Katharina Szabo / 23.12.2017 / 06:25 / Foto: Bundesarchiv / 21 / Seite ausdrucken

Dr. Brüderle oder: Wie ich lernte, die Burka zu lieben

Von Katharina Szabo

Beschäftigt man sich mit der Geschichte der Frauenrechte des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts in Deutschland, so kommt man nicht um ein Ereignis herum, welches die Republik erschütterte und in seinen Folgen eine völlige Neubewertung des Begriffs „Frauenrechte“ herbeiführte. 

Im Januar 2013 berichtete das Boulevardmagazin „Stern“ über eine Begegnung einer Journalistin des Blattes mit dem FDP-Politiker Rainer Brüderle am Rande des Dreikönigs-Balls in Stuttgart. Der bereits etwas angetrunkene Brüderle hatte einen Blick in das Dekolleté der Journalistin gewagt und äußerte anschließend folgenden Satz: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Der Vorfall, von dem sich das Land immer noch nicht ganz erholt hat, ging als „Dirndlgate-Affäre“ in die Annalen der Bundesrepublik Deutschland ein.

Was, so fragten sich damals viele Bürger besorgt und entsetzt, hat der Jahrzehnte währende Freiheitskampf der Frauen denn gebracht, das zähe Ringen um Wahlrecht, körperliche Unversehrtheit und Gleichheit, wenn nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, FDP-Politiker immer noch einfach so in den Ausschnitt von Frauen schielen können? Und das völlig legal? Stehen wir in Wahrheit mit leeren Händen da? Eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung des Skandales tat also Not.

Über Monate stand das Thema nun in öffentlich-rechtlichen Talkshows zur Diskussion, beherrschte die politische Agenda und füllte die Feuilletons. „Es geht um die täglichen Respektlosigkeiten, denen Frauen ausgesetzt sind“, beklagte etwa Grünen-Politikerin Claudia Roth bei Maybritt Illner. Ihre Parteigenossin Kerstin Andreae, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, ging einen Schritt weiter und forderte eine rigorose Aufklärung der Vorwürfe im Dirndlgate-Skandal. „Und dann“, so Andreae zu Handelsblatt Online, „müssen auch die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden“. Wie diese genau auszusehen hätten, ließ sie aber im Dunkeln. 

Nicht nur Chauvi, auch noch Sexist!

Schützenhilfe erhielten Roth und Andreae von der Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping, die im Kölner Stadtanzeiger folgendes Statement abgab: „Ich wusste, dass Brüderle ein Chauvi ist. Dass er auch ein Sexist ist, würde ins Bild passen. Und dass das thematisiert wird, würde ich nicht kritisieren.“ 

Die gesellschaftliche Wunde, die Brüderle mit seinem Blick in den Dirndl-Ausschnitt geschlagen hatte, saß tief. Noch im Jahr 2016 erinnerte die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, SPD, an den Vorfall und beklagte in einem Interview: „Es geht nicht um Mitleid, sondern darum, wie mit eigenem Fehlverhalten umgegangen wird. Herr Brüderle hat den Vorfall einfach vom Tisch gewischt. Damit wird das schlechte Gewissen an die Frau zurückgespielt. Das ist typisch.“ 

Der FDP tat Schwesig mit ihrem Vorwurf indes unrecht. Immerhin hatte man, auch wegen der Dirndlgate-Affäre, in der folgenden Bundestagswahl die 5 Prozent Hürde nicht geschafft. Man ging nicht einfach zur Tagesordnung über und wischte den ungeheuerlichen Skandal vom Tisch. Nicht nur gesamtgesellschaftlich, auch in den Reihen der FDP setzte eine Katharsis ein, befreite man sich vom überkommenen Rollenverständnis, modernisierte man sein Frauenbild und passte es an das der progressiveren, noch im Bundestag vertretenen Parteien an. Das Deutschland des Jahres 2017 ist nicht mehr das Deutschland des Jahres 2013. 

Näher, mein Gott, zu Dir!

Anders als damals weiß man heute etwa, dass es eine der wichtigsten Errungenschaften moderner westlicher Zivilisationen in Sachen Frauenrechte ist, Frauen jederzeit zu erlauben, freiwillig eine Burka oder einen Niqab überzuwerfen, um sich selbst im öffentlichen Raum zum Verschwinden zu bringen.

Frauen, die eine derartige rituelle Handlung vollziehen, tun dies entweder, um auf eine nur Frauen vorbehaltene Weise Nähe zu ihrem Gott zu demonstrieren, also aus feministischen Beweggründen, oder aber, um alte, weiße, heterosexuelle Männer vom Schlage eines Brüderle und deren anzügliche Blicke abzuwehren. Ein von der CSU auf’s Tapet gebrachtes Verbot dieser Praxis, das generelle Burkaverbot, lehnen progressive Vertreter von CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP folgerichtig als rückschrittlichen und chauvinistischen Eingriff in die Freiheitsrechte der Frau ab. Boris Pistorius, SPD, geißelte das diskutierte Verbot der Frauenverhüllung gar wütend als „aufgewärmte Forderung aus der rechtskonservativen Altkleidersammlung“.

Will eine Partei in der Moderne ankommen, so sollte sie auf ihre Jugend hören. Nah am Puls der Zeit wissen die Jugendorganisationen von Parteien in der Regel besser als die Altvorderen, wohin die Reise gesellschaftspolitisch geht. Was, so fragten sich jetzt auch die Jungen Liberalen Schleswig Holsteins, kann der Staat Frauen noch an Freiheit schenken, das über das bloße Recht, ausschließlich in einen schwarzen Polyester-Niqab gehüllt den öffentlichen Raum zu betreten, noch hinausgeht? Wie kann man der Emanzipation noch weiter Geltung verschaffen?

Ehe über den Tod hinaus

Schnell kam man auf die Idee, Frauen künftig auch in Deutschland die Inklusion in einen Harem nach orientalischen Vorbild zu ermöglichen und die Vielweiberei gesetzlich durchzubringen. Denn, so die jungen Feministen von der FDP unter einer Kachel mit einem Mann und vier Bräuten über dem Slogan „Liebe in Freiheit“, „wer mit wem und mit wie vielen sein / ihr Leben plant und teilt, ist keine Angelegenheit, die ein weltanschaulich neutraler Staat zu regeln hat.“

Das ist mutig und fortschrittlich. Sehr liberal, frisch und provokant, zumindest für das verklemmte Deutschland. Im Ausland ist man hingegen schon einen Schritt weiter. Warum nur lebenden Frauen die Liebe in der Freiheit der Polygamie erlauben, dachte sich etwa schon im Jahr 2012 der marokkanische Imam Zamzami Abdul Bari, warum denn tote Ehefrauen diskriminieren? Fortan, so ein von ihm verfasstes religiöses Rechtsgutachten, sei es Ehemännern im Fall des Ablebens einer ihrer Ehefrauen erlaubt, mit der verstorbenen Gattin bis zu sechs Stunden nach Eintritt des Todes den Geschlechtsakt zu vollziehen. Schließlich, so der Imam, bestehe eine Ehe über den Tod hinaus. 

Auch ein religiöses Rechtsgutachten aus Jahr 2016 scheint dem Nachwuchsverband der FDP in Sachen Fortschritt und Frauenrechte das Wasser abzugraben. Warum sollten eigentlich nur erwachsene, lebende oder tote, verheiratete Frauen in den Genuss der Liebe in Freiheit gelangen, warum nicht auch minderjährige, unverheiratete Frauen, fragte sich die türkische Religionsbehörde Diyanet und erließ eine Fatwa, die es Vätern erlaubt, ihre Töchter „mit Wollust zu küssen“ oder diese anzusehen und „dabei Lust zu empfinden“. Sofern die Tochter bereits neun Jahre alt sei, wäre dies nicht sündhaft, sondern vielmehr gottgefällig.

Gegen ein pauschales Verbot von Kinderehen

„Kulturelle Werte unterliegen einem steten Wandel“, sinnierte in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ im gleichen Jahr die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, SPD, diese müssten daher „permanent ausgehandelt werden“. Einem generellen Verbot der Liebe in Freiheit mit Kindern, zumindest innerhalb des geschützten Rahmens der Ehe, erteilte sie eine rigorose Absage. „Ein pauschales Verbot von Ehen mit Minderjährigen ist zwar vielleicht gut gemeint, kann aber im Einzelfall junge Frauen ins soziale Abseits drängen", warnte die SPD-Politikerin.

Gehen wir zurück ins Jahr 2013 und zu Rainer Brüderle. Was wäre geschehen, wäre Brüderle damals schon in puncto Frauenrechte und Liebe auf der Höhe der Zeit des Jahres 2017 und somit nah bei der eigenen Jugendorganisation gewesen? Hätte er Deutschland in eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte gestoßen, indem er einer Boulevardjournalistin in den Ausschnitt lugte? Oder wäre er, im Gegenteil, in die nächstgelegene Salafistenmoschee marschiert, übergetreten und hätte vier minderjährige, in Niqabs gehüllte Zwangsehefrauen verlangt?

Hätte er den steten Wandel, dem kulturelle Werte nun mal unterliegen, akzeptieren können? Hätte er, um ein modernes Zeichen für Weltoffenheit zu setzen, statt – wie seit Jahrhunderten in Deutschland üblich – wehrlosen Frauen lediglich ins Dekolleté zu stieren, der freien Liebe Vorschub geleistet, indem er betroffene Männer auffordert, unter dem hashtag #lastgoodbye ihre Eindrücke vom allerletzten Verkehr mit der noch lauwarmen, eben verstorbenen Ehefrau zu schildern? Frei und ohne falsche Scham? 

Wir wissen nicht, ob sich der 2013 bereits betagte Rainer Brüderle in einem solchen Ausmaß der Moderne hätte öffnen können. Eines ist aber nahezu sicher. Niemand hätte sich empört, keiner wäre zu einem Aufschrei für Frauenrechte gezwungen gewesen. Und dem Land wäre das unrühmliche Kapitel des Dirndlgate-Skandals erspart geblieben.

 

Foto: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

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Klaus Metzger / 23.12.2017

Sie haben noch Sure 2 Vers 223 vergessen. Das ist die Geschichte mit der Frau als Acker des Mannes. Oder wie es Dieter Nuhr mal ausdrückte, im Islam gibt es keine “Kopfschmerzen”.

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