Air Tuerkis / 20.07.2020 / 06:10 / Foto: achgut.com / 139 / Seite ausdrucken

20. Juli 1944 – was denkt ein 18-Jähriger darüber?

Am 20. Juli 1944, um 12:42, detoniert 1kg Sprengstoff in der Wolfsschanze, der Raum wird verwüstet, der massive Tisch kracht zusammen, im Fußboden wird ein Loch aufgerissen, von gut einem halben Meter im Durchmesser. Von 24 Menschen in diesem Raum, heute vor 76 Jahren, sterben vier, und neun werden schwer verletzt. Adolf Hitler ist nicht darunter. Das ist die Tragik. 

Zwar explodieren in jenen Tagen viele Bomben in Europa, doch diese wird Geschichte schreiben. Es lässt sich viel darüber streiten, warum sie gelegt wurde, wer welche guten oder sehr guten Gründe hatte, Hitler töten zu wollen. Aber, dass sie gelegt wurde, das ist die Hauptsache. 

Der militärische Widerstand plante bereits mehrer Attentate, doch sie blieben erfolglos. Stauffenberg musste das Attentat selbst ins Auge fassen und in die Hand nehmen – als einäugiger Einhändiger, weil es keinen anderen gab. Der Plan, so waghalsig, ausgerechnet Joseph Goebbels wird etwas Wahres dazu sagen: „Der Stauffenberg, allerdings, das war ein Kerl! Um den ist es beinahe schade. Welche Kaltblütigkeit, welche Intelligenz, welch eiserner Wille! Unbegreiflich, daß er sich mit dieser Garde von Trotteln umgab."

Im Bendlerblock in Berlin wartet man derweil auf das Stichwort Walküre – der Plan, nach dem die Führer von NSDAP, SS, SD und Gestapo ausgeschaltet und ihr Apparat entmachtet werden soll. Ein Staatsstreich, der den NS-Machtapparat zerschlagen soll, ohne Verdacht zu erwecken, einen Staatsstreich zu betreiben. Für das Attentat sollte „eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer“ verantwortlich gemacht werden, der Putsch will sich als Manöver zum Erhalt der nationalen Ordnung verstanden wissen. Doch es geht um das Ende des Nationalsozialismus, das Ende des Krieges in Europa. „Wer mir von Frieden ohne Sieg spricht, der verliert den Kopf“, sagt Hitler – diese Männer werden ihren Kopf in der Tat dafür verlieren. Denn um 13:00 Uhr erfolgt nicht die Nachricht Walküre, stattdessen heißt es: „Es ist etwas Furchtbares passiert, der Führer lebt“. 

„Sie haben mich ja alle im Stich gelassen“

Es verstreicht Zeit, wertvolle Zeit. Lebt Hitler, lebt er nicht? Der Einsatz ist hoch; sie wissen um ihr Schicksal, sollte Hitler leben, der Putsch scheitern und sie selbst an ihm beteiligt gewesen sein. Erst als Stauffenberg gegen 16:30 Uhr in Berlin eintrifft, kommt das Unternehmen ins Rollen – weil er beteuert, Hitler sei tot, er habe es gesehen. Doch die verlorene Zeit wird nicht wieder einzuholen sein. Zumindest Stauffenberg muss ahnen, dass seine Überlebenschancen gegen null tendieren – der Putsch soll trotzdem weiterlaufen, getreu dem legendären Ausspruch des Mitverschwörer Henning von Tresckow, der bereits Tage vor dem Attentat resignierte:

„Das Attentat muß erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ 

Was hätten unsere heutigen Politiker getan? Vielleicht beim Ermächtigungsgesetz mit Enthaltung stimmen? Verweigerung des Hitler-Grußes bei seiner Frau? In der pseudo-antifaschistischen DDR werden die Attentäter als „reaktionäre Agenten des US-Imperialismus“ verschmäht, weit sind auch wir davon heute nicht mehr entfernt. 

Entgegen der sich immer klarer abzeichnenden bitteren Realität kämpft Stauffenberg umso entschlossener. Doch er, der Mutigste, auf den alles gebaut ist, der als Stabsoffizier erst Hitler persönlich töten und anschließend im 500 Kilometer entfernten Berlin den Staatsstreich anleiten soll – er kann es nicht mehr abwenden. Gegen Mitternacht ist er am Ende, Hitler hat sich per Rundfunk ans Volk gewendet, der Bendler-Block ist umstellt -– „Sie haben mich ja alle im Stich gelassen“ muss er konstatieren.

Eine halbe Stunde später ist Klaus Schenk Graf von Stauffenberg, der größte Mann des militärischen Widerstands, tot. In den Folgetagen beginnt eine riesige Säuberungswelle, und nie wieder wird es die Chance geben, Hitlers Regime von innen zu stürzen. In den NS-Schauprozessen nennen 20 Beteiligte des 20. Julis die Verbrechen des Holocaust als ihren Hauptbeweggrund, um am Putsch mitzuwirken. Bis zuletzt folgt Deutschland Hitler in den Untergang. Allein die Alliierte Militärgewalt kann die Gräuel stoppen. 

Ein bisschen mehr Glück

Vielleicht hat nur wenig gefehlt, dass es anders gekommen wäre. Wenn die Sitzung in der Wolfsschanze nicht kurzfristig verschoben worden wäre, hätte der einarmige, einäugige Stauffenberg – wie ursprünglich geplant – einen 2. Sprengsatz platzieren können. Wenn es nicht so heiß gewesen wäre, so dass die Fenster offen standen, hätte die Druckwelle nicht so leicht entweichen können. Wenn die Aktentasche mit der Bombe nicht verschoben worden wäre, wenn Hitler an einem anderen Ort im Raum gestanden hätte… Oder wenn später im Bendlerblock die vorgesehenen 20 Fernschreiber zur Verfügung gestanden hätten, um die Nachrichten von Hitlers Tod und die neuen Maßgaben verbreiten zu können und nicht nur vier. Wenn vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein bisschen mehr Glück gewesen wäre. Dann wäre der Nationalsozialismus fast ein Jahr früher zu Ende gegangen. Knapp 200.000 Menschen wären nicht mehr nach Auschwitz deportiert worden, Millionen Menschen in Europa hätten ihr Leben nicht lassen müssen.

Es ist Zeit, daß jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterläßt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen." sagte Stauffenberg kurz vor dem Attentat. Er sollte recht behalten. Er, der sein Leben für den Kampf gegen den Faschismus gegeben hat, wird in der Bundesrepublik als Verräter am Antifaschismus denunziert. Denn ideologisch war er nicht progressiv genug. 

Jan Böhmermann schreibt: „Georg Elser wollte Hitler umbringen, damit er keinen Erfolg hat. Stauffenberg wollte Hitler umbringen, weil er keinen Erfolg hatte“, und steht damit sinnbildlich für die Meinung, die der heutige deutsche Mainstream von ihm hat. Ja, Stauffenberg war kein Demokrat, er war reaktionär. Im Anfang war er ein Nazi und womöglich ein latenter Antisemit. Wohin er sich entwickelt hat, ist schwer zusagen. Und wie wollen wir dann Oskar Schindler bewerten? Aber, dass im Jahre 2020 ernsthaft darüber diskutiert wird, wer Hitler töten darf und wer ideologisch nicht ausreichend dafür qualifiziert ist – das ist dann doch ein starkes Stück. Es ist vielleicht der beste Beleg dafür, wie pervertiert die sogenannte Erinnerungskultur in diesem Land ist.

Ihr wärt nicht bei der Weißen Rose gewesen

Mit einer selbstherrlichen Arroganz urteilen selbstherrliche Schöngeister über die Moral des rassistischen Nationalisten Winston Churchill, des imperialistisch-egoistischen US-Militärs oder gar der Holocaust-Überlebenden, die in überfüllten Frachtern nach Palästina fuhren und Israels Existenzrecht erkämpften. Sie denken, dass sie moralisch im Recht stehen, weil sie eine moralische Meinung haben. Sie denken, man ist ein guter Mensch, wenn man Gutes sagt. Aber die Moral eines Menschen erwächst aus seinen Taten und allein aus seinen Taten. 

Oder, um wieder Henning von Tresckow, zu bemühen: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“ Was Stauffenberg dachte, meinte, fühlte – das soll verblassen. Denn er hat für den Kampf gegen den Nationalsozialismus mehr getan, als die gesamte Bundesrepublikanische Linke. Er war das Bedeutendste, was Deutschland an Widerstand zustande gebracht hat.

Stauffenberg hat sein Leben gegeben, um das Richtige zu tun – wie verblendet muss man sein, sich moralisch über ihn zu stellen, nur weil man unter Gratislorbeeren hier und da einen Spruch gegen Rechts verteilt. Ja, vielleicht: Aus der Perspektive von Hans und Sophie Scholl mag Graf von Stauffenberg moralisch in einigen Punkten abfallen. Aber, liebe Moralradikale, eine bittere Wahrheit muss euch gesagt sein: Ihr seid nicht die Weiße Rose. Und ihr wärt auch nicht bei der Weißen Rose gewesen. 

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Wolfgang Kaufmann / 20.07.2020

„Und ihr wärt auch nicht bei der Weißen Rose gewesen“ – Absolut richtig. Solche Leute wären bei der Stasi gewesen oder bei der Securitate, solche Leute hätten in übelster Sorte ihre Blockwartmentalität ausgespielt, um all jene zu denunzieren, die ihnen nicht in das schlichte Gemüt passen. Solche Leute fordern die Steinigung, nur weil jemand Jehova sagt oder Mohr oder Kernkraft, Leistung, Benzin oder Schnitzel. Und seit den Tricoteusen ist auch die Frage geklärt: „Ist hier etwa Weibsvolk anwesend?“ – Wieso aufbauen, wenn man auch zerstören kann; wieso besser sein, wenn man auch diffamieren kann; wieso offen angreifen, wenn man auch schleichendes Gift einsetzen kann. So geht Feminalsozialismus.

Frances Johnson / 20.07.2020

“Und ihr wärt auch nicht bei der Weißen Rose gewesen.” Danke, Air Türkis. Nein, die meisten Angepassten, die heutzutage auf Moral als Geschäftsmodell setzen, wären willige Vollstrecker und Helfershelfer gewesen. Es fällt ihnen ja auch nicht das Geringste zu Hongkong und der Gefahr für Taiwan ein, siehe Broder. Auch zu Herrn E. fehlen ihnen Worte, und Deniz Yücel konnte sich lediglich auf den bösen Springer-Verlag stützen. Was Herrn E. und Böhmermann betrifft: So geht es nicht, schmierige Herabsetzung. Kritik ist etwas anderes.

Steffen Schwarz / 20.07.2020

Das ist das Wesen der neuen Grünen Kommunisten—denn das sind sie,  die heutigen Moralisten von MLDP grüner und solid Jugend bis Merkel CDU , nicht etwa nur einfache Linke—die Vergangenheit können sie rückwirkend einwandfrei und mit Haltung bewerten, und für die Zukunft haben sie eh immer nur die besten Pläne: Der neue Mensch in der gerechten Zukunft.

K.H. Münter / 20.07.2020

Das ist für mich ein sehr guter Artikel, Bravo! Ich ergänze nur noch den Umstand daß vom 20. Juli 1944 bis zum 08. Mai 1945 mehr Soldaten und Zivilisten umgekommen sind als von Kriegsbeginn bis zu jenem 20. Juli 1944. Allein dieser Umstand wäre, abseits von jeglicher ideologischer Betrachtung, es wert gewesen daß das Attentat Erfolg gehabt hätte.

HaJo Wolf / 20.07.2020

Nicht einmal an jene, die ihr Leben gaben, um den Nazi-Terror zu beenden, kann das linksgrüne Gesindel (das sind alle von CDU bis Linke) mit Respekt und Anstand erinnern. Dieses Land ist moralisch sowas von verkommen, dass man kotzen möchte. Stauffenberg und seine Mitstreiter hatten vor allem etwas, das dem Pack von heute verhasst ist: sie liebten ihr Vaterland und waren bereit, für seinen Erhalt zu sterben.

Dr. klaus Rocholl / 20.07.2020

Allein der unselige Schlachtruf des heutigen linksextrem Mainstreams “WIR SIND MEHR !” zeigt doch, wo das Heer der hirnamputierten linken Schein-“Moral”-Riesen damals gestanden hätte: IN REIH UND GLIED, DIE FAHNE HOCH, DIE REIHEN FEST GESSCHLOSSEN !!!

Karin Krause / 20.07.2020

Mir stellt sich nur die Frage, wer hätte heute 2020 den Mut sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel zu setzen um Deutschland zu retten? Ich glaube alle die hier schreiben und diskutieren würden dieses Risiko nicht eingehen!!

Stefan Hofmeister / 20.07.2020

Ich muss zugebe, dass ich Feigling mit den Füßen abgestimmt habe und nun genüsslich am anderen Ende der Welt auf das Ende der Show warte. Was mich jedoch nicht allzu sehr von meinen Brüdern im Geiste unterscheidet, die sich nach Skandinavien etc. absetzten. Wohlan, wir werden sehen. Vielleicht werde ich ja noch Bundeskanzler

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