Es herrscht Einigkeit unter deutschen Ökonomen. Egal ob Marcel Fratzscher, Clemens Fuest, Michael Hüther oder Lars Feld, die Politikempfehlung ist die immer gleiche: mehr staatliche Investitionen jetzt – für das Klima, für die Digitalisierung. Ein Risiko einer übermäßigen staatlichen Verschuldung, so stellen es die Wirtschaftswissenschaftler mit Verweis auf die Theorie dar, gibt es nicht, denn: r < g – die Zinsen sind kleiner als das Wachstum. Auch bei einem immerwährenden Defizit verlassen die öffentlichen Finanzen den nachhaltigen Verschuldungspfad nicht. Man zieht sich durch die Wirtschaftskraft am eigenen Schopfe aus dem Sumpf. Annalena Baerbocks Forderung, dass die Regierung jährlich 50.000 Millionen Euro in die Hand nehmen soll, zur Investition in Digitalisierung und Infrastruktur, könnte auch aus dem Newsletter der jeweiligen Wirtschaftsforschungsinstitute in Köln, München oder Berlin stammen. Wie in so vielen Bereichen aktuell herrscht auch hier Einigkeit.
Ohne, dass Sie explizit zustimmen, sind Sie nun ein Spieler. Sie betreten kein Casino und setzen dennoch alles auf ein Ereignis: r < g. Wie viele Spieler, kann man sich das Risiko für den eigenen Geldbeutel und die Verletzung der eigentlich fest vorgenommenen guten Vorsätze schönreden. Definiert man die durch Verschuldung getätigten öffentlichen Investitionen als produktiv – also wachstumsfördernd – dann muss man einfach bei der Runde mitmachen. Je größer das Wachstum, desto größer darf die Verschuldung sein, desto weiter kann sich das Roulette drehen, desto zwingender ist der Einsatz. Es geht um Generationengerechtigkeit, wie das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts feststellte. Wir müssen heute investieren, damit Annalena Baerbock später noch mit ihren Enkeln Schlittenfahren kann, so beschrieb sie auf Instagram während des Wahlkampfs den Grund für ihr politisches Engagement.
Selbst herbeigeführter Ölpreisschock
Natürlich kann man staatliche Investitionen als produktiv definieren. Eine Definition ist nie falsch. Sie scheint aber unsere Erfahrungen aus den zentralplanerischen Experimenten des vergangenen Jahrhunderts zu ignorieren. Und dennoch läuft diese Jahrhundertwette längst wieder. Staatlich zentrale Planung soll am Ende eine produktivere Wirtschaft hervorbringen. Der Ausgang der Wette liegt in der Zukunft. Dennoch sind bereits heute die Folgen der ideologisierten Klimapolitik, die nicht in Alternativen denken und keine Opportunitätskosten berechnen kann, spürbar. Wir erleben einen diesmal gewollten und selbst herbeigeführten Ölpreisschock, wie in den 70er Jahren. Der CO2-Preis muss die Inflation treiben, sonst wirkt er nicht.
Die Klimapolitik, auch die ökonomisch am sinnvollsten zu begründende Lenkung des CO2-Ausstoßes durch den Handel von Verschmutzungsrechten, muss zwangsläufig mit einem starken Staat einhergehen. Vorgaben, Regulierungen, Besteuerung und sonstige Eingriffe in den Markt schaffen Gewinner und Verlierer. Politisch machen solche Verteilungseffekte immer ineffiziente Seitenzahlungen notwendig. Doch diese Kosten werden im Kalkül der per Definition zentralplanerisch-optimistischen Gegenwartsumweltökonomik nicht berücksichtigt. Dabei fallen sie auch dann an, wenn man von einem perfekten Unternehmer Staat ausgeht, solange sich die Volkswirtschaft im Übergang zur CO2-Neutralität befindet.
Der Wohlstand sinkt und muss doch stärker umverteilt werden
Doch was ist, wenn die schuldenfinanzierten staatlichen Ausgaben nicht produktiv sind? Die Bundesbank geht in ihrem aktuellen Monatsbericht davon aus, dass die Investitionen, die durch die Vorgaben der Klimapolitik in nächster Zeit getätigt werden müssen, unproduktiver sind als die Alternativen, die gewählt werden würden, wenn es diese staatliche Lenkung nicht gäbe. Letztendlich bedeutet das, dass sich die Volkswirtschaft auf einer niedrigeren Transformationskurve wiederfindet, dass sie also weniger produzieren kann als vor der Regulierung. Der Wohlstand sinkt und muss doch stärker umverteilt werden. Die Wette, Staatsausgaben auf Pump sind kein Problem für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, da r < g, wackelt nun schon ganz schön. Denn das Wachstum wird durch die zentrale Planung zurückgehen.
Somit basiert das Perpetuum mobile der schuldengedeckten Ausgabenpolitik einzig auf r – auf dem Eingriff der Zentralbank. Auf die EZB ist hier selbstverständlich Verlass. 95 Prozent des Volumens der im letzten Jahr emittierten Staatsschulden der Mitgliedsländer der Eurozone wurde durch sie absorbiert. Durch die fiskalische Dominanz kann sie gar nicht anders. Die Geldpolitik muss die Solvenz der Staaten sicherstellen, sonst fliegt uns das hier alles um die Ohren. Die im Juli vorgestellte strategische Neuausrichtung der EZB erweitert das Fortführen der monetären Staatsfinanzierung um einen weiteren Bereich: Grüne Geldpolitik. Das ist ziemlich explizit die Staatsräson der Modern Monetary Theory, die die unabhängige Zentralbank abschafft und staatliche Ausgabenpolitik ins Zentrum der Betrachtung stellt.
Die Wette ist r < g, und da g wohl nicht mitziehen wird, wird der Spieler so lange am Tisch sitzen, bis den anderen auffällt, dass er das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche anwendet. Die Wette auf zentralplanerisches Wachstum funktioniert so lange, wie das Vertrauen in die beteiligten Institutionen Bestand hat. Vielleicht wollte Jens Weidmann für dieses Risiko nicht mehr mitverantwortlich sein. Für uns alle gilt jedoch weiterhin: Top, die Wette gilt!