Gastautor / 01.05.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 151 / Seite ausdrucken

Gruppenzwang im Krankenhaus

Von Claudia Richter.

Ich habe viel Glück im Leben, das beruflich zu machen, was ich liebe, und ich durfte von den Besten lernen. Ich habe viel Glück damit, gute Kollegen zu haben, in flachen hierarchischen Strukturen zu arbeiten und stetig an einem professionellen und fairen fachlichen Austausch teilzuhaben. Das ist in meiner Branche nicht selbstverständlich. Seit über 30 Jahren bin ich als Ärztin tätig und arbeite im Krankenhaus. Wie in jedem Berufsleben, habe auch ich meine Höhen und Tiefen. Aber zur Zeit bin ich der Verzweiflung nahe. Es geht dabei natürlich um Corona. Im Grunde genommen geht es eigentlich nicht nur um Corona. Es geht darum, was mit uns zwischenmenschlich passiert, was mit unserem Berufsethos passiert, was mit der medizinischen Denk- und Herangehensweise und was mit uns als Menschen persönlich passiert.

Zu Beginn der Coronazeit hatte ich panische Angst. Ich habe die Bilder aus China gesehen, wo innerhalb einer Woche ein Krankenhaus aus dem Boden gestampft wurde, und dachte mir nur, dass es hoffentlich nicht Deutschland trifft. Dabei hatte ich vor allem Projekte wie die Hamburger Elbphilarmonie und den Berliner Flughafen im Sinn. Angesichts des gescheiterten Versuchs, Schutzmaterial für das Personal zu bestellen, habe ich den Rest meines Optimismus verloren. Zu diesem Zeitpunkt stand unser Krankenhaus mit 10 FFP2-Masken auf Lager für den Fall eines Tuberkulose-Patienten da. Wir waren verwöhnt damit, dass wir alles immer bestellen konnten, obwohl es in der Vergangenheit immer öfter zu Lieferengpässen kam. Insbesondere war dies während Ausbrüchen des Norovirus oder der Influenza der Fall.

Die Analyse von zu dem Zeitpunkt zugänglichen Daten über die Coronainfektion holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Was ich weiterhin schrecklich fand, waren die widersprüchlichen Richtungen der Politik zu dem Thema. Vom einen Tag zum nächsten mutierte das Virus von ungefährlich zu lebensgefährlich. Noch erschreckender war, dass in meiner beruflichen Umgebung alles kritiklos und unkommentiert übernommen wurde.

Gruselige Bilder und schreckliche Berichte

Mir wurde seit frühester Studentenzeit beigebracht, dass wir Menschen behandeln und nicht Diagnosen oder Laborwerte. Für jede Untersuchung und jede Blutentnahme, jeden Abstrich und jede medizinische Handlung muss eine Indikation da sein. Mit diesem Verständnis kann ich die Suche nach dem „symptomlosen Erkrankten“ durch Reihenuntersuchungen auf Corona nicht nachvollziehen. Viele meiner ärztlichen Kollegen dagegen bejubeln die endlosen Corona-Abstriche, fordern sie sogar ein und sind bereit, sich zweimal täglich zu testen (oder mindestens mehrmals die Woche). Auch symptomlose Patienten werden mehrmals pro Woche auf Corona getestet. Die zarte Nachfrage von mir, warum wir das machen, wurde mit „weil alle Angst haben“ beantwortet.

Bei dieser Antwort muss ich an meine Studentenzeit denken, als wir bei jeder neu gelernten Erkrankung glaubten, die Symptome bei uns selbst zu erkennen – von Krätze bis Syphilis. Mit der Zeit hat man gelernt, diese Gedanken zu filtern und nicht alles auf sich selbst zu projizieren. Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Angst absichtlich befeuert wird. In unseren Fortbildungen geht es seit Monaten überwiegend um Corona, Long-Covid und die dramatischen Auswirkungen auf die Organe. Mit gruseligen Bildern und schrecklichen Berichten über zum Beispiel Gefäßschädigungen wurde versucht, uns für die Impfung zu rekrutieren – ohne zu erwähnen, wie viel Prozent der Coronapatienten ein solches Ausmaß der Erkrankung betrifft.

Die Impfwerbung war erfolgreich. Obwohl am Anfang die meisten kritisch gegenüber den Impfungen waren, haben sich nun fast alle impfen lassen. Die überwiegende Mehrheit war nach der Impfung richtig krank und nicht diensttauglich. Noch weniger als bei der Abstrich-Hysterie kann ich das Jubeln meiner Kollegen bei den massiven Nebenwirkungen der Impfung nachvollziehen. „Mein Immunsystem funktioniert!“ oder: „Ich habe eine starke Immunreaktion, jetzt wirkt die Impfung definitiv!“ Ich habe einige Kollegen gefragt, ob sie sich bezüglich der Nebenwirkungen beim Paul-Ehrlich-Institut gemeldet haben; aber keiner hat etwas gemeldet, weil sie die Nebenwirkungen als „normal“ und sogar wünschenswert abgetan haben. Viele derer, die nun bei der Coronaimpfung in erster Reihe stehen und ihre Nebenwirkungen feiern, haben in den letzten Jahren auf die Grippeimpfung verzichtet, weil sie Angst vor Nebenwirkungen hatten.

„Wir werden euch alle zwangsimpfen“

Es ist schockierend, dass viele nach wie vor von dem Bedürfnis nach Konformität geleitet werden. Man will nicht der Außenseiter oder Verschwörungstheoretiker sein, selbst wenn das medizinische Wissen einen zu anderen Schlüssen kommen lässt, beugen sich viele dem sozialen Druck. Obwohl man als Arzt für Patientenautonomie und Aufklärung einsteht, beansprucht man für sich selbst nicht das Gleiche.

Das Unerträglichste an der Situation ist, dass manche Geimpfte sich nun für bessere Menschen und verantwortungsbewusstere Mediziner halten. Weil ich mich nicht impfen lasse, wurde mir von einem Kollegen vorgeworfen, dass ich meine Patienten nicht schütze und meine ärztliche Pflicht damit verletze. Mir wurde das Gefühl vermittelt, nur noch akzeptiert oder geduldet zu sein. Es ging so weit, dass sich im Kollegium beim Mittagessen von Ungeimpften im Scherz weggesetzt wurde, obwohl alle sowieso im Abstand von mehreren Metern voneinander sitzen.

Ebenso wird von geimpften Kollegen durch blöde Bemerkungen („Wir werden euch alle zwangsimpfen“) Druck auf Ungeimpfte ausgeübt. Man wird automatisch zur Randgruppe. Eine sachliche Auseinandersetzung mit den Zahlen der Erkrankten, Inzidenzwert, Intensivbettenauslastung und so weiter ist nicht möglich. Es werden sofort die „Tagesschaufloskeln“ rausgekramt: ich sollte weniger von Verschwörungstheoretikern lesen. Damit ist die Diskussion beendet.

„Willst du etwa unsere Patienten umbringen?“

Auch in der Patientenversorgung nehme ich erschreckenderweise eine Fokussierung auf Corona beziehungsweise den Ausschluss von Corona wahr. Patienten werden beispielsweise bei der Diagnostik einer Infektion zum Teil mehrmals auf Corona getestet, andere mögliche Ursachen werden oft nicht in Betracht gezogen. Es wird vergessen, dass eine halbe Million Menschen jährlich in Deutschland im Krankenhaus erworbene Infektionen erleiden und circa 25.000 bis 30.000 daran versterben; die Dunkelziffer ist sicherlich höher. Übrigens gibt es auch im Krankenhaus erworbene Coronainfektionen, weil unsere Politik mehr Wert darauf legt, Treffen von Jugendlichen im Park zu verbieten, als die Unterbringung von ohnehin vulnerablen Patienten im Krankenhaus in engen Mehrbettzimmern zu verhindern.

Das Besuchsverbot in Krankenhäusern lässt sich medizinisch nur begrenzt begründen. Es ist viel einfacher, zu verbieten, als eine Möglichkeit zu suchen, das Problem zu lösen. Viele, gerade ältere und schwerstkranke Patienten, die seit Monaten im Krankenhaus sind, haben ihre Familie dadurch nicht sehen können. Es könnte der letzte Geburtstag einer oder eines 90-Jährigen sein, den sie alleine im Krankenhaus verbringen müssen. Jeder Versuch, etwas an diesen Regeln zu ändern, wird mit einem todsicheren Argument zerschlagen: „Willst du etwa unsere Patienten umbringen?“

Mich stört es grundsätzlich in der Medizin zur Zeit, dass Wissenschaftler und Ärzte, die sich gegenüber der Coronapolitik, den Impfungen gegen das Coronavirus oder einem Aspekt dieses gesamten Komplex kritisch äußern, sehr schnell Opfer von regelrechten Hexenjagden werden. Es wird ihnen abgesprochen, wissenschaftlich zu sein, und sie werden als Scharlatane verunglimpft. Dabei sind es genau jene Ärzte, die sich nicht auch mit kritischen Positionen auseinandersetzen wollen, die unwissenschaftlich sind, da Wissenschaft von Diskussion und Diskurs lebt.

Es erinnert mich an dunkle Zeiten in der Geschichte, wenn in der Wissenschaft nur noch einem Dogma gefolgt wird und andere Erkenntnisse unwillkommen sind. Man muss entweder finanziell sehr gut abgesichert – um gegebenenfalls den Verlust des Jobs zu verkraften – oder verrückt sein, um seine Meinung als Angestellter noch offen zu äußern. Es macht die Menschen psychisch krank, auf Dauer etwas anderes zu sagen als das, was man denkt – oder gleich immer zu schweigen.

Ich habe den Eindruck, dass in dieser Zeit die schlimmsten und besten Qualitäten eines Menschen zum Vorschein kommen. Während wir uns immer mehr Masken anziehen, zeigen die Menschen immer mehr ihr wahres Gesicht. Im Namen des Infektionsschutzes fühlen sich einige – auch im Krankenhaus – dazu berufen, alle zu maßregeln. Menschen, die vor Corona unscheinbar waren und kaum Befugnisse hatten, spüren jetzt, dass ihre Zeit gekommen ist. Sie genießen ihre neue Macht, wenn sie jemanden auf den korrekten Sitz der Maske oder den Abstand hinweisen und blühen dabei regelrecht auf. Die Belehrung Anderer ist die Erfüllung des kleinen Mannes. 

 

Die Autorin arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus und schreibt unter Pseudonym.

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Reinhold Schmidt / 01.05.2021

Ist schon schlimm, wenn solche Artikel unter Pseudonym veröffentlicht werden müssen.

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