Vera Lengsfeld / 18.04.2025 / 16:00 / Foto: Montage achgut.com / 18 / Seite ausdrucken

Kein Koalitions-, sondern ein Wohlstandsvernichtungsvertrag

Eines steht fest: Eine Politikwende ist das Ganze nicht. Bestenfalls wird es ein milliardenfinanziertes Strohfeuer geben, dem eine weitere Deindustrialisierung folgt.

Selten ist so viel Lärm um ein Papier gemacht worden, das der zukünftigen Regierung als Handlungsrichtlinie dienen soll. Vertrag kann man es nicht nennen, denn Verträge sind verbindlich und müssen eingehalten werden. Hier wird aber jede Festlegung von vornherein unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, also mit einem Freibrief im Falle der Nichteinhaltung versehen.

Frage ist, wer von den vielen Journalisten, die jetzt ein Trommelfeuer für die Akzeptanz der Koalitionsvereinbarung unterhalten, den Schrieb überhaupt gelesen hat. Zugegeben, es ist schwere Kost. Man sollte mehrere Semester Funktionärssprech hinter sich haben, um an vielen Stellen zu verstehen, worum es eigentlich geht. Kostprobe:

„Wir halten am System der CO2-Bepreisung als zentralem Baustein in einem Instrumentenmix fest. Wir unterstützen die Einführung des ETS 2, um europaweit gleiche Bedingungen zu schaffen. Dabei wollen wir einen fließenden Übergang des deutschen BEHG in das ab 2027 europäisch wirkende Emissionshandelssystem (ETS 2) gewährleisten. Die CO₂-Einnahmen geben wir an die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zurück.“

Heißt: An der kürzlich beschlossenen erheblichen CO2-Preiserhöhung auf 55 Euro pro Tonne, die das Leben für alle teurer macht, wird festgehalten. Der Preis wird weiter steigen. Selbst im günstigsten Falle, dass von den Einnahmen tatsächlich etwas bei den Bürgern landet, bekommt er nur in reduzierter Form zurück, was ihm vorher abgenommen wurde.

Für den jämmerlichen Zustand Deutschlands werden innere und äußere Feinde haftbar gemacht

Wer dieses Papier gelesen und verstanden hat, weiß, dass man all das Wortgeklingel, mit dem das Elaborat von den Schöpfern angepriesen wurde, schnellstens vergessen sollte, um sich keinen Illusionen hinzugeben. Friedrich Merz hatte bei der Vorstellung verkündet, man würde staunen, was alles darin stünde respektive nicht stünde. In der Tat: Drin steht eine Fortsetzung der Ampelpolitik in verklausulierter Form, ein Politikwechsel steht nicht drin. Abgesehen von vielem Selbstlob – man lege an sich höchste Maßstäbe an – ist schon die Analyse der Ausgangslage fehlerhaft. Für den jämmerlichen Zustand Deutschlands werden innere und äußere Feinde haftbar gemacht. Von den Politikern, die dafür verantwortlich sind, ist nicht die Rede.

Nun soll frisches Geld, das sich die noch nicht bestehende Regierung vom abgewählten Bundestag in Form von 500 Mrd. Schulden – mehr als die Bundesrepublik während ihres Bestehens aufgenommen hat – besorgen will, in das dysfunktionale System gepumpt werden. Aber die künftigen Herrscher wissen jetzt schon, dass dies nicht reichen wird. Die Bürger sollen neben ihren Steuern noch mehr blechen. Allein im ersten Drittel wird dreimal festgelegt, dass „privates Kapital“ zur Finanzierung herangezogen werden soll:

„Investitionen: Insgesamt stellen wir dazu mindestens zehn Milliarden Euro Eigenmittel des Bundes durch Garantien oder finanzielle Transaktionen bereit. Mit Hilfe von privatem Kapital und Garantien hebeln wir die Mittel des Fonds auf mindestens 100 Milliarden Euro und investieren sie in verschiedene Module.“

Welche Module das sein werden, erfahren wir nicht. Ob die Energiespeicher, für die mit „öffentlichen Garantien privates Kapital“ herangeschafft werden soll, dazugehören, bleibt offen. Das gilt auch für die nötigen Investitionen für Vorhaben wie grüner Wasserstoff, für die ein Mix aus öffentlichem und privatem Kapital bereitgestellt werden soll. Da kann in den nächsten zwei Dritteln noch etwas dazukommen. Nun steckt niemand freiwillig Geld in ein marodes System. Wir dürfen gespannt sein, wie die Regierung Merz unsere Ersparnisse „hebeln“ will.

Auf das „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ verzichten

Bezeichnend ist der Größenwahn, der mehr als einmal durchscheint. Deutschland soll weltweit führend werden: in der Wasserstoffinitiative, beim „weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort“, beim „führenden Mikroelektronikstandort“, beim „Leitmarkt für autonomes Fahren“. Wer sich das ausgedacht hat, weiß nichts vom aktuellen Zustand des Landes. Wir waren mal Weltmarktführer. Das ist inzwischen Jahrzehnte her. Das kommt auch nicht wieder, wenn man sich die Festlegungen ansieht, wie die Ampelpolitik fortgeführt werden soll.

 An der CO2-Bepreisung wird festgehalten, Green Deal und Clean Industrial Deal der EU sollen weiterentwickelt, der Klimaschutz und die Elektrifizierung beschleunigt werden, indem man auf das „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ verzichtet, also Geld ohne Hinzusehen rausschmeißt. Es soll Quoten für „grünen Stahl“ und eine „Grüngasquote“ geben, egal, was es kostet. Ein „Strompreispaket“, also Steuergeld, soll den Strompreis bezahlbar halten.

Von einer Rücknahme der Abschaltung der Atomkraftwerke zur Sicherung der Grundlast, wie sie von der Union, speziell von Markus Söder, propagiert wurde, ist nicht die Rede. Söder versteckt seine krachende Niederlage hinter der Mütterrente, die nicht zur wirtschaftlichen Gesundung des Landes beiträgt. Die Abwanderung von Industrie soll verhindert werden, indem man die Klimaschutzstandards in Europa angleicht. Aber Europa ist nicht die Welt. Die „Dekarbonisierung“ und die klimaneutrale Gestaltung der Produktionsprozesse der Industrie soll fortgesetzt werden, die Abwanderung wird also bleiben. Die Arbeitsplätze bleiben erhalten, sie sind nur halt woanders.

Was das Autoland Deutschland betrifft, so wollen die künftigen Koalitionäre prüfen, ob sich die Produktion auf Verteidigung umrüsten lässt. Deutschland soll schließlich „kriegstüchtig“ werden. Laut Agenda 2030, zu der sich unser zukünftiger Kanzler immer wieder bekennt, sollen wir 2030 ohnehin nichts mehr besitzen, also auch kein Auto, und deshalb glücklich sein.

Den Beteuerungen nach Entbürokratisierung steht übrigens eine Fülle neuer Bürokratie-Gewächse gegenüber

Von Entbürokratisierung, Verschlankung, Vereinfachung von Gesetzen ist immer wieder die Rede. Erstaunlich ist, wie viele Bestimmungen und Gesetze auf EU-Maß zurückgeführt werden sollen. Da haben die Vorgängerregierungen oft schärfere Bestimmungen verfasst, als von der EU gefordert waren. Damit hat Ex-Kanzlerin Merkel übrigens schon in ihrer ersten Regierung begonnen. Im Wahlkampf hatte sie noch verkündet, dass das von der EU geforderte Verbandsklagerecht mit ihr als Kanzlerin nur 1:1 umgesetzt werden würde und nicht erweitert, wie von der SPD gefordert. Am Ende kam ein Verbandsklagerecht heraus, das noch über die Forderungen der SPD hinausging und viel Zweifelhaftes angerichtet hat, wenn man sich anschaut, wie die Deutsche Umwelthilfe dieses Instrument genutzt hat. Nun soll auch das auf EU-Recht zurückgeführt werden.

Aber Entbürokratisierung meint ebenso eine „Reduzierung der Nachweisführung von Fördermitteln“. Das liest sich, als solle nicht hingeguckt werden, wofür Geld ausgegeben wird. An anderer Stelle steht, dass es ein „Controlling“ von Fördermitteln geben soll. Da wusste beim Zusammenschnitt der Arbeitsgruppenpapiere die rechte Hand nicht, was die linke tat.

Den Beteuerungen nach Entbürokratisierung steht übrigens eine Fülle neuer Bürokratie-Gewächse gegenüber: ein Bundeskompetenzzentrum für leichte Sprache, die Reaktivierung des Deutschen Zentrums für Mobilität München, eine Kommission für Sozialstaatsreform, ein Aktionsplan für biobasierte und einer für energieintensive Baustoffe, eine Expertengruppe für die Harmonisierung mietrechtlicher Vorschriften, ein Bundesforschungszentrum für klimaneutrales und ressorteffizientes Bauen und last not least ein Bundeskompetenzzentrum für die Zusammenführung wissenschaftlicher Einrichtungen, Privatwirtschaft und Behörden – das nur im ersten Drittel der Koalitionsvereinbarung.

Insgesamt ist der Text ein Sammelsurium von Wünsch-dir-was, Fortsetzung gescheiterter Politik und „Geschenken“ an die Bürger, um gute Laune zu erzeugen. Der Führerschein, der, wenn es nach der Agenda 2030 geht, bald nicht mehr gebraucht wird, soll billiger werden.

Es finden sich auch ganz putzige Festlegungen: Die künftige Regierung will, dass Pakete nicht mehr als 20 kg wiegen dürfen und die Arbeitsbedingungen für Kurier-, Express- und Paketdienste reformiert werden sollen. Hier hat SPD-Verhandlungsführerin Saskia Esken liebevoll ihrer ehemaligen Kollegen gedacht.

Vera Lengsfeldgeboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

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Leserpost

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T.Plath / 18.04.2025

Soviel Kompetenzzentren, das ist ja toll.  Aber am Ende wird es dann wohl heißen: Operation gelungen, aber Patient leider massiv geschädigt. Wählt uns wieder. Wir sind die einzigen, die es können (wir meinen natürlich, die euch sagen können:  Ihr werdet nichts besitzen und glücklich sein).

EEkat / 18.04.2025

Es riecht nach Krieg, Frau Lengsfeld.

Ralf.Michael ( ラルフ. ミハエル ) / 18.04.2025

Frau Lengsfeld : Die Namen der Verantwortlichen sind international überall bekannt und Sie werden als ” Persona non Grata ” nirgendwo weiteren Schaden anrichten können. Auf keinen Fall hier in meiner Wahlheimat ;o))

Winston Smith / 18.04.2025

Hervorragender Artikel. Der Koalitionsvertrag ist eine Realsatire. Dem debilen, feigen Michel wird mit blumigen Worten klargemacht, dass sich der Niedergang von Dummland weiter beschleunigen wird. Die Wohlstandsvernichtung betrifft allerdings nur den produktiven (oder ehemals produktiven) Teil der Bevölkerung, also im Wesentlichen den Privatsektor. Es ist auch nicht weiter überraschend, dass der Beamten- und Staatsapparat noch fetter, noch unfähiger, noch repressiver und noch parasitärer wird. ++ “Allein im ersten Drittel wird dreimal festgelegt, dass „privates Kapital“ zur Finanzierung herangezogen werden soll.” Wo soll es auch sonst herkommen. Die privaten Vermögen werden nicht nur durch Steuern und direkte Enteignung ausgeplündert, sondern auch durch die kommende Inflation. Die EZB wird wieder massenhaft Geld “drucken” um marode Staatsanleihen aufzukaufen - etwa die 500 bis 1000 Milliarden Euro für Dummland. Staatsfinanzierung durch Inflation: Lebensversicherungen, Altersvorsorge, Sparkonten, Betriebsrenten, Renten, Arbeitseinkommen des Privatsektors werden geschreddert. ++ Wie das Wahlergebnis zeigt: Die Mehrheit der deutsche Bevölkerung hat genau das politische System, das sie verdient.

Gerard Döring / 18.04.2025

Das alles und noch viel mehr, würde ich nicht machen wenn ich König von Deutschland wär.

Dr. Günter Crecelius / 18.04.2025

Jeder, der mit etwas Mühe bis drei zählen kann, hat bei der Platzierung seines Kreuzes gewußt, wen und was er da wählt. Und das waren an die achtzig Prozent der Wähler. Also, bitte nicht jammern. Mitgefangen, mitgehangen.

Nico Schmidt / 18.04.2025

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, die Deutschen haben gewählt und Herrn Merz auf das Schild gehoben. Was haben die denn erwartet? 144 Seiten Vernunft? Da hätten 10 Seiten gereicht. Mfg Nico Schmidt

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