Verschwörungen zum praktischen Tyrannenmord wie der 20. Juli 1944 – also vor genau 80 Jahren – sind selten. Ein Merkmal heutiger Verschwörungen ist die mediale Ausgestaltung des Verbrechens. Von der Verschwörung zum Bündnis, vom Tyrannenmord zur Bundesrepublik.
Mit Verschwörung wird die Komplizenschaft in einem geplanten Verbrechen bezeichnet. Es kann mit einem geheimen Treffen beginnen. Je größer das Verbrechen, desto weniger ist der Ausschluss der Öffentlichkeit realisierbar. Daher sind heutige Verschwörungen zumindest teilweise öffentlich.
Verschwörungen zum praktischen Tyrannenmord wie der 20. Juli 1944 sind selten. Ein Merkmal heutiger Verschwörungen ist die mediale Ausgestaltung des Verbrechens. In den letzten Wochen wurde deutlich, dass die Medien kein Problem damit haben, gleichzeitig beide US-Präsidentschaftskandidaten als unwählbar (not fit for office) darzustellen. Da sie lieber als Königsmacher denn als Königsmörder agieren, wird dem symbolischen Königsmord bald eine Krönung folgen müssen.
Viele Verschwörungen des letzten Jahrhunderts wurden öffentlich angekündigt und durchgeführt. Geheimhaltung bedingt kleine Gruppen. Große Verbrechen wie Vertreibung und Massenmord brauchen die Beteiligung vieler und werden auch in aller Öffentlichkeit geplant und durchgeführt. Das Verhältnis von verschwörerischer Geheimhaltung und Öffentlichkeit hat sich gedreht. Die öffentliche Darstellung in den Medien ist ein kreativer und konstruktiver Aspekt der Verschwörung. Deshalb ist diesen Verschwörungen nicht – wie den bisherigen – mit Aufklärung beizukommen. Das Bedürfnis nach Aufklärung steht selbst in Verruf, verschwörerisch zu sein. Dieser Verwirrung kann nur noch mit Humor sinnvoll begegnet werden: Sagt die Sau zur anderen: „Die geben uns nur so gutes Futter, weil sie uns am Ende schlachten wollen“. Antwortet die angesprochene Sau: „Du immer mit deinen Verschwörungstheorien“.
Komplizen werden Bundesgenossen?
Das Attentat am 20. Juli 1944 war das Ergebnis einer klassischen Verschwörung. Aufgrund des inneren Terrors und dem Bandencharakter des nationalsozialistischen Staates hatte Widerstand fast nur noch als geheime Verschwörung eine Chance auf Erfolg. Das Attentat vom 20. Juli war eine kleine Verschwörung zur Beendigung der großen Verschwörung der Vernichtungsfeldzüge. Es folgte einem bekannten Muster, das wir vom Schweizer Vorbild kennen. Aus der geheimen Verschwörung zum Mord wurde ein öffentlicher Bundesschluss und am Ende eine Genossenschaft des geschworenen Eides (Eidgenossenschaft). Der geheime Schwur der Verschwörer kann also auch zum öffentlichen Schwur im Bund und zum Bündnis führen.
Es kann aber auch ganz anders kommen, wenn der Komplizenschaft in der gemeinsam begangenen, verbrecherischen Tat die Komplizenschaft des gemeinsamen Verschweigens der Tat folgt. Dann dreht sich das Problem der Öffentlichkeit und der Gruppengröße in der Verschwörung um: Je mehr von dem Verbrechen wissen und öffentlich darüber schweigen, desto stabiler ist der Zusammenhalt der Komplizenschaft. Das Hauptmerkmal dieser zweiten Phase der Verschwörung zeigt sich im Schweigen.
Der deutsche Nationalcharakter und die deutsche Sprache kennt die aktive Verbform: Ich schweige oder verschweige etwas. Beides sind aktive Handlungen von kompetenten Akteuren. Jeder religiöse Mensch wird darauf bestehen, dass Stille und Schweigen nicht das Gleiche sind. Im Englischen ist Stille und Schweigen fast identisch (silence) und es gibt keine aktive Verbform das eigene Tun zu beschreiben – to silence heißt: Jemand zum Schweigen bringen und ist so mafiös wie es klingt. Schweigen wird zu still sein (be silent) oder umgangsprachlich zum stillen Wort (mum’s my word).
Sounds of silence
Schweigen über die eigene Beteiligung an einem Verbrechen ist die zweite Phase der Verschwörung. Zwar stellt die Veröffentlichung der RKI-files Öffentlichkeit her, indem es bisher Geheimgehaltenes zum Sprechen bringt. Die Aufklärung des absichtlich Verschwiegenen der Jahre 2020 bis 2023 wird aber vom aktiven Schweigen der Medien und Politik verhindert. Das Schweigen zieht sich wie ein Nebel-Schleier der Interesselosigkeit und Apathie durch alle Schichten und politischen Strömungen. Das erinnert an die Zeit von 1945 bis 1960.
Eine Ahnung von der gruseligen Kraft des Schweigens gibt der Song „sound of silence“ von Simon and Garfunkel. Das Lied wurde für jene geschrieben, die nicht mehr intellektuell und emotional kommunizieren können und die nicht mehr berührbar sind: „People talking without speaking. People hearing without listening. ….. No one dared disturb the sound of silence”.
Die Komplizenschaft des Schweigens schützt die Komplizenschaft der Täter. Die Halbwertszeit einer solchen öffentlichen Verschwörung liegt bei 5 bis15 Jahre nach der Beendigung des Verbrechens. Letzteres ist aber der wunde Punkt, denn zumindest in der medialen Öffentlichkeit und Politik wurde das Verbrechen noch nicht beendet. Rufe nach einer völligen Offenlegung aller Dokumente und Kommunikation sowie einer öffentlichen Nachbearbeitung stehen immer noch unter dem Verdacht der „Verschwörungstheorie“. Der Vorwurf und das Wort selbst zeigen, wie sehr es um Deutungsmacht und sprachpolizeiliche Maßnahmen geht.
Wortneuschöpfung
Wer käme besser für die Aufgabe, Wortschöpfungen und Realität in Reibung zu bringen, in Frage als die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“? Noch im November 2023 hat sie zu einer Veranstaltung über „Verschwörungstheorie – und wie sie sprachlich glaubhaft gemacht werden“ eingeladen. Das klingt zwar wie ein handwerklicher Workshop für sogennannte Verschwörungstheoretiker“, war es aber nicht. Schon in der Einladung wird der Labor-Ursprung des SarsCov2 als eine Verschwörungstheorie bezeichnet. Das ist an inhaltlicher Unkenntnis und Desinteresse an der Frage, wie Wortschöpfung und Realität zusammenkommen können, kaum zu überbieten. „Verschwörungstheorie“ ist ein Unwort und hätte diesen Titel 2020 erhalten sollen. Es ist eine Wortschöpfung, die zwei wichtige Realitäten zu einem Schimpfwort verbindet:
1. Verschwörungen sind historische Ereignisse; kaum eine Staats- und Religionsgründung kam ohne eine aus. Die Wortschöpfung „Verschwörungstheorie“ ist eine Verharmlosung der Tatsache, dass wichtige historische Ereignisse durch Verschwörungen möglich wurden. Der 20. Juli 1944 ist Beispiel genug.
2. Theorie-Bildung ist ein wichtiger Schritt in einer wissenschaftlichen Untersuchung und Auseinandersetzung. Insbesondere die Theorie der Komplizenschaft in den permanenten Bandenbildungen des Nationalsozialismus ist eine der wichtigsten Instrumente, um zu verstehen wie das Undenkbare möglich wurde, ganze Volksgruppen in ein Verbrechen einzubinden.
Eine kleine, selbsternannte und eingeschworene Gruppe
Wir brauchen eine Theorie der Verschwörung und keine Beschimpfung von „Verschwörungstheorien“. Was die deutschen Sprachpolizisten bewegt hat, als sie anstelle von „Verschwörungstheorie“ die Wortschöpfung „Corona-Diktatur“ zum Unwort des Jahres 2020 erkoren haben, mögen sie selbst ergründen. Wie viel „Diktatur“ (Willkür) in den „Corona“-Maßnahmen steckte, hatte das Unwort-Gremium weder interessiert noch war es in der Lage, dies zu belegen oder zu falsifizieren.
Falsifizieren ist wörtlich genommen „für falsch erklären“ und drückt die formelle Minimalanforderung aus, dass eine wissenschaftliche Theorie überprüfbar sein muss, indem sie sich auch als falsch erweisen kann. Dem Unwort-Gremium lag aber eine inhaltliche Widerlegung der „Corona-Diktatur“ fern. Eine Weile war die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung dafür zuständig Unwörter auszuloben.
Das Gremium, das heute über Unwörter entscheidet, ist eine kleine, selbsternannte und eingeschworene Gruppe aus fünf Personen mit loser Verbindung zur Akademie. Ob aus einem eingeschworenen Gremium eine verschworene Bande wird, hängt daran, ob sie eine kriminelle Absicht verfolgt oder aktiv Verbrechen verschweigt. Angesichst der erdrückenden Beweise wäre eine öffentliche Entschuldigung der Akademie für Sprache und Dichtung und des Gremiums dringend nötig. Das selbsternannte Unwort-Gremium steht heute im Verdacht, bewusst sprachpolizeiliche Übergriffe begangen zu haben.
Aktives Schweigen
Obschon in 2020/21 der Zugang zu einer realistischen Einschätzung der Pandemie-Politik erschwert wurde, war schon damals die Verbindung von „Theorie“ und „Verschwörung“ in einer Beschimpfung offensichtlich von Missachtung geprägt. Es gibt also Grund zur Annahme, dass die Entscheidung „Corona-Diktatur“ und nicht „Verschwörungstheorie“ zum Unwort zu küren, einem absichtlichen Verschweigen gleichkommt. Auch in 2020 wurden die Verschwörer und Attentäter des 20. Juli offiziell geehrt.
Die gleichzeitige Beschimpfung von Menschen, denen die Überprüfung (Falsifizierung) ihrer Wahrnehmung (Willkür) verweigert wurde, war schon 2020 ein deutlicher Widerspruch. Wenn dann noch „Theorie“ als Schimpfwort verwendet wird, fühlt sich das für wissenschaftlich gesonnene Menschen, wie ein Tritt in die Magengrube an. Wie viel Willkür und Diktatur, wie viele nicht-falsifizierbare Theorien die Corona-Politik und die tatsächlichen Absprachen in den Krisenstäben enthielten, kann heute ohne Probleme überprüft werden.
Die RKI-files sowie die veröffentlichten Emails und anlaufenden Gerichtsverfahren in den USA geben ausreichend Gelegenheit. Heute stehen die Kritiker der Wortschöpfung „Corona-Diktatur“ als „Verschwörungstheoretiker“ da. Diese Wendung ist durchaus typisch in der Geschichte der Verschwörungen. Plötzlich kippt der Bezugsrahmen ins Gegenteil und es trifft ein was im Satz des Göppingers für alle Zeiten festgehalten ist: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“.
Überraschte Mitmacher und Mitläufer
Wer diese Wendung verpasst, eröffnet das nächste Kapitel der Theorie der Verschwörung: Warum glauben so viele Mitläufer, dass es kein „Danach“ gibt? Den verschworenen Mitläufer und aktiven Verschweiger trifft es dann unverhofft, wenn er oder sie nicht mehr Ankläger ist, sondern auf der Anklagebank sitzt. Selbst der Prototyp des Mitmachers – Eichmann – konnte sich nicht vorstellen, dass der Zauber ein Ende haben kann und er plötzlich in Jerusalem vor Gericht steht.
Diese Unfähigkeit, die Endlichkeit der eigenen Lügengebäude überhaupt mitzudenken, hat die Prozessbeobachterin Hannah Arendt beschäftig. Hier landen wir bei einem menschlich besonders schmerzlichen Punkt der Theorie der Verschwörung: Gibt es ein Recht auf Gehorsam und auch ein Recht auf Widerstand in der Verschwörung? Corona-Mitmacher und Corona-Widerständler haben sich bisher kaum angenähert.
Es gibt kein gemeinsames Interesse der Aufarbeitung – noch nicht. Vielleicht wäre eine genauere Auseinandersetzung mit den Verschwörern des 20. Julis hilfreich, um zu erkennen, dass Mitmacher und Widerständler zuweilen zusammenarbeiten können; gar müssen, um weitere Verheerungen zu verhindern. Die meisten Verschwörer verband eine Geschichte des Mitmachens und des Widerstands.
Widerstand ohne Verschwörung?
Hannah Arendt hat sich in dieser schmerzlichen und persönlichen Angelegenheit klar positioniert. Sie sprach der bürgerlichen Mitte, der natürlichen Repräsentantin eines Bündnisses gegen Komplizenschaft und Bandenbildung, das „Recht auf Gehorsam“ ab. Parallel hat das Grundgesetz das Recht auf Widerstand, gegen den Versuch die Verfassungsordnung zu zerstören, bestätigt. Eine Pflicht zum Widerstand gibt es aber nicht. Wir dürfen Menschen nicht zum Widerstand und Heldentum verpflichten.
In Gang gekommene Terror- und Vernichtungskriege sind aber nicht ohne Widerstand, Heldentum und Verschwörung zu beenden. Das ist unangenehm und wird daher gerne vergessen. Die offizielle Version der Verschwörung vom 20. Juli spricht gerne über „Widerstand“. Widerstand ohne Verschwörung ist ein geschicktes sprachpolitisches Manöver. Die Ziele der Verschwörer sind manchen nicht gerade opportun und werden kaum benannt. Ein Schalk, wer hier Absicht unterstellt. Wie klingt es in den Ohren der Majestäten des Maßnahmen-Staats und den Verfechtern des Ausnahmezustands, wenn Verschwörer eine Regierungserklärung (Aus: Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): „Spiegelbild einer Verschwörung“, Bd. 1, Stuttgart 1984, S. 147-156.) abgeben und von der „Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“ sprechen?
Wie reagieren die Verantwortlichen eines – in Ausmaß und Langzeitwirkung noch unbegreiflichen – Verbrechens auf folgende Anleitung zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen: „Verlangt die nationale Würde von uns zur Zeit den Verzicht auf bittere Anklage, so werden wir doch dafür sorgen, daß auch hier die Verantwortlichen, soweit es Deutsche sind, zur Rechenschaft gezogen werden. So notwendig dies ist, wichtiger ist, daß wir dem Frieden zustreben.“ Soll das etwa heißen: Wer keine Aufarbeitung will, hat allen Grund den inneren und äußeren Frieden zu verhindern? „Du immer mit deinen Verschwörungstheorien!“.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei hannah-arendt.de.
Peter Levin hat im Paul-Tillich-Haus am Religionswissenschaftlichen Institut der FU Berlin studiert. Er lehrt und forscht in der ganzheitlichen Medizin und lebt mit seiner Familie in Hamburg.