Es ist wieder Sternsinger-Zeit. Doch das Kindermissionswerk rät von einschlägigem Schminken entschieden ab. Die britische Methodistenkirche empfiehlt derweil ihren Geistlichen, nicht mehr von „Ehemann“ und „Ehefrau“ zu sprechen.
Kaum ist das neue Jahr angebrochen, in das Sie hoffentlich gut hineingeglitten sind, stehen bereits die Sternsinger vor der Tür. Jedenfalls dort, wo der auf Achgut diagnostizierte „Zusammenbruch dieser Tradition“ noch nicht vollends durchgeschlagen hat. Teils galten die Heiligen Drei Könige beziehungsweise die drei Weisen aus dem Morgenland als Araber, und was sie zum Jesukinde brachten, war wertvoll wie Gold. Nach schon lange verbreiteter Vorstellung soll das Triumvirat jedoch die Kontinente Europa, Asien und Afrika repräsentieren. Und so kommt es vor, dass das Kind, das den Schwarzen Kontinent vertritt, einschlägig geschminkt wird. Dieses Blackfacing erfährt in den letzten Jahren vermehrt eine Umdeutung. „Problematisch“ und „rassistisch“ soll es sein.
Aktuell beschwert sich die evangelische Theologin Sarah Vecera von der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal darüber, dass dieser Brauch vor Ort noch Usus sei, obwohl die Sternsinger-Zentrale davon abrät. Vecera (Jesus „war Person of Color“) hat übrigens eine „diversitätssensible Kinderbibel“ initiiert. Beim katholischen Sternsinger-Kindermissionswerk wisse man, „dass die Gleichung von Hautfarbe und Herkunft nicht aufgeht“. Durchaus zutreffend, siehe die aktuelle Schönheitskönigin Simbabwes. Einer Dame zufolge, die das Kindermissionswerk zu Wort kommen lässt, geht es umgekehrt ebenso wenig, „dass ein Kind darauf festgelegt wird, dass es einfach der schwarze König ist, weil es dunkle Haut hat“. Tja, wie man es auch macht, macht man es falsch. Immerhin hat sich das Crossdressing längst durchgesetzt, sodass auch Mädchen Balthasar, Caspar oder Melchior spielen dürfen.
Mutter Gott statt Ehemann
Bleiben wir im Religiösen. Wörter wie Ehefrau und Ehemann mögen harmlos klingen, aber diese Begrifflichkeiten basieren „auf Annahmen über eine Familie oder persönliches Leben, die für viele Menschen nicht der Wirklichkeit entsprechen“. Davor warnt die britische Methodistenkirche. In einer Handreichung für ihre Geistlichen wirbt sie für „inklusive Sprache“. Man sollte lieber Termini wie „Elternteil“, „Partner“, „Kind“ oder dergleichen wählen. Arme bezeichne man als „Menschen mit niedrigem Einkommen“, Sklaven als „versklavte Personen“ und Moslems als „Muslime“. Außerdem solle man sich immer daran orientieren, wie Leute selbst genannt werden wollen. Und ein Pastor könne doch mal mit gutem Beispiel vorangehen und seine Pronomen nennen. Ein Vierteljahrhundert vor diesem woken Pamphlet hatten die Methodisten in Großbritannien bereits die Anrufung „Gott, unser Vater und unsere Mutter“ in ihr Repertoire aufgenommen. Das wäre heute freilich zu binär.
Nicht O.K. für AfD
Vor ein paar Monaten habe ich Sie über das angebliche White-Power-Handzeichen informiert. Die angestammte O.K-Geste mit Daumen und Zeigefinger hatten Internettrolle vor ein paar Jahren als Symbol für weißen Rassismus ausgegeben. Inzwischen hat es sich eingebürgert, auf diese Albernheit reinzufallen, auch in Deutschland. Wie berichtet, wurde eine Funktionärin der AfD-Jugend deshalb abgemahnt. Letzten Monat traf es einen Landtagsabgeordneten der gleichen Partei. Der rheinland-pfälzische AfD-Landesvorstand belegte Joachim Paul mit einer Ämtersperre. Das Gremium soll sich „offenbar auf Drängen des Bundesvorstandes“ zu dieser Parteiordnungsmaßnahme entschlossen haben, wie der SWR schreibt. Hintergrund sei, dass Paul beim Zeigen dieses Zeichens fotografiert worden war. Paul bestreitet, etwas anderes als „O.K.“ gemeint zu haben.
Die Geste wurde auch angeführt, um eine Organisation namens Revolte Rheinland auf die Unvereinbarkeitsliste der AfD zu setzen. Die Gruppe, die durch Überklebung eines arabischen Straßennamens in Düsseldorf und eines Regenbogen-Zebrastreifens in Bonn von sich reden machte, lässt sich der als rechtsextrem geltenden Identitären Bewegung zurechnen. Wer mit dem O.K.-Zeichen provozieren wolle, dürfe keine „werdende Volkspartei in Mithaftung für solche Späße nehmen“, so AfD-Bundestagsabgeordneter Marc Jongen. Jongen gehörte zur Mehrheit des Bundesvorstands, die die Unvereinbarkeit einer Zugehörigkeit zur Revolte Rheinland mit einer Aufnahme in die Partei beschloss. Lediglich frühere Mitglieder könnten nach einer Einzelfallprüfung zugelassen werden, erläutert Robin Classen vom AfD-Landesvorstand Rheinland-Pfalz das Prinzip. Außerdem verwies man darauf, dass die Revolte Rheinland als Logo ein Runensymbol verwendet. Dieses ähnelt der Odalrune, wie sie zum Beispiel eine Waffen-SS-Division benutzt hat, wie sie aber auch zahlreiche Bundeswehr-Unteroffiziere in ihren Dienstgradabzeichen tragen.
„Wirkungslose Distanzeritis“, wie Kritiker behaupten? Oder hilft der Partei diese Form der Abgrenzung – wie Jongen argumentiert –, wenn auch nicht gegenüber dem Verfassungsschutz, so doch wenigstens vor Gericht? Einerseits könnte die AfD durch den Beitritt von Mitgliedern aus Organisationen wie der Revolte Rheinland, die geheimdienstlich beobachtet wird, leichter von Spionen unterwandert werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn man an Mitglieder der linksextremistischen Roten Hilfe denkt, die der Linkspartei, der SPD oder den Grünen angehören, oder an Bundesinnenministerin Nancy Faesers früheren Gastbeitrag für die Antifa-Postille einer ehemaligen DKP-Vorfeldorganisation. Der AfD selbst droht jedenfalls weiteres Canceln, zum Beispiel bei der Parteienfinanzierung oder auf der Grundlage streng staatsgeheimer Erkenntnisse (Achgut berichtete).
Gute Nacht, Österreich
Anderes Land, andere Partei. Andreas Kollross gehört dem österreichischen Nationalrat für die Sozialdemokraten (SPÖ) an und amtiert als Bürgermeister seiner kleinen Heimatgemeinde in Niederösterreich. Letzte Woche postete er aus „kurzfristiger Langeweile“ eine vom Film Braveheart, der im mittelalterlichen Schottland spielt, inspirierte Frage auf Facebook. „Kann man eigentlich mittels Gemeinderatsbeschluss so ein ‚Ius primae noctis‘ für den Bürgermeister beschließen lassen?“ Der stellvertretende SPÖ-Fraktionsvorsitzende sprach damit das – historisch kaum belegte – Recht eines Herrschers auf die erste Nacht mit jeder Braut seines Territoriums an. „Keinerlei Eigeninteresse natürlich ;-)))“, ergänzte Kollross mitsamt Smiley und vergaß nicht, in einem Postskriptum zu erwähnen, dass er dies unernst gemeint habe.
Am nächsten Tag löschte der Parlamentarier seinen Post, entschuldigte sich und gelobte Besserung. Dessen ungeachtet ließ die Empörung in seiner eigenen Partei und der Konkurrenz nicht auf sich warten. „Verharmlosungen von Gewalt gegenüber Frauen sind auf das Schärfste zu verurteilen und haben in der SPÖ nichts verloren“, urteilte die Vorsitzende der SPÖ-Frauenvereinigung. Kollross‘ Entschuldigung sei „das Mindeste, was wir erwarten“. Frauenministerin Susanne Raab von der ÖVP ging noch weiter: „Wer meint, dass es lustig ist, über Vergewaltigung zu scherzen und brutale Gewalt an Mädchen und Frauen damit zu legitimieren, sollte sich grundsätzlich hinterfragen und schlichtweg kein politisches Amt bekleiden.“
Kollross hatte 2018 selbst mal Konsequenzen für den parteilosen, damaligen ÖVP-Abgeordneten Efgani Dönmez wegen dessen „sexistischen Frauenbildes“ gefordert. Dönmez, der dann tatsächlich die Fraktion verlassen musste, hatte der deutschen SPD-Politikerin Sawsan Chebli unterstellt, ihre Karriere knieend befördert zu haben.
Der Preis des Nicht-Cancelns
Die britische Zeitschrift Spectator organisiert Diskussionsveranstaltungen auf den Parteikongressen der britischen Konservativen. So auch vergangenen Oktober. Kürzlich ging das Medium auf einen Fall ein, der sich bei einem dieser Podien ereignet hatte, das sich der „Krebskrise“ widmete. Zu den eingeladenen Mitdiskutanten gehörte Prof. Karol Sikora, ein Onkologe von Weltruf, der auch mal das WHO-Krebsprogramm geleitet hatte. Der Sponsor dieser Runde, der immerhin 25.000 Pfund beisteuern wollte, verlangte, dass auf Sikoras Teilnahme verzichtet würde. Grund: Der Mediziner sei zu umstritten und zu politisch. Gemeint war damit: Sikora äußert Kritik am britischen Gesundheitssystem, dem NHS (National Health Service, man könnte auch vom National Health Socialism sprechen). In Sachen Krebsbehandlung laufe einiges nicht, wie es soll, und das ganze System möge reformiert werden statt mit mehr Geld bedacht.
Der Sponsor wiederum liefert dem NHS zu, will es sich wegen dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit also nicht mit ihm verderben. Wie reagierte nun der Spectator? Anders als viele es an seiner Stelle getan hätten: Sikora blieb, der Sponsor ging. Das entspreche der Linie des Blattes, schreibt Fraser Nelson: Als sich mal ein Werbekunde über einen Kolumnisten der Zeitschrift beschwerte, war er sofort raus. Der Werbekunde. Vorbildlich hat auch Sikora – der in der Vergangenheit bereits den Corona-Impfzwang abgelehnt hat – reagiert: Er wolle bei seiner Kritik am NHS künftig kein Blatt mehr vor den Mund nehmen.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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