Georg Etscheit / 31.10.2021 / 12:00 / Foto: Schlaier / 19 / Seite ausdrucken

Impf-Apartheid in der Kulturszene

Die vermeintlich freie Kulturszene will jeden Diversen inkludieren, schließt aber bereitwillig Ungeimpfte aus. Wann nimmt sich die Kunst endlich dieses Missstands an?

An der Bayerischen Staatsoper hat gerade die neue Saison begonnen, die erste von Serge Dorny, der dem langjährigen Intendanten Nikolaus Bachler nachgefolgt ist. Der Belgier, lange Zeit Chef des Lyoner Opernhauses, hatte als erste Premiere seiner Münchner Intendanz ein sperriges Stück programmiert: Dimitri Schostakowitschs Frühwerk „Die Nase“ nach der gleichnamigen, surrealistischen Satire von Nikolai Gogol, in der sich das Riechorgan des Kollegienassessors Kowaljow selbstständig macht und ihm unter anderem in der Gestalt eines Staatsrates wieder begegnet. Regie führte der allseits als Putin-Dissident gehypte russische Regisseur Kirill Serebrennikow, in Abwesenheit, weil er Russland wegen Ermittlungen zu angeblichen Unterschlagungen nicht verlassen darf.

In Serebrennikows Fern-Inszenierung war dann Kowaljow nicht der Einzige, der ohne Nase herumlaufen musste. Die nämlich wurden geschundenen Menschen von Polizisten gleich reihenweise abgeschnitten, „auf dass sie, zu Aussätzigen entstellt, mit Prothesen und Masken herumlaufen“, wie ein Kritiker schrieb. Es ist heute oft schwer bis unmöglich, zu entschlüsseln, was ein Regisseur meint. Aber offenbar zielte Serebrennikow nicht auf den Corona-Maßnahmen-, sondern den russischen Polizeistaat und seinen Peiniger im Kreml, denen er freilich dankbar sein müsste, würde er im Westen sonst wohl nicht von einem Opernhaus zum nächsten durchgereicht. Die Inszenierung biete, wie ein anderer Rezensent erleichtert feststellte, „Querdenkern und sonstigen Kritikern der gegenwärtigen Verhüllungspflicht keinerlei argumentatives Material“.

Perfide Variante der Corona-Apartheidspolitik

Mit der „Verhüllungspflicht“ wird es aber auch an der Staatsoper bald ein Ende haben. Denn ab 9. November gilt im Nationaltheater die 3G-Plus-Regel, die dem Publikum die Illusion maskenfreier Normalität im Zuschauersaal und der Theatergastronomie verheißt, wenn man geimpft oder genesen ist oder einen PCR-Test vorweisen kann. Die von der bayerischen Staatsregierung eingeführte Einlass-Variante gilt bereits, wie berichtet, in der gerade eingeweihten Isarphilharmonie (wir berichteten). Es soll eine „mildere“ Form des Ausschlusses Ungeimpfter sein, doch handelt es sich bei Preisen von 70 bis 140 Euro für einen PCR-Test in Wahrheit um 2G, wie nicht nur der Intendantin der Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel, aufgefallen war, sondern auch der österreichischen Sängerin Elisabeth Kulman, die in einem NZZ-Interview Klartext redete.

Intern gibt sich die Bayerische Staatsoper sogar noch rigider. Während sich Festangestellte noch testen lassen können, müssen freischaffende Mitarbeiter geimpft oder genesen sein, um ein Engagement oder einen Auftrag zu ergattern – ein Test kommt für sie nicht mehr in Frage. Ausnahmen gebe es nur, berichtet die Neue Züricher Zeitung, wenn bei der Impfung gesundheitliche Risiken bestünden oder sie „die künstlerische Qualität“, was immer das heißt, unentbehrlich mache. Der NZZ-Rezensent stellt zu Recht die Frage, ob eine solche Ungleichbehandlung fester und freier Mitarbeiter überhaupt rechtens sei.

Immer mehr Kulturinstitutionen versprechen ihren Zuschauern die maskenfreie Normalität, darunter auch die Hamburger Elbphilharmonie, die ab Dezember „überwiegend“ 2G einführt und Ungeimpften fürderhin den Musikgenuss mehr oder weniger vollständig verwehrt. Doch 3G-Plus ist keinen Deut besser als 2G, sondern in Wirklichkeit eine besonders perfide Variante der Corona-Apartheidspolitik, weil sie Freiheit verheißt, wo Knechtschaft angesagt ist. 3G-Plus hat zudem die Bereitschaft, Ungeimpfte auszusperren, spürbar erhöht, auch in der Gastronomie. Ein machiavellistisches Meisterstück des Polit-Sadisten Markus Söder, denn es könnte langsam, aber sicher dazu führen, dass die eher unkomplizierten und kostengünstigen Antigen-Schnelltests allgemein durch PCR-Tests abgelöst werden. Zu 1G, einer unausgesprochenen Impfpflicht, ist es dann nicht mehr weit.

Kostenlos „freigurgeln“

Offenbar hatte Söders Idee Vorbildfunktion auch für Österreich. Denn die Salzburger Landesregierung will demnächst flächendeckend auf die 2,5-G-Regel „umschalten“, wie 3G-Plus jenseits der Grenze genannt wird. Das wird dann auch für Festivals wie die Salzburger Festspiele gelten. Immerhin kann man sich im Nachbarland bald und bis auf Widerruf kostenlos „freigurgeln“. Was sich stark nach einer Satire à la Gogol anhört, ist die reine Wahrheit. Die neuartigen PCR-Gurgeltests können an speziellen Ausgabestellen in Supermärkten abgeholt und nach dem Gurgeln in Abgabestellen (Gemeindeämter, Supermärkte, MacDonalds-Filialen) wieder eingeworfen werden. Von der Probensammlung bis zum Ergebnis per SMS sollen nicht mehr als 20 Stunden vergehen, wobei ein negatives Testergebnis Freiheit für 72 Stunden verheißt, wahrscheinlich abzüglich der zwischen Mundspülung und Ergebnisübermittlung verstrichenen Zeitspanne.

Grund für den Umstieg auf PCR-Tests sei, so Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, „die fünffach höhere Trefferquote bei PCR-Tests“. So seien zuletzt in den Teststraßen bei wöchentlich 110.000 durchgeführten Antigentests 85 positiv gewesen, bei 19.000 PCR-Tests habe es dagegen 90 positive Ergebnisse gegeben. Ganz abgesehen davon, dass sich mit PCR-Tests keine Infektionen im Sinne des Gesetzes feststellen lässt und mit der Massentestung von Symptomlosen kein Infektions-, geschweige denn Erkrankungsgeschehen zu ermitteln ist, drängt sich hier erneut die Vermutung auf, dass absichtsvoll die Test-„Inzidenz“ in die Höhe getrieben werden soll, um die Fiktion einer Pandemie weiter aufrecht erhalten zu können.

Höchste Zeit, dass sich Regisseure einmal an diesem Irrsinn abarbeiten.

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Michael Palusch / 31.10.2021

“dass absichtsvoll die Test-„Inzidenz“ in die Höhe getrieben werden soll,” Offenbar ist Mathematik des Autors Sache nicht. Hier wird nichts in die Höhe getrieben, sondern etwas in der Grube versenkt. Also.., mir ist’s sehr recht! Das wären nämlich bei 1.000.000 PCR-Tests pro Woche, etwas mehr als in Deutshland derzeit, gerade einmal 4.737 Treffer, 679 “Fälle” pro Tag, eine Inzidenz von 5,7!.

Michael Palusch / 31.10.2021

” 110.000 durchgeführten Antigentests 85 positiv gewesen, bei 19.000 PCR-Tests habe es dagegen 90 positive Ergebnisse gegeben.” Das ist völliger Unsinn! Das wäre ja hier bei den PCR-Tests eine Positivquote von 0,47%, welche in Deutschland laut RKI in der vorletzten Woche bei ca. 10% gelegen haben soll. Zudem ist das Problem der Schnelltests wohl eher die Spezifität (mehr Falsch-Positive) als die Sensitivität. Nimmt man den PCR als Maßstab, wäre die Prävalenz in der getesteten Gruppe bei max. 0,5%, ein absurd niedriger Wert. Legt man diese 0,5% Prävalenz auch für die Schnelltests zu Grunde, wären von 110.000 Getesteten 550 positiv, erkannt wurden jedoch nur 85. Damit läge die Sensitivität der Tests bei genau 0%, wenn man eine illusorische hohe Spezifität von 99,92% annimt. Sind die 85 die PCR Nachgetesteten, sieht es auch nicht besser aus, die Spezifität beträgt jetzt gerade einmal ~15,5%.

Thomas Schmied / 31.10.2021

“Die vermeintlich freie Kulturszene will jeden Diversen inkludieren, schließt aber bereitwillig Ungeimpfte aus. Wann nimmt sich die Kunst endlich dieses Missstands an?” Das wäre dann Kunst gegen den Zeitgeist und somit nicht lukrativ. Das bedeutet:  Keine Kunstpreise, keine Fördergelder, keine gute Presse, kein Bussibussi, keine Kohle. Man muß schon wirklich Künstler mit Leib und Seele sein, um sowas trotzdem zu machen. Das sind die Meisten nicht. Echte Künstler überleben den Zeitgeist und ihre Werke werden nicht irgendwann als Negativbeispiele in irgendwelchen Büchern über Kunst und Propaganda verewigt, sondern stehen zeit(geist)los für sich selbst.

Markus Viktor / 31.10.2021

Ich schau mir Schostakowitschs „Nase“ lieber auf YouTube an, für irgendwas muss es ja gut sein, mit etlichen Inszenierungen zum Vergleich. So bevorzuge ich die aus Moskau 1979, dirigiert von Roschdestwenski. Frei von infantilen oder pubertären übergriffigen Regietheater-Idiotien, die ich mir erst recht nicht in der Oper unmittelbar umgeben von anderen Menschen aufdrücken lassen möchte – das auch schon vor Covid. Wobei prinzipiell auch Regietheater gut sein könnte, wenn jemand gut genug wäre. Zum Beispiel jemand wie Brecht, für Karl Kraus im kleinen Finger originaler, als das was er das furchtbare Geschlecht des Tages nannte.

P. Wedder / 31.10.2021

Kann mal jemand diesem subventionierten Verein die Gelder streichen? Wenigstens um die Quote der C-Ungeimpften kürzen? Vor Corona war ich regelmässig im Theater und bei Musikveranstaltungen. Sollte dies irgendwann wieder möglich sein, werde ich bestimmte Einrichtungen dennoch freiwillig meiden - egal was gegeben wird

A. Iehsenhain / 31.10.2021

“Die vermeintlich freie Kulturszene will jeden Diversen inkludieren, schließt aber bereitwillig Ungeimpfte aus.” - Man stelle sich hier z. B. die Situation vor, dass die impfkristische Grazer Notärztin Dr. Petra (früher Peter) Baumgartner (Zitat: “...den Dreck nicht weiter verimpfen”) Einlass begehrt und abgewiesen wird. Was kommt dann? Applaus oder der Besuch eines Vertreters der Antidiskriminierungsstelle des Bundes? Vielleicht kommt auch Letzterer, um zu applaudieren…

Johannes Schuster / 31.10.2021

Die Kunst kann sich keines Mißstandes annehmen: Sie ist der Mißstand. Wer nicht mit Gleitcreme gesegnet ist, der kommt nicht durch die Abschlußklassen und auf keine Bühne. Vom Beischlaf bis zum Tripper, - das Leben im Theater ist frei von Zucker und reichlich bitter. Es fließen die Säfte, der Vorhang fällt, die Botschaft ist erklungen: Schöne neue Welt !.

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