In dieser besinnlichen Zeit lohnt es, wieder in sich zu kehren und nachzudenken. Über sich selbst, den anderen, die Welt. Vielleicht auch über die eigenen Schwächen. Die Bibel bietet hierzu genug Anregung. In ihr finden sich verschiedenste Anekdoten und Geschichten zu allen Niederungen menschlicher Triebfedern. Im guten wie im schlechten Sinne. Freundschaft und Lüge, Vergebung und Verrat, Vertrauen und Lüge. Um nur einige zu nennen.
Wer aber in den nächsten Tagen nicht die Zeit hat, die gesamte Bibel durchzuschmökern, trotzdem etwas über sich selbst und die anderen erfahren möchte, dem sei Michael Köhlmeiers und Konrad Paul Liessmanns „Der werfe den ersten Stein“ herzlichst zu empfehlen. In diesem 223 Seiten knappen Büchlein entführen die beiden Autoren anhand von zwölf Erzählungen den Leser in zwölf unterschiedliche Formen menschlicher Bosheit. Angefangen vom Betrug über die Kränkung bis hin zur Schuld.
Köhlmeier und Liessman spielen sich hierbei gekonnt die Bälle zu. Während Köhlmeier, wie gewohnt, seine große Erzählkunst zum Besten gibt, ergänzt Liessmann ebendiese Erzählungen brillant durch seine gehaltvollen Überlegungen. Genau diese Melange aus Erzählungen und Anhang entführen den Leser in eine andere, wundersame Welt. Obschon es etwa um Betrug, Lüge und Eifersucht geht, glänzen die Geschichten mit starken Charakteren, die Werte und Moral besitzen. Umgekehrt verdeutlichen diese Erzählungen, wie Misstrauen, Eifersucht und Lügen schwacher Charaktere zu jenen Verbrechen und zwischenmenschlichen Katastrophen führen: Verrat, Unterwerfung, Betrug.
Vielleicht ändert sich der eine oder andere freiwillig zum Guten
Hierbei bedienen sich Köhlmeier und Liessmann nicht nur mythologischer Erzählungen und Charaktere, wie etwa Achill und Samson. Vielmehr greifen sie auf unterschiedliche Epochen der Literaturgeschichte zurück. So zum Beispiel, wenn es um die Intrige um Othello (Shakespeare) geht. Oder um die Bredouille des Dauerklatschens unter einem totalitären Regime, angelehnt an Alexander Solschenizyns „Der Archipel Gulag“.
Doch im Weiteren wahlweise auf einzelne Erzählungen einzugehen, würde nicht nur den Rahmen sprengen. Es würde auch den phänomenalen Lesegenuss unterminieren, den die Lektüre dieses Erzählbandes dem Leser schenkt. Man muss die Erzählungen einfach selbst gelesen haben. Es lohnt sich allemal. Dann genügt es auch, die Bibel häppchenweise zu genießen. Und wer weiß? Vielleicht ändert sich der ein oder andere freiwillig zum Guten ...
Michael Köhlmeier, Konrad Paul Liessmann (2019): „Der werfe den ersten Stein – Mythologisch-philosophische Verdammungen.“ München: Hanser, hier bestellbar.