Thilo Schneider / 26.01.2020 / 11:00 / Foto: Timo Raab / 15 / Seite ausdrucken

Auf der Astrologen-Couch

Vielleicht liegt es daran, dass der Schatz wesentlich jünger als ich ist. Vielleicht habe ich sie als 18-Jähriger mal vor der Eisdiele auf die Seite geschubst, weil sie sich mit ihren zarten vier Jahren nach vorne gedrängelt hat, vielleicht auch einfach daran, dass sie viel empathischer und netter als ich ist. Vielleicht hat sie sich mit mir einfach ihr Trauma angelacht, ich weiß es nicht. Jedenfalls steht sie neulich vor mir, mit einer hübschen Papierrolle, um die sie eine rote Schleife gebunden hat. „Guck mal, was ich hier für Dich habe“, freut sie mich an. „Oh, eine Papierrolle mit einer roten Schleife drumherum, das habe ich mir immer gewünscht“, freue ich mich zurück. „Du Doof“, sagt sie, „guck doch erst einmal, was da drauf ist …“ „Lass mich raten: Ein wertvolles altes Manuskript aus der Bibliothek von Alexandria?“, versuche ich mir zu helfen und ernte ein „Fast. Mach es auf!“

Tatsächlich liege ich gar nicht so falsch. Ich entrolle jenes kleine Poster und finde einen Kreis mit merkwürdigen Symbolen, über den scheinbar wahllos irgendwelche Linien gezogen sind. „Alexandra Kreisch – Astrologin“ steht rechts unten neben einem kleinen Copyright C. „Ah, aus der Bibliothek von Alexandra. Da war ich aber dicht dran!“, bemerke ich, nicht ganz ohne Stolz. „Das ist Dein Geburtshoroskop“, erklärt mir der Schatz mindestens ebenso stolz. „Ähm, aha, soso“, sage ich, weil ich mit den kryptischen Zeichnungen absolut nichts anfangen kann. Sie hätte mir auch eine chinesische Speisekarte schenken können. Ich erkenne gar nichts. „Am Samstag um elf haben wir einen Termin bei der Astrologin, die erläutert Dir das dann“, verkündet der Schatz, und ich frage mich, ob eine Stunde Erläuterung von Scharlatanerie von unserem Haushaltskonto abging.

„Keine Sorge, das habe ich von meinem Geld bezahlt“, errät der Schatz meine Gedanken, was allerdings auch nicht schwierig ist, da ich im Sternzeichen Jungfrau geboren bin. Das beruhigt mich und ich frage daher auch nicht nach, was Alexandra Kreisch für ein astrologisches Strickmuster so aufruft. Der Schatz will mir eine Freude machen, und da halte ich lieber den Mund und ehrlich: Irgendwie ist das ja auch sehr süß von ihr. Obwohl sie mich ja kennt. Und ich soll ja „offen für Neues“ sein. Sie ist ein Zwillingsmädchen. Da ist der Irrsinn bereits im Geburtsmonat verankert.

Ein leichter Tritt vom Schatz

Und so sitzen wir, gebadet und geduscht und gefrühstückt, am Samstagvormittag bei Alexandra in einem behaglichen und gemütlichen Beratungsraum, der in weißem Shabby-Chic eingerichtet ist. Jeder hat vor sich auf dem runden Holztisch eine dampfende Tasse Ingwertee (den ich wie die Pest hasse. Also den Tee. Nicht den Tisch.) und ein Duftkerzchen verströmt ein leicht verstörendes zimtig-mandeliges Aroma. Die obligatorische Katze, von der ich annehme, dass sie wegen der Räucherkerze an Lungenkrebs sterben wird, schnarcht auf einem Korbsessel, und mir fallen spontan die Anfangssätze zu diesem Artikel ein. Die Schätzin müsste mich mittlerweile kennen! Sollte sie!

„So, Herr Scheider, darf ich Thilo zu Dir sagen?“, versucht es die Alexandra zunächst, aber weil ich sie nicht kenne, antworte ich mit „'Herr Schneider' ist okay für mich, Frau Kreisch. Bitte nicht böse sein“, und ernte unter dem Tisch einen leichten Tritt vom Schatz. Aber das hätte Frau Kreisch auch kommen sehen können. Schließlich ist sie eine Astrologin.

Ich breite das lustige Blatt aus. „Ja, Ihr Geburtshoroskop“, erkennt Frau Kreisch ihre Schöpfung. „Aus dem Geburtshoroskop lassen sich Ihre wesentlichen Charaktereigenschaften herauslesen, aber auch, wie Ihr Lebensweg in etwa verlaufen wird“, führt sie aus. Nun, ich bin 53 Jahre alt, viel wird da jetzt nicht mehr verlaufen, ich werde älter und dann alt und dann sterbe ich. Günstigstenfalls in den Armen des Schatzes. Aber das sage ich nicht. Das soll ja Frau Kreisch mir sagen. Dafür hat sie der Schatz ja bezahlt. „Sie sind im Zeichen der Jungfrau geboren, das bedeutet, Sie sind sehr ordentlich“, stellt die Astrologin fest.

„Thilo, lass es einfach“

„Seit wann?“, fragt der Schatz dazwischen und ich antworte mit: „Zwischen Ordnung mögen und Ordnung machen gibt es eine gewisse Grauzone. Ich mag Ordnung. Das bedingt nicht zwangsläufig, dass ich das Bad jeden Tag putze.“ „Jeden Tag?“, fragt der Schatz leicht gereizt, „Nie! Du putzt das Bad, nie!“ „Steht das auch im Horoskop?“, erkundige ich mich bei Frau Kreisch. Die lächelt beschwichtigend. „Nein. Aber Sie haben den Merkur im ersten Haus, das bedeutet, dass Sie kommunikativ sind und gerne schreiben!“, erklärt sie dem Schatz und mir.

„Stimmt!“, grinst der Schatz. „Das wusste ich schon“, gebe ich zurück. Frau Kreisch legt nach und es wird heftig: „...und außerdem steht bei Ihnen der Jupiter im Dritten Haus…“, „…dann bieten Sie ihm doch einen Platz an…“, „…haha, das bedeutet, dass Sie, Herr Schneider, sehr viel wissen und auch gerne darüber reden…“, „Stimmt…“, „…und in Verbindung mit Ihrem Aszendenten auch zur Besserwisserei neigen“, „Stimmt überhaupt nicht, das weiß ich besser!“, schneide ich den Humbug ab.

„Wie sieht es denn bei ihm im Achten Haus aus?“, fragt der Schatz dazwischen, und die Sterndeuterin sieht auf ihr Blatt. „Hmm“, macht sie, „das wollen Sie eigentlich nicht wissen …“ Ich bin etwas verwirrt. „Was steht denn in meinem Achten Haus? Ikea-Möbel? Ich habe ja nicht einmal eine Eigentumswohnung. Wir wohnen zur Miete“, mache ich den langweiligsten Astrologenskeptikerwitz seit der Weissagung von Varus’ Auguren, ein Marsch durch germanische Gebiete sei völlig ungefährlich. „Thilo, lass es einfach“, sagt der Schatz leicht verärgert, „Du nimmst das ja sowieso nicht ernst“.

Leck mich doch am Mars

„Stimmt schon wieder!“, erkläre ich fröhlich und höre mir höflichkeitshalber noch ein paar Minuten an, warum sich Venus in meiner Berlin-Transitstrecke nicht völlig ausgezogen hat und wieso mein Uranus so schlecht mit meinem Merkur kommuniziert, was mir bisher auch nicht bekannt war und warum der Mars bei mir mobil macht und wieso Vulkan zwar auch ein Planet mit einem Götternamen ist, aber auf mich keinerlei Einfluss hat, weil ich erstens sowieso einigermaßen klar denken kann und zweitens noch keine Vulkanier entdeckt wurden, außer in Star-Trek, und da sind sie mir ziemlich unsympathisch, obwohl ich das Pon Farr-Paarungsritual vom Grunde her recht praktisch finde. Und dass ich für Kettensätze gar nichts kann, weil meinem Lektor mutmaßlich die Sonne aus dem Dritten Haus lacht und er nie bis zum Schluss liest. Dann fahren ein gutgelaunter Skeptiker und ein etwas patziger Schatz nach Hause.

Nichtsdestotrotz habe ich wegen der Katze in meinem Astrologinnenhaus einen gewissen Forscherdrang und etwas Neugierde. Warum hat mir die kreischende Alexandra nichts über mein Achtes Haus sagen wollen? Brennt es vielleicht? Während der Schatz den Renno durch den Stadtverkehr lenkt, schlage ich im Internet nach, welche Bewandnis es mit dem Achten Haus hat und mich durchfährt ein kalter Schreck. Das Achte Haus steht für den Tod. Doch, das hätte ich jetzt schon gerne gewusst … oder lieber tatsächlich doch nicht? Verdammte Astrologin. Leck mich doch am Mars.

(Den Autoren finden Sie auch auf seiner ersten Hausseite unter www.politticker.de)

Foto: Timo Raab

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Bernhard Krug-Fischer / 26.01.2020

Lieber Herr Schneider, wieder eine unterhaltsame Geschichte zum Schmunzeln. „So, Herr Scheider, darf ich Thilo zu Dir sagen?“, versucht es die Alexandra zunächst, aber weil ich sie nicht kenne, antworte ich mit „‚Herr Schneider‘ ist okay für mich, Frau Kreisch….Aber das hätte Frau Kreisch auch kommen sehen können. Schließlich ist sie eine Astrologin.“ Erstens das und zweitens, wenn die Astrologin regelmäßig Ihre Beiträge hier lesen würde, hätte die Astrologin das gewusst und würde solch eine Frage gar nicht stellen. Ich muss feststellen, diese Dame hat sich schlecht auf die Sitzung vorbereitet. Bleibt jetzt nur noch die Frage offen: haben Sie nach der Sitzung das „DU“ angeboten?  Das Astrologie eine Scharlatanerie ist, hat der Kabarettist Vince Ebert schon mal in seinem Programm „Evolution“ gebracht.  Anbei ein Auszug einer Kritik aus der Siegener Zeitung zu diesem Programm: „Und eher en passant stellt Ebert dabei klar, dass die Wissenschaft auch „Mythen und Illusionen“ entzaubert, zum Beispiel die Astrologie: „Meine Hebamme hat 110 Kilo gewogen – was kümmert mich da mein Aszendent?“, umschreibt er die Tatsache, dass die Anziehungskraft der Geburtshelferin (also deren gravitative Wirkung) das Baby weitaus stärker beeinflussen müsste als die Anziehungskräfte der weit entfernten Gestirne. Sollten die Astrologen also nicht besser die Hebamme anstatt der Planeten in ihre Horoskope einbeziehen?“ Bin gespannt, wohin Sie demnächst von Ihrem Schatz „geschleppt“ werden. Ein Esoterik-Seminar würde bestimmt Stoff für einen oder zwei unterhaltsame Beiträge liefern.

Manni Meier / 26.01.2020

T’ja Herr Schneider, herzlichen Glückwunsch zu ihrem Schatz, ihrem Horoskop und nachträglich zum Geburtstag. Eine ähnliche Überraschung war von weiblicher Seite auch mal für mich geplant, hat sich dann aber aus ganz trivialen Gründen zerschlagen. Obwohl im ehemals ordnungsbewusstesten, bürokratischsten Staat der Welt geboren (östlicher Teil), waren gerade noch per Geburtsurkunde Tag und Ort meiner Inkarnation ausfindig zu machen. Aber Stunde und Minute, in der ich das Licht dieser Welt erblickte, liegen im finsteren Dunkel. In der damaligen DDR (darf man DDR noch sagen?) hatten die Geburtshelfer sie schlicht und einfach in der Dokumentation meiner Geburt nicht vermerkt. Ich vermute mal, um im Sinne des wissenschaftlichen Marxismus- Leninismus solchem unwissenschaftlichen Unfug wie dem Erstellen von Horoskopen, von vorneherein einen Riegel vorzuschieben. Oder aber einfach Schlampigkeit. Diese Angaben nun braucht jedoch ein/e ernstzunehmende/r Hauptberufliche/r Astrolog*In unbedingt, um ein wissenschaftliches Horoskop zu erstellen. Denn für eine π x Daumen erstellte Voraussage a la “Astro-Kanal” wollte meine Liebste dann doch das Geld nicht zum Fenster raus werfen. Und als mein “Schatz” selbige Daten dann unauffällig bei meinen Eltern einziehen wollte, führte das zu so lebhaften Diskussionen über den genauen Zeitpunkt meiner irdischen Ankunft zwischen meinen beiden Erzeugern, dass sie es mit der Bemerkung, soooo wichtig wäre das ja nun auch wieder nicht, wann ihr “herzallerliebster Schatz” nun genau geboren sei, aufgab. Naja. Vielleicht merkt sich ja wenigstens jemand irgendwann mal die genaue Uhrzeit meines Ablebens - allerdings, sooo wichtig ist das ja nun auch wieder nicht.

A. Wagner / 26.01.2020

Sonntag gerettet, vielen Dank!

Sabine Lotus / 26.01.2020

Soso Jungfrau. Sind die nicht auch pedantisch (von wegen Ordnung, tzz) und analfixiert? Und schon wieder keine Telefonnummer. Herr Schneider, das wird ja bald Gewohnheit. Nächste Woche bitte mal eine Erfolgsgeschichte.

Karsten Dörre / 26.01.2020

Herr Schneider, Ihre literarische Frau ist sehr verliebt in Sie. Sie gibt viel Geld für Sie aus und schenkt Ihnen diese unbezahlbaren Kostbarkeiten.

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