Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 03.12.2021 / 11:00 / Foto: George.jc& / 22 / Seite ausdrucken

Auch das Schweigen hat seinen Preis

Die Einteilung der Menschen in Gut und Böse wurde schon beim Thema Euro, Flüchtlinge und Klima praktiziert – nun kommt noch das Impfen dazu. Juristisch, politisch und persönlich zahlen wir einen hohen Preis.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kam nicht überraschend. Aber es macht etwas nochmal deutlich, was man sowieso schon spürte: Alles ist möglich und legitim im Kampf für die „gute Sache“. Damit folgt die juristische Ebene – zusammen mit dem Klimaurteil und Entscheidungen über die monetäre Staatsfinanzierung – nur dem, was sich im Politischen und Persönlichen längst durchgesetzt hat. Man hat dem Ziel, der „guten Sache“ zu verschreiben, sich unterzuordnen. Für den Schutz des Abweichlers kann und darf nicht garantiert werden – nicht durch die Verfassung, nicht durch die politische Willensbildung, nicht durch freundschaftliche Verbundenheit.

Der britische Militärhistoriker Antony Beevor schrieb einmal, dass das erste Opfer des Krieges nicht die Wahrheit, sondern deren Quellen seien: das Gewissen und die Integrität des Einzelnen. Nun befinden wir uns nicht im Kriegs-, aber doch in einem nicht mehr enden wollenden Ausnahmezustand. Von Eurokrise zur Flüchtlingskrise von der Klimakrise zur Coronakrise und wieder zurück.

Wer sich ab 2010 angesichts der Stagnation der Produktivität und des Wachstums in Italien oder der schmerzhaften inneren Währungsabwertung in Griechenland gegen den Euro aussprach, dem schmetterte Angela Merkel dereinst ein „Stirbt der Euro, stirbt Europa“ entgegen. Wieder war es ein britischer Historiker – Norman Stone – der bereits 1996 in einem Zeitungsartikel in der Sunday Times den dahinterstehenden Konformitätsdruck analysierte. Auf dem Weg zur Währungsunion sei er wieder da, der alte deutsche Führerkult. Ungeachtet fachlicher Einwände vonseiten deutscher Wirtschaftswissenschaftler sei die Politik der Bundesrepublik längst auf Linie gebracht, das Projekt Währungsreform werde fanatisch durchgezogen. Deutschland sei fest entschlossen, seinen Selbsthass, der ihm alles Nationale verwehre, in Form eines europäischen Deutschlands zu kompensieren. „Stirbt der Euro, stirbt Europa“, deklariert jede Kritik nicht als bedenkenswerten fachlichen Einwand, sondern als europafeindlich.

Vom „Europafeind“ zum „Fremdenfeind“

Wer angesichts der Migrationsströme 2015 – ausgelöst unter anderem durch die Nichteinhaltung des Dublin-Verfahrens auf deutscher Seite – auf Kosten für Sozialsystem und Wertegemeinschaft aufmerksam machte, wurde von Leuten niedergebrüllt, die weder je etwas von intertemporaler Budgetrestriktion oder Generationenkonten noch von Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt gehört hatten und die dachten, Poppers offene Gesellschaft beschreibe ein Land ohne Grenzen – eben offen. Eine rationale Debatte war zu keinem Zeitpunkt möglich. Stattdessen die Berichterstattung zu Chemnitz und der Slogan „Wir sind mehr“, der vielleicht auch durch Carl Schmitt Legitimation erfahren hätte. Der „Europafeind“ lernte jemanden kennen, der noch schlimmer war als er – der „Fremdenfeind“. Besonders unangenehm lief es für die, die beide Antagonisten in sich vereinten. Freundschaften zerbrachen. Mit Nazis redet man nicht. Wo hast du das schon wieder her?!

Mit Greta Thunberg und Fridays for Future kam zum „Europafeind“ und „Fremdenfeind“ noch der „Klimaleugner“, der SUV-Fahrer hinzu, oder auch die Oma, diese Umweltsau. An Feindbilder, an „Wir gegen die Anderen“, hatten sich da nicht nur die jungen Menschen auf der Straße, die „system change not climate change“ forderten, längst gewöhnt. Während man für Karl den Käfer Bauprojekte stoppt, walzt man über eine abweichende Minderheit voller Überzeugung hinweg – für die „gute Sache“. Da ist es nicht überraschend, wie wenig gerade jene über das 20. Jahrhundert wissen, die überall Nazis sehen. Die größte Errungenschaft der Aufklärung ist die Entdeckung des Individuums. Der Wert des Individuums steht über dem Kollektiv.

Die Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts haben gezeigt, wohin Kollektivismus führt. Jedoch die tatsächliche Lehre, die in den Köpfen angekommen zu sein scheint, ist: Stehe immer auf der guten Seite. Meide, grenze aus, was rechts ist. Diese Vereinfachung der Dinge ist ebenso bequem, wie sie gefährlich ist. Sie lenkt den Blick für die Verantwortung für die Verbrechen des 20. Jahrhunderts weg vom Gewissen des Einzelnen – „was hätte ich damals getan?“ (das macht sie bequem) – hin zur erleichternden Diffamierung einer Gruppe – der Rechten – „so einer bin ich ja nicht“. Dass damit ein gefährliches Instrument der sozialpsychologischen Steuerung geschaffen wurde, war sicherlich nicht von langer Hand geplant, sondern eine nicht intendierte Nebenwirkung. Das hilft uns aber leider auch nicht. 

Schmerzhaft, aufwühlend und eben auch einsam

2020 dann stießen zum „Europafeind“, zu dem, der Frauen und Kinder an der Grenze erschießen will, und dem ewigen SUV-Fahrer noch der „Coronaleugner“ und der „Impfgegner“ hinzu. Die Neuerung ist, dass nun auch sich als links Verortende, die selbstverständlich Gendersternchen nutzen und die „Wir haben Platz“ nicht stumpf und platt fanden, sondern den Satz ehrlich fühlten, plötzlich auf der anderen Seite von „Wir sind mehr“ standen – „Wir sind die Anderen“. Wie kann man kein „Europafeind“, kein „Fremdenfeind“, kein „Klimaleugner“ sein und dennoch ein schlechter Mensch?

Man könnte jetzt Rosa Luxemburg zitieren, aber erstens ist das so abgedroschen und zweitens meinte sie nur abweichende Meinungen in ihrem Spektrum. Die Pandemie hat die Grenzen des Sagbaren, des Denkbaren und des Machbaren auf der einen Seite so stark eingeengt, dass nur Einschränkungen in Kriegszeiten da noch mithalten können. Auf der anderen Seite hat sie die Grenzen des Sagbaren, des Denkbaren und des Machbaren für jene in politischer Verantwortung und für jene, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen, soweit ausgedehnt, wie man es nur aus autokratischen Staaten kannte. Aber natürlich nur für die „gute Sache“. Gehen Sie weiter, meine Damen und Herren, hier gibt es nichts zu sehen.

Als Ökonom ist mir eins absolut klar: Es gibt nichts umsonst. Während die Folgen der Unterordnung für die „gute Sache“ auf juristischer oder politischer Ebene manchmal abstrakt bleiben, sind die Konsequenzen dieser auf Linie gebrachten Gesellschaft im persönlichen Umgang unmittelbar. Der Druck, der auf jenen lastet, die sich dem Vorwurf gegenübersehen, auf der falschen Seite, ein Leugner, ein Feind, illegitim zu sein – nichts anderes drückte Steinmeier mit „Was muss noch geschehen, um Sie zu überzeugen?“ aus – heftet der Äußerung abweichender Meinungen einen happigen Preis an. (Und nein, ich werde bei der Verteidigung der Ungeimpften – allein das Tippen dieses Wortes, das Menschen mittlerweile unwidersprochen und ohne rationale Argumente in zwei Klassen aufteilt, fühlt sich falsch an – nicht offenlegen, welchen Impfstatus ich habe, denn die Beteuerung „ich bin zweimal geimpft, aber das und das ist nicht in Ordnung“, ist mir zuwider. Unterwirft sie sich doch nur dem gängigen Narrativ, um dann ein klein wenig dagegen zu rebellieren.) Das exponierte Alleinsein mit seiner eigenen Meinung ist schmerzhaft, aufwühlend und eben auch einsam.

Ich werde mich nicht entschuldigen

Das Äußern einer abweichenden Meinung hat die Eröffnung eines Tribunals zur Folge, wenn nicht sofort die soziale Exekution stattfindet. Auf der Anklagebank sitzend, hört man ungläubig dem Verlesen des Urteils zu: Du bist ein schlechter Mensch, das ist inakzeptabel, so dumm kannst du doch nicht sein. Selbstverständlich unterliegt die Anklage keinem Rechtfertigungsdruck, steht sie doch auf der Seite der „guten Sache“. Aber tatsächlich hat dieser Prozess etwas Befreiendes. Je öfter man vor Gericht erscheint, desto geringer wird die Enttäuschung und die Verwunderung. Die Verhandlungstermine trainieren Argumentationsstärke und machen einem klar: ja, die Konsequenzen meines Handelns sind tragbar. Ich muss mich nicht verleugnen. Ich muss mich nicht von irgendetwas und irgendjemandem aus Angst vor Diffamierung abgrenzen („ich bin zweimal geimpft, aber das und das ist nicht in Ordnung“). Ich werde mich nicht entschuldigen.

Seine Meinung zu äußern, war nie und wird nie „sicher“ im Sinne von komfortabel sein. Der absolute Preis eines Gutes sagt jedoch nichts aus. Er muss immer in Relation gesehen werden. Man kann nicht nicht handeln. Man kann sich nur entscheiden, welchen Tod man sterben möchte. Die Opportunitätskosten sind entscheidend für die abschließende Beurteilung. Auch das Schweigen hat einen Preis. Es kompromittiert. Es opfert das Gewissen und die Integrität des Einzelnen. Es sorgt dafür, dass sich zwischenmenschliche Interaktion nicht mehr ehrlich anfühlt, weil im Hinterkopf immer bleibt: „Wärst du auch so nett zu mir, wenn du wüsstest, dass ich ein 'Europafeind'/ ein 'Fremdenfeind'/ ein 'Klimaleugner'/ ein 'Coronaleugner' bin?“

Die Aufklärung hat die freie Meinungsbildung und deren Äußerung als heilig, als die Manifestation des Werts des Menschseins an sich beschrieben. Die Erfolgsgeschichte des Westens fußt darauf. Dieser Wert der Wahrheitsfindung und der Autonomie ist es, wofür es sich lohnt, aufzustehen und seine Sicht der Dinge darzulegen. Vielleicht hat man recht, vielleicht irrt man sich. Mit Sicherheit ist man voreingenommen, subjektiv und fehlbar; aber wer schweigt, um vermeintlich nicht zu handeln, aus Angst vor den Konsequenzen, der zahlt letztendlich den höheren Preis. Wer seine Überzeugung leugnet, der ist nicht. Ja, das exponierte Alleinsein mit seiner eigenen Meinung macht Angst. Aber wirklich Angst sollte man vor dem Schweigen haben. Ubi dubium, ibi libertas: „Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.“ – das Motto von Carl Schurz.

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R. Reiger / 03.12.2021

Die Guten heißen gut, weil sie „wozu“ gut sind.

Ralf.Michael / 03.12.2021

Ab sofort singen wir also wieder die alten Kampflieder der Heilsbringer äääh Heilsarmee ?? : Schon wieder einen Bürger vor Omikron gerettetet, schon wieder einen Bürger vom Omikron befreit, kommse rein, kommse rein…unser Jens Spahn wird sich freun…...

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