Gastautor / 16.04.2012 / 23:01 / 0 / Seite ausdrucken

4. Teil der Putin-Reihe: Seine Gegner

Filip Piatov

Vor einigen Jahren hatte unser Wowa eine öffentliche Unterhaltung mit einem regierungskritischen Künstler. Es ging um Pressefreiheit, Freiheit im Allgemeinen und Demokratie.
Vorsichtig und respektvoll versuchte der Künstler, sich an Wowa heranzutasten. Behutsam formulierte er ein Argument für Demonstrationsfreiheit. Wowa konterte ebenso einfühlend:
Selbstverständlich sei er für Demonstrationsfreiheit. Wer, wenn nicht er, verdammt. Aber nur unter einer Bedingung. Eine Demonstration dürfe andere Bürger nicht daran hindern, pünktlich nach Hause oder zum Ferienhaus zu kommen. Behindere eine Demonstration die Bewegungsfreiheit anderer Bürger, so sei sie nicht legitim.

Wenn Sie in Deutschland aufgewachsen sind, werden Sie den letzten Abschnitt vielleicht zwei Mal lesen müssen. Ihre demokratieverwöhnten Gehirnzellen verstehen ihn nicht auf Anhieb. Deswegen in Kurzform: Kann Ich wegen einer Demonstration nicht mit 50 km/h durch die Stadt fahren oder muss Ich gar einen Umweg wählen, weil Bürger ihre Meinung kundtun, so ist die Demonstration illegitim.
Das Wowa kein Demokrat im klassischen Sinne ist, wissen wir bereits. Das Erstaunliche ist die Unkenntnis von Demokratie unter den führenden, freien Oppositionellen. Nicht unter den – im letzten Teil erwähnten – Systemoppositionellen wohlgemerkt.

Denn Wowas Argument wirkte irgendwie, man wusste um dessen Unsinn, konnte aber nicht richtig antworten. Hier in Deutschland traut man sich so einen undemokratischen Mist nicht einmal zu denken, Demonstrationen sind ein Grundstein der Demokratie. Sie sollen ja gerade Aufmerksamkeit auf sich ziehen und nicht auf einer Wiese außerhalb der Stadt stattfinden, um Maulwürfe und Hasen zu stören.
Eine große Überraschung ist die stellenweise Verlorenheit der russischen Oppositionellen nicht. Sie beruht auf simpler Unerfahrenheit.
Wo in Russland hätte man in den letzten Jahren Demokratie lernen können?

Dennoch ist die russische Opposition keineswegs zurückgeblieben. Sie besteht aus vielen klugen und einflussreichen Köpfen, auf die Ich im Folgenden eingehen werde, um Ihnen einen mannigfaltigen Blick auf den russischen Widerstand bieten zu können. So stelle Ich Ihnen vor:
Einen Blogger, einen erfahrenen Politiker, einen Kommunisten, einen Schachweltmeister und einen Beinahe-Präsidentschaftskandidaten.

Beginnen wir mit dem einflussreichsten Blogger Russlands, dem Aushängeschild moderner, russischer Aufklärung, Alexei Navalny.Der studierte Jurist zog in den letzten Jahren Aufmerksamkeit auf sich, in dem er verschiedene Dokumente veröffentlichte, die staatliche Korruption belegen und Putins Politikstil an den Pranger stellen sollten. Er brachte einige große, angeblich von der Regierung gestohlene oder zur Korruption verwendete, Summen an die Öffentlichkeit, fand aber hauptsächlich im Internet und Ausland Beachtung, da die gleichgeschalteten russischen Medien nicht auf solche Polit-Skandale reagieren.

Nawalny stieß auf ungeheure Unterstützung in der virtuellen Welt, die von Putin fälschlicherweise nicht als Bedrohung angesehen wird. Deswegen lebt Nawalny, im Gegensatz zu der Journalistin Anna Politkowskaja. Nawalnys große Leistung ist die konkrete Beweisführung. Im Gegensatz zu den treuen Anhängern präziser Buchführung, den Deutschen, sind die Russen nicht besonders interessiert an der Hinterlassung ihrer Verbrechen für die Nachwelt.

Zwar weiß jedes Kind, dass Russland so korrupt wie kalt ist; aber einen auf Papier festgehaltenen Beweis zu erbringen ist eine andere Sache.Ihm verdankt die russische Widerstandsbewegung auch ihren Anti-Slogan, in dem Putins Partei ‚Einiges Russland‘ als ‚Partei der Ganoven und Diebe‘ bezeichnete, der nun tausendfach auf jeder Demo skandiert wird. Dies störte die Machthaber so sehr, dass auf Medwedews twitter-Seite – mit beachtlichen 1.000.000+ followern – der tweet erschien: “Seit heute ist klar: Eine Person, die in ihrem Blog die Worte ‘Partei von Ganoven und Dieben’ schreibt, ist ein blödes, schwanzlutschendes Schaf.” Der tweet verschwand, die Erinnerung bleibt.

Aber Nawalny ist vielen Russen nicht geheuer. Er scheint eitel und selbstverliebt zu sein, egoistisch und geheimnisvoll. In seinen Interviews merkt man, dass er auch an seine Zukunft denkt, unabhängig von Umbrüchen und Revolutionen. Andererseits ist den Russen Vieles nicht geheuer, was nicht den Standards entspricht. Die Beleuchtung der anderen, ‚klassischen Oppositionellen‘ macht deutlich, weshalb sie Nawalny nicht als vollwertigen Mitstreiter akzeptieren können.

Als zweiter Oppositioneller sei Sergej Udaltsov genannt. Der 35-jährige scheint der Bewahrer des Vermächtnisses der Februarrevolution von 1917 zu sein. Kurz gesagt, er ist Kommunist. Und zwar ein klassischer, dramatischer Kommunist; immer bereit, sich für die Masse zu opfern. Das erste Mal gelang er Ende 2011 auf die große, politische Bühne, als er verhaftet wurde und 86 Tage in Haft verbracht, wo er in Hungerstreik ging und beinahe daran starb. Das katapultierte seine Beliebtheit ins Unendliche und er stand da als Märtyrer im Namen der Freiheit.

Seine Reden sind altmodisch, er streitet für die Armen und vertritt die Ansichten der Kommunistischen Partei, gibt sich sogar als Vertreter des Oberkommunisten Ziuganov. Über die Sowjetunion sagte er, man sehne sich nicht nach ihr zurück, wolle jedoch gute Elemente aus der Sowjetzeit behalten. Ich sage nur: Autobahnen.

Ebenso stupide ist seine Masche. Überall, wo es nur geht, provoziert er die Ordnungskräfte und lässt sich verhaften und abführen. Natürlich wird er zu Unrecht verhaftet, in einem westlichen Land würde man nicht daran denken, ihn grundlos festzunehmen. Dennoch wirken seine Auftritte unnötig und so wurde man auch in der Bevölkerung skeptisch. Zwar genießt er die Bewunderung der Linken Front, verkörpert er doch alle sozialistischen Tugenden, als Wortführer der gesamten Opposition kommt er jedoch nicht mehr in Frage.

Nun zu einer wirklichen Hoffnung für die russische Opposition und Demokratie. Gari Kasparow, der ehemalige Schwachweltmeister wird wohl herkunftsbedingt (armenischer Jude)  nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren, ist jedoch hochintelligent, vernünftig und in im Bereich der Politikwissenschaft sehr bewandert. Wie viele andere Kollegen musste er viele – für die russische Opposition typische – Strapazen durchmachen. Er wurde von Kundgebungen ferngehalten, indem man ihn am Flughafen länger durchsuchte und er so seine Maschine verpasste, man drehte ihm während wichtiger Vorlesungen den Strom ab. Auch in Deutschland kam es zu einem solchen Vorfall. Per Videoschaltung war Kasparow bei Sabine Christiansen eingeladen, man wollte einen russischen Medien- und Politikkritiker hören. Kurz vor der Show kam es angeblich zu technischen Störungen, Kasparow wurde nicht gezeigt.

Das einzigartige an Kasparow ist, dass er ein Mann von Welt ist. Er ist kein Politiker und auch kein Oligarch. Er ist Schachweltmeister und somit ein angesehener Mann, auch außerhalb von Russland. Kasparow benutzt internationale Medien, um Aufmerksamkeit auf Russlands Regierungsbande zu richten, trifft einflussreiche Menschen und beschäftigt sich mit Politik und Wirtschaft auf internationaler Ebene. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, wortgewandten Satirikern und machthungrigen Politikern, geht es ihm nicht um Polemik und Anerkennung. Er interessiert sich für Forschung und moderne Technologien, analysiert und fördert.

Unter der Oppositionsführung ist eine Autorität. Gari Kasparow hat Ahnung, Intellekt und Verbindungen. Außerdem wissen seine Mitstreiter, dass er keine Konkurrenz für sie darstellen kann. Armenische Juden stehen in Russland nicht hoch im Kurs.

Zum Schluss die einzige liberale Partei und deren Gründer: Jabloko (Apfel) und Grigori Jawlinksy. Ich sage es gleich zu Anfang, Jawlinski ist ein Mustermann von Politiker. Für russische Verhältnisse natürlich, aber dennoch.  1989 ging es für die UdSSR, die eigenen Strukturen zu reformieren und eine moderne(re) Wirtschaft aufzubauen. Jawlinsky erstellte einen Plan zur Liberalisierung der Wirtschaft, welcher jedoch zunächst abgelehnt, dann aber teilweise umgesetzt wurde. Jawlinsky reichte das nicht, da er die Herrschaft der alten SU-Schergen nicht weiter mit ansehen konnte, und trat von seinen Posten zurück.

Er betrieb Wirtschaftsforschung, erarbeitete weitere Liberalisierungskonzepte, scheiterte aber an konservativen, sozialistisch veranlagten Politikern.  1993 gründete Jawlinsky die liberale Jabloko-Partei und erreichte bei den ersten Wahlen knapp siebeneinhalb Prozent. Später scheiterte er zunächst an der 5%-, dann an der 7%-Hürde und flog aus dem Parlament. Ob und wie sein Ergebnis von unserem alten Freund Wowa beeinflusst wurde, steht in den über dem Kreml leuchtenden Sternen.

Eindeutig wurde es erst vor kurzer Zeit, als Jawlinskys 2 Millionen Unterschriften zu 25% für ungültig erklärt wurden. Abgesehen von der wahnwitzigen Anzahl an geforderten Unterschriften (2 Mio. !!!) war klar, dass Jawlinsky nicht erwünscht war. Er wäre nämlich der einzige freie Oppositionär gewesen, neben den braven Systemoppositionellen Ziuganov, Prochorow und Schirinowski. Seine politische Vernunft wurde auch nach den kürzlich stattgefundenen Präsidentschaftswahlen sichtbar. Er forderte die Konzentration des Widerstandes auf politisches Klein-Klein, regionale Wahlkämpfe und programmatische Arbeit.

Wohin geht es also mit der russischen Demokratie? Dies fragen sich die Opposition, die russische Bevölkerung und am allermeisten Wowa. Die einen stellen Privatarmeen auf, die anderen bereiten sich auf unfaire Wahlkämpfe vor und der Rest verfolgt das Theater vor dem Fernseher und besucht Demonstrationen und Kundgebungen.

Zuerst hier erschienen: http://klarelichtung.wordpress.com/2012/04/15/vierter-teil-putins-gegner/

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