Von Frank Jankowski.
"Weil Kürze denn des Witzes Seele ist, Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat, faß ich mich kurz."
Das sagt (nach August Wilhelm Schlegels Übertragung von 1798) Lord Polonius zu Hamlets Mutter. Shakespeares Original von 1603 lautete Therefore, since brevity is the soul of wit,/ And tediousness the limbs and outward flourishes,/ I will be brief: your noble son is mad...
Das Axiom gilt aus irgendeinem Grund als Ursprung unseres Kürze-Würze-Appells, der ja bekanntlich in der Time-is-money-Schublade liegt, gleich neben dem Weniger-ist-mehr-Modediktat. Eine Schublade, die in der Kommode unserer Kommunikation mit zunehmender Digitalisierung immer weiter nach oben wandert – sehr zum Leidwesen solcher Leute, die auf Vollständigkeit, Details und Gründlichkeit stehen; wie zum Beispiel ich selbst, der immer noch nicht akzeptiert hat, dass im Zuge der Wegrationalisierung semiotischen Ballasts dem guten alten Smiley die Nase abgehackt werden musste. Nicht, weil ich konservativ bin, sondern einfach nur, weil ich Ästhet bin, nasenlose Gesichter unansehnlich finde. Hier jetzt die 5 wichtigsten Trends der neuen Sprachkultur.
1. Trend: Akronymisierung
Bei Twitter, einem der weltgrößten Kommunikationstummelplätze der Gegenwart wäre diese Kolumne bereits vor zwei Dritteln abgeschnitten worden (in etwa bei "money"), da dort nur 280 Zeichen erlaubt sind. Die gute alte sms besteht gar nur aus 160 Zeichen. Dadurch entsteht natürlich zunächst einmal die Notwendigkeit abzukürzen – zum Beispiel folgendermaßen:
4U = Für Dich
8ung = Achtung
10min2late = ich Verspäte mich um etwa 10 Minuten
j4f = just for fun
lol = Laughing out loud
THX = Danke
FYI = For your information
wtf = What the f***?
asap = So bald wie möglich as soon as possible
tbh = To be honest
IMO = In my opinion
BBB = Bis bald, baby / bye bye baby
GN8 = Gute Nacht
cu = See you (CUL) = See you later
DAU = Dümmster anzunehmender User
btw = By the way
j4f = Just for fun
l8r = Later
plz = Please
*gig* = Giggle: Kichern
zzz = Schlafen, sich langweilen
RT = Retweeten: Twitter-Nachricht teilen
F2F = Face to face: Unter zwei Augen
FOMO = Fear of missing out: Die Angst, etwas zu verpassen
o = Oder
Und, last but most frequently, natürlich das mittlerweile durch sämtliche Chat-, Twitter- und sms-Kreise sich ziehende: LG für „Liebe Grüße“, was - hier nicht der Kürze sondern der Faulheit geschuldet - meist "Lg" abgekürzt wird. =
2. Trend: Ikonisierung
Am ersten Tag schuf Gott das Smiley. Am zweiten das Griesgrämerli, am dritten das Zwinkerli (deren offizielle Bezeichnungen ich nicht kenne). Als nächstes verwandelten sich die Zeichenkombinationen wie durch Zauberhand in lustige gelbe Icons, sobald man die Leertaste gedrückt hatte. Und plötzlich wurden die mittlerweile geradezu virtuosen 3-Zeichen-Gefühlsausdrücke mit Farbschattierungen und 3D-Anmutungen aufgepeppt. Dann ging alles ziemlich schnell – explosionsartig eben, wie es der Digitalisierung gemäß dem Mooreschen Gesetz ja auch durchaus entspricht.
Schließlich drangen die kleinen Kerlchen (übrigens durch die Bank nasenlos!) in die vierte Dimension vor: Bewegung. Sie erwachten zum Leben! Die Auswahl an 2D-, 3D- und 4D-Emoticons beim Whatsappen, Twittern, Liken - neuerdings heißen sie Emojis (weil’s kürzer ist?) – nimmt mittlerweile amüsant-verwirrende Ausmaße an. Und bald wird es sicherlich noch eine fünfte Dimension geben: das (weibliche) Geschlecht. Niemand kann heute sagen, wo uns das hinführt. Womöglich entsteht hier eine ganz neue, immer differenziertere Bildsprache. Und wer weiß, ob in 50 Jahren solche Icons nicht unsere herkömmliche Semiotik vollständig ersetzen?!
3. Trend: Entdeutschung
Da andere Sprachen mit 280 Zeichen sehr viel mehr auszudrücken vermögen als die unsrige (Chinesisch bspw. käme - laut Google Translate - immerhin bis zum Ende des zweiten Absatzes) müsste ein Trend zu asiatischen Sprachen hingehen. Chinesisch = hipper für Twitter? Mal sehen! Zunächst einmal zeigt sich jedoch schon bei der Abkürzungskultur (oben), dass viele englische Ausdrücke auch ausgeschriebenen viel unaufwändiger zu tippen sind: Also doch nur Anglifizierung?
4. Trend: Verschlagwortung/Hashtagging
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Alternativen zum hässlichen QR-Code entwickelt werden. Mittlerweile gibt es immerhin runde und bunte. Ebenso störend finden viele SocialMedia-Nutzer die Invasionen von Hashtags (Doppelkreuzen), die seit relativ kurzer Zeit ihr Unwesen in den Portalen treiben, und vor allem Musiker irritieren, die darin das altehrwürdige Notenschrift-Kreuz erkennen. Sicherlich wird es in absehbarer Zukunft bessere, schönere Lösungen geben, um das immer wichtiger werdende SocialMedia-Monitoring zu optimieren. Denn mit zunehmender Masse an Internetinhalten ist eine immer feinere Verschlagwortungstechnik (Keywording) unerlässlich, um schnell die richtigen Informationen zu finden.
Ein weiterer unschöner Nebeneffekt von Big Data ist die Verbandwurmung von Wegweisern zu Informationen, die irgendwo im Internet abgelegt wurden. Um diese manchmal über mehrere Zeilen sich hinziehenden Uniform Ressourcen Lokatoren (URLs nämlich) für all jene Fälle im Zaum zu halten, wo im Hintergrund kein HTML-Tag auf das Ziel verweist, haben findige Digitale Transformer folgende (eigentlich recht simple aber) gute Idee umgesetzt:
5. Trend: URL-Shortener
Als vermutlich erster oder schnellster URL-Einkürzer hat sich „bit.ly“ bereits einen Namen gemacht. Daneben gibt es unter diversen anderen
Goo.gl
Ow.ly,
Is.gd
Buff.ly
AdF.ly
und Mcaf.ee
Was nehmen? Hier die Begründung meiner Wahl:
Hinter „.ly“ verbirgt sich die länderspezifische Top-Level-Domain Libyens, die mir irgendwie ein ungutes politisches Bauchgefühl bereitet. Bei „.gd“, der Top-Level-Domain Grenadas, verhält es sich ähnlich. „.gl“ gehört Grönland und „.ee“ Estland. Nun habe ich zwar nichts gegen Grönland, finde aber, dass Google schon genug hat. Bleibt Mcaf.ee, den ich nicht zuletzt wegen seines (zusammen mit Erik Brynjolfsson) verfassten Buches "The Second Machine Age“ schätze. Allerdings kostet mich diese Schätzung einen ganzen Buchstaben – denn „Goo“ und „bit“ kommen ja mit dreien aus…
6. Trend: Genialisierung?
"Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit habe."
Warum liegt bei aller Verknappung unserer schriftlichen Digitalkommunikation doch so viel Wahrheit in diesem bekannten Zitat, das unter anderen wahlweise Blaise Pascal, Goethe, Lichtenberg, Swift oder Kleist zugeschrieben wird? Werden wir demnächst alle das schaffen, was Goethe, Swift oder Co. sich nicht zugetraut haben: Kürze, Inhalt und Würze aus dem Ärmel geschüttelt zu einem Tweet zu kombinieren?
Frank Jankowski ist ein deutscher Autor und Künstler.
Nachtrag:
Jetzt tue ich mal etwas ziemlich Uncooles: mich selbst kommentieren ;-) - und zwar deshalb, weil ich etwas vergessen habe, und mir immer wie ein Urkundenfälscher vorkomme, wenn ich NACH dem einen oder anderen Like noch etwas am Text ändere.
Was ich sagen wollte: Estland ist ja eines der Vorreiter- und Vorzeigeländer der Digitalen Transformation, zumindest innerhalb Europas. Schon weiß man nicht mehr, ob der estnische Staatschef Andrus Ansip EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft wurde, weil Estland in dieser Hinsicht so fortschrittlich ist, oder umgekehrt.
Fest steht: der URL-Shortener Mcaf.ee gefällt mir deshalb NOCH besser! Problem: er funktioniert nicht... Beispielsweise wollte ich zwei Belege für die Estland-Behauptung angeben. Der erste ist ja nicht sooo lang: https://t3n.de/news/estland-digitalisierung-it-878869. Aber beim zweiten hätte es sich schon gelohnt: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/estland-ist-in-sachen-internet-vorreiter-15434057.html. Da sagt mcaf.ee's Secure Short URL Service (https://mcaf.ee): "Error: McAfee only allow creation of links within its domain"– was ist bloß damit gemeint? Bei bit.ly hingegen kein Problem: https://bit.ly/2HJGIgX