Georg Etscheit / 18.05.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 52 / Seite ausdrucken

Herr Hauschild macht dicht

Jahrzehntelang wussten wir nichts voneinander, wir lebten aneinander vorbei. Bis zu jenem Tag, an dem ich beschloss, mir einen neuen Fernseher zu kaufen. Kein Was-weiß-ich-wieviel-Zoll-Bildschirmdiagonale-Heimkino, sondern einen normal dimensionierten Fernseher, den man, ganz wichtig, ausschalten kann. So etwas ist nämlich eine Rarität geworden, seit es Stand-by gibt. Ich mag es nicht, wenn überall in meiner Wohnung rote Leuchtdioden leuchten und blinken. Das ist mir unheimlich, vom überflüssigen Stromverbrauch ganz zu schweigen. Außerdem bin ich einfach gewöhnt, dass man Elektrogeräte an- und ausknipst.

Ich zog Erkundigungen ein – und wurde fündig. Es gab tatsächlich noch eine Firma, die Fernseher produziert, die einen richtigen, so nennt sich das Ding, Netzschalter besitzen. Noch dazu ein deutsches, genauer gesagt fränkisches Unternehmen. Es heißt Metz und produzierte lange Zeit auch jene klobigen Stabblitzgeräte, die ich benutzte, als ich noch als Lokalreporter über die Dörfer zog und schrecklich schlechte Fotos schoss. Woran das Metz-Stabblitzgerät keine Schuld trug.

Wie es der Zufall wollte, gab es bei mir um die Ecke im Münchner Stadtteil Maxvorstadt ein unscheinbares Lädchen, das Metz-Fernseher führt. Ich war bis dato immer achtlos daran vorbei gegangen, wobei die offensichtlich hausgemachte Auslage mit den vergilbten Werbeplakaten („Direkt vor Ort statt WeltWeitWeg“) und der unterernährten Yuccapalme, nebst ein paar verstaubten Fernseh- und Radioapparaten, auch nicht sonderlich attraktiv war.

Geheimtipp für Liebhaber von Retrogeräten

Beim Öffnen der Glastür klingelte es im Hintergrund. Kurz darauf erschien ein freundlicher Mann mit Bart und Brille im grauen Arbeitskittel. Ja, so stellt man sich einen Elektromeister vor. Heute trägt niemand mehr Kittel, nicht einmal Ärzte. Und die Kittelschürze, die einst Hausfrauen kleidete, ist zur Lachnummer geworden. So trivial begann meine, man kann fast sagen, Liebesgeschichte mit Herrn Hauschild.

Das kleine Geschäft war vollgestopft mit alten und neuen Geräten der Unterhaltungselektronik. Manche waren schon repariert und sollten endlich abgeholt werden, andere warteten noch darauf. Viele legendäre Marken fanden sich darunter, die es längst nicht mehr gibt oder die nur noch als Namenshülse existieren: Denon, Dual, Marantz, Braun.

Helmut Hauschild war ein Geheimtipp für Liebhaber von Retrogeräten, also Receivern, Verstärkern und Videoapparaten aus den 60er und 70er Jahren, großen klobigen Kästen mit dicken Schaltern und Drehknöpfen. „Die waren noch auf Leistung angelegt und praktisch unverwüstlich“, sagte er mir. Doch heute seien die Konzerne froh, wenn ein Gerät möglichst bald seinen Geist aufgebe. Für ihn, den Fachmann, der sich für gute, solide Technik begeistern konnte, war dies eine Beleidigung.

„Bananentechnologie – Ware reift beim Kunden“

Direkt vor dem Verkaufstresen stand ein voluminöser Karton auf dem Boden, darin ein moderner Flachbildfernseher aus Korea, Typ Heimkino. „Gerade mal vier Jahre alt, aber nicht mehr zu reparieren. Jammerschade, wenn man bedenkt, was da an Energien und Rohstoffen drinsteckt“, sagte Hauschild. Dabei versuchte er alles, was möglich ist, um die Dinger wieder flott zu machen, wenn sie mal ihren Dienst versagten. Er surfte nach „pfiffigen Tipps“ in Internetforen, telefoniert sich den Mund fusselig, um doch noch irgendwo ein Ersatzteil zu ergattern, und saß dann mit Lötkolben und Oszilloskop oft stundenlang in seiner kleinen Werkstatt. Immer wieder ärgerte er sich über die miese Qualität, die Anonymität der Konzerne für – nomen est omen – „Consumer Electronics“, über den Innovationswahn, der unausgereifte Produkte auf den Markt schwemmt. „Bananentechnologie – Ware reift beim Kunden.“

Deshalb setzte Hauschild auf die letzten deutschen oder zumindest europäischen Hersteller, die sich noch nicht dem Ex-und-hopp-Geschäftsmodell verschrieben haben. Darunter die Metz-Werke in Zirndorf bei Nürnberg: altes, deutsches Traditionsunternehmen, sehr gute Qualität, sehr guter Service. Dort bekomme man auch in zehn Jahren noch Ersatzteile, meinte er. Nach der Insolvenz des ebenfalls in Franken beheimatetet TV-Herstellers Loewe gibt es nur noch Metz und eine Firma namens TechniSat, die zumindest teilweise in Deutschland produzieren. Zwar gehört auch Metz mittlerweile einem chinesischen Investor, doch will man weiterhin mit Qualität „Made in Germany“ und dem klassischen Fachhandelskonzept punkten.

Herr Hauschild brachte mir den formschönen Flachbildfernseher persönlich ins Haus, programmierte die Fernbedienung und versprach, auch fürderhin für mich da zu sein. Immer wieder schaute ich jetzt bei ihm vorbei, holte mir Rat zu den so zahllosen wie unnötigen Funktionen der Hightech-Glotze oder ich bat ihn, mir ein Ersatzteil zu besorgen. Etwa eine neue Spezialbatterie für das strahlungsarme mobile Festnetztelefon oder eine neue Fernbedienung für den DVD-Player. Die alte hatte ich in einem Anfall von Corona-Frust gegen die Wand geworfen. Im Internet wurde ich nicht fündig, die Originalbedienung gab es offensichtlich nicht mehr. Doch Herr Hauschild wusste, wie immer, eine Lösung.

Eine anständige Leistung, für die ich bereit bin, anständig zu zahlen

Tja, das Internet. Eine feine Sache, wenn man genau weiß, was man will. Wenn man nicht genau weiß, was man will, geht nichts ohne Fachperson, also Menschen wie Helmut Hauschild. Von den trendigen Repaircafés, die allenthalben als zeitgemäße Alternative zu den im steilen Niedergang befindlichen Fachgeschäften gepriesen werden, halte ich gar nichts. Dort kann man sich angeblich in geselliger Atmosphäre von dahergelaufenen Hobbybastlern kostenlose Hilfe holen. Soll ich jetzt meine kaputte Waschmaschine ins Repaircafé wuchten? Ich kann diesen sozialistischen Geschäften auf Gegenseitigkeit nichts abgewinnen, zumal ich selbst dank zweier linker Hände meinem Repair-Genossen nichts zu bieten habe. Ich möchte eine anständige Leistung, für die ich bereit bin, anständig zu zahlen. Nicht mehr und nicht weniger.

Meine Liebesgeschichte mit Herrn Hauschild endete jäh. Ohne Vorwarnung verkündete er mir vor wenigen Wochen, er werde seinen Laden nach der Corona-bedingten Schließung nicht mehr aufsperren. Nein, mit den Lockdowns habe das nichts zu tun. Er sei jetzt 38 Jahre im Geschäft, gehe aufs Rentenalter zu und 70 Arbeitsstunden in der Woche seien kein Pappenstiel. Es war nämlich so, dass Herr Hauschild sich vor Reparaturaufträgen nicht mehr retten konnte, weil er eben einer der letzten seiner Zunft war. Einen Nachfolger gibt es nicht. Aber dafür ist nicht Herr Hauschild verantwortlich, sondern eine Bildungspolitik, die Handwerker im graublauen Kittel insgeheim verachtet. Dafür sind die Unis voll von jungen Leuten, die keinen geraden Satz schreiben können.

In Herrn Hauschilds Laden wird jetzt wohl der nächste italienische Feinkosthändler einziehen, es wäre der fünfte in der Straße. Wenn irgendwann das allerletzte Fachgeschäft seine Türen für immer schließen muss, wenn der allerletzte Fachmann seinen Kittel an den Nagel hängt und das allerletzte deutsche Traditionsunternehmen pleite ist, erst dann werden Politiker und die Geiz-ist-geil-Fans merken, dass man mit Dinkel-Spaghetti keine Fernseher reparieren kann.

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Günter Lindner / 18.05.2021

Solides Handwerk kommt heute aus dem 3D Drucker . Intelligenz vom Algorithmus.  Selbst denken übernimmt der private Vereinsaktivist,  für den Rest der Bürger der jeden Theoretisch Modellierte Mist glaubt und Angst hat selbst zu zweifeln, obwohl Widersprüchliches immer mehr durch Wissenschaft zu Tage tritt.

J. Breitenbach / 18.05.2021

Das ganze hat nichts mit einer verfehlten Bildungspolitik zu tun, sondern mit einer verfehlten Wirtschaftsordnung, in der Nachhaltigkeit und Reparaturfähigkeit oftmals keinen monetär abbildbaren Wert haben. In der das Wegwerfen und neu Kaufen letztlich billiger als das Reparieren ist (und nicht nur bei Elektronik - wer stopft heute noch seine Socken?). Erst wenn sich das auf breiter Front ändert, wird es auch für Jugendliche wieder (auch monetär) attraktiv, einen Fachhandel mit Reparaturwerkstatt zu eröffnen und sich entsprechend zu bilden; erst wenn die Nachfrage nach solchen Berufen da ist, wird auch das Angebot an den Schulen und anderen Bildungsträgern folgen. Aber versuchen Sie mal, eine über Jahrzehnte gepredigte und mehreren Generationen in Fleisch und Blut übergegangene Denkweise der Preisdrückerei (nicht nur hier, sondern weltweit) wieder aus den Köpfen zu bekommen!

Bernd Meyer / 18.05.2021

George Orwell gegen Meister Eder und seinen Pumuckl? Das wäre wohl ein bisschen unfair! Übrigens: Rote Haare und Sommersprossen machen noch lange keinen Pumuckl. Das gilt auch für den Deutschen Bundestag.

Heiko Stadler / 18.05.2021

Ein bisschen Nachhilfe in Elektrotechnik möchte ich Ihnen gerne geben, Herr Etscheit: Früher hatten die Elektrogeräte zwar einen großen Ausschalter, aber damit wurde meist nur der Sekundärkreis des Transformators für die Stromversorgung ausgeschaltet. Die Primärwicklung verbrauchte weiterhin etwa 5 Watt aufgrund des Wirbelstroms im Eisenkern des Trafos. Heute haben elektronischen Geräte eine Phasenanschnittsteuerung, die aus der sinusförmigen Netzspannung den Abschnitt mit der niedrigen Spannung 100 mal pro Sekunde herausschneidet und dann glättet. Das erfolgt mit einer deutlich geringeren Verlustleistung als beim Transformator. . . . . Die viel zitierte Sollbruchstelle von Elektrogeräten zur Verkaufsförderung ist mir nicht bekannt. Elektrogeräte werden heute deshalb nicht repariert, weil die Kosten für die Reparatur meist um ein Vielfaches höher sind als die Herstellungskosten. Ein kleines Beispiel: Meine Firma importiert bestimmte Geräte direkt aus China für etwa 100 Euro. Hinzu kommen 19% Zoll. Verkauft werden die Geräte mit Support und Garantie für 350 Euro. Würde ich ein defektes Gerät selbst reparieren, so wären bereits beim Aufschrauben die 100 Euro verbraten. Zu meiner Ehrenrettung kann ich aber versichern, dass ich schon mal ein defektes teures Gerät, das ein Kunde meiner Firma von einem Mitbewerber gekauft hat, aus Kulanz selbst repariert habe. Er ist jetzt einer meiner treuesten Kunden.

Wolf Eislich / 18.05.2021

Sehr treffende Geschichte, die auf größere Probleme in Deutschland verweist. Dem soliden Handwerk fehlt in vielen Bereichen brauchbarer Nachwuchs. Junge Leute wollen heute offenbar mehrheitlich ihre Freizeitbeschäftigungen zum Beruf machen, und daher gibt es alle möglichen Hersteller und Dienstleister, mit denen nur bestimmte Leute etwas anfangen können (z.B. jene, die in einer Art Lebensstil-Wettbewerb zu stehen scheinen und daher meinen, immer exotischere Getränke oder die “Neuerfindung” von Omas Kaffee-Zubereitung zu brauchen). In Dienstleistungsunternehmen gibt es zu viele ungelernte Kräfte, zu viel Fluktuation (und damit oft zu wenig Berufserfahrung bei den dort tätigen Arbeitnehmern). In den unteren Altersgruppen finden sich auch viel zu viele Berufstätige, deren Deutschkenntnisse unzureichend sind. So wird man z.B. in Bäckereien und Cafés heutzutage nur noch selten von fachkundigem deutschstämmigen Personal bedient. Und dies alles wird immer schlechter.

Holger Kammel / 18.05.2021

Sie verkennen die Möglichkeiten heutiger höherer Bildung, Herr Etscheit. An Londoner Elite-Colleges werden Leute in höchsten 3 Semestern zu Völkerrechtlern ausgebildet, die keinen geraden Satz sprechen können. Also, äh, hinterher. Was mich verblüfft, ist die Tatsache, daß zutiefst kapitalismusfeindliche Leute so viel dafür tun, transnationale Konzerne zu globalistischen Monopolen zu machen und die reichsten Menschen der Welt zu den Allerreichsten.

Hans Buschmann / 18.05.2021

Die Zukunft gehört nicht den Mundwerkern, sondern den Dummschwätzern,  und zwar so lange, bis nichts mehr funktioniert.

Herbert Frankel / 18.05.2021

“Dafür sind die Unis voll von jungen Leuten, die keinen geraden Satz schreiben können.” So isses, aber nicht erst seit. Eine Story aus den Achtzigern: Eine Schwägerin meinte damals, alle Jahre zu Weihnachten, die Familie (Eltern, 4 Geschwister mit Anhang) mit einem für alle wortgleichen, am Nadeldrucker ausgedruckten, Brief, beglücken zu müssen. Eine Korrekturlesung mit rotem Stift brachte auf einer DIN-A4-Seite sage und schreibe 36 Treffer zutage. Heute ist sie Frau Dr. habil. und Priv.-Doz an einer deutschen Uni.

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