Roger Letsch / 01.07.2021 / 14:00 / Foto: Rubicon33 / 23 / Seite ausdrucken

Einem Genossen ist die SPD nicht links genug

Der Parteiaustritt des bayrischen SPD-Genossen Professor Dr. Henning Höppe ist ein ziemliches Konvolut, und zu den Stichpunkten, in denen er seine zur SPD konträre Haltung darlegt, entspricht er häufig genau dem Gegenteil meiner Meinung zum jeweiligen Thema – und die ist bekanntlich auch meilenweit von der aktuellen SPD entfernt. Beispiel? Höppe bemängelt, dass die SPD die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt, obwohl dort LGBTQ-Menschen verfolgt würden. Aber es sind ja gerade nicht diese Menschen, die in den Booten sitzen, und niemand stellt zudem infrage, wirklich an Leib und Leben bedrohten Menschen zu helfen. Asyl mit Migration zu vermengen, ist unlauter. Macht die SPD zwar auch gern, aber für Herrn Höppe leider nicht konsequent genug.

Höppe erklärt weiter, dass seiner Meinung nach Grundsicherungsempfänger von der Coronakrise besonders betroffen seien, was seine Ex-Partei nicht so sieht. Ich sehe vor allem nicht, wieso jemand, der ohnehin von staatlichen Transferleistungen lebt (ob er es nun will oder nicht), von den Lockdownmaßnahmen stärker betroffen sein soll als zum Beispiel jemand, dessen Geschäft durch staatliche Willkür den Bach runter geht. Höppe würde gern Armut durch noch mehr Staatsknete bekämpfen, und Corona wäre der ideale Anlass dafür, was selbst der SPD im Allgemeinen zu weit geht.

Ich stimme Höppes Generalabrechnung mit seiner Partei im Grunde nur in zwei Dingen uneingeschränkt zu: seiner Kritik der Haltung der SPD zum Staatstrojaner, was für Höppe ein Generalverdacht und für mich außerdem der Startschuss zur anlasslosen Totalüberwachung ist. Außerdem sehen wir beide die Abkehr vom juristischen „ne bis in idem“-Prinzip kritisch. Aber das sind Positionen, die ich wohl sogar mit den meisten Linken teile. Und ein Linker ist Professor Höppe, wie er im Buche steht: Agenda 2010 abschaffen, Zero-Covid, Klimarettung … das volle Programm. Kann man natürlich alles wollen, doch wozu dann die SPD verlassen, wo all diese Utopien längst Konsens sind und Dreiviertelkommunisten wie Kühnert und Nullcovidianer wie Lauterbach das große Wort führen?

Hinein in die Utopie vom „demokratischen Sozialismus“

Und warum nur befasse ich mich nun ausgerechnet mit der Parteiaustrittserklärung eines Professors, der politisch keine großen Räder dreht und als promovierter Chemiker und Hochschullehrer der Gesellschaft ohnehin Besseres als sein politisches Engagement in der SPD zu geben hat? Ganz einfach: Diese zugeschlagene Tür unterscheidet sich doch sehr von all den anderen Parteiaustritten, von denen ich in jüngster Zeit Kenntnis erhielt.

Den anderen Exilanten ist die SPD nämlich immer zu einengend, zu wenig sozialdemokratisch und dem ultragrünen Zeitgeist zu kritiklos hörig geworden, während Professor Höppe in der SPD ganz gegenteilig den Neoliberalismus auf dem Vormarsch sieht. Ihm ist die Partei offenbar noch nicht rigide, bevormundend und grün genug, der Marsch der Borjans- und Eskentruppe nach Ganzganzlinks, hinein in die Utopie vom „demokratischen Sozialismus“, könnte für seinen Geschmack noch sehr viel schneller gehen. Bei Sätzen wie diesem hier gehen bei mir nämlich alle Etatismuswarnlampen an:

„Der Neoliberalismus ist folgend dem Motto 'Jeder ist seines Glückes Schmied' ein Menschenbild, das dem Menschen die Verantwortung für das eigene Schicksal zuschiebt – im Guten wie im Schlechten.“

Zugeschoben wird dem Menschen die Verantwortung für sein eigenes Leben also? (Ich betrachte „Schicksal“ hier mal als Synonym.) Zugeschoben? Nein, er hat sie, diese Verantwortung, immer schon! Und spätestens, wenn er erwachsen ist, sollte jeder Mensch sie verdammt noch mal auch ausüben. Vielleicht braucht er Hilfe, dann kann er diese bei Familie, Freunden, Partnern und auch der Gemeinschaft bekommen, und nur zu allerletzt darf hier der Staat – als Ausnahme, nicht als Regel – ins Spiel kommen. Ich finde, der Staat mit all seinen Tentakeln hat sich schon viel zu weit in das Leben seiner Bürger hineingemischt – im Guten wie im Schlechten und ebenfalls im Speziellen. Und nicht zuletzt in Gestalt von Parteien wie der SPD.

Zum Abschluss gestatte ich mir noch eine mephistophelische Frage: Um den „demokratischen Sozialismus“ zu errichten, von dem Professor Höppe träumt, darf man dem Menschen offenbar nicht die Entscheidungen über sein eigenes Leben überlassen. Das macht ja wohl der Staat viel besser. Doch was man dem einen nicht „zuschieben“ mag, das muss sich der andere eben selbst zuschanzen. Denn irgendwohin muss sie ja, die Verantwortung. Wäre es da nicht äußerst praktisch, wenn der Staat zu diesem Zweck – und nur zum Besten der Bürger, versteht sich – genau wüsste, was seine Lämmlein so treiben? Ich lehne dies ja rigoros ab, aber als Liberaler weiß ich auch, warum. Weil Sie jedoch für den „demokratischen Sozialismus“ eintreten, dessen (zumindest temporäre) Verwirklichung zwangsweise den omnipotenten, allwissenden Staat erfordert, warum haben ausgerechnet Sie dann Probleme mit dem Staatstrojaner, Herr Höppe?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

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Ricardo Sanchis / 01.07.2021

“zu wenig sozialdemokratisch und dem ultragrünen Zeitgeist zu kritiklos hörig geworden fanden, sieht Professor Höppe in der SPD den Neoliberalismus auf dem Vormarsch.” Wo ist denn der Widerspruch? Die Grünen ( und inzwischen auch größtenteils die sogenannte SPD ) ist die Partei neoliberaler Spießbürger mit totalitärer Agenda.  Wenn clauquere einer CDU Kanzlerin in einem kapitalistischen System links sein sollen, dann nur, wenn man den Begriff umdefiniert. ( Was den Qualitätsmedien eindrucksvoll gelungen ist. ) DAS “LINKS” meint Menschen mit manichäischem Weltbild die sich irgendwie für die Guten halten und alle Anderen die nicht dem verblödeten Zeitgeist hinterher rennen für für Böse halten. Solchen Leute habe auch noch nie was von Begriff der kognitiver Dissonanz gehört und die Tatsache das sich nahezu jeder Mensch für gut hält. ( Wie viele der Angeklagten der Nürnberger Prozesse haben sich doch gleich für schuldig erklärt oder gehalten? )

Sabine Schönfelder / 01.07.2021

Gott erhalte Ihnen Ihre Kraft und Geduld, werter Autor, damit Sie sich auch in Zukunft mit jedem mediengeilen Schmarotzer aus der linken Pamper-Industrie der Einparteienlandschaft auseinandersetzen können. Wenn dieser Glatzkopf Professor ist, handelt es sich bei ihm selbst schon um den klassischen Fall intellektueller Gnade-Verteilung aus der nimmersatten Büchse des Partei-Pandora-Förderprogramms. Er folgte dem Ruf nach Augsburg….Eine kleine schwach glimmende Leuchtdiode will über die politische Anbiederungsnummer noch höher hinaus. Eine Leuchte ist er nur dank Phosphor. Wer weiß, in welche Richtung Höppe noch so forscht. Er sollte aufpassen, daß er nicht als K n a l l t ü t e endet. Im Blick hat er nur, wenn er von Subventionen spricht, EINEN: SICH SELBST. Wenn Sie Höppe beim nächsten Mal treffen, fragen sie ihn mal, wer SEIN Glück geschmiedet hat, mehr SPD oder mehr CSU. Waren auch ein paar Grüne oder Linke dabei? Förderte ihn ein Verhältnis mit seinem Doktorvater oder hat er es sich einfach n u r SELBST erarbeitet? Würde mich interessieren.

Lutz Herrmann / 01.07.2021

Habe sowieso nie verstanden, was die wohlversorgten und unkündbaren Beamten so zahlreich in die Partei der Arbeiter treibt. Beide sozialen Schichten haben doch kaum gemeinsame Interessen. Ganz im Gegenteil. Und doch stammen bei der letzten Kommunalwahl in meiner Gemeinde die einzigen Arbeiter / Handwerker auf der Liste der Spezialdemokraten aus dem schönen Baujahr 1955, haben also dort mittlerweile Seltenheitswert. Erklärt mir mal einer die Fehlzuordnung in diesem Milieu, dann wissen wir ggf. auch, was bei Prof. Höppe im Oberstübchen falsch verdrahtet ist.

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