Der Green Noise der letzten Zeit interessiert mich nicht. Die Beschäftigung mit den Ideen und Forderungen von „Fridays for Future“, ihrer „Parents“ und „Omas“ misst ihnen, meiner Meinung nach, eine Bedeutung zu, die sie weder haben noch konzeptionell verdienen. Ich kann niemanden ernst nehmen, der die gesellschaftlichen und individuellen Konsequenzen seiner politischen Vorstellungen weder durchdacht zu haben scheint noch klar benennen kann. Das ist alles nur eine große Party. Nervig, aber substanzlos. Doch woher will ich das wissen, wenn ich den Hype doch bis jetzt ignoriert habe? Es können ja nicht alle Klimademonstranten entweder zwölf oder auf der Suche nach ihrer verlorenen Jugend sein. Ich klappe also meinen Laptop auf und begebe mich auf einen Streifzug durch das grüne Netz der Klimaaktivisten. Auf der Suche nach denen, die die Dinge zu Ende denken.
Im Radio kommt ein Beitrag über das Aktionsbündnis „Extinction Rebellion“, das am 7. Oktober in Berlin und weltweit zum „Aufstand gegen das Aussterben“ aufruft. Durch gewaltlosen zivilen Ungehorsam sollen Verkehrsknotenpunkte blockiert werden. Eine Google-Suche verrät mir, dass die Bewegung aus Großbritannien stammt und dort erstmals im Herbst letzten Jahres mit der Besetzung der fünf wichtigsten Brücken über die Themse in London in Erscheinung trat. Nachdem Aktivisten die Londoner Innenstadt im April zwei Wochen lang besetzt hatten, deklarierte das britische Parlament den Klimanotstand. Das ist ihr bisher größter Erfolg.
„XR“, wie sich das Aktionsbündnis abkürzt, hat eine modern designte Website, die über Prinzipien und Werte sowie Forderungen informiert. Eine Forderung ist, „die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken.“ In Worten: bis Zweitausendfünfundzwanzig. Vor diesem Hintergrund hat die Bewegung „die strategische Entscheidung getroffen, keine konkreten Vorschläge zu unterbreiten, wie die Klima- und Umweltkrise zu lösen ist.“ Sehr charmant angesichts einer solchen Ansage und eigentlich ein Grund, das Ganze wieder mal nicht ernst zu nehmen.
Apokalypse und Weltenbrand funktionieren auch heute
Bevor ich aber meinen virtuellen Ausflug in den hippen Klimaaktivismus sofort wieder beende, klicke ich mich noch durch die Imagefilme der Seite, in denen Anhänger zu Wort kommen. Für Jochen, einen Webprogrammierer aus Frankfurt, ist seine Teilnahme an „Extinction Rebellion“ „der Wille zur Wahrheit“, dem vor allem „diese Klimaleugner“ im Wege stünden. In einem weiteren Clip hat die Schauspielerin Pheline Roggan ziemliche Angst und fordert zum sofortigen Handeln auf. Als nächstes stoße ich auf ein Video von einer Klimademo in Leipzig. Demonstranten in roten Büßergewändern führen den Protestzug an, das Filmchen ist mit melancholischer Klaviermusik unterlegt. Unweigerlich muss ich an die Bewegung der Flagellanten denken. Christliche Laien, die zu Zeiten der Pest selbstgeißelnd durch die Straßen zogen. Apokalypse und Weltenbrand funktionieren heute wie damals.
Aber es ist noch etwas anderes, das die Anhänger, die meist mit zitternder Stimme und viel Pathos ihre Position in den vielen kurzen Clips darlegen, antreibt. Die Aktivistin Hannah, Studentin aus Frankfurt, fasst zusammen, dass sie bei „Extinction Rebellion“ endlich das gefunden hätte, wonach sie so lange gesucht habe. Zwar habe sie Angst, gar nicht so sehr um ihr individuelles Schicksal, sondern viel mehr davor, was passiere, wenn „wir das nicht schaffen“, aber die Hoffnung und das Gefühl, gemeinsam mit Anderen für ein Ziel zu kämpfen, mache ihr Mut. Carola Rackete spricht in einem Mitschnitt ihrer Rede auf einer „Fridays for Future“-Demo in Berlin gar von einer Rebellion für die Gemeinschaft. Es scheint attraktiv zu sein, Teil einer Bewegung, Teil des großen Ganzen zu sein. Auf den alttestamentarisch strafenden Gott folgt das Heilsversprechen des Kollektivs. Du bist nichts, die Klimarettung ist alles. Zwar finde ich keine Darlegung der letzten Konsequenz der Forderungen auf der Homepage, aber immerhin eine Erklärung dafür, warum die Anhänger danach auch gar nicht fragen. Mein Ausflug ist doch noch nicht beendet. Ich klicke weiter.
„Klimagerechtigkeit“. Dieses Wort fällt immer wieder. In grünen Lettern steht es überall im Netz. Den Begriff verwenden „Fridays for Future“ regelmäßig. Vielleicht haben sie davon zuvor im Unterricht gehört. Greenpeace Deutschland stellt Unterrichtsmaterial zu diesem Thema zur Verfügung, für Kinder ab der 7. Klasse. Gerechtigkeit, und das macht ja den Charme jeder gefährlichen Idee aus, klingt erstmal einleuchtend und gut. Aber wie will man sie beim Wetter erreichen?
Der Kommunismus ist seine Schmuddelkinder los
Hilfesuchend blicke ich auf mein Bücherregal. Dort stehen Lew Kopelew und Hayek, Alexander Solschenizyn und Popper. Ich habe sie mit dem beruhigenden Gefühl gelesen, dass alles, was sie beschrieben und bekämpften, Geschichte ist. Ich weiß schon, der Mensch ändert sich nicht. Das Kollektiv und das Aufgehen in der Masse ist evolutionsbedingt in uns einfach drin und „Fridays for Future“ oder „XR“ sind nicht die ersten, die das wieder bedienen. Für viele wäre ein humaner allwissender Herrscher, der ihnen richtig und falsch vorgibt, wohl wesentlich angenehmer, als zu Freiheit und Eigenverantwortung verdammt zu sein und der öffentlich-rechtliche Rundfunk schickt sich ja an, diese Nachfrage zu befriedigen.
Dennoch bin ich überrascht, wie sehr sich mein Gefühl beim Lesen in den letzten Jahren geändert hat. Je mehr der links-grüne Zeitgeist und nun auch die Klimabewegung zu sagen haben, je mehr sie durch Medien, Wirtschaft und Politik umworben werden, desto beklemmender wurde es. Das Bild von einer „Fridays for Future“-Demonstration in Erfurt, welches ich auf Greta Thunbergs Facebookseite finde, trägt auch nicht zu meiner Beruhigung bei. „Klimapaket = Scheiße, Grüner Kapitalismus = Scheiße, Alternative? SOZIALISMUS“ ist dort auf einem Plakat der Jusos zu lesen. Das erinnert mich sofort an eine Geschichtsstunde in der Schule, in der wir über den Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Sozialismus diskutierten. Die Debatte endete relativ abrupt. Eine Schülerin meldete sich und sagte mit einer Selbstverständlichkeit: „Der Kommunismus will das Gute und die Nazis waren böse.“ Sie hat das Geschichtsbild, das an deutschen Schulen unterrichtet wird, gut zusammengefasst.
Und so fällt der links-grüne Zeitgeist auf fruchtbaren Boden. Bei der Europawahl machten die unter 45-Jährigen am häufigsten bei Grün ihr Kreuz. Die Baerbocks und Habecks sind das neue, das hippe, das ach so menschliche Antlitz einer alten, totalitären Idee, die ich vermeintlich nur aus Büchern kannte und die mir doch bei jedem Klick auf den grünen Websites entgegenbrüllt. Der Abstieg der SPD und ihrer Schwesternparteien in vielen anderen europäischen Ländern und auch der Stimmenverlust der Linken bei den letzten Landtagswahlen ist kein Untergang des Sozialismus. Es ist nur eine Neujustierung. Die ehemalige Zielgruppe der sozialistisch-kommunistischen Bewegung, das traditionelle Arbeitermilieu, gewerkschaftlich organisiert und stolz, löst sich auf. Wurden 2008 noch 3,4 Millionen der Deutschen dazu gezählt, sind es heute nur noch 2,3 Millionen.
Ebenfalls sehen sich Niedrigqualifizierte und Ungelernte, die durch die ungesteuerte Zuwanderung Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen bekommen, durch SPD und Linke nicht vertreten. An diesem Eindruck wird auch die Respektrente nichts ändern. Die Grünen hingegen brauchen für ihr kommunistisches Manifest keine Arbeiterklasse mehr. An Stelle des internationalen Klassenkampfes ist der internationale Klimakampf unter dem Stichwort „Klimagerechtigkeit“ getreten. Die Arbeiterklasse, die statt der Insignien der Hochschulbildung – wenig Make-up, nachhaltige produzierte weiße Turnschuhe und wiederverwendbare Wasserflaschen für 30 Euro – den tiefergelegten Kleinwagen und die künstlichen Fingernägel trägt, verachten sie ganz offen. Endlich hat sich die geistige Elite des Kommunismus von seinen Schmuddelkindern befreit, die sie gerade noch befreien wollte. Endlich geht es nur noch um Rousseaus edlen Wilden. Der ist wenigstens weit weg, wenn man ihn rettet und kann einen so nicht mit seinem Weltbild belästigen.
Notwendige Überwindung unseres „toxischen Systems“
Zurück zum Bildschirm. Die Bilder der Demos von „Extinction Rebellion“ sehen aus, wie jedes Elektrofestival heute aussieht. Junge Menschen mit bunten Pappschildern und Glitzer – sicherlich biologisch abbaubar – im Gesicht, die eine große Party feiern. Aber es gibt Leute, die bis zum Ende denken. Und auch sie sind Teil der Bewegung. „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant“, zitiert der Spiegel Roger Hallam, den Mitinitiator von „Extinction Rebellion“. Er wäre nicht Teil der ersten Avantgarde, die die jungen Massen für sich einspannt. Aber anders als in den 1970er und 80er Jahren übernimmt die Politik heute, zum Teil aus Machtkalkül, zum Teil aus tiefer Überzeugung, die Forderungen der radikalen Kräfte. Am deutlichsten wird es in der Prägung von Begriffen. „Klimakrise“, „Geflüchtete“, „Rechtspopulismus“ – alle transportieren ein „Narrativ“ und stecken den Korridor des öffentlichen Diskurses immer enger ab. Das Macht- und Meinungsbildungsinstrument öffentlich-rechtlicher Rundfunk wirkt dabei als Brandbeschleuniger.
Zwar benennt „Extinction Rebellion“ keine genauen Maßnahmen, sie verweisen in ihrem „Rebellionskonsens“ allerdings auf eine notwendige Überwindung unseres „toxischen Systems“. Also Systemwandel statt Klimawandel. So fasst es auch die österreichische Bewegung „System Change, not Climate Change!“ zusammen, auf die ich in diesem Zusammenhang stoße. Die Avantgarde lehnt jede Form des „Grünen Kapitalismus“, wie sie es nennen, ab. Ihnen ist bewusst, dass Glasstrohhalme und E-Autos keine Antwort auf ihre apokalyptischen Szenarien sind. Sie fordern eine „radikale Umverteilung von Arbeit, Zeit, Einkommen und Vermögen“. „Technologischer Wunderglaube“ oder Emissionshandel sind für sie nur „Scheinlösungen“. Sie wollen den „Übergang zu einer sozial-ökologischen Gesellschaft“ mit „einer Wirtschaft, die nicht auf Profit und grenzenlosem Wachstum basiert,“ und „ein ‚Gutes Leben‘ für alle ermöglicht.“ Die Grünen in Österreich sind gerade wieder in den Nationalrat zurückgekehrt. Meine Gesichtsfarbe wechselt auch langsam ins Grünliche.
Auf climatejusticenow.earth lerne ich, dass der Begriff Klimagerechtigkeit auf einer Demonstration das erste Mal 2009 anlässlich der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen verwendet wurde. Jill MacIntyre Witt, die die Seite betreibt, auf der sie ihr Klimagerechtigkeitshandbuch kostenlos zur Verfügung stellt, ist eine Totalitäre, wie sie im Buche von Karl Popper steht: Sie kann “richtig von falsch” unterscheiden, und sie kennt den Lauf der Geschichte. Sie prangert an, dass durch die US-‘Fairness Doctrine’ amerikanische Medien beide Seiten der Klimadiskussion beleuchten müssten. Das Zu-Wort-Kommen der Skeptiker nütze ihrer Sache jedoch nicht und sei somit schädlich. Sie schreibt lange Texte, in jenem akademischen Stil, den man in der normativen Sozialwissenschaft pflegt. Ihren „Ted Talk“ bestreitet sie mit teilweise zitternder Stimme. Und auch sie verehrt den edlen Wilden. Viele Fotos auf der Homepage zeigen Bilder indigener Volksgruppen, die – am besten in traditioneller Kleidung – gegen den Klimawandel demonstrieren.
Den Systemwechsel fordert sie natürlich auch. Besonders deutlich macht sie den globalen Anspruch – inhaltlich und geografisch – des Kampfbegriffs der Klimagerechtigkeit. Die Fragen des Klimawandels werden nicht auf umwelttechnische Emissionsziele beschränkt, sondern mit „Economic, Social & Racial Justice“ verknüpft. Sie bedauert, dass vielen Leuten noch nicht bewusst sei, wie radikal sie ihr Leben ändern müssten, um die „Klimakrise“ abzuwenden und „Klimagerechtigkeit“ herzustellen. Es reiche nicht, die CO2-Emissionen stark zu reduzieren. Die dann noch verfügbaren Emissionskontingente müssten auch weltweit „gerecht“ aufgeteilt werden. Die Kosten habe „der globale Norden“ zu tragen. Dies den Menschen der westlichen Welt zu vermitteln, ohne, dass sie aussteigen, wenn es zu radikal wird, stellt hohe Ansprüche an das richtige „framing“ – auch hierzu gibt sie Tipps in ihrem Handbuch. Allerdings verweist sie auch ausdrücklich darauf, dass „strengere Gesetze, Strafen und Zwangsmaßnahmen“ hier hilfreich sein werden. Zwischen den geschichtsvergessenen Kindern in Erfurt und der totalitären Ideologin aus Bellingham, Washington liegen nur ein paar Klicks. Dieselben Begriffe verwenden sie ohnehin.
Klimaaktivismus ist immer totalitär
Die Avantgarde, die zu Ende denkt und deren Ausprägung auf den Straßen in Form von Kindern, Jugendlichen und denen, die es gerne wieder wären, hedonistisch-harmlos daherkommt, zieht – ceteris paribus – die richtigen Schlüsse. Sie sind radikal, sie müssen radikal sein, da sie die Wahrheit kennen. Wer die Wahrheit kennt und die Geschicke der Welt nicht zum Besseren wendet, macht sich schuldig. Ihre totalitäre Weltsicht, die die Werte der Aufklärung negiert und uns zu apokalyptischen Phantasien der Selbstgeißler des Mittelalters zurückführt, ist in sich schlüssig. Dabei zeigt sie vor allem eins: Ein bisschen Klimaaktivismus gibt es nicht, er ist immer totalitär. Wer nicht mit uns hüpft, ist gegen uns. Vom ewigen Juden zum ewigen SUV-Fahrer.
Ich bin mir nicht sicher, ob das die 20 bis 30 Prozent Grün-Wähler in Deutschland begriffen haben. Die Aktivisten von „Extinction Rebellion“ in Hamburg zumindest nicht. Sie hatten sich am 20. September an einer Sitzblockade des Bündnis „Sitzenbleiben“ beteiligt, standen aber schnell wieder auf, wie sie auf Twitter vermeldeten, als die Stimmung kippte und aggressive Sprechchöre angestimmt wurden. Diese hätten gegen ihr Prinzip der Gewaltfreiheit verstoßen. Schnell sah sich „XR“ Hamburg Vorwürfen und massiver Kritik aus der linken Szene ausgesetzt und fühlte sich gezwungen, in einem weiteren Tweet klarzustellen: „Wir sind keine linke Bewegung, wir sind eine Klimabewegung.“ Die taz-Redakteurin Katharina Schipkowski rechnet entsprechend mit den Konterrevolutionären ab: „Wer eher mit der Polizei solidarisch ist als mit den Mitstreiter*innen in der Sitzblockade, sollte sich dann aber auch nicht an linken Aktionen beteiligen und andere gefährden. Nur: Was bleibt dann von der Rebellion?“ Ein bisschen Hüpfen geht nicht. Man landet stets mit beiden Beinen in einer totalitären Ideologie. Ich klappe den Laptop zu.
Machtpolitiker umwerben die „Fridays-for-Future“-Bewegung, weil es gerade opportun ist. Helmut Schmidt ließ sich von den 300.000 Demonstranten im Bonner Hofgarten nicht vom NATO-Doppelbeschluss abbringen. Im Mittelalter verschwanden die Flagellanten, weil Papst Clemens der VI. die Selbstgeißelung verbot. Ein solches institutionelles Korrektiv, mit Prinzipien jenseits des Machterhalts, fehlt heute. Im Gegenteil. Schmetterte Schmidt den Demonstranten noch ein „infantil“ entgegen, antwortet Merkel heute: „Wir haben verstanden.“ Das Wahrheitsmedium öffentlich-rechtlicher Rundfunk, welches ein ureigenes Interesse an einem starken Staat hat, schreibt die Bewegung hoch.
Nur 30 Jahre nach dem Fall der Mauer hat die Deutungshoheit wieder eine Ideologie, die seit 1848 ihre Verachtung des Menschen unter Beweis stellt. Die begeisterungsfähigen Kinder haben das trojanische Pferd des konzeptlos-infantilen Klimaschutzes hinter die Befestigungsanlagen gezogen. Langsam öffnet sich nun die versteckte Tür des Holztieres und die Feinde der Freiheit, die die Dinge zu Ende denken, übernehmen die Stadt.