Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Amerika einige Zeit im Zeichen der „roten Angst“, die sich zur Paranoia steigerte. Gesinnungsschnüffelei, Diffamierung, Ausgrenzung und Existenzvernichtung gingen Hand in Hand, wenn jemand in den leisesten Verdacht geriet, Kommunist oder etwas Ähnliches zu sein. Eine Cancel Culture, die heute wieder in Blüte steht – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen.
Clowns betteln um Vergebung. Vor Jahren haben ein Bernhard Hoecker und ein Kaya Yanar sich für TV-Sketche schwarz geschminkt und mit solch frechem Treiben mutmaßlich viel Leid über die weltweite Community der People of Color gebracht. Derlei rassistische Schandtaten, so beteuerten die beiden unlängst im Staatsfunk, würden sie heute auf keinen Fall begehen. Auch die mittlerweile schon sehr ehemalige Ulknudel Anke Engelke („Ladykracher“) schwört ab: „Blackfacing, Yellowfacing – einige Parodien würde ich heute nicht mehr machen“.
Woran erinnert das bloß? Genau, an unvergessene Filmaufnahmen, die zu den schandbarsten Momenten der amerikanischen Kulturgeschichte zählen. Ausforschungen und Drangsalierungen wegen politischer Haltung waren im Nachkriegsamerika nicht selten. Vor Tribunale zitiert, im Fernsehen vorgeführt, versuchten neben anderen hunderte von Künstlern verzweifelt, dem Druck wildgewordener Gesinnungsschnüffler standzuhalten. In Zeiten der linken Cancel Culture lohnt sich ein Rückblick auf diese Ära.
Der Mann, nach dem sie benannt wurde, war lange nicht als großes Licht aufgefallen. Kriegsteilnehmer in der Etappe, der sich Heldentaten an der Front ausgedacht hatte, mit Ach und Krach auf einer Hinterbank im US-Senat gelandet. Als er 42 Jahre alt war, seine politische Karriere stand ungewiss, fand Joseph McCarthy die Rolle seines Lebens.
Ein Heer von Denunzianten, Spitzeln, Opportunisten und kleinen Feiglingen
Als Chefinquisitor gegen kommunistische Volksfeinde, Verräter am American way of life, Leugner der offiziellen Wahrheiten, arbeitete ihm ein Heer von Denunzianten, Spitzeln, Opportunisten und kleinen Feiglingen zu. McCarthy unterzog seine Zielpersonen – gern Prominente aus der Kultur- und Unterhaltungsindustrie - in öffentlichen Sitzungen donnernden Verhören, die Millionen Amerikaner gebannt am Fernsehschirm verfolgten.
Wer in sein Fadenkreuz kam, kriegte zumindest für eine ganze Weile kein Bein mehr an Deck in Hollywood oder in amerikanischen Medien. Wer die Aussage vor McCarthys „Ständigem Unterausschuss für Untersuchungen“ verweigerte, besaß gar gute Chancen, für kurze Zeit in den Knast zu wandern.
McCarthy knickte nicht nur die Karrieren ungezählter Menschen, er beschädigte auch seine „freundlichen Zeugen“ nachhaltig. Der Kapitän, Schauspieler, Soldat und Geheimdienstler Sterling Hayden zum Beispiel, ein Mannsbild mit filmreifer Vita, verzieh es sich bis ans Lebensende nicht, dass er, ganz kurz Mitglied der CPUSA, Namen von Linken aus dem Hollywood-Milieu preisgegeben hatte, um im Filmgeschäft bleiben zu können.
An den Tribunalen, über denen eine atmosphärische Spur vom Volksgerichtshof oder von den Moskauer Schauprozessen lag, gab es auch Kritik. Arthur Millers Theaterstück „Hexenjagd“ nahm das Thema schon 1953 kaum verhüllt an, als die Jagd noch in vollem Gang war. Der Salonlefty George Clooney baute aus dem Stoff noch 2005 einen hübschen Film.
Besonders für Linke und Liberale ist der McCarthyismus Synonym geworden für den angeblichen Sündenfall, dem das freiheitsliebende Amerika nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlag. Indem es einen neuen Gegner entdeckte, scheinbar noch gefährlicher als Nazideutschland und Japan: Stalins hochaggressives Imperium. Der Antikommunismus – der Begriff wird in einschlägigen Kreisen stets mit dem Adjektiv hysterisch oder fanatisch gekoppelt – habe das Land damals vergiftet und gespalten. Was sich bis heute auswirke.
Fangt-die-Roten-Show
Bevor von Gift und Spaltung hier und heute die Rede sein wird, noch ein paar Dinge zum McCarthy-Komplex. Fakten, die meist unter dem Teppich bleiben, wenn von jener Zeit die Rede ist. Erstens, der bullige Senator aus Wisconsin trat in der Fangt-die-Roten-Show erst relativ spät auf. Schon 1947 hatte US-Präsident Harry Truman drei Millionen Staatsbedienstete auf ihre Loyalität hin überprüfen lassen. 1210 wurden entlassen, 6000 kündigten.
Wenig später kamen Mitglieder der kleinen KP der USA vor Gericht, einige wurden wegen Aufrufen zum Umsturz verurteilt. Gleichzeitig begann das bald berüchtigte „Kommitee für unamerikanische Betätigungen“ zu tagen, das sich mit einer angeblichen kommunistischen Unterwanderung von Hollywood befasste und Schwarze Listen von Filmschaffenden erstellte.
Das ursprünglich – 1934 - gegen Nazianhänger in den Staaten gegründete Komitee wird zumeist mit McCarthy assoziiert. Doch schwang sich dieser erst 1950 zum Kommunistenjäger auf, und zwar mit einem eigenen Senatsausschuss. Als graue Eminenz beider Institutionen und Lieferant von oft dubiosen Beweismitteln fungierte der sinistere FBI-Chef J. Edgar Hoover.
Zweitens: Dass bei den Versuchen, kommunistische Netzwerke zu ermitteln, neben vielen anderen Unschuldigen sogar Promis wie Charlie Chaplin, Humphrey Bogart oder Albert Einstein durch die Verhörmühlen gedreht wurden, bedeutete nicht, dass moskaufreundliche Seilschaften in Hollywood ein reines Hirngespinst gewesen wäre. Die als „Hollywood Ten“ bekannt gewordenen zehn Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten, die 1947 vor dem Ausschuss die Aussage verweigerten, waren tatsächlich sämtlich Kommunisten oder waren es früher gewesen.
Hollywood war damals und ist noch heute tendenziell eine Hochburg der Linken, keine Frage. Auch der Kommunist und Amerikaverächter Bert Brecht, der es vorgezogen hatte, in Santa Monica Exil zu suchen statt in der Stadt des von ihm verherrlichten Väterchen Stalin, versuchte in Tinseltown Fuß zu fassen, freilich vergebens.
Bei der Lektüre eines Buches über Sibirien beobachtet
Dass Brecht von den US-Behörden korrekt als „feindlicher Ausländer“ eingestuft und vor den Ausschuss für unamerikanische Betätigungen zitiert wurde – wen wundert’s. Brecht wurde vom Haken gelassen, weil er nie das Parteibuch einer KP besessen hatte. Flog aber bereits am Tag nach seiner Anhörung gen Europa und kehrte nie in die USA zurück.
Ja, es gab massenhaft Gemeinheiten, falsche Anschuldigungen, Ungerechtigkeiten, Absurditäten in den Jahren von Amerikas „Roter Angst“. Viele fürchteten, dass ein unbedachtes Wort ihre Existenz kosten könnte. Ein Angestellter der Firma General Electrics geriet unter Verdacht, nur weil er bei der Lektüre eines Buches über Sibirien beobachtet worden war.
Andererseits, der jahrzehntelang von westlichen Linken genährte Eindruck, der sogenannte McCarthyismus sei purer Irrsinn gewesen und habe jedweder Grundlage entbehrt, ist genauso abstrus. Nach dem Ende des Kalten Krieges gab die CIA 1995 die Venona-Telegramme frei.
Sie enthüllten das weitgespannte Ausmaß der jahrzehntelangen sowjetischen Spionagetätigkeit in den USA. Überraschung? Höchstens für komplett Blauäugige. Warum hätten die Russen, deren Topagenten vom Schlage Kim Philby sich in England bewährt hatten, ausgerechnet den Erzfeind Amerika aussparen sollen?
Und noch ein Zahn ist zu ziehen, will man den Komplex der Kommunistenfurcht und -fahndung im Amerika des Kalten Krieges verstehen. Nein, eine „Ära“ McCarthy gab es nicht wirklich. Schon gar nicht haben die „fixen Ideen“ des Senators „eine ganze Epoche vergiftet“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb. Der Versuch der Kommunistenaustreibung währte ganze sieben Jahre, vier davon mit dem Senator als Chef-Exorzisten.
Ankläger auf der Anklagebank
Und selbst zu dessen Prime Time gab es auch Gegenwind seitens einiger Medien. Dafür sorgten schon die rüpelhaften Auftritte des schweren Trinkers, der öfters Dinge durcheinanderbrachte. Als er gänzlich den Verstand verlor und sogar Amerikas Heilige Kuh, die Armee, als von den „Reds“ unterwandert schmähte, schlug ihm die Stunde.
Militäranwälte zerrten den Ankläger auf die Anklagebank, Fernsehsender demontierten ihn gnadenlos, einige seiner eigenen Parteifreunde machten gegen ihn mobil, Präsident Eisenhower rückte von ihm ab. Schließlich kam McCarthy selber vor einen Ausschuss, der ihn wegen „unpassenden Verhaltens“ verurteilte. Er verlor allen Einfluss im Senat und starb drei Jahre später an den Folgen seines Alkoholismus. Spott und Häme verfolgten ihn bis zum Tod.
Das Volk, hätte Brecht schreiben können, war seiner Herr geworden.
Ob sich so etwas wiederholen kann, auch in Deutschland? Frage ich mich manchmal. Bitte, keine Missverständnisse: Dabei geht es nicht um die Verdachtskultur, welche McCarthy et al. schufen. Die ist ja bei uns längst angekommen. Denunziationen, Kampagnen, Boykottaufrufe, orchestrierte Empörungswellen, Existenzvernichtungsversuche, Anzeigen, Drohungen, Druck auf Vermieter - das Instrumentarium der Ausgrenzung wird fleißig genutzt.
Die Anschwärzergesinnung hat sich hierzulande ausgebreitet wie Regenwasser im weitverzweigten Netz der namibischen Riviere, wenn es ordentlich pladdert. Es gibt finanziell gut ausgestattete Einrichtungen wie das „Recherchezentrum Correctiv“ oder die „Amadeu Antonio Stiftung“, die den lieben langen Tag bestimmten Zeitgenossen hinterherspionieren.
Nur sind das jetzt andere als bei McCarthy. Aus der Red Scare ist die Brown Scare geworden. Nazis unter jedem deutschen Sofa! Und morgen die ganze Welt.
McCarthy 2.0. Was denn sonst
Müßig, für die Chronik des laufenden Schwachsinns Belege zu verlinken, die Liste würde endlos. Jeden Tag poppen neue Bezichtigungsblasen auf, Twitter sei Dank. Was der Kabarettist Dieter Nuhr, ein leiser, listig formulierender, auf jeden Fall systemkompatibler Spötter (schließlich verdankt er seine Popularität vor allem Auftritten im Staatsfunk), was also solch ein durchaus unradikaler Mensch im Interview über die „Etikettierung“ von Menschen sagt, welche an Stelle der Argumentation getreten sei, subsumiert das Nötige.
Und der frische Fall eines Frankfurter Honorarprofessors, den Studentenfunktionäre beruflich vernichten möchten, weil er nicht wie sie tickt und dazu noch Kurzzeit-Mitglied in der AfD war, ein solcher Casus ist McCarthy 2.0. Was denn sonst.
Meine Überlegung, ob sich Geschichte wiederholen kann, ist so etwas wie eine Resthoffnung. Kann sich das kulturelle Klima irgendwann von der erstickenden Drohkulisse erholen, die von vielen Medien, Kultureinrichtungen, Schulen, Unis, Behörden, Vereinen, Stiftungen etc. gegen Rechte, Rassisten, Sexisten, Multikultifeinde, Klimaleugner, Covidioten und Genderknacklautverweigerer aufgebaut wurde?
Kann das Ganze irgendwann doch günstig ausgehen, wie nach dem Ende amerikanischen Hexenjagd? Als sich das intellektuelle Leben Amerikas ziemlich rasch rappelte, weil niemand mehr befürchten musste, wegen unsinniger Verdächtigungen angeklagt zu werden.
Ja, wird es dereinst möglich sein, an einer deutschen Hochschule zu lehren, selbst wenn man die Realexistenz von 65 unterschiedlichen Geschlechtern für nicht sehr wahrscheinlich hält und dies sogar öffentlich äußert? Kann es wieder dahin kommen, dass Redakteure nicht augenblicklich auf die Knie sinken, wenn ihnen Gottheiten der Klimatologie oder der Virologie Audienz gewähren? Wird es mal eine ARD-Sendung geben, in der Autoren über die „Energiewende“ berichten, die wenigstens Volt, Watt und Ampere unterscheiden können? Ist es, um mal ganz verwegene Wünsche rauszulassen, theoretisch vorstellbar, dass aus dem Anti-Trump-Textroboter „Spiegel“ wieder ein Nachrichtenmagazin wird? Aus Schneeflöckchens Hauspostille, der „Zeit“, eine liberale Adresse?
Während der bleiernen Merkelzeit änderte sich das Klima
Gibt es Chancen auf eine Zeit, in der Zwangsgebührenabdrücker das „Heute Journal“ oder die „Tagesthemen“ gucken könnten, ohne dort subito & ausschließlich von Haltungsjournos aus dem grünroten Spektrum belabert zu werden, welche ebenso gut bei „Greenpeace“, „Sea-Watch“ oder der „Paritätischen“ anheuern könnten?
Die Hoffnung stirbt zuletzt, weil: Immer gab es Umbrüche in dieser kleinen Nachkriegseinrichtung Bundesrepublik. Auf eine restaurative Phase in den 1950ern, oft als Wirtschaftswunderzeit beschrieben, folgte die Willywilly-Euphorie. Später ein Kohlscher Langlauf mit nie stattgefundener „geistig-moralischer Wende“, was immer der Pfälzer damit meinte. Dann eine neue Sozenzeit mit außen- und sozialpolitischen Überraschungen. Von heute aus betrachtet, vielleicht nicht die schlimmste Zeit des Landes, man wird ja bescheiden.
Aber, in all den Jahren gab es kräftemäßig einigermaßen ausgewogene Meinungskämpfe, hitzige Debatten, kulturelle Salonschlägereien zuweilen. Springer hier, „Spiegel“, Zeit“ und „Stern“ dort. Und in den Staatsrundfunkanstalten kamen auch ein paar echte Konservative wie der WDR-Redakteur Peter Coulmas zu Wort. Kein Fake!
Erst während der bleiernen Merkelzeit änderte sich das Klima peu à peu. Dass der sogenannte Diskurs, vulgo eine breit veröffentlichte Meinungsvielfalt, inzwischen dem Hals einer Flasche „Pacifico“-Bier ähnelt, hat nur teilweise mit der ewig Alternativlosen zu tun. Dass die Staatsergebenheit der notleidenden „Vierten Gewalt“ unter Merkels Regime epidemische Ausmaße annehmen würde, die Hände der Verleger sich immer schamloser zum Empfang steuerfinanzierter Subsidien ausstrecken würden, hätte wohl auch die Kanzlerin sich nicht träumen lassen.
Doch spätestens, als sie ein von ihr nicht gelesenes Buch „nicht hilfreich“ nannte, ohne dass ihr dieser substanzlose Bannfluch von den Medien um die Ohren gehauen wurde, mag ihr gedämmert sein: Wir kommen damit durch. Im Grunde kommen wir mit allem durch. Pasaremos, Genossen!
Und nun zurück zum Prinzip Hoffnung. Auftritt Wolf Biermann: Am Grunde der Moldau wandern die Steine. Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. Die Nacht hat zwölf Stunden zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
So denkt es in mir leider nur nachts. Und dann auch erst nach zwei strammen Mojitos, während ich mir den ollen B. auf Youtube anschaue.