Sehr abenteuerliche Herleitung des angeblich “christlichen” Antisemitismus. Schon in seinen Prämissen macht Herr Maccoby einige Fehler: Es beginnt mit seiner kollektivistischen, irrigen Annahme, man könne das biblische Christentum mit dem kirchlich-institutionellen gleichsetzen. Ein Fehler, den hauptsächlich auch Kirchenvertreter mit voller Absicht begehen, im Versuch sich zu legitimieren. Die Institution Kirche begeht seit ihren Anfängen den selben kollektivistischen Frevel, wie auch der Islam: Sie deklariert ihre gesamte Mitgliederschaft, teilweise sogar die Bevölkerung, als “Gläubige”. Ein Konzept, dass die das Individuum ansprechende Bibel vollständig ablehnt. Es gibt keine Sündenvergebung durch Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, lediglich durch persönliche Buße und Glauben an Jesus Christus. Weiterhin verurteilt die Bibel Judas Ischariot nicht aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, sondern aufgrund seiner persönlichen Fehler. Auch fordert die Bibel keine Vergeltung oder Ressentiments gegenüber Juden, ganz im Gegenteil werden sie auch im Neuen Testament nach wie vor als auserwähltes Volk Gottes auf Erden beschrieben und auch der besondere Stellenwert dieser im göttlichen Heilsplan hervorgehoben. Jesus selbst hält Petrus und die anderen Jünger sogar davon ab, ihn gegen die Römer zu verteidigen, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Selbiges gilt auch im Hinblick für die Juden. Der biblische Auftrag Christi an die Jünger, Apostel und Gemeinde waren ebenfalls nicht Vergeltung, sondern Verkündung des Evangeliums und Vergebung, auch gegenüber Feinden. Auch den Umstand, dass in den Anfangszeiten des Christentums selbige massiven Verfolgungen durch einige jüdische Eiferer ausgesetzt war, vor allen Dingen durch Saulus, der sich später selbst zum Christentum bekehrte, übersieht Maccoby. Somit bestand oder besteht viel mehr bei einigen Juden ein “Ursurpationsmythos”, der sie veranlasste, Christen als vermeintliche “Konkurrenz” zu betrachten.
Wann kommt der dritte Teil? Ich finde das alles sehr spannend. Vor allem weil mich die großen Werke der Kirchenmusik so sehr begeistern. Wenn ich bedenke, dass gerade die großen Passionswerke von Bach und Co. alle antisemitisch durchseucht sind, möchte ich am liebsten nur noch weinen. Und Gott popelt derweilen seelenruhig in seiner Nase…
Der Autor bringt seine Abneigung gegenüber dem christlichen Glauben wortgewaltig zum Ausdruck. Dafür mag er persönliche Gründe haben, die ich nicht infrage stelle. Aussagen zum biblisch christlichen Bild über die Juden sind aber nicht an kontextlosen Zitaten festzumachen. Es gilt, die biblische Aussage im Ganzen zu sehen. 1. Die Schriften des Neuen Testamentes rechtfertigen keinen Haß auf Juden, egal in welcher Form und aus welchem Grund. Selbst die Unterscheidung von “Juden” und “Nichtjuden (damals Griechen)” ist aus christlicher Sicht hinfällig. (Das Evangelium) ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen. (Römer 1,16) Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der anderen Välker? Ja, auch der anderen, da doch gilt: Gott ist «der Eine» (Römer 3,29f) Darin gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen. Alle haben denselben Herrn; aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen. (Römer 10,12) 2. Die Schriften des Neuen Testaments rechtfertigen keine Zwangsmaßnehmen gegenüber Andersgläubigen. Im Gegenteil riefen Jesus sowie die Apostel zur bedingungslosen Liebe zu allen Menschen auf. Leider wurde dagegen im Laufe der europäischen Geschichte massiv verstoßen. Die unselige Diskriminierung war aber nicht ethnisch begründet, sondern damit, daß die europäischen Juden zumeist den christlichen Glauben nicht annahmen. Ungleich härter traf es diejenigen, die als “Ketzer” galten und in der Regel nicht jüdisch waren. 3. Die Autoren der neutestamentlichen Texte waren selbst Juden, wie auch Jesus von Nazareth auf der Erde als Jude gelebt hat. Heute aktuell wie vor 2000 Jahren: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Griechen eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen. (1.Kor 1,22ff)
Ganz offen: zu lang und zudem 1000fach durchgekaut. Die Deutschen sind mittlerweile so brainwashed, dass sie auch die Ablehnung einer aggressiv-invasiven Religion als “Antisemitismus und Rassismus” akzeptieren. Außerdem finde ich, dass Juden diese Opferhaltung nicht steht, spätestens seit der Gründung Israels. Sie wollen nie wieder Opfer sein und das ist gut so. Für mich, als Protestant, ist die Art der streitbaren Auseinandersetzung mit Gott elementar und ich finde, dass die Juden da dem Christentum und dem Islam einiges voraus haben.
Habe ich gestern, in Kommentaren zum ersten Teil der Serie, ganz vergessen: Danke für den Hinweis auf Maccoby: einmal weil ich das hier vorgestellte Buch bisher nicht kannte, aber auch, weil der Autor mit seinen Büchern insgesamt eine hervorragende Möglichkeit zu sein scheint, dem Christentum auf die Spur zu kommen. Ich verdanke Maccoby eine Menge: gefällt mir, dass Sie mit dem Hinweis auf ihn auch anderen Leuten die Chance bieten, dazu zu lernen. Und wenn Sie mir bitte meine Gemaule von gestern vergeben - wegen Ihrer vielleicht nicht so ganz ausdrücklichen Hinweise auf Übersetzungen anderer Bücher von Maccoby.
Fortsetzung meines Beitrags (zuvor war die Behauptung widerlegt worden, ‘Usurpation’ sei erklärender Schlüsselbegriff). Die soziale Dynamik abgeschlossener Gruppen in einer größeren Gruppe (‘Wirtsvolk’) hatte ich in meinem Blogartikel über Indien und China untersucht, die gegenteilige Mustergesellschaften sind. China schmilzt andere Gruppen ein, hat sogar die jüdische aufgesogen, die ihr Judentum vergaß. Das Gegenteil ist die in tausende Kasten zersplitterte indische Gesellschaft, die mit einer jüdischen Kaste auch kein Problem hatte. Andere Gesellschaften, die dazwischen liegen und weniger starke Bindekraft entfalten, haben möglicherweise ein Integrationsproblem. Wie das Huhn-und-Ei-Problem scheint die Frage, was letztlich Auslöser ist, der irrationale Kräfte weckt. Spötter könnten einwenden, das Huhn-Ei-Problem sei gelöst, weil es Eier bereits bei Sauriern gab, lange vor der Entstehung von Vögeln, i.b. Hühnern. Trotzdem wäre die soziale Dynamik von Gruppen und beiderseitigen Ausgrenzungsmechanismen zu betrachten. Der schwierigste Zeitpunkt wäre der einer versuchten Integration, wenn die Gruppen nicht mehr ihre gewohnte Trennung haben, aber auch noch nicht vollständig assimiliert sind.
Der Artikel enthält viele Gedanken, die ich unabhängig und in Unkenntnis dieser Quelle in meinem Artikel über China und Indien entwickelt habe. In einem Punkt unterscheidet sich meine Deutung: Christlicher Antisemitismus entstammt weder einer Usurpation noch dem Urchristentum, das jüdisch war wie Jesus und seine Anhänger. Jesus wollte vermutlich auch keine neue Religion gründen, sondern die jüdische reformieren. Solche Strömungen gab es damals einige. Das Neue Testament entstammt einer scharfen geistigen Auseinandersetzung zwischen dem herkömmlichen jüdischen Glauben, vertreten durch die Hohepriester, und dem ‘aufsässigen’ Jesus, dessen Anhängerschaft sich als verfolgt darstellt. Es handelt sich um einen innerjüdischen Richtungsstreit, nicht aber Antisemitismus. Erst in dem Moment, als sich Saulus zum Paulus wandelte und damit begann, Nichtjuden zum Christentum zu bekehren, entstand die Möglichkeit, den internen Streit mißzuverstehen. Zuvor waren auch im hellenischen Bereich nur Juden bekehrt worden. Aus der Kritik an den Trägern des traditionellen Glaubens konnte nun eine Abneigung gegen das Judentum werden. ‘Usurpation’ klingt suggestiv und ist verlockend, weil dadurch eine Verallgemeinerung entsteht, die alle Fälle zu umfassen scheint. Doch das ist nicht richtig. Denn Ursurpation liegt beim Islam vor, der jüdische Überlieferung benutzt und umdeutet. Das war beim Urchristentum aber eindeutig nicht der Fall. Hier liegt ein später mögliches Mißverständnis vor, sobald das Christentum andere Träger erhielt. Aus einem weiteren Grunde ist die verlockende Erklärung mit dem Begriff ‘Usurpation’ als erklärendem Schlüsselbegriff falsch. Denn es gibt weitere, kleinere Religionen, die sich auf ‘Israel’ beziehen, z.B. die Rastafari. Ob sie nun aus dem alten Testament (der Bibel) oder der Thora schöpfen, ursupieren sie offensichtlich jüdische Religion, ohne daß mir Antisemitismus bei ihnen bekannt wäre. Ein weiterer Ansatz wäre die Dynamik sozialer Gruppen zu betrachten
Sich gegenseitig ausschließende Religionen tun sich schwer im direkten Zusammenleben, und die 3 monotheistischen haben dabei logischerweise die größten Probleme. Alle östlichen Religionen sind in der Lage, andere Glaubenssysteme zu integrieren, sie zu einem Universismus zu entwickeln, sogar in Japan war das möglich. Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus haben das Andock-Gen und werden von den Menschen je nach Situation des Lebens geglaubt. In diesem Zusammenhang schaffen monotheistische Religionen mehr Probleme als Lösungen, und man weiß mithin, warum Christen und Muslime in China große Probleme haben. Die Toleranz polytheistischer Glaubenssysteme, man wünscht sich diese heute zurück. Die Suche nach der einzigen Wahrheit, dem einzigen Gott, eines der Hauptprobleme der Menschheit, neben dem irren, vermessenen Kult um den Wunsch nach Unsterblichkeit. Insofern bin ich etwas ärgerlich auf das Judentum, welches heute im Inneren doch Polytheismus lebt und in der Lage ist, stärkste Differenzen auszuhalten, vom ultraorthodoxen Juden bis hin zum Atheisten.
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