Gentechnik für den Klimaschutz

Die EU-Kommission will gentechnisch verändertes Saatgut im Namen des Klimaschutzes fördern. Damit ginge es der ökologischen Landwirtschaft an den Kragen.

Die EU-Kommission teilte am 5. Juli mit, dass sie ein „Maßnahmenpaket für die nachhaltige Nutzung der wichtigsten natürlichen Ressourcen“ angenommen hat, mit dem auch die „Resilienz der Lebensmittelsysteme und der Landwirtschaft“ in der EU gestärkt werden soll. Klingt zunächst gut, ist jedoch bei näherem Hinsehen höchst problematisch: Zum einen sollen durch eine Richtlinie zur Bodenüberwachung die Böden in der EU „im Einklang mit dem Null-Schadstoff-Ziel bis 2050 in einen gesunden Zustand“ versetzt werden.

Zum anderen soll „Innovation und Nachhaltigkeit“ gefördert werden, indem „neue genomische Verfahren“ zur „Entwicklung klimaresilienter Kulturen und zur Reduzierung des Pestizideinsatzes“ ermöglicht sowie „nachhaltigeres und vielfältigeres Saatgut und Vermehrungsmaterial für Pflanzen“ gewährleistet werden sollen. Faktisch laufen beide Zielvorgaben darauf hinaus, dass im Zuge des ebenfalls geplanten „Renaturisierungsgesetzes“ EU-weit weniger Fläche für Landwirtschaft zur Verfügung stehen würde, während gleichzeitig vermehrt gentechnisch verändertes Saatgut zum Einsatz käme.

Vollmundig wird in der Pressemitteilung vom 5. Juli dagegen behauptet: „Diese Maßnahmen werden langfristige wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und ökologische Vorteile für alle bringen.“ Und Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, bekräftigt:

„Innovation ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsagenda des Grünen Deals, insbesondere im Lebensmittelbereich. Wir wollen unseren Landwirten die notwendigen Instrumente an die Hand geben, um gesunde und sichere Lebensmittel zu erzeugen, die klimaresistent und umweltfreundlich sind. Dazu gehören Regeln für die Verwendung neuer genomischer Verfahren und modernisierte Vorschriften für Saatgut für die Land- und Forstwirtschaft, die Vielfalt, nachhaltige Verfahren, Ernährungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der EU fördern sollen.“

Die EU werde „zum Vorreiter in Sachen Innovation und Entwicklung“ und dabei helfen, „den Verlust der Artenvielfalt umzukehren sowie den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen“.

Nicht mehr als 20 genetische Veränderungen

Durch die „neuen genomischen Verfahren“ (NGT) sollen verbesserte Pflanzensorten entwickelt werden, die klima- und schädlingsresistent sind, weniger Düngemittel und Pestizide brauchen und mehr Ertrag bringen. Dabei sollen zwei verschiedene Kategorien von mit NGT gewonnenen Pflanzen eingeführt werden: NGT-Pflanzen, die mit in der Natur vorkommenden oder konventionellen Pflanzen vergleichbar sind, und stärker modifizierte NGT-Pflanzen. Zukünftig sollen nur noch Pflanzen der zweiten Kategorie den Prozess der Richtlinie für GVO („Genetisch veränderte Organismen“) durchlaufen. Diejenigen, die „auch auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten“ und nicht mehr als 20 genetische Veränderungen aufweisen, wären von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen. Und auch für die zweite Kategorie von Pflanzen würde ein schnelleres Zulassungsverfahren gelten, wenn sie etwa toleranter gegenüber Klimaänderungen sind oder weniger Wasser oder Dünger benötigen.

Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert in diesem Zusammenhang Matthias Berninger, den Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei Bayer. Bayer ist der zweitgrößte Saatgut- und Pestizidhersteller der Welt. „In der Pflanzenzüchtung dauert es normalerweise mehr als ein Jahrzehnt von den ersten positiven Forschungsergebnissen bis zur Markteinführung. Mit Gene Editing können wir diesen Prozess um fünf Jahre verkürzen“, so Berninger. Der europäische Saatgutsektor ist der größte Exporteur auf dem globalen Saatgutmarkt mit einem Weltmarktanteil von ca. 20 Prozent und einem geschätzten Wert von 7 bis 10 Milliarden Euro. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Maßnahmenpaket ist Teil des im Dezember 2019 vorgestellten „Green Deal“, durch den Europa der erste „klimaneutrale Kontinent“ werden soll.

„Am europäischen Grünen Deal führt kein Weg vorbei, wenn es um die Gesundheit der Menschen und unseres Planeten geht“, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Um die Klimaneutralität zu erreichen und insbesondere mehr CO2 durch natürliche CO2-Senken abzubauen, das EU-Klimagesetz umzusetzen und die internationalen Zusagen der Europäischen Union im Rahmen des Übereinkommens von Paris und des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal einzuhalten, müssten die natürlichen Ökosysteme in der gesamten EU krisenfester werden. Geradezu begeistert zeigt sich Virginijus Sinkevičius, Kommissar für Umwelt, Meere und Fischerei, über das Maßnahmenpaket:

„Heute verleihen wir dem europäischen Grünen Deal – im wahrsten Sinne des Wortes – Bodenhaftung. Mit unserem Vorschlag für die allerersten EU-Rechtsvorschriften für gesunde Böden machen wir Europa krisenbeständiger und sichern die Zukunft unserer Landwirte, Landbesitzer sowie der gesamten Bevölkerung. Wir führen eine Rechtsdefinition gesunder Böden ein und schaffen die Möglichkeit, Daten zum Zustand der Böden zu erheben. Nachhaltige Bodenbewirtschaftung wird zur Norm, und kontaminierte Böden gehören der Vergangenheit an. Nur auf gesunden Böden kann eine gesunde Zukunft gedeihen.“

„Die vergoldete Kirsche auf der Sahnetorte“

Der Vorschlag der Kommission muss nun noch vom Europäischen Parlament und vom Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gebilligt werden. Möglicherweise wird er hier jedoch auf Widerstand stoßen, denn die „grüne Gentechnik“ ist gerade auch in Hinblick auf die ökologische Landwirtschaft umstritten. Der Bioland-Verband etwa kritisiert, dass durch die Lockerung der strengen europäischen Gentechnik-Regeln die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln weitgehend ausgehebelt würde. Bioland- und IFOAM Organics Europe-Präsident Jan Plagge kommentiert:

„Dass die großen Saatgut-Unternehmen sich künftig massenweise neue Patente auf Pflanzeneigenschaften sichern können, ist für sie so etwas wie die vergoldete Kirsche auf der Sahnetorte.“ Die Frage, wer am meisten von dem EU-Maßnahmenpaket profitieren würde, drängt sich zweifellos auf. Fast wirkt es, als ob die EU-Kommission bewusst Nahrungsmittelknappheit in Kauf nehmen würde, um den europäischen Saatgut-Unternehmen einen lukrativen Markt zu öffnen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es der ökologischen Landwirtschaft ausgerechnet im Namen des Klimaschutzes an den Kragen gehen soll.

Foto: GRÜNE Baden-Württemberg CC BY-SA 2.0, Link

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Leserpost

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gerhard giesemann / 08.07.2023

Wieso, die waren doch alle ganz scharf auf modifizierte mRNA, oder? Da kannse auch Genmais fressen. Das tut dir gar nichts. Hopefully.

Dr. R. Möller / 08.07.2023

Warum erinnert mich das alles an die gute, alte Bibel ?

Christine Holzner / 08.07.2023

Die Genschere soll also einfacher zum Einsatz kommen, und Saatgut, dessen Erbinformation durch sie verändert wird, nicht mehr so streng reguliert werden. Über mögliche Vor- und Nachteile dieses Vorhabens kann und muss man diskutieren. Worüber man allerdings auch diskutieren muss: Wie in diesem Zusammenhang mal wieder schon im Vorfeld sprachlich versucht wird, Dinge für den Konsumenten leichter verdaulich zu machen - oder etwas härter ausgedrückt zu verschleiern. In meiner österreichischen Tageszeitung war dazu Folgendes in einem Artikel darüber zu lesen: “Wie sieht die Wissenschaft die neuen Zuchtmethoden?“ Auch wenn die “neue” Gentechnik im Gegensatz zur alten nicht mit Fremd-DNS experimentiert, sondern “nur” vorhandene Gene verändert: Dem Konsumenten Gentechnik als “Zuchtmethoden” zu verkaufen, ist schon gewagt. Der schnelle Schnitt ist für mich vieles, aber ganz sicher keine „Zuchtmethode“.

Klaus Müller / 08.07.2023

Einen merkwürdigen Standpunkt hat das “mündige” Volk. Als es um gentechnisch manipulierte Impfstoffe ging, haben alle “Hurra” gebrüllt. Das Zeug wurde direkt in den Körper gespritzt. Bei Gentechnik in der Landwirtschaft schreien plötzlich alle “Pfui”, obwohl damit lediglich Pflanzen verändert, die man später essen kann, aber nicht muss. Da sieht man wieder ganz deutlich, was für einen riesengroßen Sprung die “Teutschen” in ihrer Schüssel haben.

Jochen Grünhagen / 08.07.2023

Die sogenannte ökologische Landwirtschaft ist grundsätzlich nicht besonders effizient und “klimafreundlich”. Die Erträge je Hektar sind deutlich niedriger als in der konventionellen Landwirtschaft und auch die Leistungen in der Tierhaltung haben einen hohen Abstand zur konventionellen Landwirtschaft. Will man klimaresillente Nutzpflanzen für eine sichere Ernährung einer steigenden Weltbevölkerung anbauen, wird man um neue Züchtungsmethoden nicht herum kommen. Verwerflich wären Patente auf Nutzpflanzen und Gene. Hier wird sich zeigen, ob Brüssel die Menschen im Blick behält oder Konzerninteressen vertritt. Das die Landwirtschaft einen finanziellen Nutzen aus solchen mit crisp cas Methoden gezüchteten Pflanzen hat, darf durchaus bezweifelt werden.

Karl Wenz / 08.07.2023

Dank an die vielen kenntnisreichen, skeptischen und ablehnenden Leserbriefschreiber, die mich meinen Pro-Gentech-Standpunkt haben überdenken und revidieren lassen.

Claudius Pappe / 08.07.2023

Frage an die ehemaligen Bundestagsabgeordneten und jetzigen AchGut Autoren Weißgerber und Lengsfeld : Wie konnte es soweit kommen das die EU bestimmt was auf unseren Feldern wächst und wieviel wir düngen dürfen ? Irgendwann muss doch der Bundestag seine Kompetenzen an die EU abgegeben haben ? Waren sie dabei ?

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