Sie lesen die Achse – gut! Sie sehen fern? Nicht so gut. Sie gehen online? Kommt drauf an. Auch bei Büchern. Da gibt es solche aus der Kategorie „Das hat Gutenberg nicht gewollt" – und es gibt lesenswerte.
Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report. Siedler, 22,00 €
Ich habe Fragen. Wer zum Henker hat dem stellvertretenden Chefredakteur Politik der Welt das alles gesteckt? Alexander schildert das viele Monate andauernde Hauen und Stechen um Merkels Nachfolge vor dem Hintergrund der Corona-Krise hochspannend und teils minutiös: wer mit wem Bündnisse schloss, wer gegen wen aus den Büschen feuerte, wer sich Hoffnungen machte, die sich dann zerschlugen, wer wen favorisierte und dann doch wieder fallen ließ. Selbst an einigen Gesprächen, die unter vier Augen stattfanden, lässt Alexander den Leser teilhaben. Das ist alles wie ein Krimi zu lesen, wirft allerdings immer wieder die Frage auf, warum der Autor die Kanzlerin (wie schon in „Die Getriebenen“) auffallend schont. Die ihr stets attestierte Detailverliebtheit etwa und die Methodik, alles „vom Ende her zu denken“ – wie passt das zusammen mit der Tatsache, dass Merkel sich mit Vorsatz einseitig beraten ließ und so schon alle möglichen Alternativen von vornherein ausschloss? Dafür macht er bei der Charakterisierung der anderen Protagonisten aus seinem Herzen keine Mördergrube: Merz kommt schlecht weg (zu selbstsüchtig), Söder mal so, mal so (schlau, aber zu ehrgeizig), Laschet so lala (keine große Leuchte, wird nur Vorsitzender, weil Merz es nicht werden soll und nur Kanzlerkandidat, weil Söder es nicht werden soll). Merkel gewährt und entzieht ihre Gunst mal dieser, mal jenem. Hinterzimmergeschacher ohne jede Transparenz. Aber irgendjemand hat wohl immer ausgepackt, sonst könnte der Autor nicht so ins Detail gehen. Wie auch immer: viele, nicht selten verstörende Einblicke in den Maschinenraum der Bundespolitik und dessen Personal, sehr fluffig zu lesen!
Stefan Aust: Zeitreise. Die Autobiografie. Piper, 26,00 €
Sagen wir es so: Man kann diese „Autobiografie“, die eigentlich zu 99 Prozent eine mehr oder weniger chronologische Darstellung von Stefan Austs beeindruckender journalistischer Karriere ist, durchaus lesen, man muss es aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn man gern wissen würde, was für ein Mensch der Autor ist, was ihm (außer dem Job) wichtig ist im Leben. Man erfährt so gut wie nichts über Austs Privatleben, Frau und Töchter oder irgendetwas anderes als berufliche Highlights und gelegentliche Erwähnungen seiner Pferdeliebhaberei. Wer hingegen an Austs Stationen – von der Zeitschrift konkret sowie den St. Pauli-Nachrichten über den NDR („Panorama“) bis zur legendären SPIEGEL-Zeit und als WELT-Herausgeber – interessiert ist und an den innen- und außenpolitischen Ereignissen, die sein Journalistenleben prägten ("Ach ja, die Barschel-Affäre – da war er auch dran? So so..."), mag mit dem Wälzer gut bedient sein.
Tom Holland: Herrschaft. Die Entstehung des Westens. Klett-Cotta, 28,00 €
Auf mehr als 600 Seiten schlägt Tom Holland („Rubikon“, „Persisches Feuer“) einen gewaltigen historischen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart, streift durch zweieinhalb Jahrtausende Geistesgeschichte samt ihren zahllosen Wurzeln und Verzweigungen. Um „herauszufinden, wie es dazu kam, dass wir im Westen wurden, was wir sind, und so denken, wie wir denken.“ Und das Gedankengut ist das des Christentums, wobei Holland weiter ausholt und schon die Geschichte des Volkes Israel (und dessen Wertegerüst) in seine Überlegungen miteinbezieht. In seinem glänzend geschriebenen Buch zeigt der Autor Hintergründe und Zusammenhänge auf, vom Missionar Bonifatius, der für seinen pazifistischen Glauben den Märtyrertod starb, über Bartolomé de las Casas, der im frühen 16. Jahrhundert vom Sklavenhalter zum Kämpfer gegen die Sklaverei wurde, bis zu neuzeitlichen Bewegungen für Menschenrechte. Beeindruckend in Form und Inhalt und wohl das Opus Magnum des britischen Historikers. Uneingeschränkte Empfehlung.
Wolfgang Wodarg: Falsche Pandemien. Argumente gegen die Herrschaft der Angst. Rubikon, 20,00 €
Schon zu Beginn der „Pandemie“ exponierte sich Wolfgang Wodarg, der als Arzt, Epidemiologe, Politiker und Aktivist gegen Korruption im Gesundheitssektor weiß, wovon er spricht, als Kritiker der Panikmache durch Politik und Medien – und ist seitdem, wie zu erwarten, raus. Was er über die Hintergründe der politisch ausgenutzten Pandemie schreibt, über Big Pharma und die neuen Impfstoffe, über die Protagonisten der Krise von Drosten bis Lauterbach, ist erschreckend. Wodarg beschreibt zunächst die Epidemie und ihren Umgang damit, die Sinnlosigkeit der Tests, die doch nur als Grundlage für politische Entscheidungen dienen, schildert auch seine Erfahrung mit früheren Seuchen, institutionelle Korruption und eine besorgniserregende Entwicklung: wie der Mittelstand zusehends abgeräumt wird, während Großkonzerne den Reibach machen, wie die Politik Gefallen an immer repressiveren Maßnahmen findet und wie die Medien dieses üble Spiel mitspielen. Am Ende drohen Überwachung und Kontrolle durch den Staat – und die in Angst versetzte Bevölkerung nimmt es hin. Wer Manipulationen und Kampagnen durchschauen will, findet in Wodargs über 400 Seiten starkem Buch viele Argumente.
Raymond Unger: Vom Verlust der Freiheit. Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise. Europa Verlag, 24,00 €
Was haben Klimawandel, Migrationsströme und Viruspandemien gemeinsam? Den Umgang mit ihnen. Unger („Die Heimat der Wölfe“) führt seine These eines Wirkzusammenhangs von transgenerationalen Kriegstraumata und der besonderen Willfährigkeit Deutschlands bei der Umsetzung globaler Agenden in diesem Buch weiter aus. Die moralistisch aufgeladene Debatte über diese Themen lässt den Autor darüber nachdenken, was hinter dem Gerede von einem „neuen Normal“ und vom „Great Reset“ stecken könnte. Vordergründig geht es um Klimaschutz, Pandemieschutz, Solidarität, Inklusion und Fairness, tatsächlich liefert sich der Bürger staatlicher Kontrolle aus und nimmt immer mehr Gängelungen klaglos hin. Auch Cancel Culture, Nudging, Framing und Gendergedöns beleuchtet Unger näher, geht auf die Schattenseiten der Migrationspolitik von Parallelgesellschaften bis zur Rolle der Scharia ein, zerlegt die haarsträubend gemanagte Corona-Krise in ihre Bestandteile und fragt nach ausführlicher Analyse: Cui bono? Wem nützt das alles? Lesenswert von der ersten bis zur letzten Seite, aber, das kann ich an dieser Stelle nicht verschweigen, was wirklich nervte: Das Buch ist grauenhaft – wenn überhaupt – lektoriert, auf jeder Seite findet sich zuverlässig mindestens ein Tippfehler, eher zwei oder drei. Was sich bei 520 Seiten erschreckend aufsummiert. Schlimm. Meine flehentliche Bitte an den Verlag für die nächste Auflage: Das muss alles unbedingt aufmerksam gelesen werden, bevor es in Druck geht. Bitte!
Walter van Rossum: Meine Pandemie mit Professor Drosten. Vom Tod der Aufklärung unter Laborbedingungen. Rubikon, 20,00 €
Ken Jebsen lobt das Buch, oje, aber es ist trotzdem gut. Ein Enthüllungsbuch im besten Sinne, sauber recherchiert und gut geschrieben. Mit nüchternem Blick auf die Fakten weist van Rossum nach, dass die vermeintliche Killer-Seuche keine ist – und bleibt stets dem „Veteran aller Pandemien“ auf der Spur, Prof. Dr. Christian Drosten, dem Hofvirologen des Bundeskanzleramts, der 2003 als Entdecker des SARS-Coronavirus profilierte und seither als Experte für Coronaviren gilt, schon bei der Vogelgrippe 2004 ff und der Schweinegrippe 2009/2010 in Erscheinung tritt (wenn auch hauptsächlich mit falschen Warnungen). Van Rossum schildert die Allianz aus Seuchenwächtern, Medien, Ärzten und Pharmalobby. Eine umfangreiche und sehr gut recherchierte Analyse der Corona-Krise inklusive Aufdeckung der vielen Widersprüche, in die sich die Protagonisten verstrickten. Die Mutmaßungen des Autors, was hinter der vorsätzlich geschürten Massenhysterie und dem Agieren der Politik steckt, muss man nicht teilen, über sie nachzudenken, lohnt sich jedoch allemal.
Gad Saad: The Parasitic Mind. How Infectious Ideas Are Killing Common Sense. Regnery Publishing, 26,99 €
So schön haben Political Correctness, Postmodernismus, Wokeness und linke Identitätsideologie selten ihr Fett wegbekommen! Der „Gadfather“, kanadischer Evolutionspsychologe jüdisch-libanesischer Abstammung, gibt auf äußerst unterhaltsame, nicht selten hochwitzige Weise überempfindlichen Feinden der Freiheit Saures, dass es nur so eine Art hat. Den in solchen Kreisen als unumstößlich geltenden Wahrheiten, die an Universitäten ausgebrütet wurden und sich langsam, aber sicher in der Politik und der Populärkultur einnisteten, setzt er lustvollen Widerspruch entgegen. „These idea pathogens destroy our understanding of reality and common sense by espousing such positions as: invisible art is a form of art, all sex differences are due to social construction, and some women have nine-inch penises.” Postmodernisten, radikale Feministen und Transgender-Aktivisten werden dieses Buch hassen (bzw. es gar nicht erst lesen), alle anderen, denen Vernunft und Freiheit noch etwas bedeuten, werden einen Heidenspaß daran haben. Denn das ist die Botschaft dieses Buches: Habt keine Angst, auch in diesen Zeiten dem weit verbreiteten Schwachsinn die Vernunft und den gesunden Common Sense entgegenzusetzen, statt ihn resigniert hinzunehmen. Es kann sogar ein teuflisches Vergnügen sein. (Am 5. Oktober erscheint übrigens die Taschenbuchausgabe. Eine deutsche Ausgabe ist meines Wissens leider nicht geplant.)
Norbert Bolz: Die Avantgarde der Angst. Matthes & Seitz, 14,00 €
Norbert Bolz analysiert das Umschlagen des ökologischen Problembewusstseins in eine kollektive Angstreligion. Er arbeitet heraus, wie der Teufelskreis aus Angst, Schuldgefühl und Selbstbestrafung von einer multimedialen Angstindustrie mit hauptberuflichen Mahnern und Warnern befeuert wird, die Betroffenheit über die Betroffenheit anderer kommunizieren. Und der Ängste sind in einer Gesellschaft der Hypersensiblen ja viele: vor Atomkraft, Vogel- und Schweinegrippe, Klimawandel, dem vermeintlichen Killervirus Corona. Die apokalyptische Schwärmerei, die Lust an der Angst hat, wie Bolz zeigt, eine geradezu religiöse Dimension erreicht. Die Glaubensgrundsätze vergangener Jahrhunderte sind von einer grünen Ersatzreligion abgelöst worden, die Schuld (Lebensweise!) zuweist und Ablass (CO2-Steuer!) gewährt, die ihre Prediger und Heiligen (Greta!) und ihre Häretiker hat, die der Verdammnis anheimfallen. Die elitären Vertreter dieser Religion, die gar nicht daran denken, den Verzicht zu leben, den sie anderen predigen, sind die Gewinner der ausgerufenen Krise. Es liegt an uns, diese Scharlatane zu entlarven und „die Neuzeit zu retten“. Kluge philosophische Abhandlung!
Michael Sommer: Schwarze Tage. Roms Kriege gegen Karthago, C.H. Beck, 26,95 €
Hannibal und seine Alpenüberquerung mit den Elefanten werden den meisten Lesern noch aus der Schulzeit in Erinnerung sein, hier bietet der Althistoriker Sommer eine Zusammenfassung des über hundertjährigen Ringens (264 bis146 v. Chr.) zwischen der phönizischen Seemacht Karthago in Nordafrika und dem aufstrebenden Rom. Drei Kriege führten sie miteinander, im Prinzip um die Herrschaft im westlichen, später auch dem östlichen Mittelmeerraum. Für einen deutschen Historiker – das muss man angesichts der stilistischen Eleganz der angloamerikanischen immer dazusagen – schreibt Sommer durchaus lesbar, also nicht zu trocken, erläutert die Hintergründe und Zusammenhänge, geht auf Motive und Bündnisgeflechte ein und beschreibt die Protagonisten der Punischen Kriege (Vorsicht, es gibt gleich mehrere Hasdrubals und Scipionen!), rezipiert am Schluss auch die bisherigen Darstellungen zum Thema. Wer schon immer wissen wollte, wie Rom als verhältnismäßig kleine Regionalmacht in Italien das mächtige Karthago in die Knie zwingen und so zur Großmacht im Mittelmeerraum aufsteigen konnte, macht mit diesem Buch nichts falsch.
Jan Fleischhauer: How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken. Siedler, 20,00 €
Mit einem ironischen Lächeln betrachtet „einer, der aus Versehen konservativ wurde“ (laut Untertitel seines großartigen Buchs „Unter Linken“), in seinen Kolumnen die verrückten Entwicklungen unserer Zeit, nimmt mit leichter Hand alles aufs Korn, was den Tugendwächtern unserer Gesellschaft heilig ist: „puritanisches Denken und den einwandfreien Bücherschrank“, den schwer angesagten „Hang zur Empfindlichkeit“, die „akzeptable Auswahl von Talkshowgästen“, „frauenfeindliche Werbung und den Versuch, sie zu beenden“. Und entlarvt so die kleinkarierte Denke der Moralapostel. Mehrere Dutzend Kolumnen Fleischhauers („Der Schwarze Kanal“) sind in diesem Buch versammelt, angereichert durch – und das ist mit das Beste daran – famosen Interviews, die der Autor vor allem mit jenen führte, die eher aus dem „anderen Lager“ kommen: die Theologin Margot Käßmann, der Journalist Deniz Yücel, die Feministin Sophie Passmann, der Verleger Jakob Augstein. Eine äußerst kurzweilige, ja vergnügliche Lektüre!
Alexander Kissler: Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unreife. HarperCollins, 20,00 €
Kein Zweifel: Wir sind eine Gesellschaft der Kindsköpfe geworden. Kein Wunder, dass inzwischen die Gretas und Luisas dieser Welt omnipräsent sind; die Kinder sind an der Macht, wie Grönemeyer es schon vor gut 35 Jahren gefordert hat. Generation Schneeflocke rules, (schnell verletztes) Gefühl ist Trumpf, wer mit Vernunft kommt, kann gleich einpacken. Konstruktiver Diskurs ist schon zu kompliziert, und Verantwortung sollen bitteschön die anderen übernehmen, das ist nichts für uns. Auf diesem Niveau ahmen selbst rüstige Senioren die fürs Klima hüpfenden Wohlstandsgören nach, und ein tagesschau-Mitarbeiter entblödet sich nicht, vom „Wandel zu einer CO2-freien Welt“ zu träumen. Die Beispiele für infantiles Verhalten hängen in großen Trauben an den Bäumen, Kissler braucht sie nur zu pflücken und – in eleganter Sprache – einzuordnen. Mir persönlich gefielen seine Einlassungen zur von Kanzlerin Merkel praktizierten Einfachen Sprache besonders gut. Und die zu den Kletterkirchen, die sich als Kinderbespaßung für Erwachsene neu erfunden haben. Hochkomisch, wenn es nicht gleichzeitig so traurig wäre.
Was die Wege aus der selbstverschuldeten Unreife betrifft, die der Titel verspricht, so kommen diese allerdings ein bisschen zu kurz, erst im Schlusskapitel zeigt Kissler auf, wie man erwachsen wird. Aber eigentlich ergibt sich bereits aus der Lektüre des Werkes, dass man es schon richtig macht, wenn man sich dem infantilen Zeitgeist nicht an den Hals wirft.