Gastautor / 06.05.2021 / 14:00 / Foto: European Parliament / 52 / Seite ausdrucken

Die Abgründe des Sich-Gut-Fühlens

Von Vincent Czyrnik.

Es gibt einen Wunsch, den wir alle hegen – ob Arzt oder Obdachloser, Politiker oder Heroinsüchtiger, Polizist oder Dieb. Dieser Wunsch ist: Wir möchten uns gut fühlen. Mit jeder unserer Handlungen, mit jedem Atemzug verfolgen wir genau dieses Ziel. Das klingt erschreckend einfach, ist aber so. Der Arzt, wenn er sein Medizinstudium abschließt; der Obdachlose, wenn er einen schönen Platz zum Schlafen findet; der Politiker, wenn er wiedergewählt wird; der Junkie, der sich gerade den Heroin-Kick mit der Spritze verpasst; der Polizist, wenn am Ende des Monats der Lohn auf dem Konto ist; und sogar der Dieb, wenn er eine Handtasche leert. Dieser Wunsch, uns gut zu fühlen, lässt uns morgens länger im Bett liegen bleiben, er lässt uns aber auch aufstehen, wenn wir später am Abend das gute Gefühl haben möchten, einen produktiven Tag geschafft zu haben.

Vielleicht regt sich in dem einen oder anderen nun ein innerer Widerstand, im Sinne: Das kann doch nicht sein, so einfach kann die Welt doch nicht erklärt werden. Werfen wir dafür einen Blick in unterschiedliche Wissenschaften:

  • Psychologen nennen es positive Verstärkung beziehungsweise negative Bestrafung – wir handeln grundsätzlich so, dass wir innerlich belohnt werden beziehungsweise keine schlechten Gefühle aufkommen. 
     
  • Ökonomen sprechen von Präferenzen – wir entscheiden uns für das, was uns den größten Nutzen verspricht.
     
  • Biologen setzen auf die Evolution – bei der das Ausleben der menschlichen Instinkte uns besser fühlen lässt. 
     
  • Für Soziologen ist es unter anderem die Angst vor gesellschaftlicher Sanktionierung – Menschen verhalten sich konform, damit sie nicht von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Wir vermeiden also negative Konsequenzen und entgehen so negativen Gefühlen.

Das Gutfühlen spielt in jeder dieser Wissenschaften eine übergeordnete Rolle, wenn nicht gar die entscheidende Rolle, um die entsprechenden Phänomene erklären zu können. Und wie so vieles hat Gutfühlen auch seine Schattenseiten, besonders dann, wenn wir die moralische Dimension unseres Handeln betrachten. Es ergeben sich erstaunliche Erkenntnisse.

Gutfühlen als Problem

Gutfühlen kann für uns selbst oder auch für andere zum Problem werden. Für uns selbst, wenn wir zu häufig dem Kick des kurzfristigen Gutfühlens nachgehen: Wir werden abhängig von Spielen, Drogen, Essen oder anderen Sachen, die schnelles Glück versprechen. In einem gesunden Leben ist es wichtig, mehr und mehr dem nachhaltigen Gutfühlen nachzugehen: Ein Studium durchziehen, einer Arbeit nachgehen, nachhaltige Beziehungen pflegen oder sich ausgewogen ernähren.

Für andere wird unser Drang nach guten Gefühlen zum Problem, wenn wir unser Glück auf Kosten anderer ausleben. Dabei funktioniert unsere Gesellschaft so, dass es durchaus gegenseitige Abhängigkeiten gibt, bei denen einige für andere sorgen oder gar für deren Probleme aufkommen. Dabei gilt es aber zu unterscheiden: Es ist okay, wenn Eltern für ihre Kinder sorgen, damit letztere sich gut fühlen; es ist aber nicht okay, wenn ein Drogensüchtiger seinen Konsum finanziert, indem er andere beklaut. Dass wir Ersteres gut und Letzteres schlecht finden, ist auf die Werte unserer Gesellschaft zurückzuführen. Elternfürsorge ist wünschenswert, Beschaffungskriminalität hingegen unerwünscht.

Ironischerweise und auch zum Glück lässt die Fürsorge für andere – zum Beispiel als Eltern – uns selbst gut fühlen. Wir schaffen Win-Win-Situationen. Daher steckt in jeder altruistischen Tat auch Egoismus, weil wir durch freiwillige gute Taten uns selber gut fühlen: Fahrrad statt Auto fahren, Bäume pflanzen oder weniger Fleisch essen sind Musterbeispiele, in denen wir scheinbar moralisch wünschenswert handeln und sich ein Teil von uns dabei gut fühlt.

Moralismus ist Egoismus

Unser Streben, uns gut zu fühlen, erklärt also auch, warum wir uns tugendhaft verhalten. Diese Erkenntnis wirft ein interessantes Licht auf Menschen, die das moralische Leben zu einem übersteigertem Ideal erheben. Für jene ist der ökologische und soziale Lifestyle ein Muss für jeden Menschen. Dabei reichen banale Sachen wie Fahrradfahren oder Veganismus nicht mehr aus, nein, die soziale Revolution muss weitergehen (hier nur ein paar Beispiele):

  • Du solltest zu jeder weiblichen beruflich Brot-backenden Person Bäckerin oder lieber Bäcker*in sagen.
     
  • Du solltest dich aktiv gegen jede Form von Rassismus einsetzen. (Dabei bestimmen die Diskriminierten selbst, was Rassismus ist und was nicht. Der intellektuelle Wortführer der Black-Lives-Matter-Bewegung, Ibram X. Kendi, meint beispielsweise: Die einfache Behauptung, kein Rassist zu sein, reicht nicht aus. Jeder sollte ein Anti-Rassist sein – sonst bist du ein Rassist. Ein Anti-Rassist ist nur, wer Gesetze fordert, die die sozioökonomische Gleichheit zwischen Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe beziehungsweise Ethnien herstellen, während „Rassismus“ aus jeder Maßnahme oder Idee besteht, die zu rassischer Ungleichheit führt. Um die Absurdität dieses Verständnisses vor Augen zu führen: Erst wenn genau so viele Weiße wie Afroamerikaner an Covid sterben, dann ist der Rassismus überwunden.
     
  • Du solltest die Corona-Maßnahmen einhalten und diese auch für richtig befinden, auch wenn mehr Menschen infolge der Maßnahmen durch verschobene Operationen, Suizide und so weiter sterben als durch Covid selbst.
     
  • Du solltest den Klimawandel als großes Problem anerkennen und dich in Form von Klimaaktivismus auch dagegen einsetzen. (Auch wenn beispielsweise der Nobelpreisträger William Nordhaus vom 1,5-Grad-Ziel abrät und Umweltökonomenen wie Bjørn Lomborg die Dringlichkeit des Klimawandels hinterfragen – sie sagen nicht, dass es den Klimawandel nicht gibt!)

Dabei gibt keinen offenen Diskurs darüber, ob beispielsweise ein Binnen-I wirklich notwendig ist, um alle Geschlechter respektvoll zu behandeln. Stattdessen bestimmen wenige Sondergruppen nach Gefühl, was richtig und was falsch ist. Das Patriarchat ist abgeschafft, doch etabliert sich langsam aber sicher eine neue herrschende Klasse: die Moralisten. Es spielt nur noch eine untergeordnete Rolle, ob diese moralischen Anliegen wirklich wahr und für die Gesellschaft hilfreich sind.

Was einigen Moralisten vielleicht sauer aufstoßen mag: Es ist egoistisch, für eine moralisch wichtige Sache einzustehen, weil es einen sich selbst gut fühlen lässt. Einige wirken wie getrieben, gut zu sein und gut zu handeln, sodass sie gar nicht merken, wie sie ständig den Kick des Gutfühlens brauchen – wie ein Junkie, der täglich sein Heroin braucht. Sie rechtfertigen sogar ihre Sucht und machen andere nieder, die nicht (nach ihrem Verständnis) gut handeln: Sie fühlen sich moralisch überlegen. Für den Gute-Taten-Junkie ist es ein weiterer Kick, andere zu belehren und zu erzählen, wie gut sie sind. Schließlich geht es für sie um nichts minder als die Rettung der Erde und Gesellschaft. 

Was stimmt mit denen nicht?

Die neuen Moralisten sind ein wenig wie Abhängige. Sie bemerken die Lücken und Widersprüche in ihren Überzeugungen nicht. Und zwar deshalb nicht, weil sie sie verdrängen wollen, da sie den Kick des Gutfühlens brauchen. Hinterfragt man ihre guten Taten, droht der Kick zu verschwinden – und damit das Lebenselixier der Moralisten. Daher verstehen sie Kritik gleich als Angriff auf die eigene Person und reagieren empört. Es ist ein wenig so, als ob man einem Süchtigen seine Droge wegnimmt.

Sie treibt das Gefühl um, etwas tun zu müssen – vielleicht aus dem Schuldgefühl heraus, der Welt nicht genug zu sein, vielleicht aber auch aus gutem Willen. Sie sind sich sicher: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Doch sollten gute Taten wohlüberlegt sein – sonst hat man mit unerwünschten Nebenwirkungen zu rechnen. Denn nicht jedes Mittel wird zum gewünschten Ziel führen.

Und auch das pure Sein, das pure In-Ruhe-lassen kann gut sein. Nicht über alles muss man seine Fuchteln halten. Die neuen Moralisten denken wohl, sie wären Eltern, die Andersdenkende nach ihren Vorstellungen erziehen müssen. Sie sagen sich: Wer die Notwendigkeit des Binnen-I, extremen Anti-Rassismus und Klima-Aktivismus nicht erkennt, mit dem stimmt etwas nicht. Die Verweigerer müssen böse oder naiv sein, dass sie solch konservativen Wertvorstellungen hinterherlaufen. Und so langsam entwickeln sich die Moralisten von Eltern zu Helikopter-Eltern: Die naiven Kinder müssen kontrolliert und ständig beurteilt werden, damit sie endlich lernen, was gut ist und was nicht. Bleibt zu hoffen, dass einige sich aus dieser ungesunden Beziehung befreien.

 

Vincent Czyrnik (24) ist Wirtschaftsethik-Student aus Leipzig und Autor für den studentischen, liberalen Blog Der Freydenker.

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Bernd Michalski / 06.05.2021

Schön beschrieben, Danke sehr.

giesemann gerhard / 06.05.2021

Das ist mir zu einfach: die jungen Leute haben durchaus Grund, sich über ihre Zukunft Gedanken und Sorgen zu machen. Ob sie sich dabei “gut” fühlen wage ich zu bezweifeln. Was ihnen noch klar gemacht werden muss: Nicht das Klima ist Grund zur Besorgnis, sondern der rasch wachsende Zustrom einschlägiger Invasoren. DAS wird sie Kopf und Kragen kosten, nicht bisschen wärmer oder kälter. Insofern ist das politische Klima durchaus zu heiß ... .

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