Peter Grimm / 17.06.2017 / 07:39 / Foto: 3268zauber / 3 / Seite ausdrucken

17. Juni: Tag der Freiheits-Textbausteine

Es ist kein rundes Jubiläum. 64 Jahre ist es her, dass der Volksaufstand, erst die gesamte DDR erfasste und dann blutig niedergeschlagen wurde. Und weil es kein rundes Jubiläum ist, gibt es heute nur die alljährlich fällige Gedenkroutine. Von den damals aktiven Aufständischen leben Jahr für Jahr weniger. Dass die sich gegen einen Missbrauch ihres großen Tages lautstark wehren oder bessere materielle Hilfe für die Opfer der zweiten deutschen Diktatur vernehmbar einfordern könnten, ist nicht zu erwarten.

Obwohl der Volksaufstand damals nahezu jeden Ort in der DDR erfasst hatte, konzentriert sich das offizielle Gedenken wie eh und je auf Berlin. Hier, auf dem Friedhof in der Seestraße, befindet sich seit 1955 das zentrale Mahnmal für die Opfer des Aufstands vom 17. Juni 1953. Auf dem Gräberfeld kurz hinter der Sektorengrenze wurden 1953 acht Männer bestattet, die als Verletzte nach West-Berlin in Sicherheit gebracht wurden und dort im Krankenhaus ihren Verletzungen erlagen. Zur Trauerfeier vor dem Rathaus Schöneberg kamen damals etwa 125 000 Menschen. Bei den Gräbern wurde dann zwei Jahre später das zentrale Mahnmal eingeweiht. Seither gedenken Vertreter von Landes- und Bundesregierung hier alljährlich offiziell.

Den Westdeutschen und West-Berlinern hatte das offizielle Gedenken an diesen großen Tag immerhin über die Jahrzehnte einen beinahe frühsommerlichen Feiertag beschert. Es machte nichts, wenn dessen Sinn über die Zeit ziemlich in Vergessenheit geriet. Der offizielle Feiertagsname - „Tag der deutschen Einheit“ - verriet den Sinn auch nicht auf den ersten Blick. Da konnten ihn minder Interessierte beispielsweise leicht mit dem Tag des Mauerbaus verwechseln. Und als die Ostdeutschen den Feiertag für ihren großen Aufstand nach der Wiedervereinigung hätten genießen können, da wurde er abgeschafft. „Tag der deutschen Einheit“ war fortan der 3. Oktober, der Tag der Wiedervereinigung. Schade.

Die SED-Erben sind angekommen

Aber Gedenken an den Volksaufstand gibt es noch immer. Vor 14 Jahren, zum 50. Jahrestag, wurde der 17. Juni auch von den Medien wiederentdeckt. Nach Jahrzehnten gab es erstmals wieder zahlreichere Publikationen. Viele Deutsche erfuhren erst 2003 von der Dimension des Aufstands. Mochte jeder die streikenden Bauarbeiter der Ost-Berliner Stalinallee kennen, davon dass beispielsweise in Görlitz die Aufständischen sogar kurzzeitig die Macht übernommen und ihren eigenen Oberbürgermeister eingesetzt hatten, war bis dato kaum etwas bekannt.

Doch seither ist es außerhalb runder Jahrestage wieder ruhig geworden um den 17. Juni. Inzwischen sorgt es in Berlin nicht einmal mehr für bisschen Erregung, dass die politischen Erben der SED, also der Partei, die ihre Macht vor 64 Jahren mit sowjetischen Panzern gegen das eigene Volk behauptete, inzwischen wieder in Regierungsverantwortung sitzen und ihre Vertreter zum Gedenken entsenden. Als sich Klaus Wowereit 2001 erstmalig von der PDS, wie die Partei auf ihrem Weg zwischen SED und Linke seinerzeit hieß, zum Regierenden Bürgermeister wählen ließ, da sorgte dieser Umstand am 17. Juni bei manchen Veteranen noch für öffentlich vernehmbaren Unmut.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der nach dem historisch schlechtesten SPD-Wahlergebnis in der Hauptstadt nur mit Hilfe der SED-Nachfolger und der Grünen regieren kann, muss heute keine Unmutsäußerungen mehr fürchten. Die politischen Erben der Machthaber der letzten deutschen Diktatur sind als vollwertige Mitglieder ins politische Establishment der Bundesrepublik aufgenommen worden, ohne dass sich dagegen noch nennenswert Protest regt.

Der Regierende Bürgermeister kann also ganz gelassen zur Gedenkveranstaltung in die Seestraße fahren und seine allfällige Gedenkerklärung abgeben: „Der 17. Juni 1953 ist ein wichtiges Kapitel der Geschichte Berlins als ‚Stadt der Freiheit‘. Die am Volksaufstand in der DDR beteiligten Menschen setzten ein Zeichen für Freiheit und Demokratie. Sie forderten freie Wahlen und protestierten gegen Parteidiktatur, Unterdrückung und Unfreiheit. Bis heute lehrt uns der 17. Juni, dass Freiheit erkämpft werden muss. Auch dieser Tag hat Opfer gekostet. Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif.“

Wie wärs mit einem Nationalfeiertag?

Leider gibt es Freiheits-Textbausteine zum Nulltarif. Was sollen solche Worte in einer Zeit, in der die politischen Verantwortungsträger zu vergessen scheinen, dass Freiheit insbesondere auch die Freiheit derer ist, die Meinungen abseits des Mainstreams äußern, deren Gesinnung einem nicht gefällt und die sich womöglich auch nicht sonderlich gesittet ausdrücken? Man muss die Freiheit nicht neu erkämpfen, wenn man sie bewahrt und dazu gehört zu allererst, auch Äußerungen gelassen auszuhalten, die einem womöglich schwer erträglich, aber keinesfalls strafbar sind.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für Politiker in einem demokratischen Gemeinwesen, doch genau das scheint bei politischen Verantwortungsträgern in Vergessenheit geraten zu sein. Müllers Genosse Heiko Maas will bekanntlich eine Spielart der Zensur im Internet per Gesetz etablieren, die durch private Unternehmen exekutiert werden soll. Ein Eingriff in Grundrechte soll möglich werden, ohne dass Gerichte darüber befinden müssen. Wer so schäbig mit der Freiheit umgeht, für den sollten sich vollmundige Anerkennungsworte für die Menschen, die für ebendiese Freiheit ihr Leben riskierten, eigentlich verbieten.

Aber zum Glück kommt nicht jeder Beitrag zum Gedenken an den Volksaufstand derart blutleer pathetisch daher. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat beispielsweise einen praktischen Vorschlag, wie man den Aufständischen von damals die Ehre erweisen sollte: Der 17. Juni sollte wieder zu einem Nationalfeiertag werden. Das würde auch aktuell ein wichtiges Zeichen setzen, sagt Roland Jahn. Schließlich protestierten derzeit Menschen in arabischen Ländern, in Russland oder Venezuela gegen autoritäre Herrschaft und Unterdrückung von Menschenrechten.

Ob die Menschen in Arabien, Russland oder Venezuela nun wirklich von einem deutschen Feiertag so beeindruckt sind, dass sie ihn als Zeichen verstehen, sei dahingestellt. Aber die Deutschen, die wüssten einen zusätzlichen freien Tag im Juni durchaus zu schätzen. Leider wird auch diese Forderung, wie alle heutigen Gedenkroutinen, kaum jemand wahrnehmen. Heute ist der Tag der Helmut-Kohl-Nachrufe, da ist für einen älteren Volksaufstand wenig Platz in der medialen Öffentlichkeit.

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Andreas Rochow / 17.06.2017

Danke für das würdige Gedenken des Arbeiteraufstands vom 17. Juni jenseits der heute üblichen Routinephrasen! Besonders die in politische Verantwortung gekommenen SED-Erben haben bislang schäbig aber erfolgreich ihre Schuldspur verwischt, allen voran der Genosse Gysi, der jetzt ein bescheidenes Leben zwischen Brüssel und Strassburg fristet und unbehelligt seine “Expertise” in die Mikrofone der Welt rufen kann. Wann endlich merkt die wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland, dass sie mit dem falschen linken Wind in einen neuen Totalitarismus zu driften begonnen hat?

Hartmut Laun / 17.06.2017

Interessant ist es sich das heutige TV-Programm der Öffentlich Rechtlichen Sendeanstalten anzusehen. Vom 17. Juni 1953, immerhin ein Volksaufstand mit Toten, davon ist dort nichts zu lesen und zu sehen. Desgleichen an Tagen wie den 13. August oder dem 09. November. Warum?

Marcel Seiler / 17.06.2017

Ich bin für den 17. Juni als Nationalfeiertag. Schon weil der im Spätfrühling/Sommer liegt. Der 3. Oktober hingegen gefällt mir nicht und hat mir noch nie gefallen; den könnte man gern abschaffen.

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