Ahmet Refii Dener, Gastautor / 22.07.2020 / 11:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Hagia Sophia, Jesus und Maria: Erdogans Sockenschuss

Mit der Entscheidung, die Hagia Sophia als Moschee zum Gebet zu öffnen, scheinen sich Erdogan und seine Tanztruppe in die Knie geschossen zu haben. In der Türkei gibt es viele Immobilien und Grundstücke, die vormals den aus der Türkei Vertriebenen gehörten. Wohlwissend, dass der Betreffende sich nicht mehr in der Türkei aufhielt, erschien in der Zeitung eine Mini-Anzeige, dass sich Pedros Papadoupulos (Name erfunden) bis zum Datum X beim Bürgeramt beziehungsweise beim Gericht zu melden hätte.

Er meldete sich nicht. Also bestimmte man einen Zwangsverwalter über sein Eigentum, und wartete die gesetzliche Frist ab. Nach Ablauf dieser Frist fielen die Eigentümer von „good old Pedros“ an den Staat.

Eine andere Variante war, dass diese Besitztümer an eine staatliche Stiftung übertragen und verwaltet wurden. Verwalten ist eher eine verniedlichende Beschreibung der Situation. Sie wurden unter denen verpachtet, die der jeweiligen Regierung nahestanden. Diese Taktik fing schon vor der AKP an. Unter Verpachtung und Verwaltung versteht man sicher etwas anderes, als das, was tatsächlich passierte.

Bosporusblick für nur 1.000 Euro im Jahr

Ein entfernter Verwandter von mir hat zum Beispiel direkt am Bosporus ein vierstöckiges Gebäude gemietet. Es war eigentlich ein Eigentum von Pedros‘ Onkel, der nach Griechenland geflüchtet war. Dies passierte zu Zeiten des verstorbenen Ministerpräsidenten Turgut Özal. Das Gebäude ist ein Prachtbau mit 3,40 Meter hohen Decken und wertvollen Verzierungen. Der Ausblick allein müsste eine Million wert sein. Die anatolische Seite von Istanbul ist zum Greifen nah. Kommen wir zu der Miete, die er an die besagte Verwaltungsstiftung bezahlt. Vier Etagen, jede Etage 120 qm groß, zu einer Jahrespacht von 8.000 Türkischen Lira. Das sind nach heutigem Umtauschkurs knapp über 1.000 Euro. Das ist die Jahrespacht.

In der einen Wohnung wohnt eine Verwandte von mir. Die anderen drei Wohnungen kosten – als Miete – zwischen 4.500 und 7.000 Euro im Monat! Obacht! Er zahlt selbst nur 1.000 Euro Jahrespacht. Die anderen Beträge sind pro Monat. Wie ich erfahren habe, hat er die Kündigung bekommen. Und das nach bald 30 Jahren. Warum? Weil die AKP’ler jetzt dran sind. Vielerorts sind sie schon längst eingezogen. Sie sind schließlich schon seit 18 Jahren an der Macht.

Nicht der Staat wird ausgenommen, sondern die Vertriebenen beziehungsweise deren Nachkommen. Den meisten sind die Besitztümer für 100 Jahre weggenommen worden. Jetzt darf man gespannt sein, was passiert, wenn die 100 Jahre im Jahr 2023 um sind. Klar müssen die Nachkommen aktiv werden, denn sonst können sie lange warten, bis ihnen Gerechtigkeit widerfährt.

Hier geschieht Unrecht

Zu Zeiten der Osmanen lebten die Kirchen in der Türkei von den Spenden. Da es das Bankensystem nicht gab, wurden diese Gelder gestapelt, und, um es einfacher zu haben, in Grund und Boden, beziehungsweise in Immobilien angelegt. Ab 1913 gab es ein Grundbuchamt. Die Kirchen mussten ihr Eigentum dort eintragen lassen und machten den Fehler, dass sie Jesus, Mutter Maria und ähnliche als Eigentümer angaben.

1936, mittlerweile war die Türkei seit 1923 eine Republik, forderte der Staat die Stiftungen von Minderheiten auf, die Auflistungen ihrer Besitztümer beim Staat einzureichen. Da waren sie wieder. Jesus, Mutter Maria & Co. mit Besitztümern in der Türkei.

Mit dem Pogrom von 1955, als die Nichtmuslime größtenteils das Land verlassen mussten, blieben ihre Besitztümer zurück. Viele Politiker und deren Seilschaften im Land versuchten sofort alles, was möglich war, an sich zu reißen.

Jesus, Mutter Maria, u.a. wurden verklagt

Zwei Jahre nach dem Pogrom öffnete das staatliche Grund- und Boden-Amt den Eigentümern dieser Besitztümer Verfahren, um nachzuweisen, dass diese betreffenden Besitztümer nun ihre sind.

Die gerichtlichen Zustellungen haben Jesus, Mutter Maria und so weiter sicher niemals erreicht. Die Kirchen sollen nichts davon mitbekommen haben. Als sie dann davon erfuhren, war es schon zu spät.

Nach den Erlebnissen vom 6./7. September 1955 trauten sie sich nicht, gegen den türkischen Staat zu klagen. Der Kolumnist Yilmaz Özdil nennt alleine an sechs Orten von Istanbul 11.500 Besitztümer, die Multimilliarden Euro wert sind.

1974, als Nord-Zypern damals von der Türkei besetzt wurde und die zypriotischen Griechen in den Süden der Insel flüchteten, oder nach dem 12. September 1980, als ein Putsch erfolgte, wurde das Eigentum von hunderten Geflüchteten ebenfalls beschlagnahmt und auf die neuen Nutznießer umgeschrieben.

Jesus war verhindert und konnte nicht kommen

Die EU drängte, und in der kurzen Phase des guten Verhältnisses zwischen der Türkei und der EU gab die AKP nach. 2008 wurde ein Gesetz in Zusammenhang mit den Stiftungen erlassen. Mit diesem Gesetz sollten die Stiftungen, die die Besitztümer der Minderheiten verwalteten, diese an ihre ehemaligen Eigentümer zurückgeben können.

Die Folge war eine Flut von Klagen seitens der Stiftungen von Minderheiten. Der Haken an der Geschichte war, dass die ehemaligen Eigentümer, die ihren Besitz zurückforderten, persönlich vor Gericht erscheinen mussten. Jesus war verhindert und konnte nicht kommen. Er entschuldigte auch seine Mutter, die ebenfalls nicht erscheinen konnte. So musste man seine Nachfahren oder Verwandten finden. Klappte auch nicht.

Mit einem Wortspiel im Gesetzestext stellte man klar, dass die Anwendungen nach osmanischem Recht nicht automatisch in die Anwendungen der Republik übertragen werden durften. Somit wurden die Eintragungen der Kirchen aus dem Jahre 1913 für nichtig erklärt.

Und nun?

Die Hagia Sophia wurde zu einer Moschee gemacht. Am 24. Juli 2020 wird darin wieder islamisch gebetet, verkündete der Prächtige aus Ankara. Beim Grundbuchamt soll sie auch als Moschee ausgewiesen sein. Dieses wurde damals, im Jahr 1936, so erfasst, und gehörte der Stiftung von Fatih Sultan Mehmed II. – „dem Eroberer“. Diese Stiftung stammte noch aus der Zeit der Osmanen. Also musste man das Ganze unter dem osmanischen Recht abhandeln.

Die Entscheidungen wurden so zurecht gebogen, dass anschließend aus der Entscheidung der Republik, die Hagia Sophia als Museum zu führen, wieder eine Moschee wurde. Das osmanische Recht wurde angewandt.

Anscheinend gilt wieder osmanisches Recht

Im Rückkehrschluss kann man jetzt denjenigen Personen, die die Entscheidung euphorisch feiern, dass aus der Hagia Sophia wieder eine Moschee gemacht wird, eher mit einer Horrormeldung aufwarten. Die Türkei hat nämlich somit indirekt anerkannt (durch die Anwendung des osmanischen Rechts), für das Eigentum aller Kirchen, die auf Jesus, Mutter Maria und andere sowie auf das Eigentum, das nach osmanischem Recht auf die Minderheiten und Geflüchtete eingetragen war, Multimilliarden von Euro an Schadenersatz zu leisten. Anscheinend gilt wieder osmanisches Recht. Nach der Entscheidung um die Hagia Sophia kann man die Besitztümer der Minderheiten schlecht einbehalten. Natürlich muss erst einmal über alle Instanzen geklagt werden, bis sich dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Sache annimmt.

Jetzt haben all die Stiftungen der Minderheiten die Chance bekommen, die Entscheidung um die Hagia Sophia als Präzedenzfall zu nehmen, und werden darauf bestehen, dass sie ihre Besitztümer zurückbekommen. Gut gemacht Erdogan, diese Variante des sich-ins-Knie-schießens fällt so einfach niemandem ein.

Gerade jetzt, wo die Türkei dringend Vertrauen gewinnen sollte, um an die nötigen Finanzmittel aus Europa zu gelangen, damit die Wirtschaft noch gerettet werden kann, ist das genau der falsche Weg.

Foto: Pixabay

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Karl-Heinz Faller / 22.07.2020

Was kümmert Erdogan das osmanische Recht? Erdo kennt nur ein Recht, sein eigenes. Alle anderen haben sich ihm zu unterwerfen.

HaJo Wolf / 22.07.2020

Unfassbar, dass die Politik mit diesem islamistischen Terroristen, Holocaustleugner, Leugner des Genozids an den Armeniern, Antisemit und Judenhasser usw. überhaupt redet.

Belo Zibé / 22.07.2020

In einer Zeit, in der ein Schuss ins Knie nicht selten als Knorpelaufbauspritze gewertet werden kann , ist mit allem und dem genauen Gegenteil zu rechnen. Möglicherweise reisen sogar Kardinal Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm mit einer Fusswanne in Ankara bei Erdogan an.  Man darf gespannt sein.

Wolfgang Kaufmann / 22.07.2020

Es soll mehrere Gebilde geben, wo kodifiziertes Recht und Rechtspraxis weit auseinanderklaffen. Oder wo vertraglich festgeschriebene Klauseln von einer Bande maskierter Räuber gekippt wurden.

giesemann gerhard / 22.07.2020

Erdogan hat einen Weg gefunden, um sich die russische Orthodoxie endgültig zum Feind zu machen. Da können die Lateiner in Rom noch so jammern. Zusammen mit Baschar Hafiz, genannt Al-Assad, der Löwe, Herrscher der Minderheit (ca. 30%) der Alawiten in Syrien, kann das ein schöner Tanz werden, der uns die Türken ein wenig vom Leibe hält. Inshallah. Der Weg für Russland ins östliche Mittelmeer ist geebnet, ich habe nichts dagegen. Wie sagen meine Griechen ständig? „Gegen die Türken? Jederzeit“. Und verbünden sich mit ihren russisch-orthodoxen Brüdern zu einem russisch-griechischen Türkei-Fan-Verein. Die Serben und die Bulgaren, beide kyrillisch und orthodox, machen sicher mit. Die Türkei hat in der NATO so wenig zu suchen wie in der EU. Sollten sie sich mal humanisieren, dann ist jedoch vieles möglich – Allah gecinden versin: Möge es Allah später geschehen lassen. Wem die Kurden, zumeist Aleviten, wohl ihr Herz schenken werden? Die sunnitischen Syrer? Schaumermal, kann spannend werden. Vielleicht ist es der Anfang vom Ende der scheußlichen Islam-Ideologie. Auch in Iran. Steigt man vom Haupteingang der Ayasofia rechts hoch, dann findet man am Ende des Ganges eine Art Grabstein mit der Inschrift “Enrico Dandolo”. Einer der Gauner, der lieber Konstantinopel hat plündern lassen als nach Jeruschaleim, der Stadt des Friedens weiter zu marschieren, um sie vom islamischen Joch zu befreien. Das Christenvolk war immer schon bescheuert, auch Jesus und Saulus-Paulus konnten das nicht verhindern, das Evangelion hin oder her - zumal, wenn sie sich mal wieder untereinander abschlachteten, denke da vor allem an den 30-Jährigen 2.0 von 1914 bis 1945. SOWAS haben noch nicht mal die Moslems je fertig gebracht, in der Dimension. Gucksdu wiki/Enrico_Dandolo und zu Cusanus später wiki/Diskussion:Nikolaus_von_Kues Vergessen wir nicht: Wir sind allesamt Muslime, Sure 30:30 des Hagia Koran: “Wende dich deshalb der wahren Religion zu, frei von ...

giesemann gerhard / 22.07.2020

Gewöhnliche Räuber, warum sollen die Türken besser sein als die Nazis dereinstens? Die Erfahrungen mit den Armeniern waren doch gut und zielführend.

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