Bernhard Lassahn / 17.12.2019 / 06:44 / 6 / Seite ausdrucken

Advent: Der lauschige Kalender mit Laterne (17)

Wer hat es nicht sofort im Ohr? “Last Christmas I gave you my heart, but the very next day you gave it away …” Von allen musikalischen Zumutungen, die uns angetan werden – weil ja Weihnachten ist und wir uns alle liebhaben –, ist dieser Dauer-Hit (ein Link ist in diesem Fall nicht erforderlich, aber zur Sicherheit hier trotzdem) besonders lästig.

Ganz schlimm trifft es die Verkäufer im Weihnachtsgeschäft, die es ertragen müssen, dass dieser Song nicht nur zweimal, sondern ganze fünfmal pro Stunde gespielt wird, damit die Geschäfte wie geschmiert laufen. Die geplagten Verkäufer sind es, die am allermeisten zu leiden haben und denen das Lied inzwischen zu den Ohren heraushängt wie Lametta. Doch der Handel hält weiterhin an der Beschallung fest. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Postillon das Lied als Folter einstuft.

Last X-mas wirkt beim ersten Hören nicht besonders schlimm, es scheint ein durchschnittlicher Tra-la-la-Schlager zu sein, doch es steckt mehr dahinter. Viel mehr. Es handelt sich nicht nur um eine der vielen Lärmbelästigungen zum Advent, das Stück enthält darüber hinaus eine vernichtende Stellungnahme zu unserem Liebesleben; es besingt nicht nur die leicht verzeihlichen Irrtümer der Liebenden. Es offenbart durch seine Hartnäckigkeit und Penetranz die gnadenlose Endlosschleife, in der unser Liebesleid gefangen ist. Worum geht es?

Wer es immer noch nicht richtig verstanden hat, dem mag diese Google-Version weiterhelfen. Doch die meisten verstehen es schon. Irgendwie. Worum geht es? Was wird ausgesagt? George Michael will – wie er in dem Lied verkündet – seinen Fehler vom letzten Jahr vermeiden, to save me from pain, und diesmal sein Herz an someone special verschenken. An eine ganz besondere Frau also. Soweit so gut. Wir möchten ihm viel Glück für seine neue Liebe wünschen.

Same procedure as every year

So mögen wir gutwillig gedacht haben, als wir das Lied zum ersten Mal gehört hatten. Doch durch das regelmäßige Auftauchen zur Weihnachtszeit und durch die ständige Wiederholung hat sich die Bedeutung des Songs verändert. Inzwischen wissen wir, dass es nichts geworden ist mit seinem neuen Glück und auch unsere Wünsche nicht geholfen haben.

Man muss solche Texte stets im Kontext interpretieren und sich immer fragen: In welchem Zusammenhang steht das Lied? Haben wir es hier mit einer einmaligen Situation zu tun oder ist es vielmehr ein Vorfall, der regelmäßig wiederkehrt; einer, zu dem ein Lied passen würde wie Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.

So ist es. Wir haben es hier eindeutig mit einer Serie zu tun. Mit einem Wiederholungszwang. Genau dieses Lied hatten wir im letzten Jahr auch schon gehört. George Michael hatte sich gründlich geirrt, als er dachte, er hätte sein Herz der Richtigen gegeben. Hatte er nicht. Im nächsten Jahr hatte er sich in der anrührenden Weihnachtsstimmung wieder aufs Neue verliebt und wieder fest daran geglaubt, dass es diesmal die Richtige ist. War es wieder nicht.

Gefangen in der Endlosschleife Liebesleid

So ging es Jahr für Jahr. So geht es weiter. Es ist kein Ende abzusehen. Die frohe Botschaft, die uns sagen wollte, dass in diesem Jahr mit dem Weihnachtsfest alles besser werden würde, hat sich bisher regelmäßig als falsches Versprechen erwiesen. Mit dem letzten Weihnachtsfest war eben nicht alles besser geworden, das letzte Mal war genauso ein Reinfall gewesen wie das Mal davor.

Was also, so muss man sich fragen, sagt das Lied über den Zustand unseres Liebeslebens aus? Wir haben es mit einem massenhaften Liebesleid bei kurzfristiger Selbsttäuschung kurz vor Heiligabend zu tun. Der Song hat inzwischen den Rang von einem traditionellen Weihnachtslied, er ist schon über fünfundzwanzig Jahre alt. Wir haben bereits ein Silberhochzeitsfest des Liebeskummers hinter uns.

War es immer schon so gewesen? Diesen Eindruck macht diese Version. Die Musiker gucken so seltsam irritiert. Ahnen sie womöglich etwas? Eine Version, die mir besonders zu denken gegeben hat und die mir deutlich machte, wie weit sich diese Botschaft schon verbreitet hat und wie tief sie in alle Lebensbereiche eingedrungen ist, habe ich selber mit dem Handy aufgenommen. Es war im Januar des Jahres 2014, in Hanoi auf dem Weg zum Flughafen.

Brian hat sich ebenfalls an dem Stück versucht, hatte dabei allerdings das Gefühl, er müsse sich in mehrere Persönlichkeiten aufspalten. Er konnte zwar nicht verhindern, dass er sich das alles mit anhören muss, wollte sich aber die Bescherung nicht auch noch angucken müssen.

 

Den ganzen virtuellen Adventskalender mit den bereits geöffneten Türchen 1-17 finden Sie bei o-gott.com.

 

Noch ein Tipp: Geschichten und Gedichte zu Weihnachten von den so genannten Dienstagspropheten (das ist eine Gruppe von Literaten und Musikern – Martin Betz, Sebastian Krämer, Bernhard Lassahn und Georg Weisfeld –, die im Zebrano-Theater in Berlin am zweiten Dienstag des Monats auftreten) gibt es hier: Diesmal wird Weihnachten ein Dienstag

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Alexander Schilling / 17.12.2019

Weihnachtslieder zur Adventszeit: Diese besonders perfide Form akustischer Umweltverschmutzung sind mir Grund genug, einen möglichst großen Bogen um adventöse Kaufhaus-, Rundfunks- oder gar Weihnachtsmarktsbeschallung zu machen.—Ob es ein Zufall ist, dass auch eine bestimmte NGO (die bis auf den Namen ‘Kirche’ sich von der Masse des zugehörigen Traditionsgutes getrennt zu haben scheint) weiland ihr 500jähriges Jubiläum 10 Jahre zu früh gefeiert hat, bis dann, pünktlich zum Finale (bei viel sichtbarer Wiese) der Dampf ganz raus war?—- Die diversen, Damen und Herren Ritualspezialisten haben inzwischen ja wohl auch Wichtigeres zu tun, als Weihnachten an Weihnachten zu feiern…

Esther Burke / 17.12.2019

Kommen grad vom Waldbauern Walter B. zurück, bei dem wir jedes Jahr unsern Christbaum kaufen. und da wollte ich gerne noch was zum TANNENBAUM (paar Türchen zurück) sagen : “O Tannenbaum….,wie grün sind deine Blätter…” ist natürlich Quatsch - der Baum hat doch gar keine Blätter, sondern Nadeln, die schön grün bleiben, Wärme und Frost aushalten und vor Fressfeinden schützen. Und dann die Melodie, die so brachial, stumpf&dumpf; daherkommt…Das ist gar kein Weihnachtslied ! Die Tannenbaumlieder sind WAISENLIEDER*, sie beschreiben das innere Erleben des “verwaisten"Menschen - sehr zutreffend in einer Zeit, wo viele menschliche Bindungen/Zugehörigkeiten aufgerieben werden . “O Tannenbaum, o Tannenbaum, du trägst ein grünen Zweig / des Winters. des Sommers,/ das dauert die liebe Zeit./ /Warum sollt ich nicht grünen / da ich doch grünen kann?/Ich hab nicht Vater und Mutter/ die mich versorgen kann….”  Ein zartes, wehmütiges aber auch vorsichtig -zuversichtliches kleines Lied aus Westfalen . fürs ganz Jahr. (*das hab ich beim unvergessenen Sepp Gregor gelernt, der so viel für das Weiterleben der Lieder Europas getan hat.  R:I:P.  und Danke für den Liederschatz.)

Burkard Schwab / 17.12.2019

Naja, ob er das Herz wirklich an eine Frau verschenken wollte, bleibt mal dahingestellt. So viel PC muss schon sein. Im Zeitalter von LGBTQIA+. Also bitte!

Hjalmar Kreutzer / 17.12.2019

Ach nöö, Herr Lassahn, sollte das jetzt witzisch sein? Eine ellenlange Erklärung, warum Weihnachtsgedudel im Kaufhaus nervig und Weihnachten ein einziger Konsumterror sei und dann „Last Christmas“ mit „lustisch“ aufgesetzter Weihnachtsmütze abspielen? Das konnte auch in diesem Adventskalender ein Meister der deutschen Sprache bisher besser. Kein Bock auf Advent und Weihnachten? Geht Ihnen am Glutaeus vorbei? Kann man ja alles erzählen. Aber bitte keine Witze, die man dann im Text erst erläutern muss. Danke.

Jörg Themlitz / 17.12.2019

Mmh, Sie meinen, Künstler nach Schaffung des Werkes verstorben, wäre besser gewesen als, Künstler nach Schaffung des Werkes verreist? Denke manchmal schon. Als selbsternannter Experte (werde ich jetzt beim ZDF eingeladen?) für Küchenpsychologie kann ich Ihnen versichern, die grauenvollen Lied-Entzugserscheinungen die die Verkäuferinnen ab dem 27.12. erleiden, sind um ein vielfaches höher. Die Telefone bei der Selbstmordberatungshotline werden nicht stillstehen. Dagegen sind “Die Leiden des jungen Werther” Pille Palle.

beat schaller / 17.12.2019

Danke Herr Lassahn für das heutige Türchen. Ich gehe auf Grund der verschiedenen Tonlagen davon aus, dass das diesmal die erste “Genderversion” dieses   tollen Liedes ist. Sternchen sehen wir auch schon. b.schaller

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