Der Völkermord an den Jesiden und die falsche Seite

Katrin Göring-Eckardt leitete die Debatte über eine Bundestags-Erklärung zum Völkermord an den Jesiden. Jesidische Zuschauer applaudierten den Rednern. Als auch ein AfD-Abgeordneter Applaus bekam, geriet Katrin Göring-Eckardt außer sich. 

Interessiert sich überhaupt jemand für das Leiden der Jesiden? Ich weiß, das klingt proaktiv, aber so soll es auch sein. Egal was weltweit an Unglücken, Terror, Kriegen und ähnlichem passiert, uns geht es nur dann etwas an, wenn wir die Region greifbar nahe auf dem Radar haben. Bei der Ukraine scheint es der Fall zu sein, aber das Leiden der Jesiden, oder gar die Anerkennung des Völkermordes an diesen, ist bei uns erst bekannt geworden, seitdem viele jesidische Flüchtlinge beziehungsweise Asylanten, in der Mehrzahl Frauen, in Deutschland Unterschlupf suchten und fanden.

Die Terrormiliz IS hatte ab 2014 tausende von Jesiden ermordet. Eine von der Union eingebrachte Resolution wurde am 19. Januar 2023 vom Bundestag einstimmig angenommen. „Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor den Opfern der durch den IS begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, heißt es in der Resolution.

Somit gilt mein Beifall dem ganzen Bundestag. Warum ich das besonders erwähne? Frau Katrin Göring-Eckardt, die die Debatte im Bundestag zu leiten versuchte, war außer sich, dass die Besucher auf der Besuchertribüne – augenscheinlich mehrheitlich Jesiden – der Rede von Martin Sichert applaudierten, wie auch den Rednern davor. Frau Göring-Eckardt regte sich deshalb auf, weil Herr Sichert ein Abgeordneter der AfD ist und drohte umgehend damit, dass die Zuschauertribüne geräumt wird, wenn weiter applaudiert wird. Zum Glück sind wir in Deutschland, wo Demokratie noch großgeschrieben wird. Hier darf jeder seine freie Meinung sagen, auch im Parlament, oder gerade da. Es sei denn, es handelt sich um einen AfD-Abgeordneten, dem dürfen andere Abgeordnete nicht applaudieren und die Besucher sowieso nicht.

Kein Gramm echte Anteilnahme

Der Bundestag ist anscheinend kein Ort, wo Ehrlichkeit etwas verloren hat. Schon als Kind fragte ich meine Eltern, wenn im TV die Bundestagsdebatten übertragen wurden, warum nicht alle gemeinsam applaudierten. Die Antwort: „Die sind alle von unterschiedlichen Parteien.“ Die Eltern machten sich nicht die Mühe, mir als Kind noch weitere Details zu erklären, zumal dies auf meiner Seite zu noch mehr Fragen geführt hätte.

Später konnte ich mir die Antwort selbst geben. „Stallorder“ und das ungeschriebene Gesetz, dass man dem Konkurrenten, egal was er sagt, nicht zu applaudieren hat. Auch wenn der Abgeordnete der anderen Partei etwas Richtiges sagt, darfst du es zwar gut finden, aber deine Gefühle, in Form von Applaus, nicht nach außen tragen. Machst du das einige Male, fällst du unangenehm auf in deiner Partei und schnell kann es passieren, dass du parteiintern verwarnt wirst. Das bittere Ende wäre: „Ene, mene, muh und raus bist du!“

So ist fraglich, ob die Anerkennung des Völkermordes an den Jesiden für die Abgeordneten eine tatsächliche Relevanz hat. Glauben Sie nicht, dass da ein Gramm echte Anteilnahme dabei ist, wenn einige so traurig oder ernst dreinschauen bei ihren Reden. Ich entschuldige mich bei denen, die ihre Reden tatsächlich mit Anteilnahme vortrugen, wie zum Beispiel bei Martin Sichert, den ich bis heute nicht kannte und aus den Medien erfuhr, dass er der AfD angehört. Der Mann muss es wissen, ist er doch mit einer Jesidin verheiratet.

Dass man auf der Besuchertribüne nicht applaudieren darf, ist klar, aber das hat man doch bei den Reden der sonstigen Abgeordneten an diesem Tag auch getan, und zwar ohne Beanstandungen. Dann darf man das auch bei Martin Sichert, egal bei welcher Partei er Mitglied ist.

Sichert soll nach dem Eklat gesagt haben: „Katrin Göring-Eckardt (Sie leitete die Debatte, Anm. d. Autors) und den Grünen ist die Unterdrückung der Debatte über die radikal-islamischen Täter wichtiger als der Respekt vor den Opfern des Völkermords. Ich bin fassungslos, wie schnell die Grünen ihre Fassade der Anteilnahme für die Opfer fallenließen.“

Wie ich gesagt habe, Bundestag halt. Wenn dort die Ehrlichkeit einkehrt, werden Sie das sofort merken, weil dann alle applaudieren, wenn ihnen gefällt, was einer gesagt hat, egal welcher Partei er/sie/diverse angehört.

 

Ahmet Refii Dener ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken.

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Nico Schmidt / 23.01.2023

Sehr geehrter Herr Dener, als ich die Szene im Fernsehen gesehen habe, war ich geschockt. KGE hat sich als Tugendwächter aufgespielt und alles in den Schmutz gezogen. Die Jesiden können auf eine solche Ehrung gut verzichten. Geholfen hat ihnen NIEMAND. Mfg Nico Schmidt

Gudrun Meyer / 23.01.2023

Moral ist eine Droge vor allem für sehr junge, naive Menschen, an der die Grünen sich noch mit 60 selbst besaufen und mit der sie sehr erfolgreich handeln. Zu den vielen Gründen, aus denen ich inzwischen die Entsetzlichen wähle, gehört auch der, dass sie bei allem Sinn für Taktik nicht tiefenverlogen sind. Das ist eher ein Privileg der Gut- und Bessermenschen “links der Mitte”. Die Rede über den Völkermord an den Jesiden hat nicht irgendjemand aus der AfD gehalten, sondern Herr Sichert, für den es da eine persönliche Betroffenheit gibt. Nicht, dass das allein viel bedeuten würde, aber es ist nicht dasselbe wie die sehr geschmeidige, sehr schnell umprogrammierbare, moralische Permaglut und Empörung der Ökopaxe über alle, die Autos mit Verbrennermotoren fahren, den Transkult lächerlich finden und die zwar eine für Deutschland ungefährliche Unterstützung der Ukraine gut finden, Deutschland aber nicht zum erweiterten ukrainischen Schlachtfeld machen wollen.

Thomas Szabó / 23.01.2023

Ich würde Frau Göring gerne in Nürnberg sehen.

jan blank / 23.01.2023

Ach , Herr Dener! Sie leben halt in einem merkwürdigen Land. Hier kann eine demokratisch gewählte, im Bundestag vertretende Partei auch behaupten, dass 2x2 = 4 wäre - getobt, gebuht und gezischt wird trotzdem. Wer je die Hoffnung hatte, dass mit dem Ende des Dritten Reiches auch das Prinzip Realitätsleugnung und Beelzebubfindung ein Ende hätte, wird hier bitter entäuscht. Aber er wird entschädigt durch sarkastische Ironie. Denn wer hätte gedacht dass der totalitäre Mainstream, der diesen Mist- hier in Form von KGE-  zu verantworten hätte, sich auch noch gern mit dem Nimbus und Habitus der “Weißen Rose “zu schmücken trachtet?  Lichtjahre sind wir schon von Voltaire entfernt(” Ich bin nicht ihrer Meinung , aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie diese äussern dürfen”.)  Nomen est omen: Zu KGE passt Karinhall tatsächlich besser.

Dr. Markus Hahn / 23.01.2023

Die jeweils opportunistisch situationsabhängig zu “Unterdrückten” definierte Gruppe diente und dient vielen Linken nur als Agitprop Tool. Übermäßiger Narzismus (den es zum Beispiel zu virtue signaling drängt) ist übrigens mit authentischer Warmherzigkeit selten verknüpft.

Reinhard Schilde / 23.01.2023

Die ehemalige DDR-Küchenhilfe KGE ist geistig nie über diesen Ausbildungsgrad hinausgekommen. Alles, was diese Person absondert sind geistige Flatulenzen, Inkompetenz und ein gestörtes Demokratieverständnis. Diese Frau ist Kindergartenniveau auf ganzer Linie. Dass ein, in meinen Augen, vorsichtig formuliert, so selten dummer Mensch, wiederholt Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ist, sagt doch eigentlich schon alles über diesen Laden aus.

Wilfried Cremer / 23.01.2023

Lieber Herr Dener, Göring-Eckardt ist im Ganzen nicht mit Roland Freisler zu vergleichen, nur ihr Hass – auf blau.

Thomas Szabó / 23.01.2023

Video Bundestag Minute 24: Göring verkündet den Redner der AFD Martin Sickert, der Klartext spricht. Ab Minute 26 beginnen die Nazis ihn auszubuhen. Ab Minute 31.30 droht Göring die Jesiden rauszuschmeißen.

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