112-Peterson: Wissenschaft und Moral

Der Schweizer Biologe Jean Piaget war ein Mann mit außergewöhnlichen Ideen (und Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie, Anm.d.Red.). Er war von Hause aus kein Entwicklungspsychologe, betrachtete sich überhaupt noch nicht einmal als Psychologe. Es ging ihm darum, Wissenschaft und Religion miteinander auszusöhnen. Damit beschäftigte er sich sein gesamtes Leben, weil ihn dieser Komplex bereits in seiner Jugend in den Wahnsinn trieb. Er glaubte, nicht imstande zu sein zu überleben, wenn er diese beiden Dinge nicht zusammen brächte. Er beschäftigte sich sozusagen immer mit demselben Problem.

Piaget war ein guter Beobachter, im Grunde war er ein Verhaltensforscher für Menschen. Denn ein Verhaltensforscher im zoologischen Sinne ist ein Wissenschaftler, der Tiere anhand ihres Verhaltens studiert und nicht, indem er sie unter Laborbedingungen beobachtet.

Schließlich erregte das spontane Aufkommen von Moral im kindllichen Spiel Piagets Aufmerksamkeit. Er entwickelte schließlich den sehr klugen Gedanken, dass eine Moral daraus erwächst, wenn Kinder sich im Spiel zu einem gemeinsamen Ziel zusammen schließen. Jedem Spiel liegt eine eigene Moral zugrunde, doch was alle Spiele miteinander verbindet, ist eine bestimmte Meta-Moral. Und diese Meta-Moral entsteht aus einzelnen Moralitäten, die sowohl in bestimmte kooperative als auch wettbewerbsorientierte Situationen eingebettet sind.

Das ganze könnte man auf die biologische Idee der Rangordnung ausweiten. Jedes soziale Tier und selbst einige Tiere, die nicht sozial sind, sind in eine Rangordnung mit einer  bestimmten Struktur eingebettet. Ohne Struktur könnte man schlecht von Rang-„Ordnung“ sprechen. Innerhalb von tausenden von Jahren sind natürlich tausende von verschiedenen Rangordnungen entstanden.

Um nun die Struktur hinter solchen Dominanzhierarchien zu entschlüsseln, extrahiert man, was bei allen das Zentrum bildet – allen liegt eine bestimmte Wertepyramide zugrunde. Die Frage, die nun beantwortet werden muss, lautet: Was steht an der Spitze? Dort befindet sich stets das Ideal – das Auge Gottes, der goldene Buddha im Lotus oder auch das Kruzifix. Im Grunde steht all das paradoxerweise für dasselbe: Die freiwillige Akzeptanz und daher Transzendenz des Leidens. Diese religiösen Gedanken sind keine beliebigen Ideen. Sie sind tief in der Biologie und Kultur verwurzelt. Sie sind in der Biologie genauso tief verankert wie das Prinzip der Rangordnung.

Das Prinzip der Rangordnung gibt es seit 350 Millionen Jahren. Eine lange Zeit. Solch eine Struktur kann man nicht einfach abschütteln. Man kann nicht einfach behaupten, die Moral wäre ein kognitives Problem zweiter Klasse – denn das ist sie definitiv nicht.

Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Esther Burke / 04.11.2020

(Fortsetzung) Dann differenzieren sich weitere Vorstellungen heraus : Schöpfer - Vater - Held - Kämpfer- Wissender etc.  Das sich entwickelnde Wissen um Gut und Böse , die Vorstellung, Idee von Werten : Religion.  (Ich komm / weiß nit, woher./ ICH BIN / UND WEISS NIT, WER /...Ich fahr / weiß nit, wohin…. H.Thoma) Was tun ? am besten vielleicht, so “gut” wie möglich sein…

Esther Burke / 04.11.2020

Der Beginn von Moral - der Beginn von Ethik : der Vorstellung von Gut und Böse . Die Voraussetzung hierfür wäre die Fähigkeit, bewußt wahrnehmen zu können / Bewußtsein / Reflektion / selbst-reflektives DENKEN.  Wie aber konnte dieses Bewußtsein zustande kommen ? Der “Sprung” vom Fühlen +instinktgebundenen -gesteuerten Verhalten zu bewußter Wahrnehmung , schließlich Denken ?  (Vor längerer Zeit hatte ich hierzu einen interessanten Aufsatz von Johannes Röser, finde den aber momentan nicht.) Ich selber stelle mir vor, dass das “menschliche Säugetier” irgendwann (-wohl sehr lange, bevor der Zusammenhangvon Zeugung(Sexualität) - Schwangerschaft - Geburt verstanden werden konnte -)  realisiert hat,  dass 1. jeder Mensch (jedes Lebewesen) irgendwann stirbt, und 2.  dass das “weibliche Tier” das neue Leben hervorbringt - und damit zwangsläufig auch den Tod .  Wie furchterregend muß diese Entdeckung gewesen sein - und mit wieviel Macht muß dieses “gebärende Wesen” ausgestattet sein - Macht über Leben und Tod !  zu der Angst vor Gefahren und Tod muß nun auch die Angst vor der weiblichen “Potenz” hinzugekommen sein.  Als die Zusammenhänge von Sexualität-Empfängnis-Geburt verstanden werden konnten musste dieser gefährliche Komplex mit Tabus belegt, geregelt werden. Wie anders hätten die Gruppen (Horden ?) überleben und zusammenleben können ? Je mehr die Bedrohungen bewußt wahrgenommen und Gefahrenabwehr /Verteidigung nicht mehr durch instinktives Verhalten geregelt werden konnte, umso mehr war geREGELtes gemeinsames Handeln notwendig. GUT ist dann, was (Über)leben ermöglicht, BÖSE ist, was das Leben zerstört bzw. gefährdet. Angesichts der ständigen Bedrohung des frühen Menschen durch Naturgewalten- aggressive Tiere - feindliche Mitmenschen ,wo soll der frühe Mensch hin mit seiner Todesangst ?- Er braucht Transzendenz, die Höhere Macht über seinem Dasein. Naheliegend erscheint hier zunächst das Doppelwesen : Lebensspenderin(Mutter) / Todesbringerin (Hexe, Dämonin).

Joerg Machan / 04.11.2020

Ich bin zu dumm für diese Behauptungen. Buddha, Kruzifix und Goldenes Auge. Ihm geht es nur um Bilder. Was steht denn im Zentrum oder an der Spitze des Judentums? Sehen Sie! So schnell kann man seine “Wissenschaft” widerlegen. Habe mir dann sein verlinktes Video angeschaut: Schrecklich, alle Aufzählungen werden grundsätzlich von ihm - aus SEINER Sichtweise - von links nach rechts mit manischen Gesten unterstrichen. Für den Zuhörer auf Dauer eine Zumutung. Was wirft der vorher ein? Der will gar nichts lehren, der will sich nur selbst darstellen. Aber das gelingt ihm gut!

Thomas Taterka / 04.11.2020

Die besten Beobachter sind Erzähler, weil sie einem die Last eines Systems ersparen. Die Lyriker unter ihnen kann man sogar im Gedächtnis tragen, -unterwegs, wie Musik oder” Lembasbrot”.

Dieter Kief / 04.11.2020

Rangordnung=Moral=Regeln=Transzendenz=Buddhismus=Christentum=universale Werte=Hummer (als realsymbol für Testoterongesteuertes Dominanzstreben). Siehe, fährt Peterson for - Jean Piaget!- Ich vermute Jean Piaget hätte gelacht. Herzlich! - Oh - wie alt ist das Lachen? - Vermutung: Viel (um Größenordnungen) jünger als die Dominanz, aber erheblich älter als der verschriftlichte Gott. - Haben die Neandertaler bereits gelacht? - Wahrscheinlich. - Könnten das Anthropologen nicht bestimmen - aufgrund der Schädelfunde?

Wilfried Cremer / 04.11.2020

Das Leiden ist die Spannung zwischen Nichts und Sein und zwischen Tod und Leben.

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