9/11 – 20 Jahre später

Ein Rückblick aus gegebenem Anlass. Vor 20 Jahren war es ein bekannter Moraltheologe, der Terror als "Ersatzsprache der Gewalt" verharmloste, heute ist von den "neuen Taliban" die Rede, denen man helfen müsse, in Afghanistan wieder Ordnung herzustellen. 

Nach vier synchron ausgeführten Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten kam es in Deutschland zu einer pazifistischen Erregung, die von zwei Gedanken angetrieben wurde: Was haben wir den Tätern angetan, dass sie so gemein werden mussten, und: Was müssen wir jetzt tun, damit wir verschont bleiben? Es wurde allen Ernstes darüber diskutiert, ob Hochhäuser nicht eine Provokation an sich sind, weil sie die Arroganz der Macht verkörpern (während deutsche Reihenhäuser die Demut symbolisieren), es wurden moralisch-philologische Überlegungen angestellt, ob es sich bei den Anschlägen um eine „kriegerische Aktion“ oder nur um „ein Verbrechen“ handelte, auf das man angemessen reagieren sollte, also auf keinen Fall mit „Rache“ oder „Vergeltung“, sondern mit einer Intensivierung des interkulturellen Dialogs. Es wurden Sofortmaßnahmen gefordert, um die „Ursachen des Terrorismus“ abzuschaffen, vor allem die Armut und den Hunger in der Dritten Welt. Eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, die Arbeit und den Wohlstand daheim gerecht zu verteilen, wollte über Nacht „globale Gerechtigkeit“ herbeiführen, um dem Terrorismus das Wasser abzugraben.

(Aus dem Vorwort zu „Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror“ von Henryk M. Broder, Berlin 2002)

Just in time: Der Moraltheologe an der Terrorfront

Wenn es einen Gott im Universum und eine Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, wäre die Erde am 11. September 2001 für einen Moment stehen geblieben. Weil es aber keinen Gott und keine Gerechtigkeit gibt, änderten nur die Fernsehsender ihr Programm und zeigten immer wieder zwei Passagierflugzeuge im Anflug auf die Türme des World Trade Center und bald darauf die qualmenden Wolkenkratzer, bis sie wie Kartenhäuser kollabierten. Alle kamen sich vor wie in einem „Albtraum“ oder nach einer „Apokalypse“, kein Mensch wollte glauben, was er gerade gesehen hatte.

Aber noch bevor die ersten Toten geborgen waren, meldeten sich schon Durchblicker zu Wort, um die Ursachen der Katastrophe beim Namen zu nennen und die richtigen Konsequenzen anzumahnen. Im ersten Programm des SFB, auf 88,8 UKW, gab es wie jeden zweiten Dienstag um 22:30 Uhr die „Nachtgespräche mit Eugen Drewermann“, dem Moraltheologen und katholischen Querdenker aus Paderborn, der sich sogar schon mit dem Papst angelegt hat. Normalerweise redet Drewermann zuerst mit sich selbst über Gott und die Welt und beantwortet dann Fragen der Zuhörer. Diesmal war der Anschlag von New York das Thema, warum er passiert war und was „wir“ daraus lernen sollten.

„Auch wir haben keine Worte. Es gibt ein Entsetzen, das keine Worte hat, eine Trauer, die sich nicht mehr auszudrücken vermag, eine Hilflosigkeit und ein Erschrecken, die lähmen, angesichts des Ungeheuerlichen, das heute über ahnungslose Menschen hereinbrach“, sprach der Moderator zu Anfang der Sendung, „und doch wollen wir gerade heute, gerade angesichts dieses Bösen, nach Worten ringen. Wir wollen angesichts einer so gottlosen Tat die Frage nach Gott, die Frage nach den Menschen stellen ... Guten Abend, Herr Drewermann.“

„Guten Abend, Herr Longard“, sagte der Moraltheologe und nahm den Faden auf. „Wir erleben etwas, das vollkommen unmenschlich ist, und sind gelähmt von Trauer, Entsetzen, Empörung, Wut, Hilflosigkeit... Das hat eine Dimension des Terrors, die es noch nie gegeben hat, eine Skrupellosigkeit des Vorgehens, für die wir wirklich keine Worte haben.“

Statt sich indessen der Wortlosigkeit hinzugeben, sprach der Moraltheologe nun über die „Embargo-Politik gegen den Irak“ und deren Folgen: „Die UN haben geschätzt, dass etwa jeden Monat 3.000 Menschen durch Mangelversorgung sterben, innerhalb von zehn Jahren addiert sich das zu der ungeheuerlichen Zahl von einer Million Menschen...“

Terror als „Ersatzsprache der Gewalt“

Es mag in einem solchen Kontext ein wenig gefühllos sein, aber ich rechnete trotzdem nach. Wenn jeden Monat 3.000 Menschen durch Mangelversorgung sterben, dann wären es jedes Jahr etwa 36.000 und in zehn Jahren rund 360.000, also nicht ganz eine Million. Ein Moraltheologe muss nicht rechnen können; was er vermutlich sagen wollte, war: Wenn bei einem Anschlag in Amerika etwa so viele Menschen ums Leben kommen, wie alle zwei Monate im Irak durch Mangelversorgung sterben, dann ist die Mangelversorgung im Irak das Problem und nicht der Anschlag in Amerika.

Zu diesem Zeitpunkt, es war noch immer der 11. September 2001, waren die Parolen „Von nichts kommt nichts“ und „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ noch nicht aktiviert, aber sie zogen schon wie Wolken am Horizont auf. Der Moraltheologe erinnerte sich und seine Zuhörer sodann „an Hiroshima, als man mit einer einzigen Bombe am 6. August über 100.000 Menschen getötet hat“, und an Nagasaki, wo es drei Tage später „80.000 Tote in einer einzigen Sekunde“ gab, „mit all den Folgen, und offensichtlich haben wir aus den Greueln nichts gelernt, ganz im Gegenteil, immer nur noch furchtbarer, noch skrupelloser, die Waffen noch systematischer, barbarischer, grausamer, aber das im Namen einer scheinbar geordneten staatlichen Legitimation...“

So sehr der Moraltheologe mit all jenen haderte, die im Namen einer „staatlichen Legitimation“ Gewalt übten, so viel Verständnis zeigte er für private Killer, die auf eigene Rechnung handelten. „Terror ist die Ersatzsprache der Gewalt, weil berechtigte Anliegen nicht gehört wurden, es ist die Sprache der Ohnmächtigen, der Selbstmörder, aber das hat eskaliert; parallel zu der Art, wie die Großen Krieg führen, beginnen offensichtlich die Kleinen, Krieg zu führen.“

Den Menschen, die sich aus dem WTC in die Tiefe stürzten, wäre es sicher ein Trost gewesen, wenn sie vor dem Aufprall noch erfahren hätten, dass irgendjemand, dessen berechtigte Anliegen nicht gehört wurden, in der Ersatzsprache der Gewalt mit ihnen zu kommunizieren versuchte. Was sich da drehe, so der Moraltheologe, sei „eine Schraube ohne Ende, eine Blutmühle, die immer weiter mahlt, es sei denn, wir begreifen, dass es Sicherheit nur gibt, wenn wir uns verbinden und verbrüdern. Und dann müssen wir das scheinbar Unvorstellbare tun. Wir müssen begreifen, dass hinter dem Furchtbarsten etwas steht, das verdient, gehört zu werden als Anliegen, so pervers, so verdreht, so unmenschlich und zynisch es sich hineinzudrücken sucht in die Normalität. Wir haben zwei Drittel der Menschheit, die am Rande des Hungers stehen und die nicht verstehen, wie man in dieser Weise sich sicher fühlen zu können glaubt, indem man immer weiter hochrüstet...“

So betrachtet, war der Anschlag auf das WTC möglicherweise eine nicht ganz durchdachte Demo der Initiative „Brot für die Welt“, ein wenig gemein, aber im Kern doch berechtigt, wenn man in kausalen Zusammenhängen denkt.

Wer hat nochmal wen angegriffen?

„Indem wir die Ursachen von Hass, von Gewalt, von Revanchedenken immer weiter treiben, schaffen wir eine Situation, in der wir natürlich verwundbar werden. Und immer bleiben werden. Auf diese Art von Terror war man nicht vorbereitet..., so ist nie gehandelt worden, das ist eine neue Dimension der Kriegführung der Schwachen... Und man muss fürchten, es ist nur der Anfang, denn wir sind längst dabei, an der Südflanke der NATO vor allem gegenüber dem arabischen Kulturraum aufzurüsten... Wir bereiten uns auf die äußerste Konfrontation vor, im Namen der Zivilisation oder im Namen Gottes... Die einzige Rettung, die wir wirklich hätten, wäre, wir würden begreifen, dass wir alle in einem Boot sitzen und dass wir nur, indem wir zusammenwachsen, Frieden stiften können.“

Ich drehte das Radio ein wenig leiser und fragte mich, wer mich dazu verurteilt hatte, mit dem Paderborner Moraltheologen in einem Boot durch die Geschichte zu kreuzen. Gut, ich gehörte auch zu den Schuldigen, weil ich noch Schokolade von Anthon Berg und isländischen Lachs im Kühlschrank hatte, angesichts der hungernden Massen in der Dritten Welt eine bedenkliche Vorliebe. Andererseits war ich mir nicht mehr ganz sicher, wer wen angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht hatte: Die Amis im Namen von Milkyway und Johnny Walker zwei Moscheen in Mekka oder Terroristen zwei Hochhäuser in New York, um der unmenschlichen Zivilisation einen symbolischen Denkzettel zu verpassen. An dieser Stelle, dachte ich, müsste der Moderator eigentlich intervenieren und kurz nachfragen. Und tatsächlich, Herr Longard griff ein.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein einziger Aufschrei nach Rache und nach Vergeltung... zu hören sein wird, ist ja riesengroß...“

Ich stutzte. Wären in Berlin bei einem Anschlag auf die SFB-Zentrale ein paar tausend Menschen mit einem Schlag ermordet worden, würde mit Sicherheit kein einziger Aufschrei nach Rache und nach Vergeltung zu hören sein, sondern nur die Bitte zweier überlebender Mitarbeiter, diese Art von Terror als Kriegführung der Schwachen zu verstehen, eine Verzweiflungstat, deren Ursachen man im Programm des SFB suchen müsste, der alle paar Monate einen „Tatort“ produziert, während in Rumänien Kinder auf der Straße leben müssen. Der Moraltheologe, eben noch im Irak und in Japan unterwegs, war aber schon weiter als ich, nämlich in Palästina.

„An einem liegt mir noch sehr, ich fürchte, dass die morgigen Zeitungen voll sein werden mit Spekulationen, ob palästinensischer Terror im Hintergrund zu vermuten sei, man wird vorführen, wie in Israel, wie auf der Westbank, im Gaza-Streifen Selbstmordattentäter zu Werke gegangen sind, und man wird Verbindungen suchen... Man muss bedenken, dass die Palästinenser den Terror als eine äußerste Sprache einer verweigerten politischen Diskussion instrumentalisiert haben, aber was sie möchten, ist die Gründung eines eigenen Staates, der über kurz oder lang... ihnen nicht verweigert werden kann. Die israelische Friedensbewegung, Uri Avneri und Schriftsteller, wichtige Historiker, sehen und sagen das genauso, aber dazu braucht man den Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika. Viele Palästinenser hassen die USA, aber eben deshalb, weil sie tatenlos oder halbherzig der Tragödie zusehen, statt als engagierte Ordnungsmacht zu tun, was damals zwischen Ägypten und Israel durch die Pendeldiplomatie von Henry Kissinger möglich war. So etwas wäre jetzt auch nötig, es müsste Colin Powell hin, er müsste vier Wochen lang oder wenn nötig vier Monate lang jeden Tag und jede Stunde mit den wechselnden Parteien reden, bis da Frieden ist, dann wäre eine ganz wichtige Lunte im Hintergrund vor allem des arabischen Terrorismus endlich ausgetreten. Aber nur aus innenpolitischen Rücksichtnahmen in den USA die Hände in den Schoß zu legen und die Dinge weiter in den Untergang treiben zu lassen, kann keine Alternative sein.“

Terror will nicht den Frieden erzwingen, sondern verhindern

Gibt es ein Grundrecht auf Dummheit, das von einem moraltheologischen Anspruch gedeckt wird? Und was bedeutet es, wenn eine Richtigstellung verbreitet wird, noch bevor die Falschmeldung bekannt wurde? Niemand außer dem Paderborner Experten für Ersatzsprachen der Gewalt hatte die Palästinenser mit den Anschlägen in Verbindung gebracht. Und niemand außer ihm kam auf die lustige Idee, Terror als die „Sprache einer verweigerten politischen Diskussion“ zu definieren. Vor allem nicht im Palästina-Konflikt, wo der Terror seit dem Abkommen von Oslo 1993 die politische Diskussion zwischen den Israelis und den Palästinensern wie ein Schatten begleitet hat, wobei die Terrorakte nicht dazu dienen sollten, den Frieden zu erzwingen, sondern ihn zu verhindern.

Aber der Moraltheologe weiß es besser, er weiß auch, dass die Palästinenser die USA deshalb hassen, weil die Amis ihrer Aufgabe als Ordnungsmacht nicht nachkommen. Dabei war kein anderer „Staatsmann“ so oft in Washington zu Besuch wie Jassir Arafat, und noch Ende des Jahres 2000 ist Bill Clinton in Camp David und Sharm el Sheik vor Arafat auf den Knien gerutscht, um ihn zu einem historischen Kompromiss zu bewegen, dem Ehud Barak zähneknirschend zugestimmt hatte.

Die Vorstellungen des Moraltheologen von „Pendeldiplomatie“ sind so klar wie die von der israelischen Friedensbewegung, auf die er sich beruft, so wie andere sich auf ihre „jüdischen Freunde“ berufen, bevor sie loslegen. Und wenn Colin Powell nicht alles stehen und liegen lässt, um vier Wochen oder vier Monate oder notfalls auch vier Jahre mit den Israelis und den Palästinensern zu reden, bis der Frieden da ist, wird der Moraltheologe nicht zögern, beim nächsten Anschlag wieder Tacheles zu reden und noch lauter „Kehret um!“ zu schreien.

Hätte George Bush die andere Wange hinhalten sollen?

„Wenn wir geschlagen werden, fühlen wir uns gedemütigt. Das ist weit weg, dass Sokrates im 5. Jahrhundert vor Christus sagen konnte: Unrecht erleiden ist besser als selber Unrecht tun. Es ist zweitausend Jahre her, dass Jesus sagen konnte, wer dich auf die eine Wange schlägt, dem halt die andere hin, aber diese Lehren waren der Anfang der Menschlichkeit. Auf archaischem Hintergrund fühlen wir uns immer noch gedemütigt, wenn wir angegriffen und geschlagen werden, wenn man uns verletzt hat, und dann gellt der Schrei nach Rache immer noch. Genauso spricht George Bush heute. Wir werden sie zur Strecke bringen! Und ich fürchte, genauso wird es kommen, man wird die Systeme der internationalen Strangulation vor allem von arabischen Staaten, in denen man die Täter vermutet, weiter verschärfe..., man wird den Schrei der Gerechtigkeit verwechseln mit dem Ruf nach Rache, kurz, ich fürchte, dass die Besinnung, die dringend nötig wäre, gerade angesichts des Entsetzlichen, das passiert ist, wieder zugrunde geht und man in den alten Trott zurückfällt, dann wird das Leid wieder dahin führen, nur eine neue Eskalationsstufe der Fähigkeit, Leiden zuzufügen, zu erreichen... Es muss irgendwo eine Grenze geben, es gibt kein Wort, auch nicht das der Gerechtigkeit und der Rache, das uns gestatten dürfte, so weiterzumachen. Irgendwo ist ein Punkt, an dem wir alle umkehren müssten. Der heutige Tag wäre ein solcher Punkt.“

Was hätte George Bush tun sollen, um des Moraltheologen hohe Ansprüche zu erfüllen? Wie Jesus die andere Wange hinhalten? Also statt die Abwehr zu mobilisieren, die Luftüberwachung anweisen, die nächsten Selbstmordflieger sicher zu ihren Zielen zu lotsen? Welcome to the USA! Be our guests! Bis zum Hancock-Tower sind es 80 Meilen bei leichtem Südwestwind! Oder gleich ein paar Linienmaschinen über Wohngebieten abstürzen lassen, sozusagen als Good-will-Geste gegenüber allen Unterprivilegierten, die sich kein One-way-Ticket nach New York und Washington leisten können? Statt umzukehren, macht der sture US-Präsident weiter und schreit nach Rache, während Osama bin Laden sich an die Ratschläge des Moraltheologen hält und der ganzen Welt den Frieden erklärt.

Nach einer kurzen Musikpause meldet sich ein Hörer am Telefon und sagt: „Ich finde es sehr schade, dass man sich mit dem Grundproblem überhaupt nicht auseinandersetzt...“ –

Stimmt, antwortet der Moraltheologe, es sei sogar so, „dass wir eine Araberphobie in unsere Kultur hineinplantieren. Der arabische Fundamentalismus, der Islamismus ist die neue Bedrohungsvokabel für uns geworden. Und alles, was wir tun beim Aufrüsten, findet den moralischen Rechtfertigungshintergrund in diesem neuen Feindbild. Und wenn wir jetzt noch von Terror sprechen, haben wir jede Legitimation vorzugehen... statt dass wir uns die Mühe geben, zu begreifen, wie es dahin kommt, dass in ganzen Bevölkerungsgruppen, in ganzen Kulturregionen Terrorismus als Ersatzsprache des längst überfälligen politischen Diskurses verstanden wird.“

Massenmord als Beweis enttäuschter Liebe

„Ich denke, das ist genau der Punkt“, sagt der Hörer, der auch schon lange darauf gewartet hat, dass er an dem überfälligen Diskurs teilnehmen darf. Eine Hörerin meldet sich. Sie sei „total geschockt“, und je mehr sie über die Anschläge nachdenke, desto mehr fühle sie sich erinnert an die „chirurgischen Eingriffe“ der Amerikaner „in Bagdad oder in Jugoslawien“. Sie habe Angst, „dass in der Nacht schon irgendwelche Vergeltungsschläge Richtung Kabul oder so laufen“ würden. „Wir sind komplett geschockt und hätten gerne darüber geredet.“ Wahrscheinlich, sagt die Hörerin, wäre es „recht zynisch, wenn ich das so sage“, aber die Amerikaner „haben es ein bisschen zurückbekommen“, und wenn sie „heute Nacht oder wann immer zurückschlagen, dann müssen sie sich nicht wundern, dass es dann immer weiter eskalieren wird, die ganze Situation“.

„Das Furchtbare ist, dass der Terror im Grunde das Spiegelbild der Gewalt ist, die in staatlicher Regie ausgeübt wird“, sagt der Moraltheologe zustimmend, und die Hörerin gibt ihm recht: „Genau.“ Worauf der Moraltheologe noch einmal ausholt: „Terror ist die Waffe der Ohnmächtigen und deswegen rücksichtsloser, skrupelloser, wenn man so will... Wann lernen wir, die Sprache des Hasses als ein Betteln und Bitten darum zu verstehen, dass man sich auseinandersetzen müsste über die Gründe einer solchen inneren menschlichen Entfernung. Es gibt keinen Hass, schon unter Individuen, der etwas anderes wäre als eine enttäuschte Liebe. Menschen möchten dazugehören, das ist der Sinn dieser ganzen irrsinnigen Aktionen... Da wird gemordet, um besser dabei zu sein. Nur, wer hört das? In der Bibel versteht Gott das und schützt am Ende Kain, aber in der menschlichen Geschichte rotten wir weiter aus, bekämpfen wir das Böse im Grunde immer wieder dadurch, dass wir es eine Stufe höher in die eigene Praxis übernehmen. Aus diesem Teufelskreis sollten wir raus, und ich könnte nur wünschen, dass der heutige Tag eine Besinnung brächte.“

„Ja, das wünschte ich auch“, sagt die Hörerin, die wie der Moraltheologe der Meinung ist, dass die Anschläge von New York und Washington nicht nur Wake-up-calls für die Amerikaner, sondern Aufrufe an uns alle waren, Massenmorde als Beweise enttäuschter Liebe zu akzeptieren und mit Liebe zu erwidern. Wie sehr müssen die Nazis die Juden geliebt haben, wie sehr haben sie sich danach gesehnt, mit am Schabbat-Tisch sitzen zu dürfen, bevor sie abgewiesen wurden und deswegen zu irrsinnigen Aktionen greifen mussten. Doch wie immer, wenn viel Blut vergossen wurde, gibt es auch eine Hoffnung, „dass das Leiden wenigstens diesen Sinn gehabt hätte, sonst wird es immer weiter gehen“.

So geht ein Tag sinnvoll-besinnlich zu Ende. In New York qualmen die Trümmer und in Paderborn dampft der Drewermann.

Dieser Text ist ein Auszug aus Henryk M. Broders 2002 erschienenen Buch „Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror“, das heute ebenso aktuell ist wie zur Zeit seines Erscheinens.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Daniel Oehler / 11.09.2021

Früher haben Theologen Waffen gesegnet. Jetzt segnen sie grüne und islamische Fanatiker. Ein Freund sprach mal von den Theolügen und Philosaufen.

G. Böhm / 11.09.2021

Für einen klugen Kopf ist es durchaus ein angenehmes Gefühl, feststellen zu können, daß in der etwas weiteren Vergangenheit gefaßte Bewertungen in der Gegenwart noch immer zutreffend sind, bzw. andererseits sich zeitnahe nachträglich tatsächlich einstellen.

Dieter Weingardt / 11.09.2021

Danke Herr Broder für dieses Zeitdokument des dämlichen deutschen Gutmenschentums, das jederzeit bereit ist in jenen aggressiven hasserfüllten Intellektuellenabschaum umzukippen, der damals von „fliegender Architekturkritik“ sprach. Drewermann und die Kuscheltierwerfer sind nur einen kleinen moralischen Kurzschluss von denen entfernt, die heute „Nazis hängen“ plakatieren und damit letztlich alles, was unwoke und biodeutsch ist meinen.

Frank Baumann / 11.09.2021

Ich will mich nicht auf eine Stufe mit Drewermännern oder einer Käsefrau stellen, die Terroristen mit Liebe, aber bösen Andersdenkenden in Sachen Coronamaßnahmen entschieden entgegen treten will. Aber nach über anderthalb Jahren Corona sollte eigentlich jedem klar sein, daß sich Politiker und Regierungen weltweit ausschließlich der Wahrheit und dem Wohle des Volkes verpflichtet fühlen, eine Lüge würde niemals über ihre Lippen kommen, Unredliches ist ausgeschlossen. Und nun konkret zum Thema WTC: Wie ist eigentlich der aktuelle Sachstand bei Gebäude Nr. 7? Vielleicht kann der ein oder andere Leser hier Hinweise geben, wie es derart perfekt in sich zusammenfallen konnte. Eine Sprengung hätte das nicht effektiver hinbekommen.

Johannes Schuster / 11.09.2021

Die Taliban waren immer nur so stark wie der Aufbau ihrer seitens der USA gegen Russland. Davon mal ganz abgesehen waren die Attentäter vom 11/9 keine Taliban. Taliban und Flugstunden, passt nicht. Die USA wollten billig Öl, dachten sie könnten es billiger bei Milizen kriegen als bei westlich geldgierigen Diktatoren, dabei kam der Islam als Renner dieser Einfalt heraus. Wer die Herrscher stürzt hebt die Hirten auf den Thron- Pech gehabt. Und wer die moralische Selbstgerechtigkeit zur Religion erhebt hat für jeden Mord eine Zuckertorte aus Erklärungen. Das auch eigenverschuldet in Dummheit.  Und wer einen dementen Präsidenten seine Kriege führen läßt, bitte der hat seinen Anteil am demokratisch gewählten Format:  Dummheit - Demenz und einen Moralkuchen voller Fliegen - schöne - neue Welt - Hieronymus Bosch läßt grüßen.

Markus Kranz / 11.09.2021

Es wäre übrigens auch nützlich gewesen, einen Bogen von 9/11 über Bataclan, Sylvester Köln, den Sieg der Taliban, die Finanzierung der Taliban durch die Bundesregierung zu schlagen. Man hätte auch auf die Abschaffung der Wehrpflicht 2011 durch Angela Merkel, die Bekämpfung von Polizei, die Abschaffung der Grenzen, die Vergabe der Staatsbürgerschaft an IS Anhänger eingehen können. Der Moraltheologe ist nur ein kleines Rädchen in einem großen Getriebe, das Seite an Seite mit Taliban, IS & Hamas gegen Europa, Amerika und Israel marschiert.

Jens jensen / 11.09.2021

Danke, ich wünsche den Augenzeugen, den Geschädigten und Hinterbliebenen alles Gute. Und den Menschen mit den vielen leidigen Spätschäden durch den tödlichen Staub des 11. 9.2001.

Belo Zibé / 11.09.2021

Seit Jahrhunderten wenden Käsemeister*innen die gleiche bekannte Methode an:  Käse entsteht, wenn sich Wahrnehmung und Verstand von der Realität trennen: 2001er Paderborner Frischkäse „Terror ist die Ersatzsprache der Gewalt, weil berechtigte Anliegen nicht gehört wurden.  [..]die Sprache des Hasses als ein Betteln und Bitten ”  wird 2016 zum halbreifen Kässmann: “Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Liebe zu begegnen”  

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com