Gerd Buurmann / 30.07.2022 / 16:00 / Foto: Antonio Ruiz Tamayo / 24 / Seite ausdrucken

Ich habe mir alles kulturell angeeignet

Ich habe mich mal in meinem Leben umgeschaut. Alles, aber wirklich alles, was ich benutze, habe ich nicht selbst erfunden. Ich habe mir alles angeeignet. Meine Sprache, die Werkzeuge, mein ganzes Wissen, alles habe ich mir angeeignet. Was also soll ich jetzt machen?

In der Schweiz leben über zwei Millionen Ausländer ohne Schweizer Bürgerrecht. Damit hat die Schweiz einen Ausländeranteil von ungefähr 25 Prozent. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Ausländeranteil an der schweizerischen Gesamtbevölkerung höher als in vielen anderen europäischen Ländern. Die Schweiz ist somit ein Land, das sehr intensiv von anderen Kulturen lernt. Mit dieser Tradition könnte es jedoch bald vorbei sein, denn die Offenheit der Schweiz läuft Gefahr, als kulturelle Aneignung gebrandmarkt zu werden.

Am 18. Juli 2022 wurde in der Schweizer Hauptstadt Bern ein Konzert der Reggae-Band „Lauwarm“ vom Veranstalter abgebrochen, weil sich mehrere Zuschauer beschwert hatten. Sie hatten erklärt, sich „unwohl“ zu fühlen, weil zwei weiße Männer innerhalb der Band Rastafrisuren tragen, die Band jamaikanische Reggae-Musik spielt und sie dabei sogar öfter farbige Kleider aus Senegal und Gambia tragen. Für sie ist dieses Verhalten der Band eine unerträgliche „kulturelle Aneignung“.

Was bitte soll diese kulturelle Aneignung sein?

Ich habe mich mal in meinem Leben umgeschaut. Alles, aber wirklich alles, was ich benutze, habe ich nicht selbst erfunden. Ich habe mir alles angeeignet. Meine Sprache, die Werkzeuge, mein ganzes Wissen, alles habe ich mir angeeignet. Was also soll ich jetzt machen?

Darf ich etwa nur noch Dinge konsumieren, die von Menschen meiner Hautfarbe erfunden wurden? Darf ich keine Kartoffeln mehr essen, weil sie aus Amerika importiert wurden? Müssen Muslime und Christen ihre Religion ablegen, weil sie sich den Glauben von Juden angeeignet haben? Sollen nur noch Amerikaner Facebook benutzen dürfen? Sollen alle Deutschen, Engländer und Franzosen aufhören, ihre Sprachen zu schreiben, weil sie dabei lateinische Buchstaben benutzen? Sollen Menschen in Afrika aufhören, sich Techniken aus Europa anzueignen? Darf Lang Lang kein Beethoven, Liszt und Mozart mehr spielen? Sollen alle Asiaten aus der Musikhochschule in Köln rausgeworfen werden, weil sie sich die europäische Musikkultur aneignen?

Menschen waren und sind ständig im Austausch. So entstehen neue Kulturen. Menschen lernen voneinander und messen sich aneinander. Sie sind Gegner und Freunde, Nachbarn und Fremde, aber immer inspirieren sie sich dabei.

Die Evolution der Menschheit ist eine fortlaufende Aneignung

Wenn diese Evolution nicht mehr gewünscht ist, was genau soll ich machen, um mich nicht der kulturellen Aneignung schuldig zu machen? Sollen vielleicht die Nürnberger Rassegesetze wieder eingeführt werden, damit entschieden werden kann, zu welcher Rasse jemand gehört, um so zu bestimmen, wie er sich kleiden und welche Musik er spielen darf?

Wann darf ein Mensch Dreadlocks tragen? Muss er mindestens einen schwarzen Vater haben oder reicht es schon, wenn er eine schwarze Großmutter hat? Wann ist man schwarz genug, um das weiße Okay zu bekommen, authentisch unterdrückt zu sein?

Weiße Menschen, die darüber entscheiden, wer schwarz genug ist, nehmen für sich in Anspruch, darüber zu bestimmen, wer zu welcher Rasse gehört und welche Rechte und Pflichten daraus für ihn resultieren. Sie nennen es kulturelle Aneignung. Ihre Großeltern nannten es jedoch „Rassenschande“.

Hinter der Ablehnung von kultureller Aneignung verbirgt sich die Überzeugung, es könne und müsse „reinrassige“ Kulturen geben, unberührt von jeglicher Form der „artfremden“ Vermischung. Im Grunde genommen ist die moderne Ablehnung von kultureller Aneignung nichts weiter als die unterbewusste Aneignung des alten Rassismus der eigenen Vorfahren.

Aber was erlaube ich mir schon, über das Unterbewusstsein dieser Leute zu spekulieren? Die Psychoanalyse wurde schließlich von einem Juden erfunden, und als Nicht-Jude habe ich selbstverständlich nicht das Recht, mir dieses Wissen anzueignen.

Hören Sie morgen früh Gerd Buurman ab 6 Uhr auf Indubio: Er spricht mit dem Kernenergetiker und Achse-Autor Manfred Haferburg über die Zukunft der Kernenergie in Deutschland und holt später noch Prof. Dr. André Thess zu dem Gespräch hinzu, Initiator der „Stuttgarter Erklärung“, in der deutsche Professoren dazu aufrufen, den Ausstieg aus der Kernkraft rückgängig zu machen.

Foto: Antonio Ruiz Tamayo CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Gert Köppe / 30.07.2022

Durch diese Art von “Aneignung” könnte es sein, das die Menschen untereinander die Dinge des jeweils Anderen gut finden, sie dadurch ins Gespräch kommen und so ensteht wiederum eine Variante von nicht erwünschter Gemeinsamkeit, die den woken Gesellschaftsspaltern zuwider läuft. Die haben große Angst vor Einigkeit und die wissen auch ganz genau warum.

Bertram Scharpf / 30.07.2022

Was Sie nicht verstanden haben: Weiße sind bezüglich Rassismus immer Täter und niemals Opfer.

Marc Greiner / 30.07.2022

@H. Krautner/ “Naja, sind die Schweizer tatsächlich so ausländerfreundlich,...”—-Nein sind wir nicht und wir müssen die illegalen Migranten und Schengen-Nomaden Dank unserer Volksverräter-Politiker leider ertragen, auch wenn wir dagegen abstimmen. Was die Deutschen betrifft, wird in der CH mit ein paar wenigen Memmen eine Kampagne geritten, die uns noch mehr schlechtes Gewissen einreden soll. Und ja, viele Deutsche sind auch nicht fähig sich zurecht zu finden. Aber wir können nicht jeden an der Hand nehmen und über die Strasse führen. Und generell gilt, wenn jemandem hier nicht passt kann man immer noch zurückgehen oder woanders hin. Ich persönlich kenne keinen Deutschen der sich hier nicht wohlfühlt oder schon eingebürgert ist. Also, das Thema abhaken als woken Blödsinn.

Rudi Knoth / 30.07.2022

Achso dann dürfen wir Europäer auch nicht die indisch-arabischen Ziffern benutzen sondern müssen die lateinischen Ziffern benutzen. Aber dagene hat kein Araber oder Inder was gesagt. Übrigens stammt das Wort Algebra auch aus dem arabischen und in der Chemie steckt vermutlich Alchemie drin obwohl die heutige Chemie mit mehr Elementen auskommt als die alte Alchemie.

R. H. van Thiel / 30.07.2022

Natürlich haben Sie mit Ihren Gedanken völlig recht. Sie haben aber etwas übersehen, nämlich die Hierarchie. Das Absurde daran ist, daß gerade die angeblichen Antirassisten eben NICHT finden, daß alle Kulturen gleich viel wert sind. Sie betonen (unabsichtlich und obwohl sie heftig widersprechen) daß die europäische Kultur (und die von ihr beeinflußten) höher stehen. Und weil die „nicht so Kultivierten“ (meine Formulierung), die Ausgebeuteten, Unterdrückten, Kolonialisierten, Versklavten etc. immer benachteiligt waren, dürfen sie selbstverständlich (sozusagen als Ausgleich) nach Meinung der antirassistischen Rassisten Beethoven spielen und hören, dürfen Telefone benutzen, Kraftwerke bauen, während ein Europäer natürlich keine Buschtrommel benutzen darf. Das Motiv, selbiger könnte die Buschtrommel vielleicht schön finden, gilt natürlich nicht, weil er sich etwas „aneignet“, worüber er sich vielleicht (nach deren Vermutung) lustig macht.  Die Hierarchie erklärt, warum Europäer keinen Federschmuck, keine Baströckchen tragen dürfen, Afrikaner aber nicht verpflichtet sind, nur im Lendenschurz herumzulaufen, wenn sie als Ärzte in einer europäischen Klinik arbeiten. Der ganze Irrsinn funktioniert nur in einer Richtung. Die Unterdrückten düfen sich alles (!) aneignen, weil die ganzen Erfindungen und kulturellen Errungenschaften nur zu ihren Lasten gemacht wurden – Beethoven dachte wahrscheinlich von morgens bis abends nichts anderes, als wie er Afrika ausbeuten könnte – da ist es doch nur recht und billig, daß sie jetzt Kompensation bekommen und der Europäer im eigenen Saft schmort.

Peter Zinga / 30.07.2022

Verbieten wir allen Nichteuropearen unsere bekleidung zu ntragen! Sie sollen zu Banana-und Palmenrőcken zurück! Und: spielt mann nicht auf Jamaika saxofon? Verbieten! Und Barels -die kommen ja auch von Weissen…

Thomas Szabó / 30.07.2022

Ein Märchen über Rassismus: Adolf Hitler überlebte den 2 Weltkrieg und wanderte nach Schweden aus. Dort ergriff er die Macht und erzog die blonden, blauäugigen Schweden zu strenggläubigen Nationalsozialisten & Antisemiten. Nazis sind bekanntlich dumm & faul und bald wirtschafteten sie Schweden herunter. Plötzlich standen Millionen blonder, blauäugiger, nationalsozialistischer Schweden vor der deutschen Grenze und baten um Asyl. Die deutschen Ureinwohner hatten ihre Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und wollten sie nicht ins Land lassen. Da fingen die Schweden zu klagen an: “Nur weil wir blond und blauäugig sind!? Nur weil wir eine hellere Hautfarbe haben!? Nur weil wir einen anderen Glauben haben!? Ihr Rassisten!” Der Führer in Schweden tobte: “Alles Nazis die Deutschen!” Angela Merkel kamen die Tränen und sie öffnete die deutschen Grenzen und hieß alle Schweden willkommen. Die deutschen Juden wollten protestieren, aber CDU, Grüne, Linke, FDP und die Antisemitismusbeauftragten beschimpften sie als Nazis & Rassisten. Der Führer marschierte in Deutschland ein und die Geschichte wiederholte sich.

Thomas Szabó / 30.07.2022

„Rassismus und andere Diskriminierungen keinen Millimeter Platz“ Was für ein dummes Geschwätz! Rassismus kann Leben retten! Wenn die Japaner und die Chinesen nicht so furchtbar rassistisch gewesen wären, dann hätten sie die christlichen Missionare in ihre Länder gelassen und dadurch ihre Kulturen gefährdet. Als die christlichen Missionare im Japan des 17 Jahrhunderts anfingen buddhistische Tempel zu zerstören, wurden sie zu “heiligen Märtyrern” gemacht oder des Landes verwiesen. Den Indianern hätte etwas mehr Rassismus auch gut getan! Heute leben sie in Reservaten. Manchen schädlichen Kulturen gegenüber muss man rassistisch sein, um sich zu schützen. Soll ich Beispiele nennen?

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