Hessen beendet Kooperation mit DITIB

Der 27. April 2020 dürfte schon bald als guter Tag nicht nur in die Geschichte Hessens, sondern ebenso in die Deutschlands eingehen. Mit sichtlicher Gelassenheit gab der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) gegenüber der Öffentlichkeit bekannt, seine Regierung werde bei der Ausgestaltung des bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterrichts künftig auf die bisherige Kooperation mit DITIB verzichten. Bis zum Ende des laufenden Schuljahres werde man jegliche Zusammenarbeit einstellen.  

Der Entscheidung, hessische Schüler in Zukunft nicht mehr dem Einfluss von DITIB auszusetzen, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich die großen islamischen Interessenverbände in Deutschland trotz ihrer beflissenen Bekenntnisse zu Säkularismus und Demokratie nicht dazu eignen, junge Muslime in das hiesige Gemeinwesen zu integrieren. Obwohl bereits seit Jahren klar ist, dass es nicht funktioniert, islamische Organisationen politisch einzuhegen und sie mithilfe einer privilegierten Partizipation, die zuletzt immer häufiger auch die Sphäre des Politischen tangiert hat, für die vom Grundgesetz aufgerichtete Werteordnung zu öffnen, hatte es lange den Anschein, als würden Bund und Länder auch weiterhin an diesem Konzept festhalten.

Nachdem Hamburg und Bremen als erste Bundesländer zwischen 2012 und 2013 Staatsverträge mit den auf ihrem Gebiet operierenden Verbänden geschlossen hatten, bestand sogar Grund zu der Annahme, dieses Modell könnte sich in Zukunft auch landesweit durchsetzen. Immer wieder wollten die Wortführer der seit 2006 in der Deutschen Islam-Konferenz (DIK) vertretenden islamischen Organisationen diese Gelegenheit nutzen, um sich in der Öffentlichkeit als Garanten demokratischer Kultur zu gerieren. Diese Strategie ist zwar nicht besonders originell, wird aber immer wieder durch die Aussagen unbedarfter Politiker befördert, die nicht verstanden haben, dass sich der Islam nicht mit dem in Europa tradierten Paradigma von Religion fassen lässt. 

Wenn eine Kehrtwende nicht zum Weltbild passt

Zu solchen Akteuren zählt auch Olaf Scholz, der am 13. November 2012 im Hamburger Rathaus vor die Presse trat, um die soeben besiegelte Kooperation seiner Stadt bekanntzugeben. In Anwesenheit seiner islamischen Partner erklärte Scholz, der Staatsvertrag sei nicht weniger als das Fundament einer Kooperation von Staat und Islamverbänden sowie eine „Vereinbarung zur gemeinsamen Problemlösung“. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eben jene „Lösung“ zur singulären Ursache für die Unfähigkeit des Senats werden sollte, mit Sanktionen auf die Verfehlungen seiner islamischen Partner zu reagieren, mit denen diese ihre Verachtung für Demokratie, Säkularismus und andere Religionen zum Ausdruck brachten.

Obwohl es bis heute eine Vielzahl solcher Fälle gibt, weigert sich die Bürgerschaft noch immer, dem Irrweg des Senats ein Ende zu setzen und den Staatsvertrag ad acta zu legen. Wenn sich Politiker der staatstragenden Parteien trotz offenkundiger Belege für das Scheitern ihrer Konzepte zur Integration von Muslimen weigern, Konsequenzen zu ziehen, dann tun sie dies, weil eine Kehrtwende nicht zu ihrem Weltbild passt, wonach der Islam eine Religion ist, die sui generis dem säkularisierten Christen- und Judentum ähnelt. Die Möglichkeit, mit politischem Einfluss ausgestattete islamische Organisationen könnten eine desintegrative Kraft in der Gesellschaft entfalten, ziehen sie folglich nicht einmal in Erwägung. Stattdessen wird Kritik am Dogma der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie, das angesichts der Zustände in den muslimischen Ländern dieser Welt nahezu täglich falsifiziert wird, als Rassismus beziehungsweise als Symptom einer Angststörung pathologisiert.

Wie stark der dadurch erzeugte Zwang zur Wahrung politisch korrekter Gepflogenheiten ausgeprägt ist – und dass sich ihm selbst die Inhaber höchster Staatsämter nicht entziehen können – illustriert das Beispiel Christan Wulffs, der sich am 3. Oktober 2010 in seiner Ansprache zum Tag der deutschen Einheit folgendermaßen zum Islam äußerte: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland!“ Keine Aussage, die sich in der bis heute andauernden Islamdebatte einem deutschen Spitzenpolitiker zuschreiben lässt, dürfte so stark polarisiert haben wie diese; und wohl kaum eine Feststellung könnte weiter an der Wirklichkeit vorbeiziehen.

Hätte sich Christian Wulff während seiner Zeit als aktiver Politiker vertieft mit dem Islam, dessen Quellen, dem dort niedergelegten Weltbild sowie der daraus abgeleiteten Daseinsordnung beschäftigt, dann hätte er diesen Satz vermutlich so niemals gesagt: und zwar weder in einem historischen noch in einem faktischen Sinne. Stattdessen hätte er verstanden, dass seine Feststellung ohne eine vorherige Klärung der Frage keinen Sinn machte, welches Verhältnis sich aus den islamischen Quellen zu freiheitlichen Demokratien wie Deutschland, seiner säkularen Verfasstheit, seiner christlichen Tradition und seinen kulturellen Gepflogenheiten ableiten lässt. 

Tatenloses Zuwarten ist nicht mehr praktikabel 

Bis heute hat es kaum ein Politiker der staatstragenden Parteien gewagt, derlei Fragen zu stellen. Zu groß scheint die Angst, durch nichtkonforme Aussagen aufzufallen und die eigene Karriere zu gefährden. Folglich wird seriöse Islamkritik mittlerweile nur noch von Menschen besorgt, die sich von den Zwängen der politischen Korrektheit emanzipiert haben. Zu diesem Personenkreis gehört etwa der Göttinger Islamwissenschaftler Prof. Tilman Nagel, der den Islam seit mehr als einem halben Jahrhundert erforscht und im Rahmen dieser Beschäftigung zahlreiche Werke vorgelegt hat, die eigentlich zur Pflichtlektüre deutscher Politiker gehören müssten. Als verdienstvoller Experte und Mitglied der ersten Islam-Konferenz hat Tilman Nagel die Aussage Wulffs 2014 wie folgt kommentiert:

„Eine politisch-religiöse Heilsbotschaft, deren Vorschriften wesentliche Teile unserer deutschen Kultur als Unglauben verurteilen, nämlich die Musik, die Malerei, die Bildhauerei, desgleichen die Früchte unserer Wissenschaft, sofern sie nicht durch den Koran, eine Schrift aus dem frühen 7. Jahrhundert, gerechtfertigt werden, soll nun Teil unserer Geschichte sein! Eine Religion, die unsere Volkskultur als pures Teufelszeug verunglimpft, etwa den Karneval und das Oktoberfest! Wieso gehört diese Religion, deren eifrige Anhänger unseren Tagesablauf ihren Ritualpflichten unterwerfen und ihren Töchtern den Umgang mit unseren Söhnen verbieten wollen, inzwischen zu Deutschland?“ 

Dass eine ergebnisoffene Diskussion solch trivialer Aussagen gegenwärtig nicht erwünscht ist, sondern einer strikten Tabuisierung unterliegt, lässt erkennen, welch große Bedeutung der Entscheidung der hessischen Landesregierung, die seit 2013 bestehende Zusammenarbeit mit DITIB zu beenden, tatsächlich zukommt. Zum ersten Mal zeichnet sich ab, dass die staatstragenden Parteien verstanden haben, dass das dogmatische Festhalten an ihren bisherigen Konzepten mittelfristig in ein Desaster münden muss. Gemeint sind die Folgen jenes tatenlosen Zuwartens, das dazu geführt hat, dass sich in Deutschland eine Bevölkerungsgruppe etablieren konnte, die ihre Religion als Faktor politischer Macht instrumentiert und darauf hinwirkt, das Milieu muslimischer Migranten in ein Reservoir für antisäkulare Kräfte zu transformieren. Wer dieses dystopische Szenario für eine fantastische Fiktion hält, blendet aus, dass sich längst erwiesen hat, dass Teile der muslimischen Bevölkerung die Werte von Demokratie, Säkularismus und Aufklärung offenbar nicht uneingeschränkt teilen. Dazu zählt etwa, dass 2017 insgesamt 59 Prozent der in Hamburg lebenden Türken, die an der Abstimmung über die Präsidialreform der AKP teilgenommen hatten, für die von Staatspräsident Erdogan verfolgte Verfassungsänderung stimmten.

Als weitaus alarmierender erweist sich jedoch, was die 2016 von der Universität Münster herausgegebene Studie „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ zutage förderte. Dort heißt es:

„Der Anteil derjenigen, die Haltungen bekunden, die schwerlich als kompatibel mit den Grundprinzipien moderner ‚westlicher‘ Gesellschaften wie der deutschen bezeichnet werden können, ist unter den Türkeistämmigen teilweise beträchtlich. Der Aussage ‚Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe‘ stimmten 47 Prozent der Befragten zu. Dass Muslime die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds anstreben sollten, meinen 32 Prozent der Befragten. 50 Prozent der Türkeistämmigen stimmen der Aussage ‚Es gibt nur eine wahre Religion‘ stark beziehungsweise eher zu, und 36 Prozent sind davon überzeugt, dass nur der Islam in der Lage ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Der Anteil derjenigen mit einem umfassenden und verfestigten islamisch-fundamentalistischen Weltbild (Zustimmung zu allen vier Aussagen) liegt bei 13 Prozent der Befragten.“

DITIB – ein trojanisches Pferd in Deutschland

Dieser Befund wirft die Frage auf, wie es möglich ist, dass ausgerechnet Migranten, die bereits in der vierten Generation in Deutschland leben, solch reaktionäre Meinungen vertreten. Obwohl es unseriös wäre, dieses Phänomen auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, steht doch außer Frage, dass ein gewichtiger Teil der Verantwortung im Einfluss von DITIB begründet liegt, der auch zur politischen Kehrtwende in Hessen geführt hat. Im Rahmen der öffentlichen Berichterstattung war immer wieder zu hören, dass vor allem das „unklare Verhältnis von DITIB zur Türkei“ ausschlaggebend gewesen sei. Nicht zufällig erklärte Alexander Lorz auf seiner Pressekonferenz vom 27. April 2020, die Zweifel an der grundsätzlichen Unabhängigkeit von DITIB von der türkischen Regierung hätten nicht ausgeräumt werden können. Ferner hätten neue Gutachten ergeben, dass DITIB an Strukturen gebunden sei, die dem staatlichen Gedanken von Unabhängigkeit entgegenstünden, weshalb gegenwärtig nicht zu erwarten sei, dass sich diese Defizite in absehbarer Zeit beseitigen ließen. 

Für DITIB Hessen, die diese Entscheidung als „falsches und fatales Zeichen“ wertet, ist damit ein ganz erheblicher Verlust des eigenen Einflusses verbunden, verliert der Islamverband doch den Zugriff auf insgesamt 56 Grund- sowie 12 weiterführende Schulen. Dass die bisherige Zusammenarbeit aufgekündigt wird, die zuletzt bereits 5 Prozent aller Grundschulen und insgesamt 3.334 Kinder betraf, zeigt, dass man sie offenkundig für zu gefährlich hält, um ihr auch in Zukunft Erstklässler auszusetzen. Dass man diesen Befund bewusst moderat formuliert, dürfte hingegen an der Einhaltung der politischen Etikette liegen. Gleichwohl vermag dies die Tatsache nicht zu ändern, dass der DITIB-Bundesverband ebenso wie seine subalternen Länderfilialen keineswegs ein „unklares Verhältnis zur Türkei“ hat, sondern in Wahrheit als verlängerter Arm der türkischen Behörde für religiöse Angelegenheiten DIYANET fungiert. Um dies zu belegen, hatte ich mir die nicht frei zugängliche DITIB-Vereinssatzung vom 8. November 2009 beim Amtsgericht Köln zur Auswertung besorgt.

Ihr Statut belegt, was die staatstragenden Parteien bis heute gern verdrängen: Deutschlands größter islamischer Interessenverband wird nachgerade aus der Türkei gesteuert. So legt Paragraph 11 seiner Satzung fest, dass DITIB einen Beirat unterhält, dem insgesamt fünf „Religionsbeauftragte“ angehören. Gemäß Paragraph 12 können diese aber keinen Vorsitzenden bestimmen, da dieses Amt einzig dem Präsidenten von DIYANET vorbehalten ist. Umso erwähnenswerter sind deshalb die Aufgaben des Gremiums, dessen wichtigste darin besteht, DITIB in all ihren Angelegenheiten zu beraten, wozu auch das Auftreten gegenüber dem deutschen Staat und der Öffentlichkeit zählt. Der Befund einer Fremdbestimmung ist legitim, weil er impliziert, dass in letzter Instanz nicht in Deutschland lebende Muslime, sondern türkische Beamte über die Politik von DITIB entscheiden.

Kontrolle über die türkischstämmige Diaspora

Die in Paragraph 12 verankerte Machtfülle von DIYANET über die Entscheidungen der Führungsriege von DITIB wird zudem durch eine Reihe zusätzlicher Bestimmungen ausgeweitet. Diese Regelungen umfassen etwa das Recht, sämtliche Unterlagen des Verbands einzusehen, wozu neben den Akten aus der Buchführung auch Papiere aus der Verwaltung gehören. Hinzu kommt die Kompetenz, darüber zu befinden, welche Personen als Mitglieder aufgenommen beziehungsweise ausgeschlossen werden. Folglich muss man davon ausgehen, dass jeder Neuzugang letztlich auch dem Büro des DIYANET-Präsidenten zur Kenntnis gelangt. Dass damit ein türkischer Beamter faktisch über die Mitgliedschaft von Personen in einem deutschen Verein entscheidet, ist alarmierend und zeigt, wie wichtig Ankara die Kontrolle über die türkeistämmige Diaspora in Europa ist. 

Aber auch an anderer Stelle hat sich die türkische Regierung wirkungsvolle Einflussmöglichkeiten auf DITIB gesichert. So schreibt Paragraph 13 dem Bundesverband die Existenz eines „Religionsrats“ vor. Insgesamt sieben DITIB-Mitglieder können diesem Gremium für maximal zwei Jahre angehören, müssen dafür aber eine zweijährige theologische Hochschulausbildung nachweisen. Da eine solche nicht in Deutschland erworben werden kann, haben die Angehörigen des Religionsrats gewöhnlich in der Türkei oder im arabischen Ausland studiert. Die Aufgaben des Religionsrats bestehen darin, die DITIB-Landesverbände im Sinne von DIYANET auf Linie zu bringen. Hierzu hat er das Recht, über die Zusammensetzung und die Größe der Religionsbeiräte in den Landesverbänden zu bestimmen sowie den von DITIB entsandten Religionslehrern normative Vorgaben zu machen.

Um zugleich stets die Kontrolle über die Arbeit des DITIB-Bundesvorstands zu behalten, kann der Religionsrat ein Vetorecht gegen sämtliche Beschlüsse nutzen, die er mit den „Prinzipien des Islam“ für unvereinbar hält. Die Tatsache, dass die Bedeutung dieses Begriffs nicht exakt definiert ist, verschafft dem Religionsrat einen nahezu unbegrenzten Spielraum. Ebenso kann er bei Bedarf eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, um kontroverse Beschlüsse erörtern zu lassen. Diese Praxis dient nur scheinbar dem Zweck, einen Ausgleich mit der Basis herbeizuführen. Stattdessen ist genau das Gegenteil der Fall: Um seine Positionen hier notfalls auch gegen den Widerstand der Landesreligionsbeiräte durchzusetzen, braucht der Religionsrat eine Entscheidungsfindung nämlich nur lange genug zu blockieren. Sofern es innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht gelingt, zu einer Lösung zu kommen, werden automatisch die Beschlüsse des Religionsrates des Präsidiums von DIYANET wirksam, die inhaltlich den Positionen des Beirats entsprechen, dessen Vorsitzender der DIYANET-Präsident ist. 

Absolutistische Kontrolle deutscher Gemeinden

Dieser Mechanismus verleiht DIYANET die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen, dass die politischen Vorgaben der türkischen Regierung in Deutschland umgesetzt werden – notfalls auch über die Köpfe deutscher DITIB-Funktionäre hinweg. Bei dieser speziellen Form der externen Einflussnahme durch eine ausländische Regierung handelt es sich faktisch um eine Diktatur, deren Last manche Funktionäre in den DITIB-Landesverbänden nicht länger zu tragen bereit sind. Der immer deutlicher zutage tretende Missbrauch von Deutschlands größtem islamischen Interessen-Verband als politisches Instrument durch die türkische Staatsführung hat dazu geführt, dass 2018 der DITIB-Vorstand für Niedersachsen und Bremen zurückgetreten ist. Obwohl diese Zusammenhänge in den Medien behandelt worden sind, haben die staatstragenden Parteien ihre Kooperation mit DITIB lediglich vorübergehend eingestellt und in Nordrhein-Westfalen bereits wieder aufgenommen, in Hamburg wiederum besteht die Zusammenarbeit bis heute fort, ohne dass sie jemals beschränkt oder gar ausgesetzt worden wäre.

Will man nachvollziehen, wie gefährlich es in Zeiten eines weltweit ausufernden islamischen Terrorismus ist, einer Organisation wie DITIB mit staatlicher Hilfe politischen Einfluss in der Gesellschaft eines freiheitlichen Verfassungsstaates wie Deutschland zu gewähren, sollte man erneut nach Hamburg schauen, wo DITIB-Nord, die 2013 aus der Fusion der ehemaligen Landesverbände Schleswig-Holstein und Hamburg hervorgegangen ist und sich seither „Islamische Religionsgemeinschaft DITIB Hamburg und Schleswig-Holstein e.V.“ nennt, seit 2012 durch einen Staatsvertrag begünstigt wird. Trotz aller formellen Verpflichtungen, die sich aus ihrer Rolle als Vertragspartner des Senats ergeben, ist DITIB-Nord faktisch vom Bundesverband abhängig und somit nur bedingt eigenständig. Gemäß ihrer mir vorliegenden Satzung widmet sich DITIB-Nord der „Glaubensverwirklichung“ des Islam und beschäftigt sich mit dessen Erhalt, Vermittlung und Ausübung. Ihrem Vorstand gehören insgesamt 11 Mitglieder an, von denen stets zwei Frauen sein müssen. Die Angehörigen des Vorstands verfügen automatisch auch über einen Sitz im Aufsichtsrat, der einmal jährlich in der Rolle eines Supervisors die Buchführung kontrolliert, regelmäßig Protokolle von Mitgliederversammlungen verfasst sowie dem Vorstand – und damit faktisch sich selbst – beratend zur Seite steht, wenn es um die „Vertretung der Muslime“ geht.

In Analogie zum Bundesverband hat auch DITIB-Nord eine Art Religionsrat, der hier allerdings „Religiöser Beirat“ genannt wird. Dieses Gremium ist laut der Satzung vornehmlich damit beschäftigt, den Religionslehrern bei ihrer Arbeit auf die Finger zu schauen. Um als solcher wirken zu dürfen, muss ein Kandidat ein vierjähriges Studium an einer islamischen Hochschule in der Türkei hinter sich gebracht haben. Entscheidend ist, dass die Mitglieder des Beirates nicht gewählt, sondern vom Religionsrat des Dachverbandes bestimmt werden. Im Rahmen dieser Hierarchie entsteht zwischen Hamburg und Ankara eine direkte, über Köln verlaufende Verbindung, durch die eine theologische Abhängigkeit von DIYANET erzeugt wird. Wer glaubt, DITIB-Nord würde den Senat vorsätzlich über ihr Verhältnis zur türkischen Regierung hinwegtäuschen, stellt bei der Lektüre ihrer Satzung fest, einem Irrtum zu unterliegen. Tatsächlich ist dort nämlich festgeschrieben, dass ausschließlich die Mitglieder des Religiösen Beirats gegenüber der Presse zu Stellungnahmen zum Islam befugt sind. 

Damit nicht genug, ist der Religiöse Beirat legitimiert, „gegen alle Entscheidungen der Vorstände der Gemeinschaft sowie der Vorstände der Landesfachgruppen in schriftlicher Form Einspruch zu erheben, sofern er die Ansicht vertritt, diese Vorstandsbeschlüsse würden gegen die Lehre des Islam verstoßen.“ Wie bereits das Beispiel des Religionsrats im DITIB-Bundesverband zeigt, der seine absolutistischen Befugnisse gegenüber dem Vorstand mit vermeintlichen Konflikten zwischen dessen Beschlüssen und den „Prinzipien des Islam“ begründen kann, kommt dieses Modell auch in Hamburg zur Anwendung. Die „Lehren des Islam“ beziehungsweise die ihm zugrunde liegenden Maximen müssen demnach unbedingt geachtet werden. 

Ein Akt der Selbstverteidigung

Aufgrund der zentralistischen Struktur des gesamten DITIB-Apparats, einschließlich seiner subalternen Zweigstellen, ist es zulässig, im Falle seiner hessischen Filiale vom gleichen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Bundesverband auszugehen, das sich – wie gezeigt – aus der Satzung von DITIB-Nord herauslesen lässt. Insofern ist die Aufkündigung der Kooperation beim islamischen Religionsunterricht nicht nur als Akt der Selbstverteidigung des säkularen Verfassungsstaates gegenüber islamischen Extremisten aus dem Ausland, sondern ebenso als Zeichen dafür zu sehen, dass es sich bei der bisherigen Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden um ein Vabanquespiel handelt. Wenn es gelingt, diese Erkenntnis auch in anderen Bundesländern politisch umzusetzen, wird es möglich, aus islamischen Ländern ferngesteuerte religiöse Organisationen wie DITIB oder das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) politisch zu entmachten und sie auf jenen Platz in der Gesellschaft zu verweisen, auf den eingetragene Vereine seit jeher gehören – auf den Platz von Organisationen, die faktisch nur sich selbst vertreten und deswegen nicht für sich in Anspruch nehmen können, für eine Bevölkerungsgruppe oder gar Religionsgemeinschaft zu sprechen. 

Dass die Notwendigkeit, eine solche Kehrwende unverzüglich einzuleiten, heute größer ist denn je, geht ebenfalls aus der 2016 von der Universität Münster herausgegebenen Studie hervor. In ihrem Fazit bilanzieren die Autoren, dass junge Türken im Gegensatz zur Generation ihrer Eltern heutzutage weitaus weniger Wert auf eine Anpassung an die deutsche Kultur legten und sich zudem als Opfer einer Hetzkampagne gegen den Islam empfänden, weil nach Terroranschlägen vor allem Muslime als Täter erwartet würden.

Dass das von DITIB im gesamten Bundesgebiet tradierte Islamverständnis die Verfestigung solch paradoxer Empfindungen über Jahrzehnte hinweg ungestört befördern konnte, sollte der politischen Klasse dieses Landes endlich zu denken geben. Glücklicherweise scheint in Hessen nun genau das passiert zu sein, wo man nunmehr sicherstellen will, dass Kinder in Zukunft nicht mehr einer religiösen Ideologie ausgesetzt sind, die von türkischen Beamten mit extremistischem Religionsverständnis ersonnen wird. Dass das Fundament für das gescheiterte Projekt des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in der Sekundarstufe I zudem ausgerechnet in einem Weiterbildungsangebot der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität bestand, dürfte hingegen als Ironie der Geschichte gelten. So war es doch ihr Namensgeber, der einst folgenden Aphorismus prägte: „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion; wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion.“ Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.

Christian Osthold berät als Experte für den Islam und Russland seit Jahren politische Parteien und staatliche Einrichtungen. Er schreibt Gastbeiträge, unter anderem für Focus-Online.

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Andreas Spata / 12.05.2020

Danke Herr Osthold für die fulminante Zusammenfassung. Man gibt schon fast die Hoffnung auf das, überlagert von der Corona Grippewelle, andere gesellschaftliche Themen aus den Augen verloren werden. Falls es noch immer Menschen gibt die der Meinung sind der Islam ist eine Religion wie jede andere dem wurden hier wieder einmal grundlegende Dinge vermittelt. Professor Tilman Nagel hat den von ihm geprägten Begriff “politisch religöse Heilslehre”, an Stelle von Islam,  2018 mit einem weiteren Vortrag vertieft.  “Nüchterne Blicke auf den Islam” findet man leicht auch als *.pdf im Netz. Oder in seinem letzten Buch: Was ist der Islam? Danke dafür! Im übrigen gilt für obigen Artikel was der Rektor der ägyptischen Al Azahr 2016 den Bundestagsabgeordneten im Deutschen Bundestag verkündete: “Die Gesetze und Lebensregeln eines nichtislamischen Staates können durch Muslime allenfalls vorübergehend befolgt, nicht aber anerkannt werden“

sybille eden / 12.05.2020

Wie lange wird Alexander Lorz wohl dem Druck der politischen Kaste in Berlin und seiner Parteivorsitzenden standhalten, wenn sie verlangen, diese Entscheidung wieder zurück zu- nehmen ? Etwas länger als Herr Kemmerich ?

sybille eden / 12.05.2020

Wie lange wird Alexander Lorz wohl dem Druck der politischen Kaste in Berlin und seiner Parteivorsitzenden standhalten, wenn sie verlangen, diese Entscheidung wieder zurück zu- nehmen ? Etwas länger als Herr Kemmerich ?

alma Ruth / 12.05.2020

Endlich! Es war schon höchste Zeit! Ich hoffe, die anderen Länder werden sich auch in Bewegung setzten. Der Islam ist, zumindest wie er heute praktiziert wird, eine gefährliche Religion, weil vor allem eine politische Ideologie. Ob sie sich je verändern wird, hoffen wir daß die Moslime selber einen Weg finden. Von außen ist das unmöglich. - Was die beiden anderen monotheistischen Religionen betrifft, nur so viel: das Judentum hatte auch vor der Säkularisation wesentlich mehr mit den heutigen westl. Werten zu tun als die beiden anderen. Das merkt man aber nur, wenn man die jüdischen Schriften - Tora, Talmud - unvoreingenommen liest, also nicht durch eine christliche, vielleicht besser: kirchlicher Brille.  - Die Ähnlichkeiten mit dem Islam sind zum größten Teil äußerlich. Inhaltlich sind beide Religionen grundverschieden. Im J. sind Religion u. Politik auch nicht zu trennen. Nur sind im J. beide dafür da, die Welt zu verbessern, was heißt: von Unterdrückung, Ausbeutung zu befreien (s. Mose 2 Exodus). Zuerst die Juden, dann alle anderen auch, egal, was sie glauben, wenn sie sich nur an einige wenige Gebote halten (Noachidische Gebote). Im Islam geht es um die Unterwerfung unter Allahs Willen - der nicht unbedingt der beste ist, füge ich hinzu. —Obwohl ich vom Ch. nicht gerade begeistert bin, zumindest nicht in der Form, wie es von den Kirchen vertreten wurde und vielfach immer noch wird, ziehe ich es dem Islam grundsätzlich vor. lg alma Ruth

Armin Hoffmann / 12.05.2020

Nicht nur Hessen, auch die anderen kläglichen Restteile der einst so strahlenden Weimarer Republik, sollten auch die Kooperation mit den zahlreichen „Kirchen“ verschiedenster Couleur, einstellen. Während manch Lehrer sich um Bildung seiner Schüler bemüht, konterkarieren diese christlichen Verbindungen den steinigen Weg der Aufklärung und biegen sich ihre frommen Geschichtchen so zurecht, wie es ihnen in den Kram paßt. Unsere Zeit wird durch Wissenschaft, kernkraftgetriebene Schiffe, Marslandungen und Gentechnik bestimmt – Klagelieder, Beichte, Befummeln von Ministranten und erlogene Übersetzungen alter Schriften gehören ausgemerzt.

Sirius Bellt / 12.05.2020

Ein ganz vorzüglicher Artikel. Es gibt sie also doch noch: Politiker (in Hessen) die sich nicht länger hinter die Fichte führen lassen. Gratulation.

Friedrich - Wilhelm / 12.05.2020

..es war das bverfg, das mit seiner rechtssetzung des menschenwürde- und religionsfreiheitsartikels des grundgestzes das tor für den islam in deutschland geöffnet hat!

Sabine Heinrich / 12.05.2020

ENDLICH!!! Hoffentlich bekommt Herr Lorz nicht so viel Druck von unserer Gottgleichen in Berlin, dass er schon morgen einknickt. Möglicherweise hat er auch “Hausbesuche” zu befürchten. Ich wünsche ihm ein stabiles Rückgrat - und er sollte wissen, dass - davon bin ich überzeugt - die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm steht. Die kleine Minderheit ist einfach nur laut! Und wer wagt es denn noch, außer hinter vorgehaltener Hand (“Das darf man ja eigentlich nicht sagen…”) gegen die Islamisierung und Hätschelung der Muslime Stellung zu beziehen? Nun - ich bin gespannt, wie es in seinem Fall weitergeht!

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