Wie kann man das Jahr besser beginnen, als mit etwas Sweet Soul Music? Im Januar 1965 erschien mit dem ersten Album der Four Tops eines der besten Motown-Debüts.
Ein Start ins neue Jahr ohne Soul Music ist – frei nach Loriot – möglich, aber sinnlos. Noch dazu, wenn das Debütalbum eines der besten Soul-Acts und zugleich eines der besten Debüts des Motown-Labels gerade seinen 60. Geburtstag feiert. Die Rede ist von den Four Tops. Die vier Soulmen könnte man gewissermaßen als das männliche Pendant zu den Supremes betrachten, als viele ihrer Songs und größten Erfolge ebenfalls von der Motown-Hitmaschine Holland-Dozier-Holland geschrieben und produziert wurden.
Und so, wie viele der frühen Motown-Künstler, kamen auch die Four Tops aus Detroit. Die Stadt im US-Bundesstaat Michigan, die wegen ihrer Autoindustrie den Spitznamen Motortown bekommen hatte, war nicht zuletzt auch der Namensgeber für das Motown-Label, das in den 1960er Jahren zu einer der erfolgreichsten Plattenfirmen in den USA aufsteigen sollte. Einen nicht unerheblichen Anteil daran trugen neben Top-Acts wie den Miracles, den Temptations, den Supremes, Stevie Wonder oder Marvin Gaye auch die Four Tops, die der Plattenfirma ebenfalls zahlreiche Hits bescherten.
Die vier Mitglieder der Four Tops, Levi Stubbs, Abdul „Duke“ Fakir, Renaldo „Obie“ Benson und Lawrence Payton, kannten sich schon aus Schulzeiten und fingen bereits 1953 an, unter dem Namen The Four Aims gemeinsam zu singen und aufzutreten. Als sie 1956 ihren ersten Plattenvertrag bei Chess Records unterschrieben, änderten sie ihren Namen in Four Tops, um Verwechslungen mit der Gesangsgruppe The Ames Brothers vorzubeugen. 1963 überredete Motown-Boss Berry Gordy die vier talentierten, aber erfolglos gebliebenen Endzwanziger zu seinem aufstrebenden Soul-Label zu kommen.
Erfolgreichste „Motown-Boygroup“ in Europa
Und wie es der Zufall wollte, hatten Lamont Dozier und die Holland-Brüder Brian und Eddie gerade ein neues Musikstück ohne Gesangsmelodie herumliegen, mit dem sie nichts so recht anzufangen wussten. Wer auf die Idee kam, es den Four Tops auf den Leib zu schneidern, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall wurde daraus das wunderbare „Baby I Need Your Loving“, das bereits im Sommer 1964 als ihre erste Single auf den Markt kam und aus dem Stand an den Top 10 der regulären US-Hitliste kratzte und sich in Kanada sogar unter den ersten Fünf platzieren konnte.
Das Stück mit dem geheimnisvollen Intro und dem nach vorne gemischten Fingerschnipsen ist ein Paradebeispiel für das filigrane Kunstgeschick von Lamont Dozier und den Holland-Brüdern, sowohl als Songwriter wie auch als Produzenten und Arrangeure. Damit beginnt dann auch das selbstbetitelte erste Album der Four Tops, das im Januar 1965 veröffentlicht wurde und vielleicht als das beste aller Motown-Debüts gelten darf. Witzigerweise fängt das nächste Stück auf der Platte auch gleich wieder mit den Worten „Baby, I need your good loving“ an.
„Without the One You Love (Life's Not Worthwhile)“ war die zweite Singleauskoppelung, die bewusst das Strickmuster des Vorgängers aufgriff, um an dessen Erfolg anzuknüpfen. Aber auch wenn vor allem der Chorus nicht ganz an die Catchiness der Vorlage heranreicht, ist der Song im Endeffekt doch genauso unwiderstehlich. Allerdings konnte die Nummer nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und verfehlte, wenn auch nur knapp, die amerikanischen Top 40.
Eine der ganz großen Stimmen des Soul
Doch schon im Jahr darauf gelang ihnen mit dem ebenfalls aus der HDH-Hitschmiede stammenden „I Can't Help Myself“ von ihrem zweiten Album der Sprung auf Platz 1 sowohl der R&B- als auch der allgemeinen US-Charts. Damit war der Damm gebrochen; es folgte Hit auf Hit. Während in den U.S.A. von den männlichen Gesangsgruppen nur noch ihre Label-Kollegen von den Temptations besser abschnitten, mauserten sich die Four Tops diesseits des großen Teichs, insbesondere in Großbritannien, zur erfolgreichsten „Boygroup“ des Motown-Labels.
Das mag auch der Grund dafür sein, warum das Intro von „Under My Thumb“ der Rolling Stones verdächtig nach dem von „It's the Same Old Song“ klingt. Und spätestens mit ihrem Megahit „Reach Out I'll Be There“ von 1966 eroberten die Four Tops auch die Hitparaden im restlichen Europa. Ihr unverkennbares Markenzeichen war der Bariton ihres Hauptsängers Levi Stubbs – eine der ganz großen Stimmen des Soul. Man höre sich nur mal ihr erstes Live-Album von 1966 an oder ihre Interpretation von Jimmy Webbs „MacArthur Park“.
Diese Power und Passion, die Stubbs in seine Gesangsperformance legt, kann einen schon mal die Tränen in die Augen treiben. In seinem Song „Levi Stubbs' Tears“ hat der englische Singer-Songwriter Billy Bragg den Four-Tops-Sänger als jemanden verewigt, der einem selbst in schwierigsten Zeiten mit der Kraft seiner Musik Trost und Zuversicht spenden kann. Schwierige Zeiten brachen auch für die Four Tops an, als das Songwriting- und Produktionstrio Holland-Dozier-Holland zu Beginn des Jahres 1968 geschlossen dem Motown-Label den Rücken kehrte.
Comebacks in den 70er und 80er Jahren
Der Weggang der Hit-Lieferanten hatte schon den Supremes den Hahn abgedreht. Warum es also nicht einmal mit vereinten Kräften versuchen? Unter dem Namen The Magnificient 7 nahmen die Four Tops mit den Supremes zwei Alben auf und konnten mit ihrer Version der Ike & Tina-Turner-Nummer „River Deep - Mountain High“ von 1970 sogar noch einmal einen internationalen Charterfolg verbuchen. Nichtsdestotrotz war der Höhenflug sowohl der Supremes als auch der Four Tops erst einmal beendet.
Als Motown dann Anfang der 70er Jahre von Detroit nach Los Angeles umzog und sich bei dieser Gelegenheit von einigen seiner ins Alter gekommenen Acts trennte, kamen die Four Tops ihrer Entlassung zuvor, indem sie Motown verließen und einen Vertrag bei ABC-Dunhill Records unterschrieben. Mit dem Wechsel kam auch frischer Wind in die Bude, so dass ihre ersten beiden Singles „Keeper of the Castle“ und „Ain't No Woman (Like the One I've Got) erstmals seit „Bernadette“ aus dem Jahr 1967 wieder die Top 10 der amerikanischen Billboard-Charts erreichten.
Während sie in der Folgezeit immer wieder einmal in den R&B-Charts auftauchten, hatten sie in den allgemeinen Pop-Charts kein Glück mehr. Erst als sie auch ABC-Dunhill wieder verließen und bei Casablanca Records anheuerten, konnten sie mit den beiden Disco-Nummern „When She Was My Girl“ und „Don't Walk Away“ von 1981 auch wieder internationale Hits landen. 1983 kehrten die „Tops“ schließlich wieder zu Motown zurück, gerade pünktlich zur 25-Jahres-Feier des Labels, wo ihnen in einer „Battle of the Bands“ mit den Temptations ein Ehrenplatz eingeräumt wurde.
Das Erbe der Four Tops lebt weiter
Noch im selben Jahr erschien ein neues Album unter dem Titel „Back Where I Belong“, für das sogar die inzwischen legendären Holland-Dozier-Holland als Songwriter reanimiert werden konnten. Trotz allem blieb das Motown-Comeback der Four Tops weit hinter den Erwartungen zurück. Ihren letzten nennenswerten Erfolg hatten die vier Herren dann mit einem Stück namens „Loco in Acapulco“ von 1988, das von Phil Collins und Lamont Dozier für den Film „Buster“ geschrieben und produziert wurde, in dem Collins auch die Hauptrolle des Postzugräubers Buster Edwards spielte.
Erst kürzlich ist mit „Duke“ Fakir das letzte Original-Mitglied der Four Tops gestorben. Bereits 1997 hatte der Krebs Lawrence Payton dahingerafft. Bis dahin waren die Tops 44 Jahre lang in derselben Besetzung aktiv gewesen und hatten allen Bestrebungen widerstanden, einen von ihnen – allen voran Leadsänger Levi Stubbs – besonders herauszuheben oder als Solokünstler zu vermarkten, wie etwa bei Smokey Robinson & the Miracles. Der loyale Stubbs wollte aber keine Sonderbehandlung und lehnte aus diesem Grund sogar eine Filmrolle neben Diana Ross in dem Billie-Holiday-Biopic „Lady Sings the Blues“ ab.
Levi Stubbs, der den großen Jackie Wilson zum Cousin hatte, erlitt im Jahr 2000 einen Schlaganfall, infolgedessen er nicht mehr auftreten konnte. Er starb 2008 im Alter von 72 Jahren. Schon drei Jahre zuvor hatte Ronaldo „Obie“ Benson das Zeitliche gesegnet. Zum Glück erlebten alle vier noch ihre Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame und ihre Ehrung durch einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame. Nach „Obie“ Bensons Tod übernahm Paytons Sohn Lawrence Payton, Jr. dessen Rolle und führt das Erbe der Four Tops mit neuen Mitgliedern bis heute weiter.
YouTube-Link zu „Baby I Need Your Loving“ bei einem TV-Auftritt aus dem Jahr 1966
YouTube-Link zu „Without the One You Love (Life's Not Worthwhile)“
YouTube-Link zu „Aks the Lonely“ bei einem TV-Auftritt aus dem Jahr 1966
Hans Scheuerlein verarbeitet auf der Achse des Guten seit 2021 sein Erschrecken über die Tatsache, dass viele der Schallplatten, die den Soundtrack seines Lebens prägten, inzwischen ein halbes Jahrhundert alt geworden sind.