Gastautor / 20.04.2019 / 10:00 / Foto: Nikolai Nikolajewitsch / 16 / Seite ausdrucken

Die Abgründe des christlichen Antisemitismus

Von Hyam Maccoby.

Hyam Maccoby verdanken wir eine der innovativsten wissenschaftlichen Interpretationen zur Ideen- und Wirkungsgeschichte des Christentums. Die damit eng verknüpfte Theorie des Antisemitismus ist deutlich belastbarer als beispielsweise die schwachbrüstigen Ansätze des Antisemitismusbeauftragten Michael Blume. Maccoby ist im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert worden, was u.a. am unglücklichen Publikationsort der ersten Übersetzungen, dem Ahriman-Verlag des Alt-SDSlers und Sektierers Fritz Erik Hoevels, liegen mag. Dem renommierten Hentrich & Hentrich Verlag gebührt das Verdienst, Maccobys A Pariah People: The Anthropology of Antisemitism (1996) nun in deutscher Übersetzung verfügbar gemacht zu haben. Achgut.com bringt Auszüge, passend zur Karwoche:

Wir können (…) offen anerkennen, dass Antisemitismus nicht auf die Christenheit begrenzt ist, sondern auch, in anderer Form, im Islam existiert. Aber dies führt uns zur Formulierung einer ersten Aussage über den Ursprung und Umfang von Antisemitismus (…): Antisemitismus entsteht in Regionen, in denen eine vom Judentum abgeleitete Religion vorherrscht. Dieses Prinzip lässt viel Raum für nähere Ausarbeitung, denn die Art des Antisemitismus, der entsteht, hängt vom Charakter der Beziehung zwischen der verdrängenden Religion und der ursprünglichen Religion ab. Sie hängt auch, wie wir erklären werden, von der Art des Usurpationsmythos ab, der in der verdrängenden Religion entsteht, um das Bedürfnis nach einer neuen Form der Religion, nach einem neuen Personal für das auserwählte Volk Gottes und nach der Verurteilung und Vertreibung des früheren Personals zu erklären. 

Ein Einwand könnte allerdings gegen das oben ausgesprochene Prinzip erhoben werden, dass es die früheste Form des Antisemitismus, nämlich den hellenistischen, nicht berücksichtigt, der aus kultureller Konkurrenz und schlichter Ablehnung jüdischer religiöser Behauptungen entstand, nicht aus dem Versuch, die Juden aus ihrem eigenen Diskursrahmen heraus zu verdrängen. An dieser Stelle ist es notwendig, tiefer in die Definition des Antisemitismus einzudringen, um verschiedene Ebenen zu erkennen. 

„Antisemitismus“ als Codewort für Judenhass verstehen

Im Allgemeinen bedeutet Antisemitismus einfach Hass auf die Juden. Es ist zu diesem Zeitpunkt kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass dies nicht „Hass auf Semiten“ bedeutet. Hitlers enge Freundschaft und Allianz mit dem Mufti von Jerusalem beweist, dass er kein Feind der Semiten war, sondern nur der Juden, und das gilt für alle Antisemiten. Der Name „Anti-Semit“ wurde von Wilhelm Marr geprägt, um dem Judenhass einen pseudowissenschaftlichen genetischen oder rassistischen Anstrich zu geben. Einige wohlmeinende, aber törichte Autoren (zum Beispiel Arthur Koestler und Hugh Montefiori) haben die rassistische Theorie so ernst genommen, dass sie eine einfache Lösung für Antisemitismus vorgeschlagen haben: beweisen, dass die Juden eigentlich keine Semiten seien (da sie chasarischer oder gemischter Abstammung seien), und der Antisemitismus werde verschwinden. Leider hat diese Lösung, da die Gleichsetzung von Juden und Semiten nie mehr als ein Trick war, keine Chance zu funktionieren. 

James Parkes schlug vor, das Wort immer „antisemitisch“ statt „anti-semitisch“ („antisemitic“ statt „anti-Semitic“) zu schreiben, um die Sinnlosigkeit des Gedankens hervorzuheben, es gebe Menschen, die ernsthaft gegen Semiten als solche (zum Beispiel nicht nur Juden, sondern auch Araber, Phönizier, Akkader, Babylonier und so weiter) sein könnten. Es ist bedauerlich, dass das Wort inzwischen so eingeführt ist, dass es heute unmöglich ist, es gegen einen passenderen Ausdruck wie etwa „Judenhasser“ auszutauschen. Angesichts der Tatsache, dass das Wort nicht mehr verschwinden wird, müssen wir uns mit so offenkundigen Absurditäten wie „arabischer Antisemit“ oder dem offensichtlichen Anachronismus eines „hellenistischen Antisemitismus“ in einer Zeit, als es keine rassistische Theorie gab, abfinden. Das Äußerste, was wir tun können, um die Absurdität oder den Anachronismus zu vermeiden, ist der Gebrauch der Schreibung „Antisemitismus“, wie Parkes vorschlug, um darauf hinzuweisen, dass das Wort nicht buchstäblich als „Hass auf Semiten“ verstanden werden soll, sondern als Codewort für Judenhass. Unterdessen muss man hoffen, dass das Wort nicht mehr buchstäblich als Entschuldigung für die opportunistische semantische Taschenspielerei gebraucht wird, zum Beispiel: „Wie können Araber Antisemiten sein? Sie sind doch selbst Semiten.“ 

Wenn Antisemitismus Hass auf Juden bedeutet, wie unterscheidet er sich von bloßer Fremdenfeindlichkeit? Die Antwort ist, dass Antisemitismus auf der untersten Ebene tatsächlich bloß eine Form von Xenophobie ist, vergleichbar etwa mit Ausdrücken wie Anglophobie. Auf dieser Ebene mag man die Juden nur deshalb nicht, weil sie anders sind, genauso wie die Engländer vielleicht die Franzosen oder sogar die Waliser nicht mögen. Vieles im hellenistischen Antisemitismus lag auf dieser Ebene. Vieles ging aber auch über diese Ebene hinaus und wurde stattdessen ein Gegensatz ideologischer Art, da die Hellenisten glaubten, die Juden stellten eine Gefahr für den hellenistischen kulturellen Anspruch auf die höchste Form der Zivilisation dar. Zu einer weiteren Ebene stieg dieser ideologische Antisemitismus in der Gnosis auf, wo die Juden als die irdischen Vertreter einer bösen kosmischen Macht angesehen wurden, und zu einer noch höheren Ebene im Christentum, wo man glaubte, die Juden hätten eine Tat von außergewöhnlicher Bosheit vollbracht, die Ermordung des menschgewordenen Gottes.

Gavin Langmuir hat argumentiert, dass der Antisemitismus erst auf dieser irrationalen und paranoiden Ebene seinen besonderen und einmaligen Platz verdiente, da er unter den verschiedenen Arten von Xenophobie eine besondere Bezeichnung verlangte. Ich würde zustimmen, dass diese äußerste Form des Antisemitismus die interessanteste und wichtigste für den Historiker, Soziologen und Anthropologen ist. Ein besonderer paranoider Abscheu macht sich auf dieser letzten Ebene an den Juden fest, der mit keinem anderen xenophoben Hass verglichen werden kann, und dieser war es, der nach vielen Jahrhunderten der Indoktrination den Holocaust herbeigeführt hat. Doch gibt es terminologische Schwierigkeiten, den Begriff Antisemitismus nur auf diese Ebene zu beschränken, und ich würde vorschlagen, dass der Begriff auf jede Ebene angewendet werden sollte, aber mit dem Vorbehalt, dass Antisemitismus nur auf der dämonisierenden ideologischen Ebene ein einzigartiges Problem darstellt. 

Christliche Form die mit Abstand aggressivste

Vor der Neuzeit gab es nur drei Formen des dämonisierenden ideologischen Antisemitismus, die gnostische, christliche und islamische, von denen die christliche Form die mit Abstand aggressivste war, da sie von einem einzigartig erschreckenden Usurpationsmythos verstärkt wurde. Ein detaillierter Vergleich dieser drei vormodernen Formen sprengt den Rahmen (…) Hier möge es genügen, anzumerken, dass alle drei vom Judentum abhängige Formen von Religion sind, und wir können unsere Formel wie folgt ergänzen. Dämonisierender ideologischer Antisemitismus ist auf Bevölkerungen begrenzt, die vom Judentum abgeleiteten Religionen angehören. 

Die Existenz aggressiver Formen des modernen Antisemitismus, die offenbar nicht mit dem Christentum verknüpft sind, wird oft als Beweis dafür angeführt, dass dämonisierender Antisemitismus nicht zwangsläufig religiösen Ursprungs ist. Der Nazismus stellte sich als nichtchristliche, heidnische oder sogar christenfeindliche Doktrin im Geiste Nietzsches dar. Ähnlich ist die andere Erscheinungsform des modernen ideologischen Antisemitismus, jene des Marxismus, mit ihrem jüngeren Sprössling, dem Antisemitismus der Neuen Linken, deutlich nach Ziel und Selbstverständnis nichtchristlich. Doch jede historische Untersuchung der Ursprünge und Denkmuster des Antisemitismus der Nazis und der Neuen Linken zeigt, wie unauflösbar diese Erscheinungsformen den christlichen Antisemitismus fortsetzen.

Die nazistische antisemitische Propaganda bestand aus der Wiederholung antisemitischer Verunglimpfungen, die im Mittelalter und sogar noch früher gegen die Juden ersonnen worden waren, zum Beispiel die Ritualmordlegende, die behauptete, dass Juden christliches Blut für rituelle Zwecke verwendeten. Hitler stützte seinen Standpunkt bewusst auf die antisemitischen Ergüsse Luthers. Zwar war der Nazismus keine christliche Bewegung, doch war sein Antisemitismus die Frucht von Jahrhunderten christlicher antisemitischer Propaganda, die besonders heftig in Deutschland war, der eigentlichen Heimat der Passionsspiele. Die Nazis wussten, dass das Ausspielen der antisemitischen Karte eine politische Masche war, die in der christlichen Bevölkerung nicht nur in Deutschland, sondern in Europa überhaupt eine prompte Reaktion hervorrufen würde. Ohne die stillschweigende und oft offene Unterstützung dieser Bevölkerung hätte der Holocaust niemals umgesetzt werden können. 

Der marxistische Antisemitismus war nicht so bewusst darauf angelegt, tief verwurzelte christliche Vorurteile anzusprechen, doch seine Ursprünge lassen sich mühelos aufspüren. Marx war selbst Jude, wurde aber getauft und als Christ großgezogen. Seine ganze Erziehung war christlich, und seine Kenntnis des Judentums beschränkte sich auf das in christlichen Quellen Enthaltene. Obwohl er als Erwachsener seinen christlichen Glauben ablegte, behielt er ein negatives Bild von den Juden als „Krämer“ bei, deren ganze Religion sich auf Geld richtete. Deshalb fiel es ihm leicht, das Judentum als Herz und Seele des Kapitalismus auszumachen, eine Kennzeichnung, die er mit anderen sozialistischen Antisemiten einschließlich Proudhon und Charles Fourier teilte. Diese Identifizierung lässt sich letztlich auf das christliche Bild von Judas Ischariot zurückführen, den archetypischen Juden, der seinen Herrn für Geld verkaufte, mit dem Geld der zwölf Apostel betrog und in der christlichen Kunst immer mit einem Geldsack in der Hand dargestellt ist. Im Antisemitismus der Neuen Linken wird das Bild auf eine weitere Stufe gehoben: Die Juden sind nicht bloß die Organisatoren internationalen kapitalistischen Geldwesens, sondern auch die Speerspitze der kapitalistischen und imperialistischen Verschwörung gegen die unschuldigen und benachteiligten Nationen der „Dritten Welt“. 

Fortbestand eines Glaubenssystems in der Form unbewusster Fantasien und Vorurteile

Die paranoide Art dieser Bilder wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass rechte Anhänger des Kapitalismus es genauso leicht gefunden haben, die Juden als Speerspitze der Mächte des internationalen Kommunismus darzustellen. Einige haben die Juden sogar so dargestellt, als kombinierten sie beide Handlungsweisen, als brächten sie Kapitalismus und Kommunismus gleichzeitig in abgestimmten Manövern voran, um auf den Zusammenbruch der nichtjüdischen Welt hinzuarbeiten. Das Gesamtbild des modernen Antisemitismus zeigt eine starke Tendenz, die Juden mit der wie auch immer gearteten diabolischen Kraft zu identifizieren, wie sie von einer dualistischen Ideologie gefordert wird: Wo die Theorie eine niederträchtige politische Gruppe erfordert, die gegen Gerechtigkeit und Fortschritt arbeitet, wird aufgedeckt, dass Juden diese Gruppe ausmachen.

Es kann kein Zufall sein, dass dieses dualistische Schema jenes des traditionellen Christentums wiederholt. Dieses Phänomen entsteht aus der Tatsache, dass ein Glaubenssystem nicht verschwindet, wenn es zusammenbricht, sondern in der Form unbewusster Fantasien und Vorurteile fortbesteht, die umso stärker sein mögen, als sie sich rationaler Analyse entziehen. Die Judenphobie moderner politischer Ideologien sollte deshalb als nachchristlicher Antisemitismus betrachtet werden. Er sollte nicht mit dem vorchristlichen Antisemitismus der hellenistischen Welt gleichgesetzt werden. Denn er trägt alle besonderen Merkmale des christlichen Antisemitismus, dessen nicht anerkanntes Kind er ist. Der nazistische Antisemitismus zum Beispiel sollte nicht aufgrund von Wagners und Hitlers ausdrücklicher Bewunderung für die nordische Mythologie als Rückfall ins Heidentum abgetan werden. Dies ist eine unverdiente Beleidigung altnordischer Heiden, die nie antisemitisch waren, bis sie christianisiert wurden. 

Eine endgültige Version unserer Formel wird also lauten: Dämonisierender ideologischer Antisemitismus ist auf Bevölkerungen begrenzt, die vom Judentum abgeleiteten Religionen angehören oder solche als historischen Hintergrund haben. Eine zusätzliche Komplikation ist, dass die westliche Zivilisation durch ihren erfolgreichen Einsatz der Technologie einen bedeutenden Einfluss auf nichtwestliche Gesellschaften hatte, besonders im 20. Jahrhundert. Dieser Einfluss hat sich auch auf westliche Ideologien ausgedehnt, vornehmlich auf den Marxismus, der das herrschende Bekenntnis Chinas und anderer östlicher Länder wurde. Zusammen mit Technologie und kommunistischem Bekenntnis brachte der Marxismus zum ersten Mal die Grundsätze des Antisemitismus in diese Länder, nun als „zionistischer Imperialismus“ maskiert. Da allerdings der Antisemitismus keine wirklichen Wurzeln in östlichen Ländern hat, wurde er dort eine Leerformel und wird weitere politische Entwicklungen wahrscheinlich nicht überleben. 

Ein etwas ernsteres Phänomen war die antisemitische Wirkung des nazistischen Bündnisses mit Japan. Der Antisemitismus schien eine Saite in der japanischen Psyche zu berühren, obgleich er unbekannt war, ehe das Bündnis antisemitische Literatur nach Japan brachte. Selbst nach der japanischen Niederlage und der Errichtung der Demokratie bestand der Antisemitismus in der Form erfolgreicher Unterhaltungsliteratur fort, die die Machenschaften einer weltweiten jüdischen Verschwörung verbreitet. Der Reiz dieser Literatur könnte durchaus eng mit der japanischen Niederlage und dem Bedürfnis, irgendeinen externen diabolischen Grund dafür zu finden, zusammenhängen. Auf merkwürdige Weise diente die Fantasie von der jüdischen Weltherrschaft auch als Ersatz für den früheren japanischen Traum, genau diese zu erreichen, und auch als Vorbild für heutige realistische japanische Anstrengungen, Weltherrschaft im wirtschaftlichen Bereich zu erlangen. Dies erklärt den Anflug von Bewunderung im japanischen Antisemitismus, trotz des scheinbaren Tons moralischer Entrüstung. Insgesamt also ist das Auftreten von Antisemitismus außerhalb des christlich-islamischen Blocks peripher und unbedeutend. Er ist ein unnatürlicher Auswuchs, der Gesellschaften ohne Tradition von Antisemitismus aufgepfropft wurde. Geschehen ist dies wegen des westlichen kulturellen, technologischen und politischen Einflusses, und es ist unwahrscheinlich, dass er dauerhaft Fuß fasst. 

Antisemitismus nicht endemisch in der menschlichen Natur

Gleichwohl kann man immer noch fragen, warum die Juden im hinduistischen Indien nicht auf Antisemitismus trafen. Warum gab es keine kulturelle Konkurrenz zwischen Judentum und Hinduismus, vergleichbar jener zwischen Judentum und Hellenismus in der Antike? Angenommen, dass die besondere Schärfe von Verdrängung und Usurpation fehlte, weil es keine Beziehung zwischen Judentum und Hinduismus gab, könnte man dennoch etwas von der Rivalität erwarten, die zwischen dem Hinduismus und den anderen auf dem Judentum beruhenden Religionen – Islam und Christentum – tatsächlich vorkam. Die Antwort scheint zu sein, dass das Judentum nicht als missionierende Religion auftrat, wie es die anderen taten. Überdies trat das Judentum anders als der Islam und das Christentum nicht in Gestalt militärischer Eroberung auf.

Der Hinduismus ist von seinem Wesen her nicht auf Konfrontation mit anderen Religionen aus. Er neigt dazu, ihnen einen Platz in seinem eigenen religiösen System zu geben, indem er Gemeinden fremden Ursprungs sogar einen Kastenstatus zuweist. Das Gefühl der Überlegenheit ist vorhanden, wie in der hellenistischen Kultur, aber das Kastensystem erlaubt so viele Varianten der Lebensart und Philosophie, dass fremde Kulturen auf irgendeiner Ebene aufgenommen werden können. Die Gefühle der Überlegenheit sind weitgehend auf die oberste Kaste konzentriert, die Brahmanen, die es gewohnt sind, gegenüber „niedrigeren Stufen der Gesellschaft“ Nachsicht zu üben. Die hellenistische Kultur dagegen hatte einen Drang zur Einheitlichkeit und eine Intoleranz gegenüber Vielfalt, gepaart mit einer grundlegenden Demokratie, die das gleiche kulturelle und geistige Niveau für alle verlangte. Sie verübelte die Existenz von Nischen kulturellen Widerstands, während der Hinduismus sie als Ausdruck der unendlichen Vielfalt des Menschenmöglichen sogar begrüßt. 

Der ausgezeichnete Leumund des Hinduismus in Bezug auf das Judentum ist in den letzten Jahren durch eine unfreundliche Haltung der indischen Regierung gegenüber Israel ein wenig getrübt worden. Dies ist nicht durch irgendeine grundlegende Feindschaft verursacht worden, sondern durch die Erfordernisse einer Politik der „Dritten Welt“, die von Indien Solidarität mit arabischen Ländern verlangte, mit denen Indien tatsächlich kulturell wenig gemein hat und, historisch betrachtet, vieles, das gegen diese steht. Mir ist von indischen Freunden versichert worden, dass die Politik der Regierung in dieser Hinsicht von wenigen Vertretern hinduistischer Anschauung unterstützt wird. Im Allgemeinen bietet die Geschichte der hindu-jüdischen Beziehungen den starken Beweis, dass Antisemitismus nicht endemisch in der menschlichen Natur ist und nicht aus ärgerlichen oder elitären Merkmalen der Juden oder des Judentums entsteht. 

Auszug aus: „Ein Pariavolk. Zur Anthropologie des Antisemitismus“ von Hyam Maccoby, 1. Auflage der deutschen Ausgabe 2019, Hentrich & Hentrich Verlag: Berlin/Leipzig (Original: A Pariah People. The Anthropology of Antisemitism, London: Constable and Company Limited 1996), hier bestellbar.

Hyam Maccoby (1924–2004) war Talmudphilologe, Bibliothekar am Leo Baeck College in London und zuletzt Professor für Judaistik an der Universität Leeds. Er erforschte die Entstehung und historische Dynamik von Christentum und Judentum. Seine zentralen Werke Jesus der PharisäerDer Mythenschmied und Der Heilige Henker wurden auch außerhalb der akademischen Welt bekannt. Sein Theaterstück Die Disputation wurde in zahlreichen Städten der USA sehr erfolgreich aufgeführt.

Den ersten Teil dieser Beitragsfolge finden Sie hier.

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Leserpost

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Hans Dieter / 20.04.2019

Sehr abenteuerliche Herleitung des angeblich “christlichen” Antisemitismus. Schon in seinen Prämissen macht Herr Maccoby einige Fehler: Es beginnt mit seiner kollektivistischen, irrigen Annahme, man könne das biblische Christentum mit dem kirchlich-institutionellen gleichsetzen. Ein Fehler, den hauptsächlich auch Kirchenvertreter mit voller Absicht begehen, im Versuch sich zu legitimieren. Die Institution Kirche begeht seit ihren Anfängen den selben kollektivistischen Frevel, wie auch der Islam: Sie deklariert ihre gesamte Mitgliederschaft, teilweise sogar die Bevölkerung, als “Gläubige”. Ein Konzept, dass die das Individuum ansprechende Bibel vollständig ablehnt. Es gibt keine Sündenvergebung durch Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, lediglich durch persönliche Buße und Glauben an Jesus Christus. Weiterhin verurteilt die Bibel Judas Ischariot nicht aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, sondern aufgrund seiner persönlichen Fehler. Auch fordert die Bibel keine Vergeltung oder Ressentiments gegenüber Juden, ganz im Gegenteil werden sie auch im Neuen Testament nach wie vor als auserwähltes Volk Gottes auf Erden beschrieben und auch der besondere Stellenwert dieser im göttlichen Heilsplan hervorgehoben. Jesus selbst hält Petrus und die anderen Jünger sogar davon ab, ihn gegen die Römer zu verteidigen, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Selbiges gilt auch im Hinblick für die Juden. Der biblische Auftrag Christi an die Jünger, Apostel und Gemeinde waren ebenfalls nicht Vergeltung, sondern Verkündung des Evangeliums und Vergebung, auch gegenüber Feinden. Auch den Umstand, dass in den Anfangszeiten des Christentums selbige massiven Verfolgungen durch einige jüdische Eiferer ausgesetzt war, vor allen Dingen durch Saulus, der sich später selbst zum Christentum bekehrte, übersieht Maccoby. Somit bestand oder besteht viel mehr bei einigen Juden ein “Ursurpationsmythos”, der sie veranlasste, Christen als vermeintliche “Konkurrenz” zu betrachten.

Robert Krischik / 20.04.2019

Wann kommt der dritte Teil? Ich finde das alles sehr spannend. Vor allem weil mich die großen Werke der Kirchenmusik so sehr begeistern. Wenn ich bedenke, dass gerade die großen Passionswerke von Bach und Co. alle antisemitisch durchseucht sind, möchte ich am liebsten nur noch weinen. Und Gott popelt derweilen seelenruhig in seiner Nase…

Thomas Piekenbrock / 20.04.2019

Der Autor bringt seine Abneigung gegenüber dem christlichen Glauben wortgewaltig zum Ausdruck. Dafür mag er persönliche Gründe haben, die ich nicht infrage stelle. Aussagen zum biblisch christlichen Bild über die Juden sind aber nicht an kontextlosen Zitaten festzumachen. Es gilt, die biblische Aussage im Ganzen zu sehen. 1. Die Schriften des Neuen Testamentes rechtfertigen keinen Haß auf Juden, egal in welcher Form und aus welchem Grund. Selbst die Unterscheidung von “Juden” und “Nichtjuden (damals Griechen)” ist aus christlicher Sicht hinfällig. (Das Evangelium) ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen. (Römer 1,16) Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der anderen Välker? Ja, auch der anderen, da doch gilt: Gott ist «der Eine» (Römer 3,29f) Darin gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen. Alle haben denselben Herrn; aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen. (Römer 10,12) 2. Die Schriften des Neuen Testaments rechtfertigen keine Zwangsmaßnehmen gegenüber Andersgläubigen. Im Gegenteil riefen Jesus sowie die Apostel zur bedingungslosen Liebe zu allen Menschen auf. Leider wurde dagegen im Laufe der europäischen Geschichte massiv verstoßen. Die unselige Diskriminierung war aber nicht ethnisch begründet, sondern damit, daß die europäischen Juden zumeist den christlichen Glauben nicht annahmen. Ungleich härter traf es diejenigen, die als “Ketzer” galten und in der Regel nicht jüdisch waren. 3. Die Autoren der neutestamentlichen Texte waren selbst Juden, wie auch Jesus von Nazareth auf der Erde als Jude gelebt hat. Heute aktuell wie vor 2000 Jahren: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Griechen eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen. (1.Kor 1,22ff)

Robert Jankowski / 20.04.2019

Ganz offen: zu lang und zudem 1000fach durchgekaut. Die Deutschen sind mittlerweile so brainwashed, dass sie auch die Ablehnung einer aggressiv-invasiven Religion als “Antisemitismus und Rassismus” akzeptieren. Außerdem finde ich, dass Juden diese Opferhaltung nicht steht, spätestens seit der Gründung Israels. Sie wollen nie wieder Opfer sein und das ist gut so. Für mich, als Protestant, ist die Art der streitbaren Auseinandersetzung mit Gott elementar und ich finde, dass die Juden da dem Christentum und dem Islam einiges voraus haben.

Wolfgang Pfeiffer / 20.04.2019

Habe ich gestern, in Kommentaren zum ersten Teil der Serie, ganz vergessen: Danke für den Hinweis auf Maccoby: einmal weil ich das hier vorgestellte Buch bisher nicht kannte, aber auch, weil der Autor mit seinen Büchern insgesamt eine hervorragende Möglichkeit zu sein scheint, dem Christentum auf die Spur zu kommen. Ich verdanke Maccoby eine Menge: gefällt mir, dass Sie mit dem Hinweis auf ihn auch anderen Leuten die Chance bieten, dazu zu lernen. Und wenn Sie mir bitte meine Gemaule von gestern vergeben - wegen Ihrer vielleicht nicht so ganz ausdrücklichen Hinweise auf Übersetzungen anderer Bücher von Maccoby.

Jan Deichmohle / 20.04.2019

Fortsetzung meines Beitrags (zuvor war die Behauptung widerlegt worden, ‘Usurpation’ sei erklärender Schlüsselbegriff). Die soziale Dynamik abgeschlossener Gruppen in einer größeren Gruppe (‘Wirtsvolk’) hatte ich in meinem Blogartikel über Indien und China untersucht, die gegenteilige Mustergesellschaften sind. China schmilzt andere Gruppen ein, hat sogar die jüdische aufgesogen, die ihr Judentum vergaß. Das Gegenteil ist die in tausende Kasten zersplitterte indische Gesellschaft, die mit einer jüdischen Kaste auch kein Problem hatte. Andere Gesellschaften, die dazwischen liegen und weniger starke Bindekraft entfalten, haben möglicherweise ein Integrationsproblem. Wie das Huhn-und-Ei-Problem scheint die Frage, was letztlich Auslöser ist, der irrationale Kräfte weckt. Spötter könnten einwenden, das Huhn-Ei-Problem sei gelöst, weil es Eier bereits bei Sauriern gab, lange vor der Entstehung von Vögeln, i.b. Hühnern. Trotzdem wäre die soziale Dynamik von Gruppen und beiderseitigen Ausgrenzungsmechanismen zu betrachten. Der schwierigste Zeitpunkt wäre der einer versuchten Integration, wenn die Gruppen nicht mehr ihre gewohnte Trennung haben, aber auch noch nicht vollständig assimiliert sind.

Jan Deichmohle / 20.04.2019

Der Artikel enthält viele Gedanken, die ich unabhängig und in Unkenntnis dieser Quelle in meinem Artikel über China und Indien entwickelt habe. In einem Punkt unterscheidet sich meine Deutung: Christlicher Antisemitismus entstammt weder einer Usurpation noch dem Urchristentum, das jüdisch war wie Jesus und seine Anhänger. Jesus wollte vermutlich auch keine neue Religion gründen, sondern die jüdische reformieren. Solche Strömungen gab es damals einige. Das Neue Testament entstammt einer scharfen geistigen Auseinandersetzung zwischen dem herkömmlichen jüdischen Glauben, vertreten durch die Hohepriester, und dem ‘aufsässigen’ Jesus, dessen Anhängerschaft sich als verfolgt darstellt. Es handelt sich um einen innerjüdischen Richtungsstreit, nicht aber Antisemitismus. Erst in dem Moment, als sich Saulus zum Paulus wandelte und damit begann, Nichtjuden zum Christentum zu bekehren, entstand die Möglichkeit, den internen Streit mißzuverstehen. Zuvor waren auch im hellenischen Bereich nur Juden bekehrt worden. Aus der Kritik an den Trägern des traditionellen Glaubens konnte nun eine Abneigung gegen das Judentum werden. ‘Usurpation’ klingt suggestiv und ist verlockend, weil dadurch eine Verallgemeinerung entsteht, die alle Fälle zu umfassen scheint. Doch das ist nicht richtig. Denn Ursurpation liegt beim Islam vor, der jüdische Überlieferung benutzt und umdeutet. Das war beim Urchristentum aber eindeutig nicht der Fall. Hier liegt ein später mögliches Mißverständnis vor, sobald das Christentum andere Träger erhielt. Aus einem weiteren Grunde ist die verlockende Erklärung mit dem Begriff ‘Usurpation’ als erklärendem Schlüsselbegriff falsch. Denn es gibt weitere, kleinere Religionen, die sich auf ‘Israel’ beziehen, z.B. die Rastafari. Ob sie nun aus dem alten Testament (der Bibel) oder der Thora schöpfen, ursupieren sie offensichtlich jüdische Religion, ohne daß mir Antisemitismus bei ihnen bekannt wäre. Ein weiterer Ansatz wäre die Dynamik sozialer Gruppen zu betrachten

Frank Holdergrün / 20.04.2019

Sich gegenseitig ausschließende Religionen tun sich schwer im direkten Zusammenleben, und die 3 monotheistischen haben dabei logischerweise die größten Probleme. Alle östlichen Religionen sind in der Lage, andere Glaubenssysteme zu integrieren, sie zu einem Universismus zu entwickeln, sogar in Japan war das möglich.  Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus haben das Andock-Gen und werden von den Menschen je nach Situation des Lebens geglaubt. In diesem Zusammenhang schaffen monotheistische Religionen mehr Probleme als Lösungen, und man weiß mithin, warum Christen und Muslime in China große Probleme haben. Die Toleranz polytheistischer Glaubenssysteme, man wünscht sich diese heute zurück. Die Suche nach der einzigen Wahrheit, dem einzigen Gott, eines der Hauptprobleme der Menschheit, neben dem irren, vermessenen Kult um den Wunsch nach Unsterblichkeit. Insofern bin ich etwas ärgerlich auf das Judentum, welches heute im Inneren doch Polytheismus lebt und in der Lage ist, stärkste Differenzen auszuhalten, vom ultraorthodoxen Juden bis hin zum Atheisten.

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