichsten Positionen in der Wirtschaft.

Eine Groteske am Rande: Sie holten sich auch aus der DDR ökonomische Ratgeber, zu einem Zeitpunkt, als sich die Wirtschaft der DDR nur noch mit westlichen Krediten über Wasser hielt.

Die USA bauten eine Gegenguerilla („Contras“) auf und erzwangen 1990 freie Wahlen. In denen siegte eine bürgerliche Politikerin. Die meisten Privatisierungen wurden rückgängig gemacht und wieder marktwirtschaftliche Bedingungen eingeführt. Allerdings wurden die führenden Sandinisten nicht aus dem Land getrieben und auch nicht enteignet. Politisch entstand quasi ein Patt zwischen den bürgerlichen Führern der „alten“ Parteien und den Sandinisten, die den Militärapparat beherrschten. Wesentliche soziale und ökonomische Probleme blieben unangepackt, von „Lösung“ kann nicht geredet werden, weil in einem unterentwickelten Land in so kurzer Zeit keine „Lösungen“ erfolgen können.

Nicaragua ist weitgehend paralysiert

Bei den Wahlen von 2006 siegte erneut der Führer der Sandinisten. Er leitete keine Kehrtwende ein, sondern arrangierte sich mit den Unternehmern, agierte politisch jedoch wie ein Diktator mit kommunistischem Anstrich. Nach den Wechseln in Ecuador und Bolivien, ist Nicaragua – von Venezuela einmal abgesehen – der einzige größere Staat in Zentralamerika und der Karibik, der ein Verbündeter Kubas ist.

Ab Frühjahr 2018 begannen monatelange Unruhen mit hunderten von Toten, ausgelöst durch massive soziale Einschnitte, um die Staatsfinanzen (nachdem Venezuela kein billiges Erdöl mehr lieferte) zu stabilisieren. Seitdem ist der Tourismus als wichtiger Wachstumszweig ausgefallen, allerdings wuchs die Tabakindustrie und die Lohnfertigung in der Textilwirtschaft.

Zur Zeit existiert ein Patt, Nicaragua ist weitgehend paralysiert. Die Wirtschaft ist kapitalistisch und das Regierungssystem diktatorisch. Trotz ideologisch-kommunistischer Rhetorik („Kampf dem amerikanischen Imperialismus“) lässt die sandinistische Regierung die Unternehmer zumeist gewähren. Die Unternehmer bekämpfen die Regierung nicht aktiv und finanzieren Sozialprogramme, solange ihre Gewinne ihnen dies ermöglichen. Die Verbindung zwischen den alten Eliten und den neuen militärischen Machthabern hat in Nicaragua zu einem eigenartigen und vielleicht auch weltweit einzigartigen System des Nepotismus geführt. Nicaragua gehört zu den unterentwickeltesten Ländern Lateinamerikas (nach Kuba und Haiti), und wird sich mit dem aktuellen politischen System nicht weiterentwickeln können.

Die Armut ist deutlich sichtbar

Der erste Eindruck ist ein harscher Vergleich mit Kuba. Die Straßen zwischen den großen Städten und darin sind ordentlich, gelegentlich Müll an den Rändern (wie früher bei uns an den Autobahnabfahrten). Die Supermärkte sind gut gefüllt und in den Städten auch gut besucht, zahlreiche einheimische Waren (Kaffee, Fleisch, Brot, Kakao und andere – das fällt auf, wenn man aus Kuba kommt) und auch umfangreiche Importe. Eine Mangelsituation habe ich nicht festgestellt.

Die häufigsten Geschäfte scheinen kleine „Ferreterias“ (Bau, Metall, Elektro und so weiter) und Apotheken zu sein. Vielleicht verletzen sich zahlreiche Männer beim Hantieren mit Werkzeugen, so dass sie eine Apotheke in der Nähe benötigen… Der Zustand (auch meiner beiden Hotelzimmer) mancher Häuser legt diese Vermutung nahe. Überall ambulante Händler mit Obst, Gemüse, Bekleidung, Töpfen, Touri-Nippes und so weiter.

In den Dörfern entlang der gut ausgebauten Überlandstraße zahlreiche Bretterhütten (Gibt es auch in Kuba, sie sind aber nicht so sichtbar, Kuba war 1959 entwickelt, das ist den verfallenen Häusern bis heute anzusehen), aber auf den Wellblechdächern überall Parabolspiegel (in Kuba verboten). Dazwischen restaurierte oder neugebaute kleine und größere villenartige Gebäude. Die Armut ist auch in den Städten deutlich sichtbar.

Das Zentrum von Granada ist für Touris ein spätkolonialer Traum. Die Kette der aktiven Vulkane ebenfalls. Wo sonst in der Welt kann man problemlos auf einen Berg gelangen und am Kraterrand auf einen glühenden Lavasee blicken? Nicaragua soll auch über gute Strände verfügen, was ich jedoch nicht aus eigener Erfahrung beurteilen kann. Auf jeden Fall könnte sich das Land nach dem Sturz des gegenwärtigen Diktators und der „Verdrängung“ einiger alter Familien zu dem wichtigsten Touristen-Ziel Zentralamerikas entwickeln.

Tabak wie aus Kuba, nur günstiger

Wir haben drei Tabakfarmer besucht, die ihre Ernte zugleich in eigenen Fabriken verarbeiten lassen. Sie bearbeiten 1.500 Hektar, 500 Hektar und 400 Hektar. Sie produzieren nur für den Export in Freihandelszonen (circa 80 Prozent in die USA) 35 Milionen, 25 Millionen und 20 Millionen Zigarren. Das heißt, dass drei Farmer fast genauso viele Zigarren exportieren wie ganz Kuba!

Der größte beschäftigt permanent 6.000 Mitarbeiter, während der Ernte noch einmal 3.000. Damit gehört er zu den wichtigsten Arbeitgebern Nikaraguas. Bei den anderen ist es abgestuft ähnlich. Seine besten Zigarren können es problemlos mit den besten kubanischen aufnehmen, selbst wenn berücksichtigt wird, dass Geschmack subjektiv ist, aber sie kosten auf dem Weltmarkt nur die Hälfte der besten kubanischen.

Für seine Mitarbeiter hat er Schulen, Kindergärten und eine Kirche gebaut. (Wer meine kleine Geschichte zum einstigen kubanischen Zuckerkönig Julio Lobo gelesen hat, wird Parallelen feststellen.)

Teilweise zieht er seinen Samen selber, teilweise erhält er ihn aus einem Labor und teilweise auf verschwiegenen Wegen aus Kuba. Sämtliche Pflanzen zieht er selber auf (in Kuba weitgehend nur staatlich-zentrale Zucht), vereinzelt sie, lässt sie wachsen (alles unter Gaze) und setzt sie aus. Die Erde ist vulkanisch schwarz und grobkörnig. Entlang der riesigen Felder geben Drainagerohre tröpfchenweise Wasser (aus eigenen Brunnen und Pumpstationen) an die Pflänzchen ab. Saat, Aufzucht und Wachstum (und später auch die Zigarrenproduktion) sind arbeitsteilig durchorganisiert und standardisiert.

Wohlhabend dank Exil

Die Fabriksäle sind großzügig und hell, überall herrscht peinliche Sauberkeit, einschließlich der Sanitäreinrichtungen (in Kuba sollte man sich davon besser fernhalten). Die Details der modernen Produktion können hier nicht beschrieben werden. Alle drei haben pompöse Gästehäuser und eigene Exportfirmen. Die gesamte Wertschöpfungskette liegt in ihren eigenen Händen, und was bleibt am Ende davon übrig? Weißer Qualm! Und wer es versteht, auch Geschmack. Wein ist auch nicht bloß eine Flüssigkeit!

Wer sind die Besitzer? Jeweils eine kubanische Familie, zwei sind nach der Revolution geflüchtet, waren „nur“ Landbesitzer und hatten keine Zigarrenfabriken. Eine Familie kam sogar erst 2002 nach Nicaragua! Ihre engsten Mitarbeiter sind auch Kubaner, später geflüchtet, teilweise erst vor einigen Jahren legal ausgereist. Das Exil hat aus ihnen nach unsäglichen Entbehrungen wohlhabende Unternehmer gemacht. Zugleich haben sie sich über drei Generationen hinweg die Liebe zu ihrer kubanischen Heimat bewahrt. Wir haben auch in den Gästehäusern gegessen, kubanisch!

Nachdem Castro sich mit seiner Landreform unter den Landarbeitern Anhänger verschafft hatte, brach die Zigarrenproduktion ein. Bevor Kuba wieder in größerem Umfang Zigarren exportieren konnte, exportierte es Tabakfarmer!

Alles nur für blauen Dunst?

Es ist mit dem Kommunismus immer dasselbe. Aus Bacardi in Santiago wurde Bacardi auf den Bahamas, die weltweite Nummer drei unter den Spirituosenfirmen. Aus dem mittleren Zuckerfabrikanten Fanjul in Kuba wurde Fanjul in Florida, der weltweit größte Zuckerkonzern. Die „kubanischen“ Zigarrenfabrikanten in der Dom Rep, in Nicaragua, in Honduras und in Costa Rica exportieren heute mehr als das Dreifache Kubas.

Einst waren die Landarbeiter begeistert von der Revolution, heute hoffen sie auf die Dollars ihrer Kinder aus den USA. Allerdings habe ich in Kuba nur wenige getroffen, die begriffen haben, dass sie betrogen worden waren. Ich respektiere das, denn eine derartige Einsicht tut weh.

Die berühmte kubanische Tabak- und Zigarrenproduktion ist seit sechzig Jahren stehengeblieben. Sie lebt ausschließlich von ihrem Ruf (der nach 200 Jahren anscheinend unkaputtbar ist), von der Besonderheit ihres Bodens und vom Qualitätsbewusstsein einiger selbstbewusster Pflanzer. In Nicaragua werden kaum Zigarren geraucht. Der Tabakanbau und seine Verarbeitung hatte so gut wie keine Tradition, bis enteignete Kubaner herausfanden, dass Klima und Boden geeignet waren. Heute weisen sie den weltweit modernsten Anbau und modernste Produktion auf. Kuba ist die Vergangenheit, wenn man so will, mit Charme und Nostalgie. Nicaragua ist die Zukunft, mit Effektivität und Qualität. Und das alles nur für blauen Dunst, der aber meist grauweiß ist? Na ja, man kann dazu auch noch ganz anständigen Rum genießen.

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Leo Anderson / 16.02.2020

Na, na, Herr Leciejewski, es gab auch vor der Ankunft der Kubaner und in der epoca sandinista gute Zigarren in Nicaragua. “Joya der Nicaragua” bekam man für Dollars im Touri-Shop des Interconti in Managua und sie gehören zum Besten, was ich je geraucht habe. Dass daraus damals keine blühende Industrie wurde, hat mMn nicht nur mit der unbestreitbaren Unfähigkeit der Sandinisten zu tun, sondern auch mit fehlender Arbeits- und Unternehmerkultur in dem Land. Es muss der pure Hunger gewesen sein, der die “Nicas” seitdem zu disziplinierten Arbeitern gemacht hat. Die Kubaner dagen waren bei Nicaraguanern schon vor dreißig Jahren bewundert und gefürchtet für ihre geradezu preußischen Eigenschaften und Einstellungen.

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