22 Kilogramm auf 500.000 Kilometer

Vor 60 Jahren lief in Deutschland ein sensationelles, tadellos funktionierendes, abgasfreies Vehikel vom Stapel: Der Atomfrachter „Otto Hahn“. Sein Antrieb nahm den „Small Modular Reactor (SMR)“ vorweg und zeigt, wozu dieses Land technisch einmal fähig war.

Bevor 2024 zu Ende geht, sollten wir des 60-jährigen Jubiläums eines erstaunlichen Stapellaufs gedenken. Das Schiff war 172 Meter lang, 23 Meter breit und 26.000 Tonnen schwer. Es hatte Raum für 100 Passagiere samt Besatzung und konnte nebenher viele Tonnen Fracht transportieren. Damals, 1964, war der Luftverkehr noch wenig entwickelt, sodass Passagiere oft den Seeweg nahmen, meist auf gleichem Kiel wie Getreide oder Erz. Was ist also bemerkenswert daran, wenn wieder einmal solch ein Vehikel damals zu Wasser gelassen wurde?

Der Antrieb handelsüblicher Schiffe kommt von Maschinen, die Kohle oder Öl verbrennen und dabei CO2 ausstoßen, das erwähnte Modell aber verbrannte Uran. In einem Druckkessel von 3,5 Metern Durchmesser und 4 Meter Höhe arbeitete ein Kernreaktor, der eine Turbine mit Dampf versorgte, die dann 50.000 PS (rund 35 MW) auf die Welle brachte. Der Treibstoff bestand aus rund zwei Tonnen Uran, auf 3,5 bis 6,6 Prozent angereichert.

Bei seinem Launch 1964 wurde das Schiff nach dem Entdecker der Kernspaltung benannt: Otto Hahn. 1968, vier Jahre nach Stapellauf, nahm sie ihren Dienst auf und befuhr die Weltmeere. Nach vier Jahren hatte sie knapp eine halbe Million Kilometer hinter sich und musste an die Box, um den verbrauchten Treibstoff gegen neuen zu wechseln. „Verbraucht“ war eigentlich nur das auf ein paar Prozent angereicherte U235, und davon gerade mal 22 kg! Die haben sich allerdings nicht in Luft aufgelöst, sondern wurden in leichtere Kerne gespalten, die extrem radioaktiv sind. Das U238, welches mehr als 90 Prozent des Gewichts der Brennstäbe ausmacht, hat nichts geleistet, es war nur mit von der Partie. Allerdings hat es im Reaktor Neutronen eingefangen und sich dabei in teils sehr langlebige radioaktive Substanzen verwandelt.

Die Entsorgung dieser gefährlichen Stoffe war damals kein Problem: darum kümmerte sich die Wiederaufbereitungsanlage im englischen Sellafield.

Ein Eisberg aus Borniertheit

1979 aber lief die „Otto Hahn“ auf einen Eisberg – nicht aus gefrorenem Wasser, sondern aus grüner Borniertheit. Damals war „Anti-Atom“ schon in vollem Gange, und so ein tadellos funktionierendes, abgasfreies Vehikel mit Atomantrieb, das ging jetzt gar nicht. Der Reaktor wurde aus dem Schiff entfernt und gegen einen Diesel ausgetauscht. Auch der Name wurde geändert und die Otto Hahn war jetzt nuklear bereinigt.

Der beschriebene Kernreaktor leistete im Gegensatz zu seinen großen Brüdern, die um die 1.500 MW liefern, nur 35 MW. Und er bestand aus Modulen, die im Werk gefertigt und zusammengesetzt wurden. Er war also genau das, was heute unter dem Label Small Modular Reactor (SMR) läuft und dem man weltweit eine wichtige Rolle bei der zukünftigen Stromversorgung prophezeit.

Konnten die das vor 60 Jahren schon? Durften die das? Wer hatte dieses Wunderwerk gebaut? Es waren die Deutsche Babcock & Wilcox Dampfkessel Werke, ansässig in Oberhausen im Ruhrgebiet und Interatom aus Bensberg. Leitung hatte ein gewisser Erich Bagge. Der hatte seinerzeit bei Otto Hahn in Kernphysik promoviert und wurde nach dem Krieg Professor an der Universität Kiel, wo ich als Student die Ehre hatte, ihn kennenzulernen.

Es ist doch ganz erstaunlich, was geleistet werden kann, wenn man hochkarätigen Professionals freie Hand gibt. Heute, 60 Jahre später, werden Wirtschaft und Wissenschaft von Küchenhilfen und Studienabbrechern gegängelt – und man braucht zur Reparatur einer vernachlässigten Brücke länger als zum Bau eines technischen Wunderwerks.

 

Hans Hofmann-Reinecke studierte Physik in München und arbeitete danach 15 Jahre in kernphysikalischer Forschung. In den 1980er Jahren war er für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien als Safeguards Inspektor tätig und überprüfte die Einhaltung von Abkommen, welche die Betreiber nuklearer Anlagen mit der IAEA geschlossen hatten und welche der Nicht-weiterverbreitung von Atomwaffen dienten. Später war er als freier Berater für das Management industrieller technisch-wissenschaftlicher Projekte tätig, darunter auch bei Unternehmen aus der Nuklearbranche. Er lebt heute in Kapstadt. Dieser Artikel erscheint auch im Blog des Autors Think-Again. Der Bestseller Grün und Dumm, und andere seiner Bücher, sind bei Amazon erhältlich.

Foto: Friedrich Magnussen/Stadtarchiv Kiel CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Roland Hübner / 17.12.2024

@ Herrn Malinski: “Ein Physiker (hoffentlich mit Abschluss) sollte keine falsche Formulierung verwenden, wenn es um physikalische Vorgänge geht…” Das umgangssprachliche Wort “Verbrennen” beschreibt, vereinfacht, alle Vorgänge, in den Energie freigesetzt wird, durch eine erfolgte Verbindung 2er oder mehrerer verschiedener Atome, welche dann, die ihnen innewohnende Energie freigeben.  Ein, wie auch immer vorgebildeter Autor, darf um einen Sachverhalt zu erklären, meiner Meinung nach, auch einen umgangssprachlichen Begriff (Verbrennung) für Oxydation oder Kernspaltung verwenden, ohne seiner wissenschaftlichen Kompetenz zu schaden.  Der Hinweis “hoffentlich mit Abschluss) suggeriert, dass der “Abschluss” für Sie wichtiger ist, als das tatsächliche Wissen des Autors. Aber nichts für Ungut!

S.Berger / 17.12.2024

Bunt, offen und tolerant besiegelt halt den Untergang jeder Nation. Von Energiewende ganz zu schweigen.

Gerd Maar / 17.12.2024

Ich war noch auf einer nach Otto Hahn benannten Schule. Heute unvorstellbar.

Joerg Machan / 17.12.2024

Danke an die Kommentatoren Freiling und Dörre. Bitte unbedingt Wikipedia zum Stichwort Otto Hahn Schiff lesen. Als Atomschiff durfte es unzählige Häfen nicht anlaufen, oder nur mit einer einmaligen Sondergenehmigung. Panama- und Suezkanal waren völlig tabu. So etwas nennt man dann wohl ein Auslaufmodell. Das weltweit die Grünen da ihre Hände mit im Spiel hatten scheint doch sehr unwahrscheinlich.

Else Schrammen / 17.12.2024

Ganz Gallien? Nein, ein kleines gallisches Dorf ...! Ein SMR soll weltweit eine Rolle spielen? Weltweit? Nein, ein kleines, von grüner Ideologie getriebenes Land mitten in Europa leistet erbitterten Widerstand! So wie Caesar das kleine gallische Dorf trotz aller Bemühungen nicht besiegen konnte, so wird weltweite Vernunft und Offenheit gegenüber technischen Errungenschaften niemals das kleine, von grüner Ideologie getriebene Land mitten in Europa besiegen.

Günter H. Probst / 17.12.2024

In den amerikanischen Unterseebooten, die die Rußlanduntergangsraketen im Ozean verstecken, laufen doch schon lange kleine Kernspaltungsreaktoren und werden wohl ständig weiterentwickelt. Die USA haben aber keine Frachtschiffe mit solchen Reaktoren. Bei den Russen gibt es Eisbrecher mit solchen Reaktoren, aber ihr Schwarzöl transportieren sie auf dieselgetriebenen Schrottschiffen. Mittlerweile weiß jeder, daß die GRÜNEN mit dem Schüren der Angst vor dem Strahlungstod die Erforschung, Anwendung und Entwicklung der Kernkraft in D zum Erliegen gebracht haben. Statt dessen ist D führend in der Genderforschung der deutschen Sprache, ein echter Export-Hit. Die Otto Hahn wurde aber wohl aus betriebswirtschaftlichen Gründen umgerüstet.

Knapp, Heinerich / 17.12.2024

“Der Antrieb handelsüblicher Schiffe kommt von Maschinen, die Kohle oder Öl verbrennen und dabei CO2 ausstoßen, das erwähnte Modell aber verbrannte Uran.” Ernsthaft ? Uran verbrennen ?  CO2…natürlich ! WAS ist denn so schlimm daran, das es immer wieder erwähnt werden muss ?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 22.05.2025 / 12:00 / 21

Wer rettet die Magnetosphäre?

Wird die Rettung der Magnetosphäre zum nächsten grünen Geschäftsmodell? Im Alltag beobachten wir, wenn auch unbewusst, drei Kräfte: Gravitation, Magnetismus und elektrostatische Kräfte. Gravitation erzeugt…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 04.12.2024 / 12:00 / 32

Söders Visionen: Und ewig grüßt die Kernfusion

Der Traum von der Kernfusion sei in greifbarer Nähe, behauptet die bayerische Regierung. Und man hat schon einen Standort für das künftige Fusionskraftwerk ausgemacht: da…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 24.09.2024 / 06:15 / 27

Three Mile Island soll wieder ans Netz – für Microsoft!

Ein abgeschalteter Block des Kernkraftwerks von Three Mile Island, in dem es 1979 zur nuklearen Kernschmelze kam, soll wieder in Betrieb genommen werden. Das ist…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 14.09.2024 / 12:00 / 24

Das Debakel von Dresden und das Wunder am Sambesi

Der Kollaps der Brücke in Dresden ist ein weiteres Fanal dafür, dass Führungskompetenz und technologischer Professionalismus aus Deutschland verschwinden. Vor 120 Jahren wurde in der…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 03.09.2024 / 14:00 / 18

Späterer Rückflug der Starliner-Astronauten

Am 6. Juni dieses Jahres waren Butch Wilmore und Suni Williams (siehe Foto oben) an Bord des Boeing Starliners zur ISS geflogen, um eine Woche…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 31.05.2024 / 16:00 / 10

Streusalz gegen Schwarmintelligenz

„Schwarmintelligenz“ geht verloren, sobald von außen organisierend eingegriffen wird. Wie steht es darum in Deutschland? Eine Gemeinschaft vieler anonymer Individuen kann sich spontan derart organisieren,…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 09.03.2024 / 12:00 / 21

Tschernobyls Wölfe: Krebsresistenter dank Strahlung?

Im Sperrgebiet um den Reaktor von Tschernobyl entwickelte sich eine Wolfspopulation mit erhöhter Resistenz gegen die Auswirkungen von Krebs. Im Sperrgebiet um den Reaktor von…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 03.01.2024 / 16:33 / 13

Das Desaster von Tokio und das Wunder

Je seltener Desaster werden, desto mehr Aufsehen erregen sie. Die Luftfahrt ist mit täglich 100.000 unfallfreien Flugbewegungen extrem sicher geworden, und so ist die Kollision…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com