Stefan Homburg, Gastautor / 09.06.2022 / 12:00 / Foto: S.Homburg / 103 / Seite ausdrucken

Elfte Stellungnahme des Corona-Expertenrats: Anleitung zum Hygienestaat

Unter allen Texten, die ich in meinem Leben las, haben mich sprachlich vor allem zwei beeindruckt, nämlich das Kommunistische Manifest von Marx/Engels und die Erste Sure des Korans. An die dritte Stelle würde ich nunmehr die soeben veröffentlichte elfte Stellungnahme des Corona-Expertenrats setzen.

Der Text fand sowohl in den Leitmedien als auch in den sozialen Medien wenig Resonanz, weil er recht unschuldig daherkommt. Genau darin aber liegt das Problem, denn in Wahrheit propagiert die Stellungnahme eine Umgestaltung unserer Gesellschaftsordnung in Richtung eines wahrhaften Hygienestaats. Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte umgehend an, sie zur Grundlage seiner Politik zu machen.

Nehmen wir zum Einstieg in die sprachliche Finesse des Textes die Impfpflicht: Wer in der Stellungnahme nach diesem Begriff oder Abwandlungen wie Impfzwang oder Pflichtimpfung sucht, wird nicht fündig und mag sich beruhigt zurücklehnen. Ein Fehler, denn auf S. 17 fordern die Experten die „Schaffung einer Grundlage und Struktur, die es erlaubt, jede versicherte Person mit Informationsmaterial, einer Einladung oder Aufforderung zum Impfen zu erreichen“. Das Wort „Aufforderung“ zeigt, was gemeint ist, doch geht das vorgeschlagene Digitale Impfregister im Hinblick auf Kosten und Datenschutz weit über eine bloße gesetzliche Impfpflicht hinaus. Der Begriff „Impfregister“ selbst taucht übrigens im Text ebenfalls nicht auf, und auch das Reizwort „Lockdown“ wird blumig umschrieben als „abgestufte erhöhte Infektionskontrolle“ oder „weitere Kontaktreduktionsmaßnahmen“.

Umgestaltung der Gesellschaft

Programmatisch stellt der Coronarat eingangs fest, dass Atemwegsinfektionen im Herbst und Winter „saisonal bedingt zunehmen werden. Hierzu bedarf es einer vorausschauenden Planung“. Was scheinbar selbstverständlich klingt, wirft in Wahrheit die Frage auf, warum wir bis 2019 gut ohne derartige vorausschauende Planungen gelebt haben, obwohl Erkältungen ab Herbst schon immer zunahmen. Unter vorläufiger Zurückstellung der Antwort sei zunächst skizziert, wie sich der Coronarat unsere Zukunft konkret vorstellt.

Er schlägt einesteils eine Fortführung der Pandemiepolitik vor, bestehend aus Maskenzwang, Tests und weiteren Maßnahmen, die verschämt paraphrasiert werden, vor allem aber eine erhebliche Erweiterung dieser Politik auf neue Instrumente und Virenarten. Angestrebt werden umfassende digitale Surveillancesysteme, erweiterte Prognosemodelle sowie die Intensivierung der sogenannten Gesundheitskommunikation durch Einbeziehung von Ärzten, Schulen und Kirchen, persönliche Ansprachen und gar die Einrichtung einer Bundesstelle gegen Falschinformationen. Hätte es eine solche Behörde bereits 2020 gegeben, hätten die Deutschen wohl nie von alternativen Ansätzen erfahren, denn in den sozialen Medien wurden Hinweise zum Beispiel auf Schweden gelöscht. Derzeit geht Deutschland mit zwei Jahren Verspätung den Weg Schwedens, ohne das laut zu sagen, nachdem man erkannt hat, dass die Lockdownkritiker Recht hatten.

Die bedeutendste Erweiterung besteht aber nicht in neuen Instrumenten, sondern in neuen Anlässen: Nachdem sich SARS-CoV-2 als mehr oder weniger normales Erkältungsvirus erwiesen hat, will der Rat Maßnahmen und auch Impfstrategien auf ein „konsentiertes Panel von Atemwegsviren“ ausdehnen: mit flächendeckenden PCR-Tests und Echtzeitmeldesystemen für Influenzaviren sowie RS-Viren und getrennten Erfassungen der Hospitalisierungsinzidenzen für alle genannten Virenarten. Man kann sich leicht denken, welche Folgen die geplante Dauerbeschallung der Bevölkerung mit Inzidenzen, Maßnahmen, Hospitalisierungen und Mutationen für gleich mehrere Virenfamilien haben wird: Sie hält das Angstlevel hoch und lenkt die Aufmerksamkeit von wichtigen medizinischen Problemen ab.

Wozu soll das alles gut sein?

Vorschläge und Instrumente sind immer an den unterliegenden Zielen zu messen, und hier liegt das Kernproblem der Stellungnahme. Um es zu verstehen, muss man wissen, dass der Text einstimmig verabschiedet wurde, obwohl zum Rat einerseits harte Anhänge des NoCovid-Ansatzes gehören, wie Melanie Brinkmann oder Christian Drosten, andererseits aber auch gemäßigte Mitglieder wie Hendrik Streeck. Um sie unter einen Hut zu bekommen, hat der Rat zwei miteinander unvereinbare Ziele formuliert, was für Parteiprogramme zwar schicklich und üblich sein mag, für wissenschaftliche Texte aber nicht.

Erstens sollen Überlastungen des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur vermieden werden. Gemessen an diesem Ziel bestünde die richtige Strategie darin, sämtliche Maßnahmen zu beenden, das Gremium aufzulösen, den Rechtsstaat wiederherzustellen und das Rad der Geschichte auf 2019 zurückzudrehen. Denn selbst beim Bundesgesundheitsministerium kann man nachlesen, dass zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems bestanden hat; vielmehr ging die Belegung der Krankenhäuser von 2019 auf 2020 um stattliche 13 Prozent zurück, im Frühjahr sogar um 30 Prozent. Auch im stets lockdown- und maskenfreien Schweden hat es nie eine Überlastung gegeben, und eine vereinzelte Zeitungsnachricht, die das Gegenteil behauptete, wurde später von der Zeitung selbst als Fakenews korrigiert. Auch bei der Gesamtsterblichkeit gab es nur normale Schwankungen gegenüber den coronafreien Vorjahren. 

Zweitens will der Rat schwere Krankheitsfälle, Todesfälle und Spätfolgen vermeiden. Das ließe sich aber nur durch Minimierung der Ansteckungen erreichen und ist eine verharmlosende Umschreibung des ebenso illusionären wie menschenverachtenden NoCovid-Ansatzes, dessen schreckliche Konsequenzen man in Shanghai beobachten kann. Das vorgeschlagene Maßnahmenarsenal beruht allein auf diesem zweiten Ziel, das dem ersten diametral zuwiderläuft.

Derartige logische Brüche würde man in keiner Bachelorarbeit durchgehen lassen, doch durchziehen sie den gesamten Text, der im übrigen ohne Quellen, Zahlen, Grafiken oder nachvollziehbare Begründungen daherkommt. Wenn beispielsweise die Impfungen von so zentraler Bedeutung und derart wirksam sind, wie vom Rat behauptet, warum verlangen die Mitglieder dann zusätzliche Maßnahmen von Maskenzwang bis Lockdown? Das ist doch ein klarer Widerspruch! Warum benötigen die Geimpften alle paar Monate eine neue Dosis, warum waren letzten Winter ähnlich viele Coronapatienten hospitalisiert wie vor Einführung der Impfung, und warum sind PCR-positive Verstorbene im Mittel 83 Jahre alt und damit älter als die übrigen? Der Rat erklärt all das nicht, sondern postuliert ironischerweise eine „transparente Gesundheitskommunikation“, die durch eine neue Zensurbehörde gegen Kritik abgeschirmt werden soll.

Jedem Menschen, dem Freiheit, Gesundheit und Rationalität wichtig sind, müssen diese Stellungnahme und das darin entfaltete Panoptikum einer schönen neuen Virenwelt kalte Schauer über den Rücken jagen. Man kann nur hoffen, dass sich die Abgeordneten und Regierungspolitiker nicht einlullen lassen.

 

Stefan Homburg ist Professor der Leibniz Universität Hannover. Sein Buch Corona-Getwittererschien soeben im Weltbuch Verlag.

Foto: S.Homburg

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Leserpost

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Dr Stefan Lehnhoff / 09.06.2022

Wissenschaft, Logik, Moral? Papperlapapp! Diese Leute stehen in einer Linie mit Mao, Hitler, Stalin und Polpot. Außer, dass es leider mehr von denen gibt und sie vorhaben, weit schlimmeres anzurichten. Wir haben sie zu stoppen. Nett, dass sich Professor Homburg noch die Mühe macht, So ein Pamphlet zu lesen. Besser wäre aber, wir verwendeten unsere Zeit uns um die Inhaftierung dieser Leute zu kümmern oder sie wenigstens sonst wie zu neutralisieren. Ich Schreibe es ein x-Test mal: Während die Weisen noch debattieren, erobern die Idioten die Stadt.

Dieter Fuchs / 09.06.2022

Wir, 72 und 76, werden in wenigen Monaten dieses Land verlassen. Über zwei Jahre Gängelungen, Beschränkungen und Verbote ist zu viel gestohlene Rentenbezugszeit, die uns einfach zu wertvoll ist als dass sie derart sinnlos “abgelebt” wird. Wenn unsere Zeit gekommen ist, dann ist das so, doch bis dahin wollen wir LEBEN, nicht vegetieren im betreuten Dasein. Es wird an die Adria gehen, wo der Mensch noch Mensch sein darf, lebendig und nicht im Lauterbachschen Koma darniederliegend.  Mit Lebensfreude, Kontakten, Gastronomie und Sonne wollen wir den Lebensabend genießen, und nicht unter der Knute eines ........ Menschen in Gestalt des Gesundheitsministers dahinvegetieren, maskiert und erneut eingeengt im Leben. Und kein “Experte” kann das verhindern…

Frances Johnson / 09.06.2022

Ist alles sehr belastend heute. Falls es anderen auch so geht, schauen Sie mal das an: goddard/2021/hubble-gazes-at-a-galactic-menagerie/. 265.000 Galaxien, alle Formen und Größen. Auf NASA dot com. Ich finde es nett, dass Jim Goddard so ähnlich wie Gott heißt. Die menschliche Niedertracht angesichts dieses Bildes erscheint einem noch niedriger, gemeiner, armseliger und vor allem überflüssig. Wir sind hier, um so etwas zu bewundern, zu dokumentieren und zu erforschen. Wir leben, sagen Astrophysiker, an einem exzellenten Platz dafür. Läge das Sonnensystem etwas näher im Zentrum unserer (spiralförmigen) Galaxie, der Milchstraße, würden wir längst nicht so viel sehen durch die Dichte und Helligkeit der umliegenden Sterne. Falls die Artikel heute Sie auch so betrüben (das sollte so sein), gucken Sie es einfach an. Auf dem express couk gibt es das auch, falls NASA nicht läd, wird viel angeschaut.

Silvia Schulz / 09.06.2022

Wir wohnen nicht weit weg von der polnischen Grenze. Wenn ich hier nicht normal shoppen oder ausgehen kann, kein Problem für uns. Genau wie die letzten zwei Jahre davor. Solidarität mit diesem Land haben mir meine islamophilen Vorortbekanntschaften, Sterne-Rülpsende Pseudo-Akademiker und die gruseligen Putin-Kuschler eh ausgetrieben. Die Eventveranstalter, Einzelhändler und meine lieben Mitbürger haben das alles so gewollt und gewählt. Klar, für Knasturlaub mussten wir uns in der Familie ,bis auf die Kinder, mit diesem Mist impfen lassen, aber dafür konnten wir diesem Irrenhaus auch mal entkommen. Das war es für uns wert. Und natürlich lassen sich die Abgeordneten einlullen, die Kontrolle, die man so über den Pöbel bekommt, ist einfach zu schön. Ist doch nur Mittel zum Zweck in die tolle sozialistische Welt von morgen, genau wie Klimawahn. Ihr werdet nichts haben, aber da ihr eh nichts machen könnt, nicht einkaufen, essen gehen , Oper etc. weil alles zu ist, merkt ihr nix davon. Dann noch das Auto weg und eine ein-Zimmer Butze in Gropiusdtadt.  Dann haben nur noch Politiker, Oligarchen und Super-Reiche ein gutes Leben, aber hey, dafür hatte man immer seinen festen Klassestandpunkt in seiner jeweiligen Peer Group, links wie rechts. Die Abgeordneten können den Herbst vermutlich kaum noch abwarten.

Okko tom Brok / 09.06.2022

Die Lage ist doch längst noch komplizierter: Faktenbefreit werden von einer gefühlten Mehrheit erwiesene Irrtümer der Corona-Zeit munter weitergepflegt: “Schweden war unverantwortlich”, “die Impfung nützt” (bloß wem?), “Schulen sind Hotspots”, “hohe Inzidenzen sind alarmierend” u.v.a.! Da nützt die beste Aufklärung nichts, wenn die Ignoranz zur unumstößlichen Glaubenslehre verknöchert ist!

D. Schmidt / 09.06.2022

Die vielen Experten, die bei uns so frei herumlaufen dürfen können, nicht einmal 1 Woche im Voraus das Wetter vorhersagen. Aber alle „Experten“ wissen jetzt schon, was für ein “böser” Corona-Virus im Herbst auf uns zukommt. Und dann wissen Sie auch schon wie man das Volk wieder einsperrt und durchimpft. Warum sehen diese Experten eigentlich nicht die Pest oder Cholera, Lebra und Co. voraus, ... ach und die Affenpocken natürlich (schon fast vergessen)?  Die sogenannten Experten sehen nicht einmal was mit Deutschland passiert, wenn es mit der Wirtschaft, Energiewende usw. noch weiter so abwärts geht wie aktuell. Bei Corona darf sich anscheinend jeder austoben. Lauterbach ist der Vorturner.

Xaver Huber / 09.06.2022

Sehr geehrter Herr Prof. Homburg, Ihr makroökonomisches Lehrbuch beleitete nicht nur mein Ökonomiestudium, sondern war mir auch später ein dankbarer Ratgeber.\\\ Insofern werden Sie mein Erstaunen nachvollziehen, Kenntnis von den literarischen Quellen nehmen zu dürfen, die angeblich nachdrücklichen Eindruck bei Ihnen hinterließen.\\\ Fern des Kommunistischen Manifestes scheint es allerdings auch hoffnungslosen Atheisten, als gebe es in der Bibel adäquate Passagen zur Ersten Koransure.\\\ Doch auch losgelöst jener Vermutung erschließt sich Ihre Faszination leider nicht.\\\ Insbesondere wenn man sich das zentrale Vermächtnis des Kirchenvaters Augustinus (354-430) in Erinnerung ruft, das in kaum mehr als einer Handvoll Worten lautet: „Liebe und tu, was du willst.“\\\ DAS ist eine kurze, prägnante Botschaft.

Peter Mielcarek / 09.06.2022

Es gibt kein neues Virus, es gibt einen Test, der bei Gesunden positiv werden kann oder bei Kranken. Es gibt auch keine neue Krankheit. Es gibt jetzt einen Überwachungsstaat und Reisebehinderungen, und das Benzin ist sehr sehr teuer geworden. Es gibt jetzt ein anderes Leben, ein neues Leben in einer neuen Welt. Die Utopie der totalen Überwachung wird in die Wirklichkeit umgesetzt. Das absolut Böse, der Teufel und seine Dämonen, übernimmt die Regierung. Rettung gibt es sehr wohl, aber nicht bei Menschen. Biblische Prophetie erfüllt sich. Der Wahn der Massen, verblendet und verstockt wie sie sind, wird fürchterliches Unglück über die Welt bringen. Die apokalyptischen Reiter reiten, Posaunen werden geblasen und die Schalen des Zornes Gottes werden ausgegossen werden. Dies alles wird geschehen müssen, ob wir es wollen oder nicht.

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