Fabian Nicolay / 05.11.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 76 / Seite ausdrucken

Die Politik ist tot

Mit der Dominanz von Google, Facebook & Co. ist die Freiheit der Informationsbeschaffung tot. Und mit ihr erleidet auf Dauer auch die Freiheit der Politik den Tod, denn sie ist zum Büttel konzern-gesteuerter Netzgemeinden und ihrer fremdgetriebenen Erregungspotenziale geworden.

In den Kindertagen des Internets war die Begeisterung für die neuartigen Kommunikationsmöglichkeiten des „WWW“ hauptsächlich vom Begriff einer Freiheit geprägt, die jedem Publizisten, Online-Unternehmer und Nutzer grenzen- und bedingungslos zur Verfügung stand. Das Internet war ein Synonym für die Freiheiten der offenen Strukturen, der Meinungsäußerung, des unbefangenen (Netz-)Denkens und des spielerischen Individuums, die sich allesamt dem Einfluss des Etablierten und Ideologischen digital-technisch autark, gesinnungs-moralisch unabhängig und schwarm-intelligent entziehen konnten. Das hatte jedoch auch rechtskritische, kriminelle und amoralische Auswüchse zur Folge.

Das Netz verweigerte sich gewissermaßen einer Vereinnahmung durch politische oder ideologische Überbauten – eine Zeitlang. Die Apparaturen der Macht, der Gesinnung, der Überwachung und Beeinflussung waren zunächst nicht anwesend und das nährte die Illusion, es gäbe eine unabdingbare Voraussetzung, also eine freiheitliche Gesetzmäßigkeit des Web, ohne die das Internet nicht funktionieren könne. Das war allerdings Wunschdenken, eine Utopie der Freiheit, wie sich herausstellen sollte.

In der Sphäre anarchistischer Gegenentwürfe, neuer Geschäftsideen mit exponentiellen Lern- und Erfolgskurven entstand ein Macht- und Rechtsvakuum, das die herrschenden Verhältnisse im nicht-digitalen Raum permanent herausforderte. Der Kampf gegen diese weit gefassten Freiheiten des Internets hatte begonnen und hält bis heute an. Unser Rechtssystem wird ständig mit Fragestellungen konfrontiert, die in der Dynamik der Digital-Sphäre unerwartet heftige Effekte hervorbringen können, deren Konsequenzen man stetig hinterherläuft. Genannt seien nur Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, Urheber- und Nutzungsrechte, Steuer- und Kartell-Delikte, Verbrechens- und Betrugsprävention, Spionage, staatsgefährdende Aktivitäten.

Eine neue digitale (Welt-)Ordnung

Die in meinen Augen schlimmste Problematik ist die bisher wenig beachtete, feindliche Übernahme von demokratisch lebensnotwendigen Strukturen, wie dem freien Zugang zu Informationen, der Pluralität des Informationsangebots, dem Schutz vor institutionell organisierter Manipulation und Überwachung. In diesen Punkten hat die feindliche Übernahme schon Fakten geschaffen, zum Nachteil des einzelnen Bürgers, zum Vorteil einer meta-medialen Kollektivmoral des digitalen Monopols, das den „User“ zum Objekt neuer Unmündigkeit und kapitalistischer Ausbeutungsaspekte degradiert.

Gleichzeitig wird den Ausgebeuteten „Empowerment“ und „Voice“ versprochen – Marc Zuckerberg, der Gründer von Facebook, spricht von „mehr Menschen, die nicht nur Konsumenten, sondern auch Schöpfer werden können“ – dementsprechend sollen „User“ und „Follower“ in den nächsten Jahrzehnten einer Cyber-Ideologie ausgesetzt werden, die eine Konditionierung zum (digitalen) Kollektivbewusstsein zum Ziel hat. Manifeste und Glaubensbekenntnisse in diese Richtung gibt es zuhauf, die gern das romantische Märchen vom revolutionären Umbruch erzählen, in dem eine digitale Guerilla die analogen Eliten absetzt und eine neue digitale (Welt-)Ordnung etabliert, natürlich zum Wohle der Menschheit.

Der umbenannte Konzern des Facebook-Gründers Marc Zuckerberg heißt nun Meta. In seiner „Metaversum“ genannten Virtualität sollen die Menschen „noch tiefer in die Materie eintauchen können“, so die Werbung des Konzerns. Der dazugehörige Claim klingt sibyllinisch: „Das Metaversum mag nur virtuell sein – aber es wird realen Einfluss haben.“ Immer wieder wurde dem Metaversum-Vorgänger Facebook vorgeworfen, Hass-Postings nicht entschieden entgegenzuwirken, diese sogar zu verstärken, wodurch sich Werbepartner abwendeten und die Aktienkurse fielen. Facebook hatte außerdem sein Gesichtserkennungs-System nicht implementieren können, nachdem Datenschützer Sturm gelaufen waren. Dem wollte Zuckerberg entgehen.

Das Digitale verdrängt bereits staatliche Strukturen

Mit der Neubenennung will man nun biometrische Software wie die Gesichtserkennung doch noch einsetzen. Ein Sprecher sagt dazu: „Wir glauben, dass diese Technologie das Potenzial hat, in Zukunft positive Anwendungsfälle zu ermöglichen, die die Privatsphäre, die Kontrolle und die Transparenz aufrechterhalten.“ Eine solche Aussage ist einem Menschenbild geschuldet, das den Einzelnen zu einem Statisten degradiert, den man dem Deus ex Machina aussetzt: Man will die Entwicklung der (Medien-)Maschine weiter vorantreiben, während man darüber nachdenkt, „wie unsere zukünftigen Plattformen und Geräte die Bedürfnisse der Menschen am besten erfüllen können“. Das klingt altruistisch und doch auch wie eine Orwell'sche Dystopie.

In der westlichen Welt können sich die Macht-Eliten gegen die Dynamik der Meta-Konzerne nicht mehr durchsetzen. Es gelang der kleinen, medialen Elite der Internet-Sinnstifter, aus den digitalen Keimen innovativer Ideen nunmehr monströse Strukturen heranwachsen zu lassen, die unüberwindbar scheinen. Heute schicken sie sich an, die Macht zu ergreifen. Das Digitale verdrängt bereits staatliche Strukturen, Betriebe und Dienstleistungen im Realen. Es entstehen Abhängigkeiten, die an das Monopol dieser wenigen Tech-Giganten gekoppelt sind und sich im Datenraum des Cyberspace dem Zugriff der (demokratischen) Öffentlichkeit entziehen. Allein ihre Größe macht eine Kontrolle mit herkömmlichen Mitteln unmöglich.

Das World Wide Web ist eine Datenkrake weniger Unternehmen geworden, deren Wirtschaftsmacht stetig zunimmt. Allein die Werbeumsätze befeuern diese Dynamik. Die digitalen Medien sind bereits heute die Leitmedien, die Werbeindustrie investierte im Jahr 2021 mehr Geld in digitale Medien als in alle analogen Medien zusammengenommen. Man schätzt, dass die größten vier Tech-Konzerne in Deutschland etwa 80 Prozent der Werbeeinnahmen abgreifen, in den USA sollen es 90 Prozent sein.

Die Freiheit der Informationsbeschaffung ist tot

Derweil zielen die Unterdrückungsmechanismen dieses Überwachungskapitalismus auf die Gedanken des Menschen, die man gestalten will, bevor sie „falsche Form“ annehmen. Die individualistische Meinung ist im digitalen Überwachungskapitalismus tot. Die im Netz veröffentlichte, „öffentliche Meinung“ soll nun das Ergebnis eingeschränkter, ausgewählter Zugriffe auf Suchergebnisse und Inhaltsvorschläge sein, die „immersiv“, also tief in ihren digitalen Umgebungen eingebettete User für ein wahrhaftiges, vollumfängliches Informationsangebot halten. So findet eine Meinungsbildung unter den Voraussetzungen digitaler Geiselhaft statt. In China ist das bereits Wirklichkeit. Dort sind jedoch Staat, Partei und Digitalität eine Einheit aus Führung und Kontrolle. Es geht auch ohne KP, aber trotzdem mit linkem Impetus: das westliche Modell heißt „GAFA“.

Das Internet als massentaugliches Medium gibt es ungefähr seit 1990. In den vergangenen 30 Jahren hat es eine Metamorphose vollzogen, in der das ursprüngliche Ideal der Freiheit eine digitale Transformation hin zu einer „Ideologie des Guten“ erlitten hat, die von einem Kartell weniger Tech-Konzerne verwaltet und gehegt wird. Für die Übermacht der vier größten amerikanischen Internetunternehmen gab es bereits vor Jahren das Akronym „GAFA“ (Google, Apple, Facebook, Amazon). Im Internet dieser digitalen Giganten gibt es nur eine Illusion von unendlichen Auswahlmöglichkeiten. Sie werden von Algorithmen bestimmt und nutzerspezifisch vorgeschlagen. Damit ist die Freiheit der Informationsbeschaffung tot. Und mit ihr erleidet auf Dauer auch die Freiheit der Politik den Tod, denn sie ist zum Büttel von konzern-gesteuerten Netzgemeinden und ihrer fremdgetriebenen Erregungspotenziale geworden.

Politik ohne Freiheit kann jedoch keine mehr sein. Stirbt die Freiheit in den virtuellen Meta- und Mega-Medien, stirbt auch die Politik als Hort staatsmännischer „Intelligenz“ und demokratischer Vernunft im Realen. Dann verkommt der politisch geführte Staat zum Staat reiner massenmedialer Führung, die einer zweifelhaft kollektivistischen „Vernunft“ zum Selbsterhalt in den Netzgemeinden des „GAFA“ folgt. Heute befinden wir uns in der Übergangsphase der souveränen Demokratie zur Medien-Oligarchie der Tech-Giganten, die der Politik ihren Führungsanspruch streitig machen wird.

Konzerne stellen die Filter zur Verfügung

Wo das staatstragende Element nicht der Souverän, sondern eine Clique von digitalen Medienkonzernen ist, da ist auch die Politik tot. Darauf steuern wir zu. Es ist ein erstaunlich einfacher Satz, eine nahezu banale Erkenntnis: Die Politik ist bald tot. Weil sie fremdgesteuert ist, weil der Souverän entmündigt wird, weil die Substanz ihres Daseins im Nichtsein ihrer Handlungsfähigkeit verdampft, weil sie sich falschen Feinden entgegenwirft und die wahren Gefahren ignoriert. Die Politik-Simulation der Meta- und Mega-Medien fokussiert auf die falschen Feinde: den Souverän, freie unbeugsame Bürger und das Individuum. Aber kaum jemand nimmt diese Entwicklung wahr. Die Utopie des Metaversum irritiert derweil das kollektive Gedächtnis – noch nie zuvor gab es einen solchen Coup d'État – der in einer Parallelwelt begann und sich nun auf die Wirklichkeit ausdehnt.

Das hat die feindliche Übernahme der Freiheiten des Internets zur Folge: Volkes Stimme verstummt im Mantra des „Guten“, im gebetsmühlenartigen Wiederholen stereotyper, kollektiver Verhaltensregeln und „Community-Standards“. Sie sollen nivellieren, was individualistisch, abweichlerisch und „böse“ klingt. Deshalb springt der bevormundende Staat gerne in die Bresche, wenn es gilt zu definieren, wie Hass und Hetze aussehen und wie sie erkannt werden sollen. Die Konzerne stellen gern die Filter zur Verfügung.

Noch hat der schwache Staat die Deutungshoheit darüber inne und bestimmt, wer der Wahrheit folgt, wer die Wissenschaft ernst nimmt, wer „Liebe“ statt „Hass“ verbreitet, wer harmlos ist, oder den (digitalen) Staat diskreditieren und mit seinen kritischen Anwürfen „delegitimieren“ möchte, wer vielleicht Verschwörungstheorien feindlicher Übernahmen in Umlauf bringt, wer ausgesondert werden soll. Doch die Konzerne hören gut zu in ihrem Hunger auf Macht, die ihnen wie von selbst in den Schoß fällt, weil die Freiheit, die Pluralität, die Politik bald tot sind. Dann also Willkommen im digitalen Kindergarten des kollektiven Metabewusstseins.

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A.Schröder / 05.11.2022

Und selbst die achse ist mittendrin, nur ein warmer Wind aus einem Hintern ...

Detlef Rogge / 05.11.2022

Aha, Facebook heißt nun Meta, wußte ich gar nicht. Das klingt passend. Wer den metapolitischen Raum dominiert, beherrscht die politische Willensbildung, die ausschlaggebend ist für die Verteilung der Kräfteverhältnisse bei Wahlen ist. Solange Konservative/Rechte nicht nachziehen, bleibt ihr Einfluß im öffentlichen Raum marginal. Ein solches Ansinnen dürfte aussichtslos sein.

S. Andersson / 05.11.2022

Nun mal nicht so viel gejammer am Sa Morgen. Wenn ich das lese:” Stirbt die Freiheit in den virtuellen Meta- und Mega-Medien, stirbt auch die Politik als Hort staatsmännischer „Intelligenz“ und demokratischer Vernunft im Realen” .... da kann ich wieder gut lachen….. staatsmännischer Intelligenz .... demokratischer Vernunft im Realen .... SUPER. Wo und wann hab ich da was verpasst? Die Polit-Genossen haben, soweit ich mich erinnern kann, die letzten min 30 Jahre nicht etwas mit Vernunft gelöst oder zum VORTEIL des Volkes gehandelt. Nun gut .... es gibt einen schönen Satz den ich neulich gelesen habe: “... wenn du wissen willst ob etwas wahr ist, lade es bei Fatzebock, Instagram und Youtube hoch, wenn es zensiert wird, ist es wahr”. Mir ist schon klar das zu viele sich mit A-Sozialen Medien viel zu sehr beschäftigen und da auch mit machen, aber es liegt an jedem selbst ob er sich verblöden lässt von dem Quark. Lernt wieder euch mit Menschen real zu treffen und mit denen zu reden. Man könnte zwar die Maschinen für Sinnvolles benutzen, aber das macht ja nicht so viel Spaß wie in die Spielewelt ab zu tauchen und sich im Keller zu verstecken vor lauter Angst vor den Menschen. In meinen Augen sind all diese Beteiligten/ Betroffenen in ihrer Traumwelt gefangen und werden aller Voraussicht nacht eines Tages ein böses Erwachen erleben.

Bernhard Freiling / 05.11.2022

Die Welt dreht sich weiter. # Wer vor 1000 Jahren lesen und schreiben konnte, der konnte “die Welt” manipulieren. Der Buchdruck demokratisierte diese Fähigkeit und durch das Aufkommen von Tageszeitungen, damit verbunden “von Medienmoguln”, wurde “der alte Zustand” wieder hergestellt und die Manipulation auf eine “höhere Ebene” verlagert. Dann kam das Internet und demokratisierte einmal mehr die Nachrichtenverbreitung. Nur allzu menschlich, daß nun versucht wird, dieses Medium von “wenigen, dafür aber Wissenden” dominieren zu lassen. # Meine Hoffnung und Erwartung: Auch dieser Versuch wird “in die Hose gehen”. Jedes, auch nur angestrebte, Monopol wurde bisher aufgebrochen. Nicht anders wird es den heutigen “Internet-Mächtigen” auch ergehen. Mögen die in der “Privatwirtschaft” oder in Regierungen residieren. Alles nur eine Frage der Zeit.

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