Olympia will russische und weißrussische Sportler 2024 immerhin für andere Länder antreten lassen – Großbritannien kämpft dagegen. Wolodimir Selenskij wurde nicht bei den Oscars zugeschaltet. Und dem „Gänsehaut“-Autoren R. L. Stine wurden hinter seinem Rücken seine Bücher umgeschrieben.
Ob bei den Filmfestspielen in Cannes und Venedig sowie bei der Grammy-Verleihung letztes Jahr oder diesen Januar bei den Golden Globes, immer wurde der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij zugeschaltet beziehungsweise per Video-Einspieler gezeigt. Nur bei den Oscars gab man ihm 2022 einen Korb. Und diesmal? Im Westen nichts Neues – die Akademie lehnte den Präsidenten wieder ab. Offizielle Begründung: Fehlanzeige. Neigt die Organisation zum Pazifismus, lehnt sie Kriegspropaganda als Bestandteil ihrer Show ab, oder „versteht“ sie gar Putin?
Der Grund könnte woanders liegen. Letztes Jahr soll der Ukraine-Krieg dem damaligen Oscar-Produzenten, dem dunkelhäutigen Will Packer, zu „weiß“ gewesen sein. Gerüchten zufolge habe Packer wenig Begeisterung dafür gezeigt, dass ein Krieg, an dem nur Weiße beteiligt sind, in Hollywood so viel Aufmerksamkeit erfährt. Kriege wiederum, die sogenannte People of Color betreffen, würden ignoriert. Bei der letztjährigen Verleihung rief passenderweise Gewalt unter Schwarzen Schlagzeilen hervor.
False Flag-Operation
Unter verschiedenen Flaggen können nicht nur Schiffe fahren, sondern auch Sportler laufen. So könnten russische und weißrussische Athleten unter einem neutralen Label an den Olympischen Spielen 2024 teilnehmen, regte das Internationale Olympische Komitee (IOC) kürzlich an. Im vergangenen Jahr waren nach Kriegsausbruch weitgehende Ausschlüsse russischer Teams und Sportler sowie der des Verbündeten Weißrusslands beschlossen worden. Auch bei Olympia scheint eine offizielle Teilnahme unter den Bannern der beiden Länder undenkbar.
Allerdings regt sich auch gegen den IOC-Vorschlag mit der neutralen Flagge massiver Widerstand. Die Regierung Großbritanniens hat sich jetzt an wichtige Olympia-Sponsoren gewandt, zum Beispiel an Coca Cola und Samsung, damit diese sich ebenfalls für den Ausschluss der Sportler einsetzen. Nicht auszudenken, wenn sich in Paris eine russische Hammerwerferin oder ein weißrussischer Turner unter die Kontrahenten mogeln. „Wir wissen, dass Sport und Politik in Russland und Weißrussland eng miteinander verwoben sind“, schrieb die britische Sportministerin Lucy Frazer an die Unternehmen. Diese Staaten wollten „den Sport für ihre Propagandazwecke nutzen.“ Dann kommt sie selbst bestimmt aus einem Land, wo sich eine Ministerin aus solchen Dingen heraushält, wo man keine symbolischen Kniefälle praktiziert und keine komischen Armbinden trägt …
IOC-Präsident Thomas Bach, einst (west)deutscher Goldmedaillenträger im Florett: „Es steht den Regierungen nicht zu, zu entscheiden, wer an welchen Sportwettbewerben teilnehmen darf, denn das wäre das Ende der internationalen Sportwettbewerbe, der Weltmeisterschaften und der Olympischen Spiele, wie wir sie kennen.“ Neben Bachs Argument würde man sich außerdem der Möglichkeit berauben, russische Sportler erneut des Dopings zu überführen.
Eigentore
Wo wir schon beim Sport sind und bei der britischen Regierung: Ex-Fußballprofi Gary Lineker – bekannt für seine Definition dieser Sportart: „… und am Ende gewinnen die Deutschen“ – mag die Asylpolitik der Konservativen nicht. Bei der Bekämpfung illegaler Einwanderung würden sie eine Sprache verwenden, die der „im Deutschland der 30er verwendeten nicht unähnlich“ sei. Daraufhin wurde BBC-Sportmoderator Lineker von seinem Sender vor einer Woche suspendiert – wegen Verletzung einer Neutralitätspflicht.
Das wiederum empörte zahlreiche Gleichgesinnte, die über eine Einengung von Linekers Meinungsfreiheit zeterten. Menschen, die, wie Tom Slater im britischen Magazin Spiked schreibt, sich nur aufregen, weil es mal jemandem trifft, der die „richtige“ Meinung äußert – und auch noch viel weniger hart als diejenigen, die wegen ihrer „falschen“ Meinung Probleme bekommen. Das zeigte sich sehr deutlich, als die BBC die Suspendierung am Montag nach wenigen Tagen bereits wieder aufhob – und dafür von anderer Seite wiederum der „‚Kapitulation“ bezichtigt wurde. Für Slater liegt das Problem eher in der Einseitigkeit der Rundfunkanstalt, deren zwangsgebührenfinanzierte Mitarbeiter reihenweise einseitige Auffassungen wie die Linekers verbreiten, zum Beispiel „antipopulistische Hysterie und das Überall-Nazis-Sehen“. Sein Kollege Brendan O’Neill sieht in den Vorgängen einen „woken Putsch gegen die BBC“.
Humanistische Handschellen
Der Sänger Björn Casapietra stellt seine Musik in den Dienst des „Humanismus“, wie er von sich sagt. Ob das auch für seine Twitter-Äußerungen gilt? „Jeder, absolut jeder, der ernsthaft heute noch nicht gegen COVID-19 geimpft ist, sollte in Handschellen zum impfen [sic!] gebracht werden“ tweetete er – nein, nicht vor einem Jahr, sondern vergangenen Sonntag noch. Auf eine kritische Antwort hin fiel aus seinem Munde das Wort „Arschloch“. Mit dem Ausschluss anderer aus der Volksgemeinschaft kennt er sich aus, nannte AfD-Wähler mal „die wahren Volksverräter“.
God save the Kong
Das ist der Kong. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich ein Düsseldorfer, der auf Twitch streamt und Tichys Einblick liest. Kürzlich wurde ein Kommentar, mit dem sich der so bärtige wie muskulöse Herr an einer Diskussion auf Instagram beteiligte, entfernt. Mutmaßlich aus Anlass des Amoklaufs bei den Zeugen Jehovas schrieb er: „schön, wenn’s zu Abwechslung mal nicht Mohamed oder Mubambe war. Ich meine wenn die schon für 86,6 % aller Gruppen Vergewaltigungen und 65 % aller Messer Delikte & normalen [!] Vergewaltigungen verantwortlich sind können sie wenigsten das auf Menschen ballern alle 20 Jahre den Deutschen überlassen [sprachliche Fehler im Original].“
Instagram teilte ihm daraufhin mit, dass dieser Kommentar gegen die plattformeigenen „Gemeinschaftsrichtlinien gegen Gewalt oder gefährliche Organisationen“ verstoße. Das will Kong nicht auf sich sitzen lassen und hat nach eigenen Angaben einen Rechtsanwalt beauftragt, um seine Meinungsfreiheit durchzusetzen. Er habe sich in den vergangenen Jahren hindern lassen, seine Auffassung über die Corona-Spritzen auf solchen Plattformen frei zu äußern. „Das werde ich nicht noch einmal zulassen.“
Schimpfen über Impfen
Das Stuttgarter Impfsymposium findet traditionell nicht in der Schwabenmetropole selbst statt, sondern im benachbarten Filderstadt. Die kommunale FILharmonie bot der Impfgegner-Veranstaltung seit vielen Jahren Obdach. Erstmalig nach der so geheißenen Pandemie will man im Mai wieder zusammenkommen, und dass das diesjährige Kongressprogramm im Zeichen der Corona-Spritze steht, vermag nicht zu verwundern. Durch Referenten aus der ab 2020 entstandenen Protestbewegung könnte beim Impfsymposium vielleicht sogar ein weniger esoterischer Wind wehen als bisher.
Diesmal aber gibt es Probleme. „Um Straftaten und Sachbeschädigungen durch gewaltbereite Gegendemonstranten zu verhindern, kündigte Oberbürgermeister Christoph Traub [CDU] kurzerhand den Mietvertrag mit dem Veranstalter, einem Herrenberger Medizin-Journalisten“, berichtet Impfkritik.de. „Der Leiter des städtischen Ordnungsamtes habe […] nur ganz allgemein auf ‚kontroverse Diskussionen in einschlägigen sozialen Medien‘ verwiesen“, heißt es weiter, „ohne jedoch konkrete Angaben zu angemeldeten Gegendemonstrationen und Erkenntnisse über geplante Straftaten machen zu können“. Mit Antifa mag zu rechnen sein, aber der Veranstalter Hans Tolzin hält dagegen und pocht auf Einhaltung des Mietvertrages.
Der Stine des Anstoßes
In Sachen Zensur durch sogenannte Sensibilitätsleser gibt es Neues zu berichten. Diesmal hat es R. L. Stine getroffen, einen amerikanischen Kinder- und Jugendbuchautor. Stine hat hunderte Horror-Romane für Kinder verfasst, was ihm einen Guinnessbuch-Eintrag bescherte. Seine ab 1992 veröffentlichten Gänsehaut-Bücher gelten als zweiterfolgreichste Kinderbuchreihe der Welt – lediglich eine gewisse als „transphob“ geltende Britin kann noch höhere Verkaufszahlen vorweisen.
In offenbar über 60 Büchern Stines wurden Hinweise auf die Ethnie von Romanfiguren sowie Attribute wie „mollig“ und „verrückt“ entfernt; das kennen wir von den Fällen Roald Dahl und Ian Fleming. Bei diesen hatten die Erben entsprechenden Änderungen zugestimmt. R. L. Stine (79) hingegen lebt noch – wurde allerdings gar nicht gefragt. Erst jetzt erfuhr er, dass sein Verlag Scholastic die Umschreibungen hinter seinem Rücken vorgenommen hatte, vor Jahren schon. Dessen Begründung: Die Sprache solle auf der Höhe der Zeit bleiben, und man wolle „Bildsprache vermeiden, die sich auf das Selbstbild einer jungen Person heutzutage negativ auswirken könnte, unter besonderer Berücksichtigung der psychischen Gesundheit“.
Wie es diesbezüglich um die Verantwortlichen selbst bestellt ist, muss hier offen bleiben. Jedenfalls darf eine Figur im Stine-Buch nicht mehr „mindestens ein Sechsfachkinn“ ihr Eigen nennen, ein Schwarzer nicht mehr „wie ein Rapper aus einem MTV-Video“ gehen. Und aus „Mädchenkram“ wurde „nicht interessant“. In vergangenen Jahrzehnten wurden Bücher des jüdischen Schriftstellers übrigens aus einigen US-Schulbibliotheken verbannt, weil man ihnen schädliche Einflüsse auf Kinder nachsagte.
Abtreibungsgegner vertrieben
Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) ist auf dem Evangelischen Kirchentag nicht mehr willkommen. Die überkonfessionelle Vereinigung von Abtreibungsgegnern war dort in der Vergangenheit als eine von vielen Organisationen mit einem Infostand vertreten. Nach Darstellung der Vereinsvorsitzenden erfolgte der Ausschluss ohne Begründung. Dass die ALfA jüngst an einer Bildungsmesse teilnahm, führte zu einer Cancel-Forderung durch die Gewerkschaft GEW. Aber zurück zur EKD, aus der 2022 erstmals mehr Mitglieder ausgetreten als ihr weggestorben sind, und ihrem Kirchentag, der im Juni in Nürnberg stattfinden soll. Dort präsentiert sie im Gegenzug – wie Boris Reitschuster anmerkt – einen „anderen Themenbereich […], der ohnehin viel besser zum selbstgegebenen woken Profil passt: LGBTQIA+“.
Zensur am Campus
Umgekehrt geht es selbstverständlich auch: Ein staatliches College in Idaho hat verschiedene Werke aus einer Ausstellung zum Thema Gesundheit entfernt, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstießen, „für Abtreibungen zu werben“. Darunter befindet sich eine Stickerei von Gastkuratorin Katrina Majkut, die bei Schwangerschaftsabbrüchen gebräuchliche Medikamente zeigt. Aus Sicht der Bürgerrechtsorganisation FIRE verbietet sich eine so zensorisch weite Auslegung des bundesstaatlichen Antiabtreibungsgesetzes.
Störende Schneeflocken
Zuletzt noch ein weiterer Fall aus dem Kosmos der US-Hochschulen, diesmal von der renommierten Stanford-Universität. Der konservative Bundesrichter Kyle Duncan – der von Donald Trump ernannt worden war – war zu einem Vortrag an der dortigen Juristischen Fakultät eingeladen, wurde aber zunächst von schreienden Studenten an seiner Rede gehindert. Als er die Verantwortlichen bat, Ordnung herzustellen, hielt die Diversitäts- und Inklusions-Prodekanin Tirien Steinbach einen minutenlangen Vortrag, der zwar Bekenntnisse zur Redefreiheit, aber auch Vorwürfe an Richter Duncan für sein Wirken enthielt.
Danach verließen zahlreiche Studenten aus Protest den Raum, bevor die Rede beginnen konnte. Verschiedene Protestplakate mit Aufschriften wie „Trans Lives Matter“ waren zu sehen, auch Studenten mit Mund-Nasen-Bedeckung (hier im Video). Duncan ist dafür bekannt, eine konservative Familienpolitik zu befürworten. Im Nachgang entschuldigten sich Uni-Präsident und Dekanin bei Duncan: Eine solche Störung hätte sich nicht ereignen dürfen, Uni-Personal sei nicht eingeschritten, um die Redefreiheit sicherzustellen. Man ergreife Maßnahmen, damit sich das nicht wiederholt.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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