Schauspieler, Moderator, Liedermacher, Schriftsteller, Avantgardekünstler, Designer, Landschaftsarchitekt, Veranstalter, Kulturmanager, Produzent: André Heller hat sich in die verschiedensten Richtungen und Genres entfaltet und passte in keine Schublade.
„Marilyn Monroe, dein Tod kam wie ein weißer Zeppelin. Flieg' zu den Popcorn-Wolken. Der Atem Gottes trocknet dir den Nagellack.“ Genial! Mit diesen plastischen Wortbildern beginnt André Hellers drittes Album, dessen Titel schon klingt wie ein Nachruf auf eine lange zurückliegende Karriere. In der letzten Strophe des Liedes über die tragische Diva heißt es: „Marilyn Monroe, du warst ein Teil von dem Roulette, in dem Amerika sich selbst verspielt.“ Das sind Worte, die im Kopf explodieren und aufleuchten wie Blitze am Firmament. Eine sprachgewaltige Allegorik, die lyrisch, geistreich und vielsagend zugleich ist. Ganz großes Kino!
Eigentlich wollte der 1947 als französischer Staatsbürger in Wien geborene Francis Charles Georges Jean André Heller-Hueart ursprünglich auch Dichter werden. Aber es war gerade die Zeit, als erfolgreiche Songpoeten wie Bob Dylan, Donovan und Leonard Cohen aufkamen, weshalb sich der strebsame junge Mann dazu entschied, seine Gedichte in Form von Liedern zu präsentieren. Auf diese Weise ließ sich schneller ein größeres Publikum erreichen als über „Lyrikbändchen im Selbstverlag oder bei Suhrkamp“, wie er selbst einmal in den Linernotes zu seiner „Kritischen Gesamtausgabe“ von 1991 anmerkte.
„Das war André Heller“ erschien (vermutlich) Anfang Dezember 1972 (so genau lässt sich das gerade nicht feststellen) und war Hellers erster großer Erfolg als Sänger und Liedermacher, mit dem er es bis auf Platz 6 der österreichischen Albumcharts schaffte. Mit seinen beiden vorherigen Platten konnte er bereits Achtungserfolge erzielen und hatte mit dem Song „Catherine“ sogar schon einen kleinen Hit verbuchen können (zu dem übrigens der noch unbekannte Reinhard Mey den Text schrieb). Davor hatte er es schon mehr oder weniger erfolgreich als Schauspieler an diversen Wiener Avantgardetheatern versucht. Mehr Glück hatte er als Discjockey, als ihm dieser Job die Gelegenheit verschaffte, beim ORF den ersten deutschsprachigen Popmusik-Sender Ö3 mitzugestalten und sich als Moderator der Sendung Musicbox einen Namen zu machen. Ein Höhepunkt dieser Zeit dürfte für ihn das Interview mit Beatle John Lennon im Jahr 1967 gewesen sein, den er anschließend noch zum Grab von Franz Schubert auf dem Wiener Zentralfriedhof führen durfte.
Einer der letzten großen Universalkünstler
Der Liedermacher André Heller ist aber nur eine Facette im künstlerischen Gesamtwerk des Wieners. Wahrscheinlich muss er sogar als einer der letzten großen Universalkünstler betrachtet werden, der sich in die verschiedensten Richtungen und Genres entfaltet hat, weshalb er auch nie in irgendeine Schublade passte. In seiner nun schon bald sechzig Jahre umspannenden Karriere hat er mitunter als Schauspieler, Moderator, Liedermacher, Schriftsteller, Avantgardekünstler, Designer, Landschaftsarchitekt, Veranstalter, Kulturmanager oder Produzent gewirkt. So gründete er 1975 zusammen mit Bernhard Paul den Zirkus Roncalli oder zeichnete als Kulturkoordinator für die Eröffnungszeremonie der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland verantwortlich, deren Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ebenfalls auf sein Konto geht. Weitere seiner Produktionen sind etwa das poetische Varieté Flic Flac oder der Chinesische Nationalzirkus wie auch die Show „Afrika! Afrika! – Kontinent des Staunens“.
Zudem realisierte er diverse Installationen, darunter das Wonderhouse am Broadway in New York City, sowie verschiedene schwimmende oder fliegende Großskulpturen, eine Reihe von Gartenkunstwerken, wie zum Beispiel den Botanischen Garten am Gardasee, und sogar einen avantgardistischen Jahrmarkt und Vergnügungspark: den Luna Luna auf der Hamburger Moorweide, zu dem Leute wie Miles Davis und Philipp Glass die Jahrmarktsmusik komponierten. Alle Realisationen, Inszenierungen und Kunstaktionen dieses Tausendsassas aufzulisten, ist ein nahezu aussichtsloses Unterfangen und soll hier erst gar nicht versucht werden. Allein bei seinem musikalischen Werk ist es schon schwierig genug, den Überblick zu behalten, wenn man nicht nur seine eigenen Veröffentlichungen, sondern auch seine Opern- und Konzertinszenierungen miteinbeziehen will.
Ich persönlich hörte von André Heller das erste Mal Mitte der Siebzigerjahre. Und zwar in Zusammenhang mit seiner kongenialen Version von Hermann Leopoldis ursprünglich klavierhumoristischem Stück „Schnucki, ach Schnucki“. Für so unbedarfte Kinder wie uns war das allerdings nur eines dieser Nonsens-Lieder wie „Ein Loch ist im Eimer“ vom Medium Terzett oder „Mein Gott, Walther“ von Mike Krüger. Wir hatten ja keine Ahnung, dass es im Original von jemandem stammte, den die Nazis ins KZ gesteckt hatten und der trotzdem noch den Humor aufbrachte, solche fröhlichen Lieder zu komponieren. Für André Heller war „Schnucki, ach Schnucki“ sicherlich eine Herzensangelegenheit, wenn auch nicht sonderlich repräsentativ für seine sonstige Musik.
Wie er wohl heute zu „Schnucki, ach Schnucki“ steht?
Wobei er aber schon auf besagtem „Das war André Heller“-Album im zweiten Teil des varietéartigen Stückes „Ich fordere“ das Hollaender/Liebmann-Lied „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“ adaptiert, welches in dem Film „Einbrecher“ aus dem Jahr 1930 von Willy Fritsch gesungen wurde und das vom Prinzip her in dieselbe Kerbe haut. Typischer für Heller sind jedoch neben dem eingangs erwähnten „Marilyn Monroe“ schon eher die Liebesballade „Du, du, du“ oder das selbstreferenzielle „Komm, Heller, komm“ sowie die beiden symphonischen Stücke „Jeder Zeitraum hat etwas Eigenes“ und „Und dann bin i ka Liliputaner mehr“, dessen Intro musikalisch eng an das anmutige „La Califfa“ von Ennio Morricone angelehnt ist und in dem es einmal mehr um das größte Gefühl von allen geht – das Gefühl, über sich selbst hinauszuwachsen.
Im Moment scheinen sich unsere vorgeblich sprachmächtigen Liedermacher jedoch eher ganz klein zu machen und wegzuducken – zumindest was den erweckungsbewegten Zeitgeist mit seiner engstirnigen „Political Correctness“ und seiner zerstörerischen „Cancel Culture“ angeht. Wie wohl André Heller heute zu dem satirischen Indianer-Lied „Schnucki, ach Schnucki“ steht oder zu dem Text, in dem er seinen Körper schwarz bepinseln lassen und dann zu den Fidschi-Inseln fahren möchte? Würde er auch einknicken und sich entschuldigen, wenn er in den denunziatorischen Suchscheinwerfer der Regenbogen-Armee geriete? Oder würde er kleinlaut einräumen, Lieder wie solche heute nicht mehr singen zu wollen?
Jemand, der sich gerade wohltuend vom opportunistischen Mainstream der „Musikschaffenden“ hierzulande abhebt und den Mumm hat, öffentlich mit seiner Meinung dagegenzuhalten, ist Heinz Rudolf Kunze. Die allermeisten seiner ansonsten um keine noch so abgedroschenen Worthülsen verlegenen Kollegen hüllen sich hinsichtlich des ganzen woken Irrsinns (Sprachverhunzung durch „Gender-Neusprech“, hanebüchene Rassismusvorwürfe, Auftrittsverbote wegen „kultureller Aneignung“ etc. pp) in feiges Schweigen und hoffen wohl insgeheim, dass dieser Kelch an ihnen vorübergehen möge und der Spuk irgendwann von allein wieder aufhört. Auch von Heller war diesbezüglich – soweit ich sehe – noch nichts zu vernehmen. Der 75-Jährige lebt abwechselnd in seiner Wiener Wohnung im 1. Bezirk und in dem von ihm angelegten Anima-Garten in der Nähe von Marrakesch oder – wie seiner Website zu entnehmen ist – „auf Reisen“. Wie war das mit den „Somewheres“ und „Anywheres“? Egal! Es sei ihm von ganzem Herzen gegönnt.
YouTube-Link zum allegorischen „Marilyn Monroe“
YouTube-Link zu „Und dann bin i ka Liliputaner mehr“ mit skurrilem Fluxus-Video
YouTube-Link zum varietéartigen „Ich fordere“