Gefälschte Dokumente waren zu meiner Zeit als Botschafter in Kamerun alltäglich. Daran hat sich nicht viel geändert und im heutigen diplomatischen Corps weiß man das auch. Aber es soll keiner wissen. Doch damit ist weder den Afrikanern noch uns geholfen.
Der Fall des Kameruners Youssoufa Moukoko hat in Fußball-Deutschland eine heftige Debatte ausgelöst. Der angebliche Vater gestand in einer Dokumentation, die im Fernsehen auf dem Sender Pro Sieben („Tricksen, Schummeln, Täuschen – das Millionengeschäft mit den Fußballtalenten“) ausgestrahlt wurde, dass er Youssoufa eine gefälschte Geburtsurkunde in Kamerun besorgt habe, um ihn als seinen Sohn auszugeben. Auch habe er ihn vier Jahre jünger gemacht.
Ich fand dieses Geständnis nicht überraschend, denn gefälschte Dokumente waren zu meiner Zeit als Botschafter in Kamerun alltäglich und wurden von kamerunischen Behörden gerne dann toleriert, wenn die Fälschungen „nur“ bei ausländischen Vertretungen eingesetzt wurden. Neben der Tatsache, dass man auf einem bestimmten Markt in der Hauptstadt Jaunde so ziemlich jede kamerunische Urkunde kaufen kann, ist die Stadt Kumba in der Südwestprovinz dafür bekannt, dass dort Urkunden häufig gefälscht werden. Es kam zu meiner Zeit vor, dass sich „Studenten“ mit glänzenden Zeugnissen für ein Stipendium bewarben, aber kaum ihren Namen schreiben konnten.
Gefälschte Dokumente werden allerdings auch in Kamerun nicht toleriert, wenn es sich um Identitäts- und Altersbetrug im eigenen Land handelt. 2023 sperrte die kamerunische Fußballförderation (FECAFOOT) 21 Spieler für U17-Mannschaften. Der Club Young Sport aus Limbé hatte insgesamt 13 Spieler mit gefälschten Dokumenten im Einsatz. Samuel Eto’o, der Präsident des FECAFOOT, verlangte, dass die Spieler sich einem MRT-Scan unterziehen, der das angegebene Alter bestätigen sollte.
Völlig unverständlich ist für mich, dass sich der angebliche Vater, Joseph Moukoko, am 23. Februar 2016 von einer Standesbeamtin des Bezirksamtes Hamburg-Harburg aufgrund der „Dokumente“ aus Kamerun für Youssoufa eine deutsche (!) Geburtsurkunde ausstellen lassen konnte. Die Bild-Zeitung hat am 14. Dezember 2024 hierzu die richtige Frage gestellt: „Auch hier müssen Strafverfolgungsbehörden bewerten, ob diese nach heutigem Stand unwahren Aussagen strafbar sind.“
Ein anderer Blick auf die Migration ist dringend nötig
Abgesehen von diesem Sonderfall eines Fußball-Gladiators: Ich habe mich an jedem meiner Dienstorte in Afrika mit Migrationsfragen beschäftigt. Meine Erfahrungen werden von vielen noch aktiven Kollegen geteilt. Selbstverständlich werden diese sich – dem heutigen Zeitgeist entsprechend – niemals so offen äußern können. Sie fürchten, in die nationale Ecke gestellt zu werden, wenn sie den allzu sorglosen Umgang mit Begriffen wie Illegalität bemängeln. Leider ist die Diskussion von moralischen Urteilen durchsetzt.
Ein anderer Blick auf die Migration ist dringend nötig. Denn sie bleibt ein kontroverses, emotionales Thema: für die Migranten selbst wie für die in Armut Zurückgebliebenen und ebenso für die Bürger der Aufnahmeländer. Wer als multikulturell Gesinnter offene Grenzen und uneingeschränkte Migration als Allheilmittel gegen die Armut auf der Welt fordert, macht es sich jedenfalls zu einfach. Die Länder, die ihre jungen Menschen durch Auswanderung verlieren, geben damit die Personen auf, welche die Zukunft des Landes aufbauen können.
Radiosender – in Afrika ist das Radio nach wie vor das wichtigste Medium – und soziale Medien verbreiten eine frohe Botschaft: Wer es nach Deutschland schafft, hat beste Chancen, dauerhaft zu bleiben, egal ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht. Rechts-, Aufnahme- und Versorgungsansprüche sind in Einzelheiten bekannt. Diese Politik ist auch eine Goldgrube für Menschenschmuggler, denn es sind nicht die Ärmsten, die die lebensgefährliche Reise wagen. An der illegalen Einwanderung verdient die organisierte Kriminalität gut. Ein Schleuser kann, wie der franko-beninische Journalist Serge Daniel ermittelt hat, derzeit zwischen 1.000 und 8.000 Euro pro Person verlangen.
Volker Seitz, ist Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage) Das Buch wurde seit dem erstmaligen Erscheinen (2009) mit jeder der zahlreichen Neuauflagen aktualisiert und erweitert. Von der ersten Auflage bis heute haben sich die Seitenzahlen fast verdoppelt. Das Buch hat durch seine Informationsdichte einen hohen Wert. Seine Aussagen gelten nach wie vor. Die so genannte Entwicklungshilfe subventioniert immer noch schlechte Politik. Solange immer Ausreden gefunden werden, warum korrupte Regime unterstützt werden sollen, werden auch die Fluchtursachen nicht verringert werden. Die Profiteure der Entwicklungshilfe behaupten: Hilfe funktioniert. Aber warum gehe es heute den meisten afrikanischen Ländern schlechter als zum Ende der Kolonialzeit, fragt Seitz. Es würden kaum Arbeitsplätze vor Ort geschaffen und das breite Elend werde nicht beseitigt, weil Zielgruppen nicht in die Maßnahmen einbezogen werden. Afrikanische Kritiker würden nicht zu den Kongressen eingeladen.
Hilfsgelder heizten in vielen Ländern die Korruption an und halten Afrika in Abhängigkeit. Deshalb plädiert Seitz aus Respekt vor der Leistungsfähigkeit der afrikanischen Gesellschaften, die bisherige Hilfe durch wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage beiderseitiger Interessen zu ersetzen. Wirkliche Hilfe würde bei der intensiven Förderung von Geburtenkontrolle beginnen. Weniger Geburten hätten in Teilen Asiens und Südamerikas zu besseren Lebensbedingungen geführt. Er wundert sich über die Ignoranz in der Politik und den Medien, wenn es um das wahre Problem Afrika gehe.
Seitz wird nie pauschal, hebt immer wieder positive Beispiele hervor und würdigt sie im Detail. Ein Buch, das über weite Strecken auch Lesevergnügen bereitet, ist immer noch genauso aktuell wie zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung. Es richtet sich nicht an ein Fachpublikum. Der Autor bedient sich einer Sprache, die klar ist, dass sie auch Lesern ohne jegliche Vorkenntnisse einen Zugang zu der Thematik – die uns alle betrifft – eröffnet.