Fabian Nicolay / 02.04.2022 / 06:00 / Foto: Jorge Flores / 61 / Seite ausdrucken

In Krisenzeiten einfach sein Ding machen

Wenn genug Leute ihr Ding machen, ohne dass es anderen schadet, können die Weltverbesserer und ihre Spießgesellen gern hohldrehen. Dem Kategorischen Imperativ können sie nichts anhaben.

Der ehemalige russische Oligarch Michail Chodorkowski hält einen Angriff Russlands auf Polen oder das Baltikum für wahrscheinlich. Das wäre dann ein sogenannter Bündnisfall, man möchte es sich nicht weiter ausmalen. Der ehemalige Schriftsteller Robert Habeck, jetzt Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, fordert die Deutschen zum Energiesparen auf, als erste Übung vor der Gasknappheit, dem Preisschock und der Wirtschaftskrise. Ein Notfallplan steht schon vor der Tür, genauso wie die Inflation, Blackouts, Massenarbeitslosigkeit und die Lebensmittel-Versorgungskrise. Da scheint ein Kartenhaus vor dem Zusammenbruch zu stehen.

Die Komponenten des Dauer-Stresstests, vor dem Deutschland in den kommenden Jahrzehnten steht, sind vielfältig und zum Teil bedingen sie einander. Aber größtenteils waren sie absehbar, wurden bewusst betrieben, oder aus ideologischen Gründen wissentlich in Kauf genommen (Energieversorgung, Nullzinspolitik, Klima-Agenda). Deshalb klingt es schönfärberisch, einfach nur von „Politikversagen“ zu sprechen. Der ehemalige Finanzminister, Olaf Scholz, war unter Angela Merkel fast vier Jahre Vizekanzler und perpetuiert heute als Kanzler die katastrophale Politik seiner ehemaligen Vorgesetzten.

Die Ursachen der bevorstehenden Krisenzeit liegen aber nicht allein an der Unfähigkeit des Personals, große historische Spannungsbögen politisch zu betrachten und aus ihnen zukunftsfähige Konzepte für unser Land zu entwickeln, sondern auch im Scheitern der westlichen Beschwichtigungs-Diplomatie, die nicht wahrhaben will, dass ideologischer Dissens mit Regimen nicht einfach weggeredet werden, und der Unterschied zwischen Gut und Böse nicht relativiert werden kann. Das Machtvakuum, das entsteht, wo paritätische Kräfteverhältnisse und Drohpotenziale schwinden, wird nämlich alsbald zum Kasernenhof des Gegners.

Tiefer Fall in den steinzeitlichen Atavismus

Wegen der vorgenannten Gründe ergreift mich von Zeit zu Zeit eine seltsame Unruhe. Ich möchte dann diesem Land den Rücken kehren. Nicht, dass ich, wie es gerade en vogue ist, die Zukunft des postmodernen Deutschlands gänzlich für verloren und rettungslos dem freien Fall überlassen glaube. Das wäre zu schlicht gedacht. Ein Land, „in dem man gut und gerne leben möchte“, besitzt aber nicht die Schwächen und Nachteile einer Bananenrepublik. Ich möchte am Supermarkt für Grundnahrungsmittel nicht Schlange stehen, den Beamten nicht schmieren, damit ein lapidarer Verwaltungsakt schneller vorangeht, meinen Mund nicht halten, damit die Polizei keinen Hausbesuch bei mir macht, oder zum Heizen nicht illegal Holz im Wald holen müssen.

Zwar scheint der Niedergang irgendwie unvermeidlich, weil dem gesellschaftlichen Versagen der Corona-Jahre nun ein zivilisatorisches Paradox folgt, das im wahrsten Sinne des Wortes fatal ist, eine globale Kettenreaktion auslöst und das Siechtum beschleunigt. Aber auch ein tiefer Fall in den steinzeitlichen Atavismus von Kriegervölkern ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist allerdings schändlich und absolut unnötig. Der Aggressor gehört bestraft, weil er sich selbst zum Verbrecher gemacht hat. Aber das ist fast keine Meinung, sondern eine Floskel aus dem Repertoire des Mainstreams, die ich mir trotzdem zu eigen mache, weil sie einfach stimmt.

Dieses Paradox einer kriegerischen Entladung wirft zunächst alles über den Haufen – auch die Dinge, deren Planung und Umsetzung wir zwar als Wohlstandskiller schon vorher fürchteten, aber glaubten, ausreichend Zeit zu haben, die Effekte zumindest abmildern zu können. Nun sehen wir die Energiewende, den Klimaschutz, die Eurostabilität und die Lieferkettenproblematik dem Brandbeschleuniger Putins ausgesetzt. Massive Auswirkungen auf die großen Vorhaben unserer postmodernen Moral, für die eigentlich Dekaden der „Transformation“ vorgesehen waren, können also schon morgen Wirklichkeit sein, ganz egal, ob wir sie je befürwortet haben oder nicht: Sie treffen uns nun unversehens mit all ihren negativen Implikationen als Querschläger.

Sind wir denn alle Wiederkäuer unserer Weltbilder geworden?

Ich habe immer öfter keine Lust mehr, mitzuerleben, wie Menschen sich entblöden bei dem Versuch, klug zu erscheinen – wenn sie zweimal wiedergekäute Propaganda brav geschluckt haben und Fladen produzieren, die größer sind als ihr geistiger Radius. Natürlich wirft mir die Gegenseite exakt das gleiche vor. Ich habe auch keine Lust mehr, Freunde und Bekannte zu vergraulen, nur weil ich den Mund nicht halten konnte und sie denken, ich sei so ein Typ, der Propaganda wiedergekäut und braune Fladen aus „unwissenschaftlichen“ Behauptungen hinterlässt. Sind wir denn alle Wiederkäuer unserer Weltbilder geworden?

Scheinbar sind unsere stereotypen Weltbilder das einzige, was noch Bestand hat. Wenn sich aber der postmoderne Relativismus wie ein Spaltpilz in das Ansehen der Demokratie frisst, die immer mehr dazu tendiert, auch unsere Gedanken regulieren zu wollen, sich der Wissenschaft bemächtigt, um deren „Fakten“ wie sakrosankte Reliquien herumzureichen, und wenn die Wirtschaft aufgrund ihrer globalen Abhängigkeiten schneller implodiert, als es eine Industrienation noch verkraften kann – dann muss man grundsätzlich zweifeln: an der Redlichkeit der Staatslenker, an den Fähigkeiten des Homo faber, an der Verlässlichkeit zivilisatorischer Erkenntnisse, an der „Vernunft“ einer albträumenden Gesellschaft, die versessen ist auf ihren nabelschau-artigen Egotrip.

Vielleicht muss man sich alltäglichen Forderungen und Angeboten noch mehr entziehen – den tendenziösen Nachrichten, den Verpflichtungen der gestelzten Moral, dem aufgeblähten, übergriffigen „Apparat“ und der steuerlichen „Mühle“ für einen Staat, der zu viele Kostgänger alimentiert und symbolpolitische Milliardengräber aushebt, in denen er unseren Wohlstand beisetzt. Man sollte einfach sein Ding machen. Wenn genug Leute ihr Ding machen, ohne dass es anderen schadet, können die Weltverbesserer und ihre Spießgesellen gern hohldrehen. Dem Kategorischen Imperativ können sie nichts anhaben.

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Foto: Jorge Flores CC0 via Wikimedia Commons

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S. Marek / 03.04.2022

@ Gabriele Klein & @ S.Buch gut den Braten Gerochen. Es gab und gibt leider zu Viele die meinten “.. einfach sein Ding machen ...”  zu wollen und dabei übersahen die die, die welche zum Teil aus dem Verborgenem bzw. auch Hinterhalt, sieh G. Soros - K. Schwab - B. Gates -  z.B., und andre die ganz offen, kommunistische Partei Chinas und Rußlands mit ihren Propagandisten seit Jahrzehnten sehr effektiv Ihre Dinge einfach machen. Der beständigste in seinem Wirken ist aber der islamischer, der trotz seiner sehr offenen Worten mit schriftlicher Unterlegung, Koran, seit mehr als 1400 Jahren sein blutiges Ding macht und die Welt trotzdem es nicht sehen will.  Zum einem aus Angst vor der purer Barbarei bzw weil sich gerade die links-faschistoiden kommunistischen Systeme in perfider Naivität ein Nützen in Folgen deren Fußstapfen zur Weltbeherrschung sehen.

W. Renner / 02.04.2022

Um auch nochmal vor dem schlafen gehen wieder zu käuen, die Lage bestens auf den Punkt gebracht, Fabian Nicolay.

Thomas Schmidt / 02.04.2022

Nicht schwer zu erkennen, dass die USA gleichzeitig Krieg gegen Russland und Deutschland führen. Da als Deutscher begeistert mitzumachen ist schon Darwin-Award verdächtig.

giesemann gerhard / 02.04.2022

Sich nicht entblöden heißt sich nicht scheuen, etwas zu tun, zu sagen: Umgangssprachlich, abwertend; “Sich nicht entblöden” bedeutet, sich nicht zu dumm oder zu schade zu sein, eine bestimmte unwürdige Handlung zu begehen. Oder auch den Ratschlag zu geben, “sein Ding zu machen”, wenn sie einem schon an die Gurgel springen. So entblöden sich die Deutschen nicht, noch mehr muslimische Jungmänner ins Land zu lassen, obwohl schon viele Einheimische von denen ermordet worden sind. Manch einer entblödet sich nicht, die UA für den Überfall der Russen verantwortlich zu machen - klassische Täter-Opfer-Umkehr. Die Chinesen entblöden sich nicht, die EU zu mahnen, “nicht Öl ins Feuer zu gießen”. Usw. “Sich entblöden” würde bedeuten, einfach nicht so dumm, so blöd zu sein, dass es saudumm bleibt. Sich “entdummen”, sozusagen. Wird aber kaum so verwendet. Es genügt zu sagen: Ich bin doch nicht blöd, basta.

Harro Heyer / 02.04.2022

Lieber Herr Nicolay, mit dieser Weisheit von Udo Lindenberg begibt man sich auf ein Nebengleis, das schließlich am Prellbock endet. Bringen Sie sich ein in kluge Analysen; Was führte in die Krisen und was kann man für die Zukunft daraus lernen. Wie kann man angebliche Feinde und Widersacher befrieden und zu Partnern machen. Wenn man Gegner erst nimmt, kann man nicht mehr nur sein Ding machen.

Stanley Milgram / 02.04.2022

Nachtrag: Wem schade ich, wenn mein Roller 45 statt 25 läuft? Also musste ich einen Geheimschalter einbauen, der das Ding bei Bedarf drosselt. Wenn man das rausfindet, wird man mich behandeln wie einen Terroristen und alle Hebel in Bewegung setzen… eigene Erfahrung.

Karla Kuhn / 02.04.2022

Gabriele Klein, “Sollte an meiner Überlegung was dran sein,....” Ich finde, da ist sehr viel dran, Sie legen die Fakten auf den Tisch, z. B. “... aber vorher müssen wir noch klären wer der Aggressor ist.  Ich vermute ihn, nach meinen Recherchen, im Weißen Haus (nach einer schon sehr seltsamen “Wahl”,) ....” das ist eine Tatsache.”....wie z.B. Dr. Fauci und Co.”—ebenfalls Beifall, guter Kommentar. Der ehemalige russische Oligarch Michail Chodorkowski hält einen Angriff Russlands auf Polen oder das Baltikum für wahrscheinlich.” Diesem Mann traue ich keinen Schritt über den Weg, der verurteilte OLIGARCH will offenbar mit Putin abrechnen. ALLE, die schon VORHER ÖL ins Feuer gießen, sind für mich Kriegstreiber. Die Situation ist brenzlig, da sollte die private Meinung eines verurteilten OLIGARCHEN nicht aufs Tablett.  “Wenn genug Leute ihr Ding machen, ohne dass es anderen schadet, können die Weltverbesserer und ihre Spießgesellen gern hohldrehen. Dem Kategorischen Imperativ können sie nichts anhaben.”  Danke Herr Nicolay. Sie sollten aber den Verblendeten zeigen, WIE einfach es sein kann, sein DING ZU MACHEN ! Ich vermute leider, daß es viele gar nicht wissen wollen, denn SELBER denken scheint verdammt anstrengend zu sein.

Karla Kuhn / 02.04.2022

“In Krisenzeiten einfach sein Ding machen” Das war genau die Quintessenz vieler Unrechtsstaats bewohner seit der Gründung bis zur Auflösung des kommunistischen Unrechts-Staates, größtenteils gelenkt von intellektuellen Nieten, Heuchlern, Speichelleckern, Schmarotzern etc.pp. Das waren GNADENLOSE Opportunisten, ohne Gewissen und Rückgrat. Sudel EDE, Eduard von Schnitzler, der für mich schon so abstoßend aussah, offenbar genau wie sein Charakter, war Jahrzehnte das ABBILD der meisten Politfiguren in diesem maroden Staat. Wenn nicht viele Menschen sich selber ein bisschen, mit den wenigen Möglichkeiten, die es gab, eine gemütliche Umgebung geschaffen hätten, wäre dieser “STAAT” eher ein riesengroßer verlotterter Knast gewesen. Auch die vielen GÄRTEN waren in vielen Fällen der ABSTAND von der verlogenen Politik.  Den NICHT-Linientreuen blieb auch gar nichts weiter übrig, als “ihr Ding zu machen” das war überlebenswichtig und diese STRATEGIE haben die meisten von uns hervorragend bis zur Vollendung beherrscht. Da konnten sich die HORCHER und GUCKER die Zähne ausbeißen. Als ich 1975 den “goldene Westen” kam, hätte ich NIEMALS gedacht, daß ich ab 2005 für 16 !! Jahre eine ehemaligen LINIENTREUEN AGIT PROP ertragen muß. Wenn auch immer wieder geschrieben wird,  “wie gewählt, so erhalten” ICH habe seit 2005 KEINE der ALTPARTIEN gewählt. 

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