Liebe konservative Leser, liebe liberale Autoren, bitte setzen Sie sich. Was ich Ihnen sagen möchte, könnte vielleicht etwas weh tun. Wenn Sie denken, dass etwa Friedrich Merz die Seinigen nehmen und eine neue Partei gründen soll, spricht das vielleicht für Ihre Vorliebe für disruptive Innovation, aber nicht für Ihr Verständnis von Politik. Wenn Sie denken, dass es eine Nachfrage für eine liberal-konservative Partei gibt, die genug Wählerpotenzial auf sich vereint, um neue Stimmen in den politischen Diskurs zu bringen, dann möchte ich Ihnen fast nachsichtig den Kopf tätscheln.
Aber ich schreibe das hier nicht, um maximal unsympathisch zu wirken. Dieser Text soll nicht beleidigen, und er soll auch nur kurz weh tun. Verstehen Sie ihn eher als eine Einladung, das Warten auf Godot zu beenden und zu lernen, die Bombe zu lieben. Ich mache es kurz: Sie gehören schon lange nicht mehr dazu. Sie sind raus. Es ist egal, was und wie Sie es sagen. Freiheit, Eigenverantwortung, methodologischer Individualismus, Kants Lehre von der Autonomie, der kritische Rationalismus oder einfach nur der Meinung sein, dass man Dinge vielleicht auch anders sehen kann, macht Sie im politischen Diskurs zum Paria.
Eine Gesellschaft, die die Aussage „rechts ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ verinnerlicht hat, kann ihnen keine Freiheit bieten, unabhängig davon, ob Sie sich rechts, links, oben oder unten verorten. Rechts ist schlicht eine Frage der Perspektive. Wenn man sich einmal um seine eigene Achse dreht, ist alles im Raum mal rechts. Wohlgemerkt, die Freiheit stirbt immer zentimeterweise. Nur weil die Lunte der angesteckten Zündschnur noch nicht bei Ihnen angekommen ist, heißt das nicht, dass es nicht auch bald bei Ihnen zischt und pfeift.
Wenn Sie auf eine liberal-konservative Partei hoffen, kann ich Ihnen nur sagen, etwas Besseres als die AfD werden Sie nicht bekommen. Ich meine das nicht, weil die AfD so toll ist und uns alle retten wird. Ich meine das, weil im vorherrschenden Meinungsklima jede Position, die vor 15 Jahren noch unverfänglich klassisch liberal war, heute mit einem kräftigen Upper-Cut von Medien und Politik in der ganz rechten Ecke landet. In dieser Ecke werden Sie sich immer in der Gesellschaft jener wähnen, die mit Adiletten das Haus verlassen, oder die sich die Welt gerne von Verschwörungstheorien erklären lassen. Aber ich verrate Ihnen mal was. Überall im Ring werden Sie auf solche Leute treffen, die Kamera hält aber nur auf Ihre Ecke.
Nur wer gefährlich wird, kriegt eine rein
In der Politik geht es nicht um Inhalte. Es ist kein Wettkampf der Argumente. In der Politik geht es um Macht, um die Deutungshoheit, um Emotionen. Der politische Gegner muss, unter Jubel des Publikums, in die Ecke gedrängt werden. Das meine ich gar nicht negativ, auch nicht positiv, es ist einfach so. Wenn Sie den Leberhaken bei abweichender Meinung noch nicht verspürt haben, dann, sorry, sind Sie einfach nicht wichtig genug. Nur wer gefährlich wird, kriegt eine rein. Aber glauben Sie bitte nicht, es bräuchte nur einen, der diese liberalen Positionen von damals, von denen Sie sich nicht verabschieden wollen, gesittet und vernünftig vertritt und die Wählerherzen flögen ihm zu. Schräg von unten fotografiert, sieht jeder despotisch aus.
Nun befinden Sie sich also in Ihrer Ecke des Boxrings mit einem blauen Auge und dröhnendem Schädel und hängen in den Seilen. Ihr vermeintlicher Trainer Friedrich Merz wird das Handtuch nicht werfen. Das Publikum teilt vielleicht sogar Ihre Meinung, ist aber dennoch froh, dass der Leberhaken gerade so gut gesessen hat, denn so einer wie Sie – wahlweise Coronaleugner, Klimaleugner, Nazi – wollen die Zuschauer auf jeden Fall nicht sein. Sie können aufgeben, sich entschuldigen, sich dem Zeitgeist beugen und hoffen, doch wieder dazuzugehören. So wie der, mit dem Sie sich beim Hundespaziergang immer über die Absurditäten staatlicher Verbotspolitik unterhalten und der dennoch die Grünen wählt, weil er doch einer von den Guten ist. Oder sie akzeptieren, einer „von denen“ zu sein. Ein Schmuddelkind. Einer, der nicht dazugehört. Man kann sich auch in die Seile drücken, um wieder federnd auf die Füße zu kommen. Denn in Deutschland kann man wirklich alles sagen, wenn man mit den Konsequenzen klarkommt. Freiheit ist auch das exponierte Alleinsein mit seiner eigenen Meinung. Günstiger ist sie leider nicht zu haben.