Roger Letsch / 20.01.2023 / 14:00 / Foto: Rudolf Wildermann / 60 / Seite ausdrucken

Corona-Hardliner: Sie hatten ja fast recht

Jeder, der damit rechnet oder auch nur darauf hofft, dass irgendwann in naher Zukunft die Corona-Aufarbeitung beginnen wird – und zwar mit dem Eingeständnis von Fehlern auf der Seite der Alarmisten und Angstverkäufer – wird enttäuscht werden. Sie hatten ja fast recht.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen einen Fußweg entlang und wollen auf die andere Straßenseite. Sie schauen nach beiden Seiten, rechts ist frei und das einzige Fahrrad, welches auf der linken Seite zu erkennen ist, ist noch weit weg. Kein Problem, denken Sie, und betreten die Straße. Plötzlich stürmt ein Mann auf Sie zu, schlägt sie ins Gesicht und reißt Sie zu Boden. Verdattert rappeln Sie sich wieder hoch und wollen schon auf den Mann losgehen, da brüllt er Sie an: „Sie leichtsinniger, unverantwortlicher Straßenverkehrsleugner! Seien sie froh, dass ich noch rechtzeitig zur Stelle war, um sie vor dem sicheren Tod zu retten!“  

Völlig verdutzt schauen Sie den Typen an, Sie zweifeln an seinem Verstand, beherrschen sich jedoch und erwidern, dass die Straße frei und das einzige Fahrrad weit und breit noch eine Minute entfernt war. Sie weisen auf den Radfahrer, der gerade in diesem Moment ruhig an ihnen vorbeifährt. „Sieht so die Gefahr aus, derentwegen sie mich angreifen, verletzten und zu Boden reißen müssen?“

Doch Ihr „Retter“ will nicht anerkennen, dass er offensichtlich einen Fehler gemacht hat und schnauzt Sie weiter an. „Was, wenn das Fahrrad näher oder gar ein LKW gewesen wäre? Was, wenn Sie kein erwachsener Mann und gut zu Fuß, sondern ein Kind gewesen wären? Und was, wenn der LKW viel näher und schneller gewesen und das Kind mit einem Ball gespielt hätte? In gewisser Weise hatte ich einfach Pech mit meiner Vorhersage. Doch wenn nur wenige und eigentlich unbedeutende Details anders gewesen wären, dann würden Sie jetzt ihr Leugnen bitter bereuen, mir auf Knien danken und sich nicht über eine lächerliche schmutzige Jacke, ein blaues Auge und zwei ausgeschlagene Zähne beklagen, sie elender Straßenverkehrsleugner!“

Arschbomben, die in Fettnäpfchen landen

„Aber das hat er doch erfunden, der Letsch!“, werden Sie denken und damit lägen Sie richtig. Jedoch nur die konkrete Situation, nicht den Typus des durchgeknallten Niederreißers mit seiner „Was-Wäre-Gewesen-Wenn-Logik“ und den „unbedeutenden Details“. Diesen Typus gibt es wirklich und ein Exemplar heißt Sam Harris. Harris ist nicht irgendwer, sondern eine Art amerikanischer Richard David Precht, ein sicher einst brillanter und begabter Philosoph, Autor und Debattenredner, der in letzter Zeit jedoch keine Gelegenheit auslässt, Arschbomben in Fettnäpfchen zu landen. Nach seinem Auftritt beim Podcast „Triggernometry“ vor etwa einem Monat und dem darauffolgenden Shitstorm löschte Harris immerhin kommentarlos seinen Twitter-Account (Harris hatte im Podcast die Twitter-Vertuschung des Skandals um Hunter Bidens Laptop damit gerechtfertigt, dass somit die Wahl von Donald Trump verhindert wurde, der viel korrupter wäre, Anm. d. Red.). Doch es kam noch besser.

Und bevor Sie jetzt mit den Augen rollen, liebe Leser, weil ich mich schon wieder an so einem langweiligen und weit entfernten US-Thema abarbeite … nicht zu voreilig! Dem Zement, aus dem Harris‘ Gedankengebäude besteht und der allein der eigenen Rechtfertigung dient, begegnen wir in Deutschland auch. Und zwar überall dort, wo Politiker, Wissenschaftler und ihre mediale Meute nach dem Kollaps des Corona-Narrativs verzweifelt versuchen, in die Phase der Post-Corona-Rechtfertigung einzutreten, in der Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern werden, jede Verantwortung geleugnet, jeder Sadismus gerechtfertigt und jeder Machtmissbrauch vergeben wird.

Immer nämlich, wenn Harris viel Zeit für seine Antworten hat – wie aktuell im Interview mit John Wood Jr. –, redet er sich um Kopf und Kragen:

„Wir hatten Glück […] Covid hätte viel viel schlimmer sein können, zehn oder fünfzig mal schlimmer! […]. Wäre Covid schlimmer gewesen, hätte es wirklich unsere volle Aufmerksamkeit bekommen und wenn es wirklich unleugbar gewesen wäre, hätten wir andere politische Gespräche darüber gehabt. Es gäbe nicht diese Skeptiker und Bret Weinstein hätte nicht dreiundachtzig Podcasts über die Gefahren des Impfstoffes herausgebracht, wenn nur ein paar Variablen anders gewesen wären. … wenn etwa Kinder statt älterer Leute besonders betroffen gewesen wären und zu hunderttausend gestorben wären, wir hätten ganz andere Erfahrungen gemacht… es hätte keine Toleranz für Skeptiker gegeben. Oder was wäre, wenn die Impfstoffe wirklich die Übertragung gestoppt hätten, statt nur das Zeitfenster ein wenig zu verkleinern, in dem die Übertragung möglich ist – falls sie das tun, ich weiß es nicht – […] nehmen wir an, wir haben ein wenig mehr Übertragungsverhinderung und Kinder sterben massenhaft … die Obsession der Verschwörungstheoretiker, die offensichtlich psychisch krank und aus dem Gleichgewicht sind, man hätte keine Geduld mit denen gehabt. […]“

„In gewisser Weise hatten wir Pech“, so Harris, – und dieses „wir“ inkludiert all die Wegsperrer, Geschäfteschließer, Durchimpfer, Hartgegenandersdenkendedurchgreifer und Kapitalismus-Resetter – dass man bei 80-Jährigen oft nicht sagen konnte, ob sie an oder mit Covid starben. Ach – und eine Schlussfolgerung hängt bei Harris in der Luft wie Mandelduft in der Marzipanfabrik –, wären es doch nur Kinder gewesen!

Waren es aber nicht. Bret Weinstein lag richtig, genau wie Robert Malone. Und Sam Harris lag falsch. Er liegt immer noch falsch! Doch ein „hätte es da keinen Felsen gegeben“ rettet den Kapitän der Costa Concordia ebenso wenig vor Gericht wie ein „die Kraftwerke hätten ja auch ausreichen können“ postfaktisch vor dem Blackout schützt. Man kann nicht faktische Details einfach umdrehen und „Zack – Beweis erbracht!“ sagen. Die „Hätte-Pirouette“, die Harris hier auf dünnem Eis dreht, hat Verwandte, die wir alle nur zu gut kennen.

Dem „Hätte“ sei Dank

Das Sprichwort beschreibt den Hund, den ein großes Geschäft von der Hasenjagd abhält, SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück machte „Hätte, hätte, Fahrradkette“ daraus und die Ableitung des Kölschen „et hätt noh emmer jotjejange“ führt uns schlussendlich zur „Fauci-Lauterbach’schen Vermutung“, die da lautet: „Krank mit Covid? Seien Sie froh, dass sie geboostert sind, es hätte sonst viel schlimmer kommen können!“ Sollten Sie die Sache überleben, können Sie kaum das Gegenteil beweisen. Wenn nicht, auch nicht. Es ist die Letztbegründung, wenn alle Argumente außer Kraft sind. Dem „Hätte“ sei Dank, Details verbogen und dreimal schwarzer Kater!

Um im Bild vom Anfang zu bleiben: Natürlich war es nicht allein Sam Harris, der Sie verprügelt und Ihnen die Zähne eingeschlagen hat, um Sie vor einem Fahrrad am Horizont zu retten. Aber ebenso wenig wie dieser werden sich die Politiker und die Staatsapparate bei Ihnen entschuldigen oder Ihre Zahnarztrechnung bezahlen. Jeder, der damit rechnet oder auch nur darauf hofft, dass irgendwann in naher Zukunft die Aufarbeitung beginnen wird – und zwar mit dem Eingeständnis von Fehlern auf der Seite der Alarmisten und Angstverkäufer – wird enttäuscht werden.

Man wird vielmehr weiterhin Entschuldigungen von Ihnen und mir erwarten, liebe Leser. Für unsere Renitenz, unsere Zweifel und Fragen, unsere Lesegewohnheiten, unser Beharren auf unveräußerlichen Rechten und letztendlich dafür, dass wir von Anfang an richtig lagen. Und man wird in der Manier von Sam Harris Hätte-Pirouetten drehen, um die eigenen Fehlentscheidungen wie im Modellversuch mit anderen Parametern rückwirkend weißzuwaschen. Es hätten doch auch Kinder sein können, die Covid-Impfungen und Corona-Maßnahmen hätten wirksam und der Mond aus Käse sein können! Dann würden Sie und ich, die Leugner und Skeptiker, jetzt aber ganz schön dumm dastehen!

Tun wir aber nicht.

Und falls Sie sich das jetzt fragen, liebe Leser: Sam Harris* würde Sie jederzeit wieder auf die Straße werfen, denn er weiß es eben besser als Sie. Selbst wenn er* nicht weiß, was er weiß, und Fahrrad nicht von LKW unterscheiden kann.

* aka Karl Lauterbach, Christian Drosten, Lothar Wieler, Frank Ulrich Montgomery, Boris Palmer, Stephan Weil, Winfried Kretschmann und wie sie alle heißen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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Leserpost

netiquette:

Emmanuel Precht / 20.01.2023

Daraus, dass keine schwere Erkrankung eingetreten ist, kann man mit dem selben Recht auf die Wirkung der Impfung / Gentherapie schließen, mit dem man aus der Tatsache, dass der Blitz nicht ins eigene Haus eingeschlagen hat, die Wirksamkeit der schwarzen Kerze, die zur Abwehr von Blitz ins Fenster gestellt wurde, erschließen kann. Beides ist grober Unfug und hat in wissenschaftlichen Studien nichts verloren. Wohlan…

S. Andersson / 20.01.2023

Aufarbeitung… wozu? Ich werde den depperten Deppen immer wieder unter die Nase halten wie deppert sie waren. Also falls sich das bei mir noch einer trauen sollte. Es ist auch nicht mein Problem wenn minderbemittelte Denkverweigerer sich den Stoff rein tun, ich weiss aber das die jetzt mit ihrer Angst abends schlafen müssen. Blöd gelaufen. Wichtiger ist es dafür zu sorgen das diese Ideologisch Verhafteten Nichtsnutze nichts mehr zu sagen haben, weder im geilsten D aller Zeiten noch in Brüssel. Dann regelt sich das…

Michael Lorenz / 20.01.2023

Eins weiß ich nicht, und etwas anderes dafür sehr gut. Ich weiß nicht, wo das enden wird - aber ganz sicher weiß ich: garantiert bei nichts Gutem! Denn wie sollen die Täter sauber aus dem schlimmsten Medizinskandal aller Zeiten herauskommen? Da gibt es nichts, also werden sie alle ihre bislang ja schon als negativ offensichtlich gewordenen Kräfte darauf verwenden, zu tricksen, zu vertuschen, mundtot zu machen, um so auf keinen Fall zu irgendeiner Verantwortung gezogen zu werden. Hier gilt einfach: die Bösen sind deutlich in der Mehrheit, und wie war doch gleich die alte militärische Grundregel? “Gott steht immer auf der Seite der stärkeren Bataillone”! Also, liebe Mitleser: machen Sie sich auf eine sehr düstere Zukunft gefasst!

Thomas Kache / 20.01.2023

Der Gedanke ist zwar furchtbar, aber es wird leider so sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, das die Klabauterbachs dieser Welt im Brustton tiefster Überzeugung stets beteuern werden, alles (fast) richtig gemacht zu haben. Man hätte wohl nur noch rigerosere Maßnahmen ergreifen, und härtere Strafen verhängen müssen, um all diese schauerlichen Figuren zufrieden zu stellen. Was lernen wir daraus? Na, mit Demokratie hat das alles nix mehr zu tun. Also…

Michael Palusch / 20.01.2023

Herr Letsch, sind Sie ganz sicher, dass Sam Harris noch Herr seiner Sinne ist, oder sind Sie einer Satire auf den Leim gegangen? Man mag ja von Precht halten was man will, aber derartig offensichtliche und primitive Logikbrüche unterlaufen dem nicht. Mit Harris “Argumentation” kann man alles und zugleich das Gegenteil davon begründen. Ich kann mir gut vorstellen, was der alte Schopenhauer darüber zu sagen gehabt hätte, dagegen wäre seine Kritik an Hegels “Phänomenologie des Geistes” der reinste Ritterschlag.

Peter Woller / 20.01.2023

Das sitzt in den Genen. Wüste Katastrophen-Szenarios herauf beschwören. Düstere Untergangs-Phantasien proklamieren. Totale Maßnahmen verhängen. Und dann so tun, als sei nichts gewesen.

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