Frauke Petry will mit „Team Freiheit“ bürgerliche Leistungsträger in die Politik holen. Über das Paradox, mit einer neuen Partei das Parteiensystem bekämpfen zu wollen.
In einem vielbeachteten Interview in der WELT kündigte Frauke Petry an, eine neue anti-etatistische Partei gründen zu wollen, die erstmals zur Landtagswahl in Baden-Württemberg am 8. März 2026 antreten wird. Petry hatte 2017 den AfD-Vorsitz niedergelegt und war aus der Partei ausgetreten, weil diese ihrem moderaten Kurs nicht folgen wollte.
Nun nimmt sie einen erneuten Anlauf, um ihre Vorstellung von weniger Staat und mehr Freiheit politisch umzusetzen. Dafür rief sie den Verein „Team Freiheit“ ins Leben, aus dem in den nächsten Monaten eine Partei entstehen soll. Diese will den vielen frustrierten Leistungsträgern eine Chance geben, aus der Ohnmacht in die Macht zurückzufinden. Das Bürgertum soll die Chance haben, die schädliche Politik der vergangenen Jahrzehnte – Stichwort Migration, Wirtschaft und Corona – aktiv zum Besseren zu wenden. In Anlehnung an Javier Mileis „Kettensäge“ und mit genug Zeit, weiterhin der eigenen beruflichen Produktivität nachzugehen. Wie das funktionieren soll, erklärt Frauke Petry im Interview mit Achgut-Autorin Annette Heinisch:
Annette Heinisch: Frau Petry, Sie werden eine anti-etatistische Partei gründen. Was heißt das genau?
Eine anti-etatistische Kraft ist schlicht notwendig. Schauen Sie auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Bürger und Staat. Im Idealfall sind Behörden verlässliche Dienstleister für Bürger und Unternehmer, staatliche Organe gewähren Sicherheit und Rechtsfrieden. Für die Bundesrepublik Deutschland war dies viele Jahrzehnte gelebte Realität, doch seit mindestens zehn bis 15 Jahren lassen sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Zerfallsprozesse nicht mehr übersehen. Heute erdrückt der bürokratische Apparat bürgerliche Initiativen, regelt das private und wirtschaftliche Leben bis in Detailfragen und zensiert zunehmend Meinungsäußerungen, während sich die Sicherheitslage im öffentlichen Raum, insbesondere für Frauen, verschlechtert. Die Geburt einer freiheitlichen Bewegung, die den westlichen Wert der individuellen Freiheit endlich wieder in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stellt und staatliche Einflussnahme massiv reduziert, ist daher überfällig.
Warum ist Ihnen eine Staatsquote von 25 Prozent so wichtig und wie erreichen Sie die Halbierung?
Die Staatsquote benennt den Anteil des von Politikern verteilten Geldes, das sie zuvor vom Bürger als Steuern und Abgaben vereinnahmt haben, aktuell 50 Prozent. Diese Zahl demonstriert die ungesunde Machtfülle des politischen Apparates. Die Staatsquote innerhalb einer Legislaturperiode zu halbieren, führt daher zuerst zu Rückgabe von Macht und Verantwortung an den Souverän. Bei einem aktuellen BIP von rund vier Billionen Euro und staatlichen Einnahmen von Bund, Länder und Kommunen von rund zwei Billionen Euro schlagen wir vor, die Belastung der Bürger und Unternehmen auf insgesamt eine Billionen Euro zu senken und entsprechend weniger auszugeben. Wie man eine geordnete Deregulierung und Entbürokratisierung anpackt, kann man sich derzeit in Argentinien unter Präsident Javier Milei ansehen.
Nimmt man den Staat zurück, so geht es natürlich auch um Sozialleistungen. Lassen Sie arme Menschen im Stich?
Ganz im Gegenteil. Die größte Propagandalüge der Sozialisten in allen Parteien ist der Mindestlohn, bei dem sich der Staat vom Arbeitgeberbrutto über 40 Prozent abzwackt. Dazu kommen weitere Verbrauchssteuern, sodass Mindestlöhner faktisch die Hälfte ihrer Arbeitsleistung als Steuern und Abgaben zahlen. Dazu kommt das völlig fehlkonstruierte Bürgergeld, das Arbeit verhindert, anstatt sie zu fördern. Sozial wäre, das aktuelle Labyrinth an politischer Umverteilung durch Friedmans Instrument der negativen Einkommenssteuer zu ersetzen und Familien zu stärken. So behalten Bürger das verdiente Geld und entscheiden selbst, wofür sie es ausgeben.
Können Sie Milton Friedmans Idee der negativen Einkommenssteuer noch einmal kurz erläutern? Es ist ja nicht ganz neu und quer durch alle politischen Lager diskutiert, aber nie umgesetzt worden.
Friedmans Konzept vereint zwei scheinbar gegensätzliche Pole: Einerseits ist es notwendig, jedem Bürger ein materielles Existenzminimum zu garantieren, andererseits muss Leistung unmittelbar und spürbar belohnt werden. Daher erhält nach Friedman ausnahmslos jeder Bürger ohne aufwendige Verwaltungstätigkeit ein Guthaben auf die Einkommenssteuer ausgezahlt (daher das Wort „negativ“), bezahlt aber ab dem ersten Euro Steuern auf den Verdienst. Diese Leistung ersetzt alle anderen Sozialleistungen und wirkt daher wie eine generelle Grundsicherung, die jedoch nicht zu hoch angesetzt sein darf. Dieses Konzept erlaubt gigantische Einsparungen im Verwaltungsapparat und Bürgern von ihren Netto-Mehreinnahmen private Vorsorge zu betreiben. In der Praxis sollte man die negative Einkommenssteuer stufenweise einführen.
„Weg mit Subventionen für einzelne Branchen“
Sie reden von Steuern und Abgaben immer in einem Atemzug. Die Regierung spricht dagegen von Sozialversicherungsabgaben. Erklären Sie einmal die Unterschiede?
Vor vielen Jahren habe ich bei dem Satz „Steuern sind Raub“ noch geschmunzelt, aber er beinhaltet viel Wahres. Bei Abgaben oder den sogenannten Sozialversicherungen ist es noch schlimmer, denn sie haben mit einer Versicherung auf Gegenseitigkeit überhaupt nichts mehr zu tun. Abgaben werden nicht erstattet, der Staat kann einseitig die Bedingungen ändern und Gelder der Bürger zweckentfremden, wie man an der Rentenkasse oder bei den Budgets der gesetzlichen Krankenversicherung sieht. Die negative Einkommenssteuer ist da viel ehrlicher; sie beteiligt die Bürger an staatlichen Kernaufgaben ohne den bürokratischen Dschungel und ohne die vielen unproduktiven Nutznießer im Verwaltungsapparat, der in weiten Teilen überflüssig wäre. Kürzlich ging durch die Medien, dass rund 70 Prozent der Gesamtkosten des Bürgergeldes in der Verwaltung versickern und lediglich 30 Prozent bei den Bedürftigen ankommen.
Sie möchten Deutschland zum Eldorado für Unternehmer und Selbstständige machen. Wie soll das konkret gehen? Und wie sehen Sie die Rolle der EU, die bekanntlich für zahlreiche Regulatorien verantwortlich ist?
Wer heute über eine Unternehmensgründung nachdenkt, kann schnell über die bürokratischen Hemmnisse verzweifeln, während man in vielen EU-Ländern oder den USA nicht nur schneller unterwegs, sondern auch schlicht unternehmerfreundlicher eingestellt ist. Wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wird in Deutschland gesellschaftlich immer weniger honoriert, die Selbständigenquote sinkt seit Jahren und liegt mit etwa 8 Prozent deutlich hinter Ländern wie der Schweiz oder den USA. Dabei war der Mittelstand nach 1945 der wichtigste Garant unseres Wohlstands. Die Problemlösungen sind – nicht überraschend – freiheitlich: günstige Energie, weg mit Subventionen für einzelne Branchen, Steuern und Abgaben runter und Abschaffung unsinniger Regulierungen auf allen Ebenen, ob national oder in der EU. Es mangelt in Deutschland nicht an Wissen und Erfahrung, nur sind diese in den Regierungen der letzten 20 Jahre leider Mangelware.
Nun werden Sie eine Partei gründen, die anders ist: mehr berufserfahrene Leistungsträger statt Parteisoldaten. Womit ködern Sie diese?
Solche Bürger und Unternehmer laufen uns seit dem Versagen der Ampel in nahezu allen Politikfeldern von selbst zu. Seit Jahren wächst abseits der Parteien im freiheitlichen Milieu die Erkenntnis, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. Viele Menschen verlieren Stück für Stück ihre typische bürgerliche Scheu vor der Politik, aber ich wünsche mir noch viel mehr Mut!
Den Kampf um den Wertewesten gewinnen wir nur, wenn wir die kollektivistischen Gegner jeder Couleur als solche benennen und ihnen die Steuergelder konsequent entziehen. „Team Freiheit“ wird das Parteiensystem reparieren, ausschließlich parteifreie Kandidaten mit Berufs- und Lebenserfahrung auf die Liste nehmen und etwas sein lassen, was alle aktuellen Parteien tun: sich andauernd mit sich selbst zu beschäftigen. Dieses Land muss wieder von Menschen geführt werden, die unternehmerisch denken und wissen, dass sie als Treuhänder des Steuergelds fungieren und nicht als Eigentümer.
„Die Kandidaten bleiben parteifrei“
Moment, das müssen Sie noch einmal konkretisieren. Was wird anders an Ihrer freiheitlichen Partei?
Derzeit sammelt Team Freiheit interessierte Bürger und Unternehmer, die verstanden haben, dass alle aktuell existenten Parteien vor allem als Hindernis zwischen dem Wahlvolk und dem Parlament stehen. Bei uns werden die Parteimitglieder selbst nicht kandidieren, sondern ausschließlich gute Kandidaten auswählen. Die Kandidaten bleiben parteifrei, können sich viel besser um ihre Parlamentsarbeit kümmern und haben sogar noch Zeit für eine Fortsetzung ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit.
Das ist ein riesiger Unterschied, denn bisher verhelfen sich Funktionäre jeder Partei kraft ihrer Netzwerke permanent selbst auf die Listen und so in die Parlamentsmandate. Schlimmer noch, viele junge Leute studieren Politikwissenschaft – also ein völlig realitätsfernes Fach – um später Berufspolitiker zu werden. Das muss sich dringend ändern.
Das klingt fast schon revolutionär. Warum hat bisher niemand daran gedacht?
Nun, niemand sägt gern den Ast ab, auf dem er sitzt. Wer es nach Jahren nerviger Parteiarbeit in ein Mandat geschafft hat, wer parteiinterne Netzwerke dominiert, um sich lästige Konkurrenten vom Hals zu halten und so hoffen darf, die nächsten Jahre in diesem vom Steuerzahler üppig finanzierten Betrieb samt aller Privilegien zu leben, wird keinen Anreiz verspüren, hier das Leistungsprinzip und eine schlanke Unternehmensführung zu implementieren. Da spielt es keine Rolle, dass das Parteiengesetz schon immer parteifreie Kandidaten erlaubt oder dass auf kommunaler Ebene Wählerlisten demokratische Normalität sind. Für einen solchen Neuanfang braucht man neben selbständigen Köpfen und Mut vor allem die Erkenntnis, dass politische Macht keinen Selbstzweck besitzt. Wir können ja überlegen, wer aus der aktuellen Bundesregierung in diese Kategorie fällt ...
Aufarbeitung der Corona-Jahre
Nach Ihrem Ausstieg aus dem Bundestag 2021 sind Sie in die Privatwirtschaft zurückgekehrt, warum war Ihnen das wichtig?
Die meisten Politiker werden nach ihrer aktiven Zeit Lobbyisten oder arbeiten in den unzähligen Vorfeldorganisationen oder Verbänden. Als Chemikerin wollte ich gern wieder in den Mittelstand, schließlich habe ich 2007 mein erstes eigenes Produktionsunternehmen gegründet. Regelmäßig sehe ich die Auswirkungen von überteuerter Energie, bürokratischen Hürden und die Spuren staatlichen Raubes auf dem Gehaltszettel. Mit den Erfahrungen aus Wirtschaft und Politikbetrieb haben wir in den letzten Jahren kontinuierlich an einem Konzept für eine moderne Anti-Partei und einen entschlackten freiheitlichen Staat gearbeitet. Wertvolle Ideen entstehen meist dort, wo sich kreative Menschen in vertrauenswürdiger Umgebung zusammenfinden.
Die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland ist gedämpft, laut dem Ipsos Sorgenbarometer stehen die Problemfelder Migration, Inflation, soziale Spannungen und Kriminalität ganz oben auf der Skala. Das sind alles dicke Bretter, die es zu bohren gilt.
In der Tat. Die Abwanderung von Industriebetrieben, die durch kleinteilige Maßnahmen wie zum Beispiel verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten allein nicht aufzuhalten ist, und die Folgen jahrelanger illegaler Migration haben schon jetzt tiefe gesellschaftliche Wunden hinterlassen, die noch immer nicht offen diskutiert werden können. Insbesondere der ÖRR sträubt sich gegen mutige Journalisten in den eigenen Reihen, von denen es ohnehin nicht viele gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Aufarbeitung der Corona-Jahre, über die das politische Berlin gern den Deckmantel des Schweigens breiten möchte. Gleichzeitig finden noch immer Gerichtsprozesse gegen Eltern und Ärzte statt, die versucht haben, die Schwächsten, also Kinder und Patienten, vor den völlig überzogenen staatlichen Maßnahmen zu schützen. Es ist höchste Zeit, nicht nur all diese Prozesse zu beenden, sondern alle Bürger zu amnestieren, die sich gegen staatliche Corona-Willkür und die Einschränkung unserer Bürgerrechte zur Wehr gesetzt haben und so in den Fokus der Justiz geraten sind.
Nach vielen Jahrzehnten des Friedens herrscht in und um Europa Krieg – in der Ukraine und im Nahen Osten. Wie würden Sie Deutschland außenpolitisch positionieren?
Tatsächlich haben die Kriege um uns herum nie aufgehört, wir haben nur seit 1990 viel zu lange in der Illusion geschwelgt, dass uns diese nicht mehr betreffen. Sowohl Israel als auch die Ukraine führen einen Verteidigungskrieg, daher steht für mich außer Frage, dass wir beide Länder dabei unterstützen. Die Äußerungen der neuen Bundesregierung zur Lage in Gaza lassen mich daher sprachlos zurück, da sie ungeprüft an arabische und israel-feindliche Narrative anknüpfen und die Lebensrealität in Israel völlig außer Acht lassen.
Niemand wünscht sich mehr Frieden als Menschen in Kriegsgebieten, nur ist nicht jeder Waffenstillstand ein stabiler Pfad zu einem dauerhaften Frieden. Neben der Beendigung der Terror-Finanzierung in Gaza und andernorts halte ich daher eine Bestandsaufnahme und Erneuerung unserer westlichen Verteidigungsallianz für unbedingt notwendig.
Wie blicken Sie in Deutschlands Zukunft?
Das hängt davon ab, ob wir mit dem nächsten Regierungswechsel eine freiheitliche Trendwende einleiten. Sie wäre nicht nur ein Konjunkturprogramm für den Mittelstand, sondern auch ein gesellschaftlicher Befreiungsschlag, der vor allem für fähige junge Leute darüber entscheiden wird, ob sie ihre Zukunft innerhalb oder außerhalb Deutschlands planen. Mit mehr Freiheit sehe ich auch eine Renaissance eines gesunden Verhältnisses zwischen Bürgern und Staat, in dem letzterer nicht als Gegner des Souveräns, sondern als Dienstleister agiert. Dann wird auch privates Engagement ohne umverteilte Steuergelder unsere Gesellschaft bereichern, weil der Raum dafür wieder vorhanden ist. Wo Menschen mit einem gemeinsamen Ziel zusammenkommen, kann jeder seine persönliche Stärke einbringen. Oder um es mit Javier Milei zu sagen: „Wenn ich Sie um Ihre Stimme bitte, dann nicht, damit Sie mir Macht geben können, sondern damit ich sie Ihnen zurückgeben kann.“
Annette Heinisch, Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen) tätig.