Vor drei Jahren, nach dem vorläufig letzten Weihnachtsfest, das die Deutschen völlig ohne Betonblöcke auf Weihnachtsmärkten verbringen konnten, gab es bekanntlich eine Silvesternacht, die bestimmte Zuwanderer-Gruppen und Einheimische in Köln in einer Weise gemeinsam verbrachten, die das Land schockierte. Auch die tagelangen vergeblichen Versuche der politisch Verantwortlichen, all die Überfälle, Vergewaltigungen, Raubtaten, Körperverletzungen und sexuellen Übergriffe durch gewalttätige Gruppen zugewanderter junger Männer aus meist islamisch geprägten Kulturkreisen zu vertuschen oder klein zu reden, empörten damals die Öffentlichkeit.
Man hat es schon fast wieder vergessen, dass angesichts dieser Empörung auch ganz viele Medienschaffende versprachen, mit der gut gemeinten Verharmlosungs-Unkultur bei Verbrechen und Vergehen von Menschen aus bestimmten Migranten-Gruppen Schluss zu machen. Reuige Einsicht war zu vernehmen, dass Verschweigen nicht gegen Vorurteile helfe, sondern eher das Gegenteil bewirke und vor allem verhindere, vorhandene Probleme und die Möglichkeiten zu ihrer Lösung konkret, differenziert und genau anzusprechen und zu diskutieren.
Was haben die reumütigen Redakteure damals nicht alles versprochen. Die Tonlage ähnelte ein wenig der, die die „Spiegel“-Redaktion gegenwärtig im Fall Relotius pflegt. Doch um den soll es hier gar nicht gehen, wenngleich sowohl dessen Erfolg mit Reportage-Märchen als auch die Verschweige- und Verharmlosungs-Unkultur einem gemeinsamen Prinzip folgen. Danach hat der moderne Journalist zuvörderst einer guten und richtigen Weltanschauung nützlich zu sein. Was ihr dient, soll er verbreiten und ihrem Ansehen schädliche Fakten möglichst klein halten oder gesinnungsgerecht uminterpretieren. Haltung zeigen ist wichtiger als Recherche. Die alten Leitsprüche, wie „Sagen, was ist“ oder Hanns Joachim Friedrichs Diktum, wonach sich ein guter Journalist mit keiner Sache gemein mache, auch nicht mit einer guten Sache, sind in etlichen Redaktionen längst zugunsten inhaltsleerer Sprechblasen entsorgt worden. Mit Loriots Empfehlung, dass der richtige Platz eines Journalisten der zwischen allen Stühlen sei, können viele Kollegen der Generation Relotius wahrscheinlich gar nichts mehr anfangen.
Vergessene Vorsätze
Doch von dem sollte jetzt gar nicht die Rede sein, sondern von der Erinnerung an die reumütigen Erklärungen deutscher Redakteure im Januar des Jahres 2016. Von überall her klang es, dass man künftig auch bei Straftaten von Asylbewerbern, Muslimen, Migranten oder Menschen mit selbigem Hintergrund Ross und Reiter nennen wolle. Vorurteilsfrei natürlich, idealerweise eher mit selbstverständlicher Beiläufigkeit. Sogar den entsprechenden Passus im Pressekodex des Deutschen Presserats, der – wenn möglich – das Verschweigen der Erwähnung der Herkunft von Gewalttätern anempfiehlt, wollte man überarbeiten.
All diese guten Vorsätze sind längst vergessen. Der Pressekodex wurde bekanntlich nicht geändert und die Nennung von Ross und Reiter bleibt bei bestimmten Gruppenzugehörigkeiten von Gewalttätern oder Tatverdächtigen wieder die Ausnahme. Nun kann man nicht wissen, ob jemand vorsätzlich etwas verschweigt oder ob es die entsprechenden Informationen nicht gibt. Nehmen wir beispielsweise diese Meldung der Mitteldeutschen Zeitung aus der Weihnachtszeit:
„Eine 18 Jahre alte Frau ist auf dem Heimweg von einer Feier von vier Männern zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt worden.
Sie musste wegen starker Prellungen am Kopf und am Körper zwei Tage lang in einer Klinik behandelt werden, wie die Polizei am Montag mitteilte. Demnach wurde sie am Donnerstag in Pößneck (Saale-Orla-Kreis) von einem Mann auf den Kopf geschlagen, nachdem sie diesen versehentlich angerempelt hatte. Laut Polizei war die Frau leicht angetrunken.
Als sie durch den Schlag auf den Kopf zu Boden fiel, traten mehrere Männer auf sie ein. Die Täter seien um die 20 Jahre alt gewesen. Nach Polizei-Angaben verlor die Frau vorübergehend das Bewusstsein.
Als sie wieder zu sich kam, waren die Täter verschwunden. Bei der Polizei wurde erst am Samstag Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung erstattet. Die Ermittler suchen nun nach Zeugen. (dpa)“
Die Täter waren vier Männer, mehr wollten die Berichterstatter nicht wissen. Ob nun dpa nicht mehr gemeldet hatte oder die Mitteldeutsche Zeitung eine Information herausfilterte, lässt sich nicht sagen. Sicher ist nur, die Kollegen von TAG24 können zur gleichen Zeit mit einer Information mehr aufwarten:
„Wie die Polizei am Montag mitteilte, wurde eine 18-jährige Frau am vergangenen Donnerstag von mehreren Männern verprügelt und liegengelassen. Da die Anzeige erst am Wochenende einging, konnte die Polizei erst jetzt die Ermittlungen aufnehmen.
Die 18-jährige Frau war am Donnerstagabend in Pößneck leicht angetrunken von einer Feier auf dem Weg nach Hause, als es zu dem brutalen Zwischenfall kam. „Am Mittelweg begegnete sie vier, dem äußeren Anschein nach ausländischen, ca. 20-jährigen, bisher unbekannten Tätern“, so ein Sprecher der Polizei.
Ungewollt kam es zwischen der Frau und einem der Männer zu einem leichten Rempler, welchen der Mann persönlich nahm und „unvermittelt mit der Faust gegen den Kopf der Frau“ schlug.
Diese ging daraufhin zu Boden und wurde anschließend von den restlichen drei Männern mehrmals gegen Kopf und Körper getreten. Dabei verlor die 18-Jährige für gut 15 Minuten ihr Bewusstsein und wachte alleine und schmerzverzerrt wieder auf.
„Die Geschädigte erlitt starke Prellungen an Körper und Kopf und musste zwei Tage lang im Krankenhaus behandelt werden“, so der Sprecher der Polizei weiter. Von den Tätern fehlt bisher jede Spur.“
Zwei Meldungen, die für sich sprechen.
Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de