1960 gilt als das „Jahr Afrikas“. Nicht weniger als 17 ehemalige europäische Kolonien erlangten damals ihre Unabhängigkeit. Sie nahmen recht unterschiedliche Entwicklungen, leider nur allzu häufig keine gute. Wie die 17 afrikanischen Staaten heute dastehen, wird in dieser zehnteiligen Reihe erläutert. Heute: Burkina Faso und Elfenbeinküste
Burkina Faso (früher Obervolta)
Bevölkerung 20,3 Millionen; BIP 717 $; Demographisches Wachstum 2,9%; Alphabetisierung 34,6%; UNDP Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, abgekürzt HDI): 183. Rang von 189. Letzter Wechsel des Präsidenten: 2015
Im September 2014 hatte der seit 27 Jahren halb autokratisch, halb aufgeklärt regierende Blaise Compaoré versucht, die Verfassung zu manipulieren, um sich eine weitere Amtszeit zu sichern. Dagegen protestierten eine rasch wachsende Bürgerbewegung („Le Balai citoyen“ – „Bürgerbesen“), Gewerkschaften und politische Opposition. Am 31. Oktober 2014 trat Compaoré schließlich zurück und floh mit Hilfe der französischen Armee ins Exil nach der Côte d’Ivoire. Frankreich hatte das Exil organisiert, wie der Bruder und Berater des Präsidenten, Francois Campaoré der Zeitschrift „Jeune Afrique“ im September 2017 bestätigte. Ex-Präsident Blaise Campaoré wird mit internationalem Haftbefehl wegen seiner Rolle bei der Ermordung seines Vorgängers Thomas Sankara gesucht.
Im November 2015 wurde Roch Marc Christian Kaboré zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Unter den ersten Maßnahmen der Regierung war – entsprechend dem Wahlversprechen – die Entscheidung, ab Mai 2016 Kindern unter fünf Jahren, schwangeren Frauen und bedürftigen Personen über 65 Jahren kostenlose Krankenversorgung anzubieten.
Das Sahel-Land sollte gut vorankommen, denn es kann jährlich ca. 30 Tonnen Gold exportieren und vom hohen Goldpreis profitieren. Da an Baumwolle derzeit ein Mangel herrscht, steigen die Preise. Die globale Nachfrage übertrifft das Angebot um etwa drei Millionen Tonnen. Nach Gold und Baumwolle exportiert das Land Vieh, Mandelöl (jährlich 300.000 Tonnen) und Sheabutter (12.000 Tonnen). Von der Produktion von Mandelöl und Sheabutter leben etwa drei Millionen Frauen. Seit 2018 haben die burkinischen Behörden Gütesiegel für die Sheabutter (Karité), Leder, gegerbte Häute und Saponé-Hüte eingeführt. Also gute Voraussetzungen für den Abbau der Armut. Da jedoch jede Frau in Burkina durchschnittlich sechs Kinder bekommt, wird es immer schwieriger, die Bevölkerung zu ernähren. Im jährlichen UN-Bericht über die menschliche Entwicklung bleibt Burkina Faso auf Rang 183 von 187 aufgeführten Ländern. Negativ schlägt sich der geringe Bildungsstand (65% der Bevölkerung sind Analphabeten und oft nicht beschäftigungsfähig), ein ungenügendes Gesundheitswesen und die unzureichende Nutzung der Potenziale in der Landwirtschaft nieder.
Ein Hort der Korruption
Der Anteil der Armen wird von der Regierung aktuell mit ca. 40 Prozent angegeben. Der ermordete charismatische Staatspräsident von Burkina Faso, Thomas Sankara (1983–1987), hat spektakulär bewiesen, dass es ein Motivations- und Mobilisierungspotenzial afrikanischer Verwaltung gibt. Er vervielfachte den sicht- und messbaren Ertrag seiner Minister und Mitarbeiter allein dadurch, dass er gelegentlich überraschend und ohne protokollarischen Prunk in Büros und an Arbeitsplätzen erschien, ermunterte, kritisierte, positiv und negativ sanktionierte. Er lebte Nüchternheit vor, zwang seine Minister, in der Touristenklasse zu fliegen und propagierte das Fahrrad und den Kleinwagen R5 als Verkehrsmittel. In der kurzen Regierungszeit hat er seinem Volk Wasser, Nahrung, Gesundheit und Bildung garantiert.
Auch im „Land der Unbestechlichen“, wie Burkina Faso in deutscher Übersetzung heißt, hat die Korruption in den letzten Jahren um sich gegriffen. Wie überall in Afrika ist Bestechung beim Zoll, den Steuerbehörden, der Polizei, den Gesundheits- und Bildungseinrichtungen verbreitet. Die Presse in Burkina beklagt eine „Kultur der Straffreiheit“ und wird nicht müde, in Ouaga 2000, dem neuen Villenviertel der Hauptstadt Ouagadougou, die Reichen, die dort im Überfluss und Verschwendung leben und keinen Blick für die Armut des Landes haben, anzuprangern. Leider ohne Folgen.
Im Demokratieindex 2019 von The Economist belegt Burkina Faso Platz 112 von 167. CPI Platz 85 von 180.
Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire)
Bevölkerung 25,7 Millionen; BIP 1691 $; Demographisches Wachstum 2,5%; Alphabetisierung 43,9%; UNDP Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, abgekürzt HDI): 170. Rang von 189. Letzter Wechsel des Präsidenten: 2010
Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) liegt in Westafrika. Angrenzende Länder sind Liberia, Guinea, Mali, Burkina Faso und Ghana. Die Länder Burkina Faso und Mali werden über den Hafen Abidjan beliefert. In der Region ist er der wichtigste Hafen, vor Lagos und Dakar. Er ist mit der Bahnlinie Abidjan-Ouagadougou (1.260 km) verbunden. Auf dieser Strecke werden jährlich 800.000 Tonnen Waren und 200.000 Passagiere befördert.
Nach der Unabhängigkeit von Frankreich wurde das Land aufgrund seiner Wirtschaftskraft und der stabilen politischen Verhältnisse zu einem Wirtschaftsmotor in Westafrika. Der erste Präsident war Félix Houphouet-Boigny. Er regierte 33 Jahre. Zuvor war er Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung und Minister in Paris. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hatte lange Jahre noch einen starken Einfluss. Beide Länder waren wirtschaftlich stark miteinander vernetzt. Die militärische Präsenz der Franzosen garantierte die innere und äußere Sicherheit. Etwa 2.000 Franzosen betreiben Privatunternehmen. Das Land ist Marktführer beim Anbau von Kakao (etwa 40 Prozent der Weltproduktion). Auch der Export von Kaffee, Erdöl, Edelhölzern, Baumwolle, Bananen, Cashew und Kautschuk ist bedeutend. Lange Zeit wurde, anders als in Ghana, Mali und Burkina Faso, Gold nicht gefördert. Die Vorkommen werden auf 600 Tonnen geschätzt. Derzeit werden jährlich 25,3 Tonnen gefördert. Das ist eine Erhöhung der Produktion von 92,3% seit 2013. Über 50 Prozent der Einwohner leben von der Landwirtschaft. Côte d’Ivoire ist das wichtigste Lieferland für Rohkakao für den deutschen Markt. Seit 2017/18 können neue Vorkommen von Mangan (510.000 Tonnen), Bauxit (315.000 Tonnen), Nickel (bis zu zwei Millionen Tonnen pro Jahr) ausgebeutet und exportiert werden.
Zwischen 2011 und 2017 hat das Land zehn Milliarden Euro in den Energiesektor investiert. Côte d’Ivoire ist deshalb in der Lage, Elektrizität nach Ghana, Burkina Faso, Mali, Togo und Benin zu exportieren. Bis Ende des Jahres soll das Land über 4.000 MW (gegenüber 2.000 MW im Jahre 2011) aus Kohle, Gas und Öl verfügen. Erneuerbare Energien, z.B. Biomasse, sollen bis dahin auf 34% (2011 nur 1%) erhöht werden. Dann könnte das Land auch Strom nach Sierra Leone, Guinea und Liberia exportieren.
Großer Schwachpunkt ist das Bildungssystem. In der am 22. Mai 2017 veröffentlichten gemeinsamen Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank (BAD), der UNCTAD, und der OECD Studie „Perspectives économique en Afrique 2017“ wurde konstatiert, dass das Bildungssystem des Landes auch im afrikanischen Vergleich wenig leistungsfähig ist. Ähnliches gilt für das Gesundheitssystem, das ebenfalls unterfinanziert sei.
Wirtschaftliche Lokomotive des frankophonen Afrikas
Die Regierung unternimmt im Bildungsbereich Anstrengungen. Eine sechste staatliche Universität (Architektur, Stadtplanung, nachhaltige Entwicklung) soll noch 2020 eröffnet werden.
Die ungelösten sozialen Fragen (Armutsbekämpfung, Arbeitslosigkeit) beeinträchtigen laut einem Bericht der Schweizer Botschaft in Abidjan das wirtschaftliche Klima und verhindern ausländische Investitionen. Andererseits wird die straffe Steuerung der öffentlichen Finanzen durch den ehemaligen hohen Beamten des IWF und der BCEAO Alassane Ouattara von der Weltbank positiv hervorgehoben.
Politische Krisen 2002 und 2010/2011 haben die Wirtschaft erheblich geschwächt. Mehr als 3.000 Menschen kamen ums Leben. Mit Hilfe der UNO und Frankreichs wurde schließlich Wahlsieger Ouattara als Präsident installiert. Die UNO-Blauhelmmission/UNOCI ist erst am 30. Juni 2017, nach 13 Jahren, offiziell beendet worden. Diese war 2004 nach der Côte d’Ivoire entsandt worden, um nach dem Bürgerkrieg wieder für Stabilität zu sorgen. Viele französische Arbeitgeber hatten das Land verlassen. Seit dem Amtsantritt von Präsident Alassane Quattara 2011 hat das Land seine Rolle als wirtschaftliche Lokomotive des frankophonen Afrikas wiedergefunden. Agroindustrie, Textilfirmen, Baustoff- und Düngemittelfabriken sind in dem Lande aktiv. Der Hafen von Abidjan ist ein bedeutender Umschlagplatz, auch für die Nachbarstaaten. Im Mai 2011 wurde Alassane Ouattara als Präsident vereidigt. Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2015 wurde er mit fast 84 Prozent im Amt bestätigt. Der deutliche Sieg erklärt sich auch durch den Boykott von Teilen der Opposition. Er stellte die wirtschaftliche Erholung und die Sicherheit in den Vordergrund seines Wahlprogramms. Er hat beim Internationalen Währungsfonds Karriere gemacht und verfügt über beste Kontakte zu westlichen Geldgebern. Die afrikanische Entwicklungsbank hat ihren Hauptsitz in Abidjan wiedereröffnet. Investoren aus Europa, Asien und den Golfstaaten geben sich die Klinke in die Hand.
Und ganz vorn dabei: Libanesen
In der Côte d’Ivoire leben etwa 80.000 Libanesen. Viele Familien sind nach dem Ersten Weltkrieg zuerst in den Senegal emigriert (Frankreich ermunterte Libanesen, nach Französisch-Westafrika auszuwandern, um die Kolonialwirtschaft in Gang zu bringen) und später wegen der besseren Perspektiven nach der Côte d’Ivoire weitergezogen. Während des Bürgerkriegs im Libanon (1975–90) gab es eine neue Einwanderungswelle. Etwa 90% sind ivorische Staatsbürger. Die Ivorer nennen sie scherzhaft „die 63. Ethnie“. Es ist die größte Diaspora von Libanesen in Afrika. Sie steuern etwa 40% der ivorischen Wirtschaft (Vertrieb von Nahrungsmitteln, Automobilen, Möbeln, Baumaterialen, Immobilien, Hotels, Restaurants, Kakao, Gebrauchsgüter und kleinere Fabriken). Sie beschäftigen 300.000 Angestellte, tragen 8% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und 15% zum Steuerertrag des Landes bei. Die Mehrzahl lebt in der Hauptstadt Abidjan. Nachdem 2004 während des Bürgerkriegs in der Côte d’Ivoire französische Geschäftsleute das Land verlassen hatten, übernahmen vorwiegend die libanesischen Unternehmer deren Geschäfte. Sie haben seit 2010 ihre eigene Handelskammer. 273 Unternehmen sind Mitglied. Von Abidjan aus sind die Firmen in zahlreichen Nachbarländern tätig. Libanesen engagieren sich kaum in den drei großen politischen Parteien, haben aber meist gute Beziehungen zu dem wirtschaftsfreundlichen Präsidenten Alassane Ouattara.
Im März 2020 verkündete Ouattara (78) seinen Verzicht auf eine Kandidatur bei der Ende Oktober 2020 anstehenden Wahl. Der designierte Nachfolger Coulibaly verstarb jedoch plötzlich. So sah sich Ouattara „wegen höherer Gewalt gezwungen“, wieder anzutreten. Seine erneute Kandidatur ist allerdings sehr umstritten, da die Verfassung die Anzahl der Amtszeiten auf zwei beschränkt. Nach seiner Ankündigung gab es teils gewalttätige Protestaktionen mit mehreren Toten. Möglicherweise stehen dem Land unruhige Monate bevor.
Im Demokratieindex 2019 von The Economist belegt die Côte d’Ivoire Platz 111 von 167. CPI Platz 106 von 180.
Lesen Sie übermorgen in der nächsten Folge: Togo und Benin
Teil 1 über Mauretanien und Senegal finden Sie hier.
Teil 2 über Mali finden Sie hier.
Teil 3 über Niger und Tschad finden Sie hier
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.